T 2638/17 () of 3.11.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T263817.20201103
Datum der Entscheidung: 03 November 2020
Aktenzeichen: T 2638/17
Anmeldenummer: 10005107.7
IPC-Klasse: C08G18/66
C08G18/24
C08J9/00
C08G18/48
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von Polyurethan-Weichschaumstoffen mit niedriger Emission
Name des Anmelders: Covestro Deutschland AG
Name des Einsprechenden: Air Products and Chemicals, Inc.
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 123(2)
Schlagwörter: Änderungen - zulässig (nein) Zwischenverallgemeinerung
Änderungen - Hauptantrag, Hilfsanträge 1-4
Erfinderische Tätigkeit - (ja) Hilfsantrag 5
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechende betrifft die am 20. September 2017 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung gemäß der das europäische Patent mit der Nummer 2 256 141 in geänderter Fassung auf Grundlage des am 23. Februar 2016 eingereichten Hauptantrags die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.

II. Anspruch 1 des erteilten Patents hatte folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Herstellung von Polyuerthanschaumstoffen aus

A1 gegenüber Isocyanaten reaktionsfähigen Wasserstoffatomen aufweisenden Verbindungen mit einem Molekulargewicht von 400 - 15.000,

A2 gegebenenfalls gegenüber Isocyanaten reaktionsfähigen Wasserstoffatomen aufweisenden Verbindungen mit einem Molekulargewicht von 62-399,

A3 Wasser und/oder physikalische Treibmittel,

A4 ggs. Hilfs- und Zusatzstoffe wie

a) von Komponente A5 verschiedene Katalysatoren,

b) oberflächenaktive Zusatzstoffe,

c) Pigmente oder Flammschutzmittel,

A5 mindestens ein Zinn(II)-Salz der Formel (I)

Sn(CxH2x+1COO)2 (I)

eingesetzt wird, wobei

x eine ganze Zahl von 11 bis 15 bedeutet und die Alkylkette CxH2x+1 eine verzweigte Kohlenstoffkette ist. [sic]

B Di- oder Polyisocyanaten."

Die Ansprüche 2-8 waren auf bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens gerichtet. Anspruch 9 war auf nach dem Verfahren der Ansprüche 1 bis 8 erhältliche Polyurethanschaumstoffe gerichtet.

III. Einspruch gegen das Patent wurde eingelegt. Die Einsprechende machte die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit, mangelnde erfinderische Tätigkeit), Artikel 100 b) und Artikel 100 c) geltend. Der Einwand der fehlenden Neuheit wurde gegen den geänderten Hauptantrag im Laufe des Einspruchsverfahrens nicht weiter verfolgt (Schreiben der Einsprechenden vom 29. September 2016, Protokoll der mündlichen Verhandlung, Absatz 1.1; Entscheidung, Abschnitt 1.4 "Zusammenfassung des Sachverhalts und der Anträge").

Unter anderem wurden folgende Dokumente während des Einspruchsverfahrens herangezogen (die Bezeichnung der Einspruchsabteilung wird hierbei verwendet):

D1: US-A-3 347 804

D4: US-A-2006/0199933

D5: WO-A-2004/000905

D10: US-A-5 908 871

D12: Versuchsbericht der Patentinhaberin (Anlage/Enclosure III des Schreibens vom 23. Februar 2016)

IV. Grundlage der Entscheidung war ein am 23. Februar 2016 eingereichter Hauptantrag.

Anspruch 1 dieses Antrags unterschied sich von dem erteilten Anspruch 1 dadurch, dass die Polyurethanschaumstoffe eine Rohdichte von 10 kg m**(-3) bis 200 kg m**(-3) aufwiesen.

Die Entscheidung hat auf diese Änderung zwar hingewiesen, eine Prüfung im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ ist jedoch nicht vorgenommen worden.

Gemäß der Entscheidung sei das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung erfüllt.

Die Einwände bezüglich erfinderischer Tätigkeit gingen von acht verschiedenen Dokumenten aus und wurden als nicht überzeugend erachtet.

Als nächstliegender Stand der Technik wurde D10 angesehen. Als "erfolgsversprechendster Ausgangspunkt" für die Entwicklung, die zur beanspruchen Erfindung führen würde, wurde die Offenbarung von Zinn(II)-Oktoat sowie Zinn(II)-Laurat angesehen.

Was Zinn(II)-Oktoat (Formel (I), x=7, verzweigt) betrifft, stellte die Definition des Index x des Zinn(II) Katalysators das Unterscheidungsmerkmal dar.

Ausgehend von Zinn(II)-Oktoat habe es keine Beweise für einen technischen Effekt gegeben. Somit sei die objektiv zu lösende Aufgabe die Bereitstellung eines alternativen Polyurethanschaums mit niedrigen Emissionswerten.

Die von der Einsprechende herangezogenen Dokumente D4 und D5 beträfen andere Probleme und seien nicht geeignet, die anspruchsgemäße Lösung nahezulegen.

Ausgehend von Zinn(II)-Laurat (Formel (I), x=11, linear) stellte das Merkmal "verzweigt" das Unterscheidungsmerkmal dar.

Aus dem Versuchsbericht D12 gehe hervor, dass der Effekt dieses Unterschiedes das Erhalten eines Schaums ohne "Splits" oder Kollabierung sei. Dies stelle somit die objektiv zu lösende Aufgabe dar.

Bezüglich eines Einwands der Einsprechende, dass das Vorhandensein von Splits bzw. von einer Verdichtung des Schaumstoffes keine Merkmale wären, die dem Patent zu entnehmen seien, stellte die Einspruchsabteilung fest, das Patent betone, dass - wie in den Beispielen erwähnt - die Schaumstoffe auch vor der Alterung gute mechanische Eigenschaften aufweisen müssten, und dass verschiedene mechanische Eigenschaften auch vor der Alterung bestimmt worden seien. Die in den Vergleichsbeispielen von D12 nachgewiesenen Defekte, wie Splits und Verdichtung im Bodenbereich, würden eben nicht die Messung der mechanischen Eigenschaften ermöglichen.

Lediglich D10 erwähne das Problem von Splits/Kollabierung. Jedoch enthalte D10 keine Hinweise auf die Zinn(II)-Salz Katalysatoren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags. Auch seien Zinn(II)-Salze in diesem Dokument nicht als bevorzugt dargestellt worden.

Die technische Wirkung, die auf den Einsatz einer verzweigten Kohlenstoffkette anstelle einer linearen Kette zurückzuführen sei, sei unerwartet. Diese Wirkung stelle nicht lediglich einen Extra- oder Bonuseffekt dar.

