T 2682/17 () of 13.7.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T268217.20200713
Datum der Entscheidung: 13 Juli 2020
Aktenzeichen: T 2682/17
Anmeldenummer: 11715663.8
IPC-Klasse: E01C19/00
E01C19/48
E01C23/088
E01C23/01
E01C23/07
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: ÜBERWACHUNGSVORRICHTUNG FÜR EINE BODENBEARBEITUNGSMASCHINE
Name des Anmelders: BOMAG GmbH
Name des Einsprechenden: Wirtgen GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention Art 84 (2007)
European Patent Convention Art 83 (2007)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
Schlagwörter: Patentansprüche - mangelnde Klarheit kein Einspruchsgrund
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein)
Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, den Einspruch gegen das Streitpatent zurückzuweisen.

II. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass das Patent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne, sowie dass der Gegenstand der Ansprüche in der erteilten Fassung neu und erfinderisch sei.

III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

a) Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents. Sie beantragte ferner, alle Hilfsanträge mangels Konvergenz nicht zum Verfahren zuzulassen.

b) Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 7, eingereicht mit Schreiben vom 19. Juni 2018. Sie beantragte zudem, Dokument E10 nicht ins Verfahren zuzulassen.

IV. Der unabhängige Anspruch gemäß Hauptantrag hat den folgenden Wortlaut:

"Überwachungsvorrichtung (10) für eine Bodenbearbeitungsmaschine (200), wobei diese Bodenbearbeitungsmaschine als eine Bodenfräsmaschine (200) ausgeführt ist und wenigstens eine mit einer Vielzahl von Fräsmeißeln (220) bestückte Fräswalze (210) für die mechanische Bearbeitung einer Bodenoberfläche aufweist, umfassend:

- wenigstens eine Erfassungseinrichtung (11), zur berührungslosen und zumindest bereichsweisen Erfassung eines von der Fräswalze (210) erzeugten Fräsbildes (100), und

- eine Auswerteeinrichtung (12), zur automatisierten Auswertung der von der Erfassungseinrichtung (11) erfassten Beschaffenheit,

dadurch gekennzeichnet,

dass die Auswerteeinrichtung (12) dazu ausgebildet ist, den Verschleiß und/oder den Ausfall wenigstens eines Fräsmeißels (220) anhand des Vergleichs eines momentan erfassten Fräsbildes mit einem zeitlich früher erfassten Fräsbild zu ermitteln."

V. Der unabhängige Anspruch gemäß Hilfsantrag 1 umfasst zusätzlich zum unabhängigen Anspruch des Hauptantrags das Merkmal "beim Erfassen wird im weitesten Sinne eine elektronische Darstellung der realen Beschaffenheit generiert und dann der Auswerteeinrichtung zugeführt, welche diese automatisch auswertet".

VI. Der unabhängige Anspruch gemäß Hilfsantrag 2 umfasst zusätzlich zum unabhängigen Anspruch des Hauptantrags das Merkmal "die Auswerteeinrichtung (12) ist eine Computereinrichtung mit einer implementierten für die erfindungsgemäße Auswertung geeigneten Software".

VII. Der unabhängige Anspruch gemäß Hilfsantrag 3 umfasst zusätzlich zum unabhängigen Anspruch des Hauptantrags die folgenden Merkmale:

"die Erfassungseinrichtung weist wenigstens eine Kamera auf";

"die Kamera basiert auf dem Prinzip einer optischen Abbildung oder Abtastung"; und

"die Auswerteeinrichtung umfasst ein Bildverarbeitungs-modul".

VIII. Der unabhängige Anspruch gemäß Hilfsantrag 4 umfasst zusätzlich zum unabhängigen Anspruch des Hauptantrags das Merkmal "die Auswerteeinrichtung (12) ist mit einem Steuergerät (20) der Bodenfräsmaschine (200) gekoppelt".

IX. Der unabhängige Anspruch gemäß Hilfsantrag 5 umfasst zusätzlich zum unabhängigen Anspruch des Hauptantrags das Merkmal "anhand des erfassten Fräsbildes wird die exakte Position eines verschlissenen und/oder ausgefallenen Fräsmeißels (220) an der Fräswalze (210) ermittelt".

X. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgenden Dokumente Bezug genommen:

E1 WO 03/064770 A1

E2 EP 2 161 375 A2

E5 US 2008/0234900 A1

E7 DE 197 30 414 A1

E10 DE 10 2007 007 970 A1

XI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin zum Hauptantrag lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Das Patent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne (Artikel 83 EPÜ), da am Fräsbild einer Straßenfräse nicht erkennbar sei, ob ein Meißel der Fräse abgenutzt sei. Zudem könne der Fachmann aus dem Patent nicht erkennen, nach welchen Gesichtspunkten er das Fräsbild auswerten müsse und wie das aktuelle Fräsbild mit einem davor aufgenommenen Referenzbild verglichen werden könne.

b) Des weiteren sei der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs nicht erfinderisch (Artikel 56 EPÜ) gegenüber E1, da die nicht aus E1 bekannten Merkmale nicht-technischen Charakter hätten und daher nicht berücksichtigt werden dürften. Zudem sei der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs auch nahegelegt durch eine Kombination von E1 mit dem Fachwissen des Fachmanns, E2 oder E10, sowie E2 mit E1, E5 oder E7.

XII. Die Beschwerdegegnerin hat zum Hauptantrag im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

a) Der Fachmann könne am Fräsbild durchaus erkennen, ob ein Meißel abgenutzt sei und wisse auch, wie er das Bild mit üblichen Bilderkennungsprogrammen bearbeiten und auswerten könne.

b) Ausgehend von E1 würde der Fachmann eine weitere Automatisierung der dort offenbarten Straßenfräse nicht in Betracht ziehen. Sollte der Fachmann dagegen von E2 ausgehen, würde er die Lehre der E1 nicht anwenden, und mit der Lehre von E5 bzw. E7 nicht zum Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gelangen.

c) E10 sei verspätet vorgelegt, daher nicht zum Verfahren zuzulassen und könne auch nicht den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs nahelegen.

XIII. Zu den Hilfsanträgen trug die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes vor:

a) Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hilfsantrag 1 sei nach wie vor ausgehend von E1 nicht erfinderisch, da das Bild der Kamera in E1 bereits elektronisch vorliege (Artikel 56 EPÜ).

b) Auch der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hilfsantrag 2 sei nicht erfinderisch, da es für den Fachmann naheliegend sei, die Fräsbilder automatisiert mit Hilfe einer geeigneten Software auszuwerten (Artikel 56 EPÜ).

c) Der Hilfsantrag 3 sei nicht erfinderisch da auch in E1 implizit ein Bildverarbeitungsmodul vorhanden sein müsse (Artikel 56 EPÜ).

d) In E1 sei implizit auch ein Steuergerät offenbart, so dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hilfsantrag 4 nach wie vor nicht erfinderisch sei (Artikel 56 EPÜ).

e) Der Hilfsantrag 5 sei nicht ausreichend klar, da im unabhängigen Anspruch offen bleibe, wie die Position des ausgefallenen Meißels in Umfangsrichtung bestimmt werden könne (Artikel 84 EPÜ). Auch in der Beschreibung sei dies nicht ausreichend erklärt, so dass die Erfindung auch nicht ausführbar sei (Artikel 83 EPÜ). Zudem würde der Fachmann aber entsprechende Einrichtungen zur Bestimmung der exakten Position des ausgefallenen Meißels aufgrund seines Fachwissens in naheliegender Weise auch bei E1 vorsehen (Artikel 56 EPÜ).