Somit konnte eine erfinderische Tätigkeit anerkannt werden.

V. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Beschwerde ein.

In der Beschwerdebegründung machte die Beschwerdeführerin Einwände fehlender erfinderischer Tätigkeit geltend.

VI. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) erwiderte mit Schreiben von 21. Dezember 2017 und 11. April 2018 auf die Beschwerde. Mit dem Schreiben vom 11. April 2018 wurden Hilfsanträge 1 bis 9 eingereicht, wobei die Hilfsanträge 1-4 den Hilfsanträgen, welche bereits während des Einspruchsverfahrens mit Schriftsatz vom 5. Juli 2017 eingereicht wurden, entsprachen. Die Hilfsanträge 5 bis 9 wurden erstmals mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht.

Der Anspruch 1 der Hilfsanträge 1-4 enthielt die gleiche Definition der Dichte für die herzustellenden Polyurethanschaumstoffe wie der Hauptantrag.

Der Hilfsantrag 5 entsprach dem Hauptantrag mit dem einzigen Unterschied, dass im Anspruch 1 das Verfahren auf die Herstellung von "Polyuerthanweichschaumstoffen" (Betonung der Kammer) gerichtet war. Die gleiche Änderung wurde im Anspruch 8 vorgenommen.

Zusammen mit diesem Schreiben wurde das Dokument:

D15: "Polyurethan dämmt besser" Hrsg. IVPU, Februar 2008

eingereicht.

VII. Die Beschwerdeführerin machte weiteren Eingaben mit Schreiben vom 12. Juni 2018 und 14. April 2020.

VIII. Es erging eine Ladung zur mündlichen Verhandlung.

IX. In einem Bescheid vom 28. Mai 2020 legte die Beschwerdekammer ihre vorläufige Meinung dar.

Die von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände bezüglich unzulässiger Änderungen nach Artikel 123 (2) EPÜ im Zusammenhang mit der definierten Rohdichte im Hinblick auf den Hauptantrag, sowie die Hilfsanträge 1-4 wurden angesprochen. Aufgrund der Aufnahme des Merkmals "Polyurethanweichschaumstoffen" (Betonung der Kammer) galt dieser Einwand nicht für den Hilfsantrag 5.

Bezüglich erfinderischer Tätigkeit vertrat die Kammer, anders als die Einspruchsabeilung, die Auffassung, dass sowohl D9 als auch D10 als nächstliegender Stand der Technik geeignet seien.

Ferner wurde die Frage aufgeworfen, ob der in D12 erwähnte technische Effekt der Vermeidung von Splits herangezogen werden könne. Das Patent behandle nämlich dieses Problem anscheinend nicht.

Es wurde die Vergleichbarkeit der Daten des Patents bzw. - sofern als relevant anzusehen - von D12 mit denen von D10 aufgrund des anscheinenden Fehlens der Komponente "Silicone Surfactant", welche in den Beispielen von D10 verwendet wurde, infrage gestellt.

Zusammenfassend, war die Kammer der vorläufigen Meinung, eine erfinderische Tätigkeit könne nicht anerkannt werden, wenn kein technischer Effekt gegenüber der Lehre von D9 oder D10 anzuerkennen wäre.

X. Mit Schreiben vom 23. Juli 2020 zog die Beschwerdeführerin den Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und teilte mit, keine weitere Eingaben zu machen.

Es wurde ferner mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde. Eine Entscheidung nach Aktenlage wurde beantragt.

XI. Mit Schreiben vom 27. Juli 2020 reichte die Beschwerdegegnerin zwei weitere Dokumente ein:

D17: US 6 855 741 B2

D18: Erklärung eines technischen Experten.

Der vorläufigen Meinung der Beschwerdekammer hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit und der Vergleichbarkeit der Beispiele von D12 mit der Offenbarung von D10 wurde argumentativ entgegengetreten. Für den Fall, dass diese Argumentation die Kammer nicht zu überzeugen vermöge, seien Vorbereitungen für das Durchführen weiterer Vergleichsversuche im Gange.

Die Kammer wurde gebeten, einen verfahrensleitenden Hinweis für den Fall zu geben, dass die Argumente als überzeugend angesehen würden und weitere Versuche somit hinfällig wären. Zusätzlich wurde, sofern die Versuche als nötig erachtet würden, die Vertagung der Verhandlung beantragt.

XII. Mit Bescheid vom 3. August 2020 teilte die Kammer mit, dass die letzte Eingabe der Beschwerdegegnerin (irrtümlich von der Kammer als "Beschwerdeführerin" bezeichnet) keinen Anlass gebe, die vorläufige Meinung zu revidieren. Ferner sei kein Anlass für eine Verlegung der Verhandlung erkennbar.

XIII. Mit Schreiben vom 24. September 2020 reichte die Beschwerdegegnerin den in Aussicht gestellten Versuchsbericht ein (D19).

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung werde nur für den Fall beantragt, dass die Kammer den Hilfsantrag 5 für nicht gewährbar erachten würde.

Für den Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1 bis 4 werde eine Entscheidung nach Aktenlage beantragt.

XIV. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2020, sowie Telefonat der Geschäftsstelle vom 22. Oktober 2020 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert mitzuteilen, ob sie im Hinblick auf die Eingabe der Beschwerdegegnerin vom 24. September 2020 weiterhin beabsichtige, keine weiteren Eingaben zu machen, und ob sie den Antrag auf Entscheidung nach Aktenlage aufrechterhalte.

Mit Schreiben vom 26. Oktober 2020 bestätigte die Beschwerdeführerin diese Antragslage.

XV. Daraufhin wurde die mündliche Verhandlung abgesagt.

XVI. Die für diese Entscheidung relevante Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

a) Hauptantrag und Hilfsanträge 1-4 - Unzulässige Änderungen

Der in Anspruch 1 des Hauptantrags sowie der Hilfsanträge 1-4 aufgenommene Bereich der Rohdichte sei in der ursprünglichen Anmeldung nur für Polyurethanweichschaumstoffe offenbart. Die Aufnahme dieses Bereiches ohne eine entsprechende Einschränkung auf Weichschaumstoffe stelle somit eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.

b) Hilfsantrag 5

i) Ausführbarkeit

Das Merkmal, dass die erhaltenen Produkte Weichschaumstoffe seien, stelle ein zu erreichendes Ergebnis dar. Dies sei im vorliegenden Fall nicht zulässig, da keine Methode zur Feststellung, ob das erhaltene Produkt diesem Merkmal entspricht, im Patent angegeben werde. Es wurde auch infrage gestellt, ob eine solche Methode überhaupt existiere.

ii) Erfinderische Tätigkeit

- Nächstliegender Stand der Technik

Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung seien neben D10 auch D5 und D9 als nächstliegender Stand der Technik zu betrachten. Alle drei Dokumente würden fast alle Merkmale des Anspruchs 1 offenbaren.

- Zulässigkeit der Vermeidung von "Splits" oder Verdichtung als Grundlage für die technische Aufgabe (in Bezug auf den Versuchsbericht D12)

Das Streitpatent erwähne diese Probleme weder direkt/explizit noch indirekt/implizit.

Eine Änderung der Art oder des Wesens der Erfindung wie ursprünglich offenbart in Bezug auf neue - nicht in der Anmeldung angegebenen - technische Effekte sei nicht zulässig.

Folglich könnten, entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung, die Daten des Versuchsberichts D12 im Hinblick auf diese Effekte bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht herangezogen werden.

Auch wenn diese Problematik in Betracht gezogen werden würde, würde es sich lediglich um ein Bonus-Effekt einer naheliegenden Modifikation des Standes der Technik handeln.

- Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D10

D10 betreffe ein Verfahren zur Herstellung von PU-Schaumstoffen. Gemäß Spalte 4, Zeilen 41-57 erfolge dies durch Reaktion einer Verbindung mit gegenüber NCO reaktiven Wasserstoffatomen (Polyol), Wasser und Di- oder Polyisocyanaten. Als Katalysatoren werden unter anderem Zinn(II)-Oktoat und Zinn(II)-Laurat (Spalte 4, Zeilen 53, 54) genannt.

Die im Anspruch definierte Dichte des Schaumstoffes sei in D10 zwar nicht explizit offenbart, aber angesichts der Art des erhaltenen Produkts sei davon auszugehen, dass die Produkte von D10 diesem Merkmal entsprächen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von der Offenbarung von D10 dadurch, dass die Alkylkette des Zinn(II)-Salzes verzweigt sei und eine bestimmte Kettenlange habe.

Die beiden in D10 genannten Zinn(II)-Verbindungen würden somit zwei mögliche Ausgangspunkte für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellen.

Ausgehend von Zinn(II)-Oktoat stelle die Länge der Alkylkette (Index x= 11-16) das Unterscheidungsmerkmal da.

Andererseits, ausgehend von Zinn(II)-Laurat unterscheide sich der Gegenstand des Anspruchs 1 durch das Merkmal, dass die Alkylkette verzweigt sei.

In beiden Fällen lägen keine Beweise für einen hiervon ausgehenden technischen Effekt vor. Somit sei die zu lösende Aufgabe lediglich als die Bereitstellung eines weiteren Katalysators zur Herstellung von Polyurethanschaumstoffen zu formulieren. Die definierte Lösung dieser Aufgabe, nämlich die Verwendung von Zinn(II)- Katalysatoren mit verzweigten Alkylketten einer bestimmten Anzahl an Kohlenstoffatomen, werde durch D1, D4 und D5 nahegelegt.

- Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D5

D5 offenbare bereits, dass der Alkylrest linear oder verzweigt sein könne.

Der Gegenstand des Anspruchs stelle eine willkürliche Einschränkung gegenüber der Offenbarung von D5 alleine oder in Kombination mit weiteren Entgegenhaltungen dar.

- Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D9

Es gelte im wesentliche das im Hinblick auf D10 Gesagte, da das Unterscheidungsmerkmal ebenfalls das Merkmal sei, dass das Zinn(II)-Salz eine verzweigte Alkylkette einer bestimmten Länge aufweise.

XVII. Die für diese Entscheidung relevante Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden.

a) Hauptantrag und Hilfsanträge 1-4 - unzulässige Änderungen

Dieser Einwand sei verspätet, da die entsprechende Anspruchsänderung bereits im Laufe des Einspruchsverfahrens vorgenommen und damals seitens der Einsprechenden nicht moniert worden sei.

Der Einwand sei auch nicht gerechtfertigt, da der beanspruchte Rohdichtebereich im Zusammenhang mit der Herstellung von Polyurethanschaumstoffen im allgemeinen offenbart sei. Die weitere Beschreibung der Herstellung von Weichschaumstoffen ändere nichts an diese Tatsache. Die allgemeine Gültigkeit dieses Dichtebereiches werde durch die Beispiele, welche allgemein die Herstellung von Polyurethanschaumstoffen beträfen, belegt. Ferner sei es dem Fachmann bekannt, dass dieser Dichtebereich allgemein für Polyurethanschaumstoffe verwendbar sei.

Sollte die Kammer dennoch an diesem Einwand festhalten, sei die Beschwerdegegnerin bereit, sich auf den Hilfsantrag 5 zu beschränken, welcher explizit auf Polyurethanweichschaumstoffe beschränkt sei und somit den vermeintlichen Mangel nicht mehr aufweise.

b) Hilfsantrag 5

i) Ausreichende Offenbarung

Dieser Einwand wurde von der Beschwerdegegnerin nicht kommentiert.

ii) Erfinderische Tätigkeit

- Nächstliegender Stand der Technik sei D10, da einzig dieses Dokument das Problem u.A. der Vermeidung von Kollabierung ("Splits") des PU-Schaumstoffes betreffe.

D9 dagegen betreffe die Aufgabe der Bereitstellung eines Katalysators bei dem der Einsatz von toxischen Dibutylzinndilaurat vermieden werden könne.

D5 beträfe Polyurethanmaterialien hoher Dichte, die nicht notwendigerweise zellular seien, und somit ein anderes technisches Gebiet als das des Patents.

- Zulässigkeit des Problems der Vermeidung von "Splits"

Bezüglich der Gültigkeit der Problematik der Vermeidung von Splits bzw. Verdichtung als technischer Effekt werde auf D17 hingewiesen. Dieses erläutere, dass das Vorhandensein von Splits zu einer schlechten Reißfestigkeit sowie zu einer schlechten Zugfestigkeit und folglich allgemein zu schlechten mechanischen Eigenschaften führe.

Dieser Sachverhalt sei ferner durch die Angaben im Sachverständigenbericht D18 belegt.

Somit betreffe der geltend gemachte Effekt der Vermeidung von Splits sowie Verdichtungen sehr wohl einen Aspekt des im Patent angesprochenen Problems der Verbesserung bzw. des Beibehaltens der mechanischen Eigenschaften der Schaumstoffen.

- Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D10

D10 habe zwei mögliche Ausgangspunkte für die Analyse der erfinderischen Tätigkeit.