XIV. Zu den Hilfsanträgen trug die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen Folgendes vor:

a) Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hilfsantrag 1 sei aus den zum Hauptantrag vorgetragenen Gründen bereits neu und erfinderisch. Zudem würde der Fachmann aber eine elektronische Darstellung des Fräsbildes nicht der Erfassungseinrichtung zuführen, da hierfür eine entsprechende Anregung fehlen würde.

b) Hinsichtlich Hilfsantrag 2 sei anzumerken, dass der Fachmann ausgehend von E1 keine Anregung hätte, die optische Auswertung durch den Maschinenführer tatsächlich mittels in Software implementierten Bilderkennungsverfahren automatisiert durchzuführen.

c) Der Gegenstand des Hilfsantrags 3 sei ausgehend von E1 nicht nahegelegt, da der Fachmann keine Veranlassung habe, das mit der Kamera aufgenommene Fräsbild zusätzlich oder anstelle einer Darstellung am Bildschirm auch noch an eine Auswerteeinrichtung zur automatisierten Auswertung weiterzugeben.

d) Hinsichtlich Hilfsantrag 4 sei anzumerken, dass es nicht naheliegend sei, die Auswerteeinrichtung mit dem Steuergerät der Bodenfräse zu verbinden, selbst wenn die Kamera ein eigenes Steuergerät aufweisen würde.

e) Die im Hilfsantrag 5 beanspruchte Erfindung sei ausführbar und der unabhängige Anspruch auch ausreichend klar, da die exakte Position des verschlissenen und/oder ausgefallenen Meißels dessen Lage in Umfangsrichtung nicht mit umfasse, sondern bereits durch ihre relative Lage in Achsrichtung der Fräswalze eindeutig bestimmt sei. Eine derartige exakte Bestimmung sei in E1 nicht beschrieben und letztendlich über die Darstellung des Fräsbilds auf dem Bildschirm auch nicht möglich.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag

Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

1. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 erfüllt nicht die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

1.1 Das Dokument E1 wird von der Kammer als nächstkommender Stand der Technik angesehen.

1.2 E1 offenbart in Figur 1 eine Straßenfräse mit einer Fräswalze (30), die mit einer Vielzahl von Fräsmeißel (32) bestückt ist, welche für die mechanische Bearbeitung einer Bodenoberfläche dienen. Die Straßenfräse weist ferner eine Überwachungsvorrichtung auf, die eine Erfassungseinrichtung (Kamera K) zur berührungslosen und zumindest bereichsweisen Erfassung eines von der Fräswalze erzeugten Fräsbildes umfasst (siehe Seite 8, Zeilen 22 - 24).

1.3 Das mit der Kamera erfasste Fräsbild wird dem Maschinenführer über einen Bildschirm ("Bildschirmgerät" BS) zur dauernden Kontrolle des Fräsbildes im Fahrerhaus angezeigt (siehe Seite 8, Zeilen 24 - 30). So kann der Maschinenführer Fehler durch Abnützung der Meißel oder durch Meißelbruch am Fräsbild erkennen (siehe Seite 6, Zeilen 24 - 26). Dieser Vorgang impliziert, dass der Maschinenführer das aktuelle Fräsbild mit bereits abgenutzten Meißeln gedanklich vergleicht mit dem Fräsbild eines noch nicht oder weniger stark abgenutzten Meißelsatzes, d. h. einem zeitlich früher vorliegenden Fräsbild.

1.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich hiervon dahingehend, dass der Vergleich des aktuellen Fräsbildes mit einem früheren Fräsbild bei noch nicht abgenutzten Meißeln automatisiert durch eine Auswerteeinrichtung erfolgt.

1.5 Die automatisierte Auswertung des Fräsbilds setzt eine Auswerteeinrichtung voraus, die eine technische Vorrichtung ist, so dass der Unterschied zum Stand der Technik technischer Natur ist.

1.6 Die bloße Automatisierung eines an sich bekannten Prozesses kann aber nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern nicht als erfinderisch angesehen werden (siehe hierzu "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", neunte Auflage, Kapitel I.D-9.19.5).

2. Die Beschwerdegegnerin argumentierte hierzu, dass dem Dokument E1 nicht zu entnehmen sei, dass die Abnutzung der Meißel durch das mit der Kamera aufgenommene Fräsbild möglich sei. In ihren Augen dient die Kamera nur dazu, die Qualität des Fräsbildes zu überwachen, während die Abnutzung der Meißel und/oder ein Ausfall eines Meißels durch Meißelbruch von von der Kamera unabhängigen Sensoren bereits automatisiert erkannt wird. Entsprechend hätte der Fachmann daher keine Veranlassung, die Automatisierung der aus E1 bekannten Fräse zur Erkennung des Verschleißes der Meißel auf eine Beobachtung des Fräsbilds auszudehnen. Dabei verweist die Beschwerdeführerin auf die Passage auf Seite 3, Zeile 29 - Seite Seite 6, Zeile 18, in der beschrieben wird, welche Sensoren welche Parameter ermitteln.