Ausgehend von Zinn(II)-Oktoat gehe aus den Beispielen des Patents sowie der D12 hervor, dass die nach dem anspruchsgemäßen Verfahren hergestellten Schaumstoffe niedrigere VOC-Werte aufweisen, auch wenn die Beispiele keinen unmittelbaren Vergleich zuließen. Aus den nachgereichten Vergleichsversuchen D12 gehe hervor, dass die gleiche Mengen an Katalysatoren für einen sinnvollen Vergleich nicht zwingend notwendig seien.

Die objektive Aufgabe gegenüber der Ausführungsform Zinn(II)-Oktoat sei, ein Verfahren bereitzustellen, welche die Herstellung von Polyurethanschaumstoffen erlaube, welche sowohl eine niedrige Emission als auch gute Alterungs­beständigkeit aufweisen würden. Die definierte Lösung dieser Aufgabe, nämlich der Einsatz der definierten Zinn (II)-Salze, sei aus D10 alleine oder in Zusammenschau mit anderen Dokumenten nicht nahegelegt.

Alternativ ausgehend von Zinn(II)-Laurat gehe aus D12 hervor, dass der Unterschied gegenüber dieser Ausführungsform von D10 zu verbesserten mechanischen Eigenschaften der Schaumstoffe führe, wie das Vermeiden von Splits zeige. Somit sei die objektive Aufgabe, die Bereitstellung eines Verfahrens, welches das Erhalten von Schaumstoffen mit zufriedenstellenden mechanische Eigenschaften, insbesondere solche, die nicht kollabieren oder Fehler ("Splits") aufweisen, ermögliche.

Weder D10 alleine noch in Kombination mit anderen Dokumenten lege diese Lösung der Aufgabe nahe.

Bezüglich der - nicht von der Einspruchsabteilung aber erstmals im Verfahren von der Kammer - aufgeworfenen Frage der Vergleichbarkeit der Versuche des Patents bzw. des D12s mit D10 seien die in D19 enthaltenen neue Versuche durchgeführt worden. Das Einreichen von D19 sei eine Reaktion auf eine von der Kammer neu aufgeworfene Frage. Daher sei D19 ins Verfahren zuzulassen.

Diese Versuche würden - sofern möglich, da gewisse Komponenten nicht mehr am Markt erhältlich seien - einen direkten Vergleich mit D10 darstellen und würden eindeutig belegen, dass das unterscheidende Merkmal, nämlich die Verwendung von Zinn(II)-Salzen mit einer verzweigten Alkylkette der definierten Länge, den früher geltend gemachten technischen Effekt des Erhaltens von Schaumstoffen mit verbesserten mechanischen Eigenschaften, wie z.B. Zugfestigkeit und Druckverformungsrest (DVR), bewirke.

Keine der zitierten Dokumente würden diesen Effekt bzw. diese Lösung des Problems nahelegen.

D1 befasse sich nicht mit Polyurethan­weichschaum­stoffen. Ferner fehle jede Begründung, warum der Fachmann aus D1 die Verwendung von Zinn(II)-Alkanoat mit X=11-15 als bevorzugt oder zweckdienlich erachtet hätte.

D4 betreffe ein anderes technisches Gebiet, nämlich härtbare Zusammensetzungen und enthalte lediglich eine lange Liste von unterschiedlichen Additiven. Da Zinn(II)-Katalysatoren in D4 erwähnt werden, seien diese zur Kondensationsreaktion einer Silanol-Funktion und nicht zur Urethanisierungsreaktion eingesetzt worden. Somit sei D4 nicht relevant.

Aus D5, Seite 18, Zeilen 3 und 25, gehe hervor, das der Katalysator bevorzugt eine lineare Kohlenstoffkette aufweise, welche Lehre vom Anspruchsgegenstand wegführe.

XVIII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

XIX. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Hilfsweise werde die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage einer der Hilfsanträge 1 bis 9, eingereicht mit Schreiben vom 11. April 2018, beantragt.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag

1.1 Artikel 123 (2) EPÜ

1.1.1 Zulassung des Einwands

Der Einwand gilt dem Merkmal im für gewährbar befundenen Anspruch 1, wonach die Rohdichte der Polyurethanschaumstoffe 10 kg m**(-3) bis 200 kg m**(-3) beträgt.

Dieses Merkmal wurde mit Schreiben der Patentinhaberin vom 23. Februar 2016 in die Ansprüche eingeführt.

Die Einspruchsabteilung hat in der Mitteilung vom 27. Juli 2016, Abschnitt 4.1.2 diese Änderung als gewährbar erachtet, wobei der ursprüngliche Anspruch 5 als Basis für die Änderung betrachtet wurde.

Diese vorläufige Meinung wurde von der Einsprechenden weder im Schreiben vom 29. September 2016 noch während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung infrage gestellt.

1.1.2 Der Einwand bezüglich der Gewährbarkeit dieser Änderung der Ansprüche wurde erst mit der Beschwerdebegründung erhoben.

Somit stellt sich die Frage, ob es gerechtfertigt wäre, dass die Kammer ihr Befugnis nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 (siehe Artikel 25 (2) VOBK 2020) ausübt, und diesen Einwand als unzulässig erachtet, wie von der Beschwerdeführerin beantragt.

Im Hinblick auf den Ablauf des Einspruchsverfahren (siehe oben 1.1.1) ist klar, dass ausreichend Zeit für die Erhebung dieses Einwand bereits während des Einspruchsverfahrens vorhanden gewesen ist. Es gab sowohl Gründe hierfür - insbesondere die Stellungnahme der Einspruchsabteilung - als auch Gelegenheit hierzu, sowohl im schriftlichen Verfahren als auch in der mündlichen Verhandlung.

Somit gilt der Einwand als verspätet.

Es ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass dieser Einwand zum frühest möglichen Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren, d.h. mit der Beschwerdebegründung, vorgebracht wurde - also gemäß Artikel 12 (2) VOBK 2007. Somit hatte die Beschwerdegegnerin ausreichend Zeit, hierauf zu reagieren, insbesondere in Reaktion auf den Bescheid der Kammer, in dem sie den Parteien ihre vorläufige Meinung zu dieser Thematik mitgeteilt hat (Abschnitt 8.2). Außerdem beantragte die Beschwerdegegnerin für den Fall der Zulassung dieses Einwands, dass auch ihr Hilfsantrag 5 ins Verfahren zugelassen werde, was im vorliegenden Fall auch geschehen ist (siehe unten Punkt 3), sodass keine der Parteien benachteiligt wurde. Die Kammer sieht ferner im vorliegenden Fall keinen Hinweis auf eine verfahrensmissbräuchliche Vorgangsweise der Beschwerdeführerin.