3. Dieses Verständnis der E1 wird von der Kammer jedoch nicht geteilt.

3.1 In besagter Passage wird tatsächlich detailliert beschrieben, dass aus der Veränderung diverser Messwerte von Maschinenparameter automatisiert Rückschlüsse auf veränderte Verschleißbedingungen an der Fräswalze gezogen werden können. Auf Seite 6, beginnend in der Zeile 20 wird aber auch eine alternative Möglichkeit ("Die Aufgabe der Erfindung wird auch dadurch gelöst..." - Unterstreichung von der Kammer hinzugefügt) offenbart, bei der nach Zeile 24 - 26 das Fräsbild herangezogen wird, um eine Abnützung der Meißel oder einen Meißelbruch zu erkennen. In dieser Passage wird auch explizit offenbart, dass die Abnutzung der Meißel bzw. ein Meißelbruch am Fräsbild erkennbar ist, welches mit der Kamera aufgenommen und dem Maschinenführer auf einem Bildschirm angezeigt wird.

3.2 Dies wird auch auf Seite 10 in den Zeilen 22 - 33 unter Verweis auf die Figuren 2 bis 3b erneut detailliert beschrieben: Wie in Zeile 22 angegeben, dient Figur 2 bis 3b zur Verdeutlichung der optischen Fräsbildüberwachung und bezieht sich somit auf den Fall der Kamera als Erfassungseinrichtung. Dabei zeigen Figur 2, 2a und 2b den unverschlissenen Zustand der Meißel, während Figur 3, 3a und 3b einen Meißelausfall durch Meißelbruch darstellen. In Zeilen 29 - 22 wird dabei darauf hingewiesen, dass durch den Meißelverlust eine Stelle des abgefrästen Bereichs nicht bearbeitet wird, was zu einer Materialerhöhung im Straßenbelag führt, die optisch mit einer Kamera erfasst werden kann. Dabei ist klar, dass es sich um die Kamera K der Überwachungseinrichtung handelt, deren Bild dem Maschinenführer angezeigt wird.

3.3 Die Kammer kann sich daher nicht der Auffassung der Beschwerdegegnerin anschließen, dass die Kamera in E1 nur der allgemeinen Qualitätsüberwachung des Fräsbildes dient, nicht aber auch dazu geeignet wäre, eine Abnutzung der Meißel oder einen Meißelbruch zu erkennen. Ganz im Gegenteil ist für die Kammer eindeutig, dass auch das Fräsbild der Kamera in E1 dazu verwendet wird, den Abnützungsgrad der Meißel und/oder einen Meißelbruch im laufenden Betrieb zu erkennen.

4. Ausgehend von E1 stellt sich dem Fachmann daher die Aufgabe, die bereits bekannte visuelle Auswertung des Fräsbildes durch den Maschinenführer zu automatisieren.

4.1 Dabei ist es entgegen der Argumentation der Beschwerdegegnerin durchaus zulässig, als maßgeblichen Fachmann ein interdisziplinäres Entwicklungsteam anzunehmen, in dem auch ein Fachmann Teil des Teams ist, der sich mit der Auswertung des mit der Kamera K in E1 erzeugten Bildes auskennt und beschäftigt.

4.1.1 Die Beschwerdeführerin hatte hierzu argumentiert, dass mit der Festlegung des Fachmanns bereits ein Teil der Lösung verbunden sei. Der Fachmann müsse als erstes darauf kommen, das Fräsbild zur Erkennung des Meißelverschleißes zu verwenden, bevor er sich überhaupt mit einer automatisierten Bildauswertung beschäftigen würde. Dem kann sich die Kammer aber nicht anschließen, da aus E1 - wie oben ausgeführt - bereits bekannt ist, einen Verschleiß der Meißel über eine Auswertung des Fräsbilds zu erkennen.