Aus den vorgenannten Gründen übt die Kammer ihr Ermessen nach Artikel 12 (4) VOBK 2007, den Einwand nicht zu berücksichtigen, nicht aus. Der Einwand ist daher Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.

1.1.3 Sachliche Beurteilung

Die Angabe der Rohdichte der herzustellenden Polyurethanschaumstoffe gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags findet sich an zwei Stellen der ursprünglichen Anmeldung - Seite 7, Zeilen 27-29 und, wie von der Einspruchsabteilung festgestellt, Anspruch 5.

In beiden Fällen wird dieser Mengenbereich jedoch in Kombination mit dem Merkmal "Polyurethan­weichschaumstoffe" offenbart (Betonung der Kammer). Genau dieses Merkmal ist in dem geltenden Anspruch 1 jedoch nicht enthalten.

Somit, prima facie, handelt es sich hierbei um eine Zwischenverallgemeinerung.

Die Beschwerdegegnerin hat im Abschnitt B.2 der Beschwerdeerwiderung mit Verweis auf D15, insbesondere Seite 17, Absatz 4.2, argumentiert, dass mit den in dem Dokument angegebenen Rohdichten (30 bis 100 kg/m**(3)) sowohl Hartschaumstoffe als auch Weichschaumstoffe erhältlich seien. Hieraus scheine, so die Beschwerdegegnerin, hervorzugehen, dass die Rohdichte und die Art des Schaumstoffes zwei unabhängige Merkmale darstellen würden.

Jedoch genau hier liegt das Problem und der Ursprung der unzulässigen Zwischenverallgemeinerung. Da aus D15 hervorgeht, dass die Art des Schaumstoffes (Weichschaumstoff) nicht durch die Rohdichte bestimmt wird, kann die Rohdichte nicht als "stellvertretend" oder synonym für die Art des Schaumstoffes angesehen werden. Vielmehr geht hieraus hervor, dass mit dem im Anspruch angegebenen Dichtebereich sowohl Hart- als auch Weichschaumstoffe erzielt werden können.

Dies führt somit unweigerlich zur Schlussfolgerung, dass die Angabe der Rohdichte gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags nicht mit dem Merkmal "Weichschaumstoff" gleichzusetzen ist.

Das Weglassen des Merkmals "Weichschaumstoff" vom Anspruch 1 des Hauptantrags führt somit zu eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung gegenüber der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung.

Dies widerspricht jedoch den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ.

1.1.4 Der Hauptantrag ist somit nicht gewährbar.

2. Hilfsanträge 1-4

2.1 Artikel 123 (2) EPÜ

Der jeweilige Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 4 ist, ebenso wie der Hauptantrag, auf ein Verfahren zur Herstellung von Polyurethanschaumstoffen mit einer Rohdichte von 10 bis 200 kg/m**(3) gerichtet.

Aus den gleichen Gründen wie oben für den Hauptantrag angegeben, entsprechen die Hilfsanträge 1-4 daher den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ nicht und sind somit nicht gewährbar.

3. Hilfsantrag 5

3.1 Artikel 123 (2) EPÜ

Durch die nähere Definition der Schaumstoffe als "Polyurethanweichschaumstoffe" wurde der für den Hauptantrag festgestellte Mangel behoben.

Somit erfüllt der Hilfsantrag 5 die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.

3.2 Ausführbarkeit

Der erhobene Einwand mangelnder Ausführbarkeit bezieht sich auf das Merkmal "Polyurethanweichschaumstoff" und wurde damit begründet, dass die Abgrenzung zwischen den verschiedenen Schaumstoffarten nicht eindeutig oder klar sei (Schreiben der Beschwerdeführerin vom 14. April 2020, Seite 4).

Dieser Einwand betrifft somit nicht das Erfordernis der Ausführbarkeit sondern die Frage der Klarheit.

Da der erteilte Anspruch 5 jedoch bereits das Merkmal "Polyurethanweichschaumstoffe" in Verbindung mit der angegeben Rohdichte enthielt, ist der Einwand gemäß Artikel 84 EPÜ im Hinblick auf dieses Merkmal nicht zulässig (siehe G 3/14, ABl. EPA 2015, 102).

3.3 Neuheit

Die Neuheit der Ansprüche des Hilfsantrags 5 wurde von der Beschwerdeführerin nicht infrage gestellt. Auch die Kammer hat keine diesbezügliche Bedenken.

3.4 Erfinderische Tätigkeit

3.4.1 Nächstliegender Stand der Technik

Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Polyurethanschaumstoffen, insbesondere Weichschaumstoffen, welche dem Gegenstand des Hilfsantrags 5 entsprechen (Absatz [0001]). Im Absatz [0005] wird auf die Nachteile der im Stand der Technik bekannten Schaumstoffe, nämlich hohe Emissionswerte und reduzierte mechanische Eigenschaften nach Alterung, hingewiesen. Insbesondere betrifft das Patent das Problem der Reduzierung von Emissionen (VOC) sowie der Erzielung einer guten Beständigkeit gegen Alterung, insbesondere eines guten Werteniveaus bei dem Druckverformungstest (Absatz [0006]).

Die Beschwerdeführerin hat die Dokumente D10, D5 und D9 jeweils als Alternativen für den nächstliegenden Stand der Technik zitiert. Während die Beschwerdegegnerin damit einverstanden ist, dass D10 einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt, bestreitet sie, dass D5 und D9 auch als geeignete Ausgangspunkte angesehen werden können.

a) D10

Dieses Dokument stellte nach Auffassung der Einspruchsabteilung den nächstliegenden Stand der Technik dar (Entscheidungsgründe, Seite 8, Mitte).

D10 betrifft Polyurethan/Polyester Weichschaum­stoffe. Wesentlich, sogar zentral, bei der Lehre von D10 ist der Einsatz von Silikon enthaltenden oberflächenaktiven Stoffen ("Silicone Surfactants"; Abschnitt "Summary of the Invention", Anspruch 1). In dem ersten Absatz des Abschnitts "Background of the Invention" wird die Problematik von Emissionen angesprochen. Auch wird in diesem Abschnitt die Problematik einer guten Schaumstruktur und die Vermeidung von Kollabierung ("Shrinkage") besprochen.

Diese Problemstellung entspricht im Wesentlichen dem des Patents.

b) D5

Dieses Dokument betrifft gemäß dem ersten Absatz ein Verfahren zur Herstellung von mikrozellularen oder nichtzellularen ("micro-cellular or non-cellular") Polyurethanwerkstoffen mit hoher Dichte, nämlich höher als 500 kg/m**(3), bevorzugt höher als 700 kg/m**(3). Gemäß dem Brückenabsatz der Seiten 2 bis 3 wird eine bestimmte Kombination von Katalysatoren eingesetzt. Zielsetzung von D5 ist es, mikro- oder nichtzellulare lichtfeste Polyurethane mit niedrigen Emissionen ohne Verwendung eines Organoblei-Katalysators zu erhalten (Seite 3, Zeilen 18-22).

Angesichts der Art des Stoffes, insbesondere aufgrund der Tatsache, dass dies nicht notwendigerweise ein Schaumstoff ist und im Hinblick auf die angegebene Dichte welche wesentlich höher ist als die im Anspruch definierte Dichte von 10 kg m**(-3) bis 200 kg m**(-3), ist D5 nach Ansicht der Kammer weniger relevant als D10. Insbesondere die im Absatz [0006] des Streitpatents angesprochene Problematik beim Druckverformungstest wird bei den Produkten gemäß D5 entweder gar nicht oder in anderer Art und Weise auftreten.

c) D9

Dieses Dokument betrifft Verfahren zur Herstellung von PU-Schaumstoffen, mit der Betonung auf "high resilience" ("HR") Produkten, also PU-Schaumstoff, welcher Festigkeit und Härte aufweist und somit hohen Belastungen standhalten kann (Seite 2, Zeile 22 - Seite 6, Zeile 14). Es wird ferner die Verwendung von polymerischen Füllstoffen ("polymeric fillers"; vgl. Seite 4, Zeilen 17-23) betont, insbesondere sogenannte "PIPA" Polyols - das Produkt der Polyaddition von Diisocyanaten mit Aminoalkoholen. Die Herstellung dieser Beistoffe wird auf Seite 6, ab Zeile 4 besprochen, wobei Organometallverbindungen als Katalysatoren in Frage kommen.

Auf Seite 5, ab Zeile 2 werden die erforderlichen Katalysatoren für die PU-Reaktion besprochen, wobei Zinn(II)-Oktoat und Dibutylzinndilaurat (DBTL) als besonders üblich dargestellt werden. Es wird erklärt, dass DBTL im allgemeinen bevorzugt ist. Jedoch entstehen Probleme durch unerwünschte Nebenprodukte ("residual material") in den Produkten aufgrund der Zn-C Bindung. Dieses Problem könne durch den Einsatz von Zinn(II)-Oktoat nicht behoben werden (Brückenabsatz Seiten 5/6). Somit war es gemäß Seite 6, Zeilen 15-20 Zielsetzung von D9, einen Katalysator als Ersatz für DBTL vor allem bei der Herstellung von PIPA-Polymer modifiziertem Polyol und von PU-Schaumstoffen unter Verwendung von HR-Polymer modifizierten Polyolen einzusetzen, welcher eine ähnliche Wirkung wie DBTL aufweist ohne jedoch die gleichen Umweltprobleme zu verursachen.

Die Zielsetzung von D9 ist folglich analog zu der des Streitpatents.

d) Schlussfolgerungen

Aus dieser Gegenüberstellung ist ersichtlich, dass D5 nicht zwangsläufig Schaumstoffe betrifft und ferner, angesichts der angegebenen Dichte, sowieso eine andere Art von Produkten als das Streitpatent.

Somit ist die Kammer der Auffassung, dass D5 nicht als nächstliegender Stand der Technik in Betracht kommt.

Dagegen betreffen D10 und D9 die gleiche Problematik bei ähnlichen Stoffklassen wie das Patent, auch wenn D9 einen bestimmten Unteraspekt (Verwendung eines polymeren Füllstoffes) betont.

Insbesondere gibt es für die Kammer keinen Grund für die Annahme, dass das Dokument D9 für den beanspruchten Gegenstand in dem Sinne irrelevant ist, dass es nicht auf demselben technischen Gebiet liegt und/oder dass es nicht ein Problem behandelt, das zumindest mit dem/den aus dem Patent ableitbaren Problem(en) zusammenhängt.

Somit ist es erforderlich, die Analyse der erfinderischen Tätigkeit auf der Basis beider Dokumente, d.h. D10 und D9, durchzuführen.

3.4.2 D10 als nächstliegender Stand der Technik

a) Innerhalb von D10 hat die Beschwerdeführerin zwei mögliche Ausgangspunkte vorgeschlagen:

Im Abschnitt 2.1.1 wird zunächst auf die "Polyester Flexible Slabstock Foam Formulation" in Spalte 4, Zeilen 41-57 hingewiesen. Jedoch behandelt die Beschwerdeführerin in den nachfolgenden Abschnitten 2.1.2 bzw 2.1.3 sowohl Zinn (II) Oktoat als auch Zinn (II) Laurat als alternative Ausgangspunkte.

Dieser zweite Ansatz scheint jedoch zumindest teilweise ex post facto, also in Anbetracht des Gegenstands des Streitpatents durchgeführt worden zu sein und dabei einen Teil der Lehre des Patents in D10 hineininterpretiert zu haben.

Der geltende Anspruch 1 ist auf ein Verfahren gerichtet. Demnach erscheint als geeigneter Ausgangspunkt von D10 die Offenbarung der Spalte 4, Zeilen 41-54 betreffend die für die Herstellung der Schaumstoffe einzusetzenden Ausgangsstoffe ("Polyester Flexible Slabstock Foam Formulation").

In diesem Abschnitt wird der Katalysator nicht spezifiziert.

Katalysatoren werden in D10 in Spalte 3, Zeilen 51-59 abgehandelt:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Abgesehen von der Frage, ob der Bezug auf diese Stelle das Ergebnis einer ex post facto Betrachtungsweise sei, (siehe oben), kann diese Stelle - entgegen dem Vortrag der Beschwerdeführerin (Beschwerdebegründung, Abschnitt 2.1.1) - nicht als geeigneter Ausgangspunkt für die Analyse der erfinderischen Tätigkeit angesehen werden, da diese kein Verfahren an sich betreffe sondern bereits Einzelheiten bzw. Merkmale eines Verfahrens. Ferner werden in dieser Abhandlung Zinn(II)-Salze lediglich als eine von mehreren möglichen - gleichwertigen - Katalysatorenarten angegeben. Innerhalb dieser Gruppe wird ferner keine Bevorzugung bestimmter strukturellen Merkmale der Zinn(II) Verbindungen angesprochen.