4.1.2 Der Fachmann für die Auswertung von Aufnahmen einer Kamera kennt aufgrund seines Fachwissens die Möglichkeiten der automatisierten Bilderkennung, so dass er den Vergleich des aktuellen Fräsbildes mit einem mit unverschlissenen Meißeln erzeugten Fräsbild automatisiert ausführen würde und hierbei ein geeignetes Bildverarbeitungsverfahren verwenden würde.

4.2 Dass hierzu das aktuelle Bild mit einem früheren Fräsbild mit unverschlissenen Meißeln verglichen wird, ist die zwingende Folge daraus, dass für jede Beurteilung eines zeitlich veränderlichen Prozesses immer eine Referenz nötig ist. Auch der Maschinenführer der E1 erkennt den Verschleiß nur durch seine Kenntnis eines Fräsbildes mit unverschlissenen Meißeln, mit dem er das aktuell bestehende Fräsbild gedanklich vergleicht, so dass auch E1 zumindest implizit bereits schon offenbart, dass das aktuelle Bild mit einem früheren Bild verglichen wird. In E1 wird dies auch durch die Figuren 2 bis 3b deutlich, wobei die Figuren 2, 2a und 2b den unverschlissenen Referenzzustand zeigen und die Figuren 3, 3a und 3b den aktuellen Zustand der Fräswalze, bei der ein Meißel gebrochen ist.

4.3 Die Beschwerdegegnerin argumentiert hierzu zwar, dass bei der aus E1 bekannten Fräse der Maschinenführer immer nur das aktuelle Bild angezeigt bekommt. Das ist richtig, bedeutet aber nicht, dass der Maschinenführer kein Referenzbild eines intakten Fräswalze zum Vergleich im Kopf hat. Ganz im Gegenteil ist das sogar zwingend notwendig, da er sonst nicht erkennen könnte, ob sich am Fräsbild eine Veränderung eingestellt hat, die auf Meißelabnutzung oder einen Meißelbruch zurückzuführen ist.

4.4 Dabei ist auch unerheblich, ob der Maschinenführer das angezeigte Fräsbild kontinuierlich beobachtet, oder aber nur hin und wieder kontrolliert. Entscheidend ist, dass er es gedanklich mit dem Referenzfräsbild bei unverschlissenen Meißeln vergleicht.

4.5 Daher besteht der einzige Unterschied des Gegenstands von Anspruch 1 des Hauptantrags zu E1 letztendlich nur in der Automatisierung der aus E1 bekannten Überwachung durch den Maschinenführer, was aber - wie oben bereits ausgeführt - nicht als erfinderisch im Sinne von Artikel 56 EPÜ angesehen werden kann.

5. Das Streitpatent kann daher nicht in erteilter Fassung gemäß dem Hauptantrag aufrechterhalten werden.

Zulässigkeit der Hilfsanträge

6. Die Kammer hat von ihrem Ermessen nach Artikel 13(1) VOBK 2007 Gebrauch gemacht und die Hilfsanträge 1 - 5 zum Verfahren zugelassen.

6.1 Die Beschwerdeführerin bemängelte zwar, dass die Hilfsanträge nicht konvergieren würden.

6.2 Die Konvergenz der Hilfsanträge ist aber nur eines der Kriterien, die die Kammer bei der Ausübung ihre Ermessens berücksichtigt. Insbesondere ist auch zu berücksichtigen, ob die Änderungen außergewöhnlich komplex sind und die Verfahrensökonomie dadurch leidet.

6.3 Im vorliegenden Fall betreffen alle neu hinzugefügten Merkmale die Art und Weise der automatisierten Auswertung des Fräsbildes der Straßenfräse, so dass die in den Hilfsanträgen beanspruchten Details der Auswerteeinrichtung technisch sehr ähnlich sind. Zudem sind die Änderungen weder besonders umfangreich, noch kompliziert zu verstehen, so dass die Kammer keine wesentliche Verzögerung des Verfahrens erwartet hat und daher die Hilfsanträge 1 - 5 zum Beschwerdeverfahren zuließ.

Hilfsantrag 1

Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

7. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 erfüllt nicht die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

7.1 Ausgehend von E1 generiert auch die dort verwendete Kamera beim Erfassen des Fräsbildes im weitesten Sinne eine elektronische Darstellung der realen Beschaffenheit, da nur so das Bild auf einem elektronisch arbeitenden Bildschirm angezeigt werden kann.

7.2 Wie bereits zum Hauptantrag ausgeführt, besteht daher auch beim Hilfsantrag 1 der einzige Unterschied zwischen dem Gegenstand des Anspruchs 1 und der Überwachungsvorrichtung der E1 darin, dass die Auswerteeinrichtung automatisiert das aktuelle Fräsbild mit einem zeitlich früher erfassten Referenzfräsbild vergleicht.

7.3 Das ist jedoch aus den bereits zum Hauptantrag ausgeführten Gründen naheliegend, so dass auch der Hilfsantrag 1 nicht dazu geeignet ist, das Streitpatent in geänderter Fassung aufrechtzuerhalten.

Hilfsantrag 2

Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

8. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 erfüllt nicht die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

8.1 Ausgehend von der manuellen Auswertung der E1 würde der Fachmann bei einer Automatisierung des Vergleichs des aktuellen Fräsbildes mit dem mit unverschlissenen Meißeln erzeugten Referenzfräsbild zwangsläufig eine Computereinrichtung mit für die Auswertung geeigneter Software verwenden. Letztendlich ist dies der übliche Weg, zwei mit einer Kamera aufgenommene Bilder miteinander zu vergleichen: Die Bilder werden erst digital mit der Kamera erfasst und dann mit geeigneter Bildverarbeitungssoftware verglichen.

8.2 Daran ändert auch nichts, dass die automatisierte Auswertung mit einer Computereinrichtung eventuell feinere Unterschiede zwischen dem aktuellem Fräsbild und dem Referenzfräsbild erkennen kann als das Auge des Maschinenführers in E1. Das ist kein überraschender Effekt, da hochauflösende Kameras leistungsstärker sind als das menschliche Auge und dieser Effekt daher zu erwarten war.

8.3 So erhält der Fachmann jedoch auf naheliegende Weise den Gegenstand des Anspruchs 1, so dass auch der Hilfsantrag 2 nicht dazu geeignet ist, das Streitpatent in geänderter Form aufrechtzuerhalten.

Hilfsantrag 3

Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

9. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 erfüllt nicht die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

9.1 Auch in E1 wird eine Kamera als Erfassungseinrichtung verwendet, um ein Abbild des Fräsbildes zu erhalten. Zudem arbeitet jede Kamera nach dem Prinzip einer optischen Abbildung.

9.2 Um dann das erhaltene aktuelle Fräsbild mit dem Referenzfräsbild vergleichen zu können, muss die Auswerteeinrichtung zwingend das Bild verarbeiten. Die hierfür vorgesehenen Mittel der Auswerteeinrichtung können dabei als Bildverarbeitungsmodul im Sinne des Anspruchs 1 angesehen werden.

9.3 Der Fachmann gelangt so wiederum auf naheliegende Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1, so dass auch der Hilfsantrag 3 nicht dazu geeignet ist, das Streitpatent in geänderter Form aufrechtzuerhalten.

Hilfsantrag 4

Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

10. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 erfüllt nicht die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

10.1 Der Fachmann weiß, dass jedes elektronische Gerät einer Straßenbaumaschine mit einem Steuergerät verbunden ist. Dies ist zwangsläufig der Fall, da nur so beim Abstellen der Maschine auch die Zusatzeinrichtungen der Baumaschine in den Ruhezustand versetzt werden können und bei einem Neustart am nächsten Morgen auch wieder zusammen mit dem Hauptaggregat angeschaltet werden können.

10.2 Daher kann davon ausgegangen werden, dass der in E1 verwendete Bildschirm als Teil der Auswerteeinrichtung des aktuellen Fräsbildes auch mit einem Steuergerät versehen ist. Wenn der Fachmann nun die Auswertung des Fräsbilds automatisiert, würde er dafür eine Computereinrichtung mit geeigneter Software verwenden, die selbstverständlich über ein dazu geeignetes Steuergerät der Bodenfräsmaschine mit der Kamera als Teil der Bodenfräsmaschine gekoppelt ist.