In den Beispielen von D10 werden entweder Aminkatalysatoren (DABCO NEM or DABCO 2039) oder ein nicht weiter spezifizierter Proprietärer Katalysator und somit eine andere Katalysatorengattung, als vom geltenden Anspruch 1 verlangt, eingesetzt.

Es bestand somit bei Durchsicht von D10 ohne Kenntnis des Streitpatents kein Grund die Zinn(II)- Salze allgemein oder bestimmte derselben in den Vordergrund zu stellen, oder im Rahmen der Lehre von D10 als besonders geeignet zu bewerten.

b) Unterscheidungsmerkmal

Im Anbetracht des Vorhergehenden ist das unterscheidende Merkmal gegenüber D10 weniger differenziert als von der Beschwerdeführerin angegeben (siehe Abschnitt XV.(d), 1. Absatz) und besteht allgemein in der Verwendung von Zinn (II) Salzen mit einer verzweigten Alkylkette der definierten Länge.

Als weiteres unterscheidendes Merkmal wird das Molekulargewicht der Komponente A1 angesehen. Gemäß dem Anspruch beträgt dieses 400 bis 15000. Dieses Merkmal ist D10 nicht zu entnehmen.

Bezüglich der Dichte wurde dem diesbezüglichen Vortrag der Beschwerdeführerin, dies sei kein Unterscheidungsmerkmal, von der Beschwerdegegnerin nicht widersprochen.

c) Technischer Effekt

i) Zulassung des Versuchsberichts D19

D19 wurde zu einem sehr späten Zeitpunkt des Verfahrens eingereicht. Somit stellt sich die Frage seiner Zulassung ins Verfahren, welche den Bestimmungen von Artikel 13 (1) und (3) VOBK 2007 unterliegt (siehe Artikel 25 (3) VOBK 2020).

Es ist zunächst anzumerken, dass die Beschwerdeführerin nicht beantragt hat, D19 nicht zuzulassen.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Einspruchsabteilung den Versuchsbericht D12 als relevant erachtete.

Jedoch äußerte die Kammer Bedenken, ob D12 tatsächlich der Lehre von D10 entsprechen würde, da offenbar keine Komponenten entsprechend den in D10 verwendeten und dort als wesentlich für die Erfindung angesehenen "Silicone Surfactants" eingesetzt wurden.

Mit D19 sollte dieser Mangel behoben werden, da Zusammensetzungen eingesetzt wurden, die entsprechende "Silicone Surfactants" von D10, oder aktuell erhältliche Äquivalente derselben enthält.

Somit wird das Einreichen von D19 als eine direkte Antwort auf eine Frage der Kammer angesehen, deren Relevanz aus dem Bescheid der Kammer hervorging.

ii) Aus diesen Gründen übt die Kammer ihr Ermessen gemäß Artikel 13 (1) VOBK 2007 dahingehend aus, D19 ins Verfahren zuzulassen.

iii) Die Beispiele des Patents betreffen Zusammensetzungen, die neben einer Komponente entsprechend A1 des Anspruchs die Komponenten A4-3 und A4-4 enthalten, welche dem Silikon Surfactant des D10 - (oder Äquivalenten desselben - D19, Absatz 1) - entsprechen, wie aus dem Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 24. September 2020, Seite 3, Abschnitt 2 zu entnehmen ist. Da diese Erklärungen der Beschwerdegegnerin von der Beschwerdeführerin nicht bestritten wurden, sieht die Kammer keinen Grund, davon abzuweichen.

Die Beispiele und Vergleichsbeispiele der Tabelle 1 des Patents verwenden unterschiedliche Mengen an Katalysatoren. Das Argument der Beschwerdegegnerin (Schreiben vom 11. April 2018, Seite 9, Abschnitt 3.(a)), diese würden angesichts der erhaltenen mechanischen Eigenschaften trotzdem einen sinnvollen Vergleich darstellen, vermag die Kammer nicht zu überzeugen. Es ist eben aufgrund der Unterschiede in den Katalysatormengen nicht möglich aus diesen Daten dem Unterscheidungsmerkmal gegenüber D10 - der Art des Katalysators - eindeutig einen technischen Effekt zuzuordnen.

Das Gleiche gilt für Tabelle 2 des Patents, da sich die Beispiele und Vergleichs­beispiele, welche dem oben identifizierten nächstliegenden Stand der Technik entsprechen, ebenfalls nicht nur durch die Art des Katalysators voneinander unterscheiden.

Aus dem Versuchsbericht D12, insbesondere Beispiel 1 und Vergleichsbeispiel 12, welche im Hinblick auf die eingesetzten Mengen an Komponenten vergleichbare Zusammensetzungen darstellen und das Unterscheidungsmerkmal aufgreifen, wird bei Verwendung von 2-Butylhexansäure Zinn(II)- Salz (x=11, verzweigt) gegenüber Laurinsäure (x=11, linear) eine Verbesserung im Hinblick auf das Vorhandensein von "Splits" und "Verdichtungen" geltend gemacht. Die Kammer ist der Auffassung, dass das Fehlen von "Splits" oder "Verdichtungen" allgemein als Hinweis auf "mechanische Eigenschaften", insbesondere Zugfestigkeit und DVR angesehen werden können. Es ist nämlich glaubhaft, wie aus D17 (Spalte 2, Zeilen 52-58) und D18 zu entnehmen, dass Schaumstoffe, welche solche Defekte aufweisen keine zufriedenstellenden oder gar feststellbare (messbare) "mechanischen Eigenschaften", wie durch diese Größen bestimmt, besitzen würden. In diesem Zusammenhang werden D17 und D18 aus den gleichen Gründen wie D19 (siehe Absatz IX, XI und 3.4.2.c.i) ins Verfahren zugelassen (Artikel 13 (1) VOBK 2007).

Die im Versuchsbericht D19 enthaltenen Zusammensetzungen verwenden die beiden gleichen Zinn(II)-Salze wie D12 bei drei anderen Grundzusammensetzung. In diesen Versuchen wird eine Verbesserung verschiedener mechanischer Eigenschaften (Stauchung, Druckverformungsrest 90% und Zugfestigkeit) im Zusammenhang mit dem anspruchsgemäßen Zinnkatalysator gegenüber dem Vergleichskatalysator geltend gemacht.