10.3 Der Fachmann gelangt so jedoch erneut auf naheliegende Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1, so dass auch der Hilfsantrag 4 nicht dazu geeignet ist, das Streitpatent in geänderter Form aufrechtzuerhalten.

Hilfsantrag 5

Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

11. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass es weder möglich sei, am Fräsbild zuverlässig in automatisierter Form zu erkennen, ob ein Meißel abgenutzt oder ausgefallen sei, noch an welcher exakten Position dieser Meißel sich befindet. Zudem war sie der Auffassung, dass der Fachmann aus dem Streitpatent heraus nicht ausreichend Informationen erhalten würde, wie ein Ist/Soll-Vergleich zwischen dem aktuellen Fräsbild und einem Fräsbild mit unverschlissenen Meißeln erfolgen kann.

11.1 Diese Auffassung wird von der Kammer nicht geteilt. Nachdem der Maschinenführer der E1 in der Lage ist, eine Abnutzung und/oder einen Ausfall eines Fräsmeißels über die Darstellung des Fräsbildes an einem Bildschirm im Maschinenstand zu erkennen, kann dies auch automatisiert über die mit einer Kamera gefertigte Aufnahme des Fräsbilds erfolgen. Eine Kamera hat eine weitaus höhere Auflösung als der Bildschirm der E1 darstellen kann, so dass im aufgenommenen Bild viel mehr Details erkennbar sind, als auf dem Bildschirm vom Maschinenführer erfasst werden können. Softwaregestützt ist auch eine permanente Beobachtung der Veränderungen möglich, während der Maschinenführer in der E1 nur jeweils beschränkte Aufmerksamkeitsspannen auf die Kontrolle des Fräsbildes verwenden kann.

11.2 Entgegen der Annahme der Beschwerdeführerin kann das Fräsbild auch nicht mit abgefrästem Material überdeckt sein, das den Blick auf das Fräsbild verhindert, da sonst dieser Effekt auch in E1 eine Beurteilung des Fräsbildes verunmöglichen würde. Ganz im Gegenteil wird es bei Straßenfräsen schon seit jeher angestrebt, das abgefräste Material möglichst vollständig unmittelbar nach dem Abfräsen zu entfernen, um so aufwendige Nacharbeiten zu vermeiden. Der Fachmann wird die Kamera daher wie offenbar in der E1 an einer Stelle der Maschine positionieren, unter der der Abraum bereits entfernt und ein Blick auf den gefrästen Straßenbereich möglich ist.

11.3 Der relevante Fachmann ist dabei ein Team von Ingenieuren, das auch einen Fachmann für Bildverarbeitungssoftware umfasst, der aufgrund seines Fachwissens weiß, wie zwei Bilder miteinander verglichen werden können. Die Kriterien zur Erkennung einer Meißelabnutzung und/oder eines Meißelbruchs erhält er dabei von einem Maschinenbauingenieur, der sich mit dem Abfräsen von Straßenoberflächen beschäftigt und auch Teil des Entwicklungsteams ist.

11.4 Entsprechend ist es nach Überzeugung der Kammer auch beim Streitpatent möglich, den Abnutzungsgrad der Meißel und/oder einen Meißelbruch zu erkennen, insbesondere aber auch die einzelnen Fräsrillen der Meißel im Fräsbild mit der Kamera automatisiert zu identifizieren und so - nachdem jeder Fräsrille ein spezifischer Meißel zugeordnet ist - auch den individuellen Meißel zu ermitteln, der abgenutzt oder ausgefallen ist.

11.5 Als "exakte Position" versteht die Kammer hierbei nicht die karthesischen Koordinaten des Meißels, sondern die Position des Schneidkreises des Meißels auf der Achse der Fräswalze, wie bereits der Wortlaut des Merkmals zum Ausdruck bringt: "die exakte Position eines Fräsmeißels an der Fräswalze" (Hervorhebung durch die Kammer). Diese Information ist ausreichend, um den individuellen Meißel zu identifizieren, da jedem Meißel der Fräswalze ein eigener Schneidkreis zugeordnet ist.

11.6 Daher ist die Erfindung gemäß Hilfsantrag 5 so ausreichend deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann (hier ein interdisziplinäres Entwicklungsteam) sie ausführen kann.

Klarheit (Artikel 84 EPÜ)

12. Die Beschwerdeführerin hatte argumentiert, dass Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 nicht ausreichend klar sei.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 beruht auf einer Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 9, so dass der Entscheidung G3/14 der Großen Beschwerdekammer folgend die Klarheit des Anspruchs 1 im Einspruchs- und Einspruchsbeschwerde-verfahren nicht in Frage gestellt werden kann.

Neuheit und erfinderische Tätigkeit (Artikel 54 und 56 EPÜ)

13. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 5 ist neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ.

13.1 Keines der im Verfahren genannten Dokumente zeigt eine automatisierte Auswerteeinrichtung, die nicht nur den Verschleiß und/oder den Ausfall wenigstens eines Fräsmeißels ermitteln kann, sondern zudem auch die exakte Position des verschlissenen und/oder ausgefallenen Fräsmeißels an der Fräswalze ermittelt.

13.2 Dies wurde von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten.

14. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 5 wird aber auch nicht nahegelegt im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

14.1 Die Kammer sieht auch bei diesem Hilfsantrag das Dokument E1 als nächstkommenden Stand der Technik an.

14.2 Der Argumentation zum Hauptantrag folgend, würde der Fachmann ausgehend von E1 eine Automatisierung der Überwachung des Abnutzungsgrades der Fräsmeißel durch den Maschinenführer als naheliegende Modifikation in Betracht ziehen.

14.3 Der Maschinenführer der aus E1 bekannten Straßenfräse kann dabei aus dem Fräsbild erkennen, dass ein Meißel gebrochen ist, es ist ihm jedoch nicht möglich, aufgrund des aktuellen Fräsbilds exakt zu erkennen, welcher der Meißel der Fräswalze hiervon betroffen ist. Auch wenn man davon ausgeht, dass jeder Meißel einen eigenen Schneidkreis hat, wird in E1 nicht offenbart, dass der Maschinenführer auf dem Bildschirm ermitteln kann, welcher Meißel betroffen ist. Stattdessen ist davon auszugehen, dass er den Meißelbruch zwar am Bildschirm erkennt, den betroffenen Meißel dann aber durch Öffnen des Fräskastens der Fräse und unmittelbare Inspektion der Fräswalze ermittelt. Das auf dem Bildschirm in E1 angezeigte Fräsbild lässt es nach Ansicht der Kammer allenfalls zu, den Ort des ausgefallenen Meißels ungefähr zu bestimmen, eine exakte Bestimmung des betroffenen Meißels scheitert jedoch an der Größe und begrenzten Auflösung des Bildschirms sowie an der Schwäche des menschlichen Auges.

14.4 Auch keines der anderen im Verfahren diskutierten Dokumente offenbart das Konzept, die exakte Position eines ausgefallenen oder abgenutzten Fräsmeißels automatisiert über das Fräsbild zu bestimmen.

14.5 Weitere Angriffslinien wurden von der Beschwerdeführerin nicht vorgetragen.

14.6 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 5 erfüllt daher auch die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

15. In diesem Zusammenhang weist die Kammer darauf hin, dass das Dokument E10 nicht mehr als E1 zeigt, da die Kamera 11C wie in Absatz [0044] ausgeführt und in Figur 1 gezeigt zwar auf das Fräsbild gerichtet ist, eine Auswertung über E1 hinausgehend aber nicht beschrieben wird. Daher kann dahingestellt bleiben, ob die Einspruchsabteilung bei ihrer Entscheidung, E10 nicht zum Verfahren zuzulassen, ihr Ermessen korrekt ausgeübt hat.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anweisung, das Patent in geändertem Umfang aufrecht zu erhalten auf Basis der folgenden Unterlagen:

Ansprüche 1 bis 9 gemäß Hilfsantrag 5, eingereicht am 19. Juni 2018;

Beschreibungsspalten 1 bis 9 wie in der mündlichen Verhandlung eingereicht; und

Figuren 1-4 wie erteilt.

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