Die Daten, vor allem die von D19 und - bedingt - die von D12 lassen somit die Schlussfolgerung zu, dass der durch das unterscheidende Merkmal bezüglich der Art des Zinnkatalysators gegenüber D10 hervorgerufene technische Effekt in einer Verbesserung bestimmter mechanischer Eigenschaften, nämlich DVR, Zugfestigkeit und Stauchhärte, besteht.

iv) Objektive technische Aufgabe

Die objektive technische Aufgabe ist entsprechend zu formulieren, nämlich als die Bereitstellung von Polyurethanweichschaumstoffen mit verbesserter Zugfestigkeit, DVR und Stauchhärte.

v) Naheliegen der Lösung

Wie bei der obigen Darstellung von D10 festgestellt, wird in D10 selbst keine Bevorzugung einer bestimmten Katalysatorklasse ausgesprochen. Auch innerhalb der verschiedenen angegebenen Zinnkatalysatoren wird kein einzelner als besonders bevorzugt identifiziert. Ferner sind keine Ausführungen über die Beschaffenheit der Zinnkatalysatoren enthalten, welche den Hinweis geben würden, dass bestimmte Arten dieser Zinnkatalysatoren zu vorteilhafte(re)n Eigenschaften der erhaltenen Polyurethanschaumstoffe führen würden.

Somit ist D10 allein keine Anregung zu entnehmen, die anspruchsgemäß definierten Zinn(II)-Salz Katalysatoren einzusetzen, oder dass hierdurch verbesserte mechanische Eigenschaften der Schaumstoffe erhalten werden würden.

vi) Auch die Sekundärdokumente legen den Anspruchsgegenstand nicht nahe, insbesondere weil keines dieser Dokumente auf die Verwendung von Zinn(II)-Salzen gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags hinweisen, um die im vorhergehenden Absatz iv) angesprochenen Eigenschaften zu verbessern.

D1 betrifft die Verwendung von Mischungen aus Zinn, Blei und Zink-Naphthanaten und Octoaten als Katalysatoren für PU?Schaumstoffe. Schlüsselerkenntnis von D1 ist, dass durch die Verwendung dieser Mischung, der Gehalt an "teurem" Zinn reduziert werden kann (Spalte 1, 29-32). Somit führt D1 von der primären Verwendung von zinnbasierten Katalysatoren weg, entgegen dem Gegenstand des Streitpatents. Ferner sind D1 keine Hinweise auf die spezifische anspruchsgemäß definierten Zinn(II)-Salze zu entnehmen.

D4 betrifft härtbare urethanbasierte Zusammensetzungen, die ohne Verwendung eines Zinnkatalysators auskommen (Absatz [0007]). Somit ist für die Kammer nicht ersichtlich, wie dieses Dokument die erforderliche Modifikation des nächstliegenden Standes der Technik nahelegen könnte.

D5, wie bereits oben erklärt, betrifft eine andere Produktgattung als das Streitpatent, wobei fraglich ist, aus welchen Gründen diese Druckschrift angesichts der zu lösenden Aufgabe herangezogen werden würde. Ferner sind die entsprechenden Zinn(II)-Katalysatoren zwar von der Offenbarung dieses Dokuments umfasst (Seiten 4 oder 5) aber nicht präzisiert offenbart. Somit kann auch dieses Dokument nicht die erforderliche Abänderung der Lehre von D10 im Hinblick auf die objektive technische Aufgabe nahelegen.

vii) Somit folgt die Kammer dem auf D10 als nächstliegendem Stand der Technik beruhenden Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 5 nicht.

Dies gilt auch für die abhängigen Ansprüche 2 bis 7, sowie für den Anspruch 8, welcher von der Beschwerdeführerin nicht beanstandet wurde.

3.4.3 D9 als nächstliegender Stand der Technik

Dieses Dokument betrifft Verfahren zur Herstellung von PU-Schaumstoffen, mit der Betonung auf "High Resilience" ("HR") Produkten, also PU-Schaumstoff, welcher Festigkeit und Härte aufweist und somit hohen Belastungen standhalten kann (Seite 2, Zeile 22 - Seite 6, Zeile 14). Es wird ferner die Verwendung von polymerischen Füllstoffen ("polymeric fillers" - vgl. Seite 4, Zeilen 17-23), insbesondere sogenannten "PIPA" Polyols, das Produkt der Polyaddition von Diisocyanaten mit Aminoalkoholen, betont. Die Herstellung dieser Beistoffe wird auf Seite 6, ab Zeile 4 besprochen, wobei Organometallverbindungen als Katalysatoren in Frage kommen.

Auf Seite 5, ab Zeile 2 werden die erforderlichen Katalysatoren für die PU-Reaktion besprochen, wobei Zinn(II)-Oktoat und DBTL als besonders üblich dargestellt werden. Es wird erklärt, dass DBTL im allgemeinen bevorzugt ist. Jedoch entstehen Probleme durch unerwünschte Nebenprodukte ("residual material") in den Produkten aufgrund der Sn-C Bindung. Dieses Problem könne durch den Einsatz von Zinn(II) Oktoat nicht behoben werden (Brückenabsatz Seiten 5/6). Somit war es gemäß Seite 6, Zeilen 15-20 die Zielsetzung von D9 einen Katalysator als Ersatz für DBTL vor allem bei der Herstellung von PIPA-Polymer modifiziertem Polyol und von PU-Schaumstoffen unter Verwendung von HR-Polymer modifizierten Polyolen einzusetzen, welcher eine ähnliche Wirkung wie DBTL aufweist, ohne jedoch die gleichen Umweltprobleme zu verursachen.

Katalysatoren werden auf Seite 8, ab der 3. Zeile abgehandelt. Es werden zwar unter anderem Zinn(II) Carboxylate genannt, aber keine, die dem Anspruch 1 entsprechen.

Innerhalb von D9 kann, analog zu der Analyse ausgehend von D10, die Offenbarung eines Verfahrens zur Herstellung eines Schaumstoffes auf Seite 7, Zeilen 14-23 als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden.

Das Unterscheidungsmerkmal des Gegenstands des geltenden Anspruchs 1 gegenüber D9 ist zumindest die Definition des eingesetzten Katalysators, wobei von der Beschwerdegegnerin eingewandt wurde, dass die anspruchsgemäße Dichte bereits in den Beispielen von D9 offenbart sei (Brief vom 11. April 2018, Seite 24, letzter Absatz).

Folglich ist das Unterscheidungsmerkmal gegenüber D9 das gleiche wie gegenüber D10, sodass auch die Analyse der erfinderischen Tätigkeit zu der gleicher Schlussfolgerung führen muss, wie jene die von D10 ausging.

3.5 Der Gegenstand des Hilfsantrags 5 beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage der Patentansprüche 1 bis 8 gemäß Hilfsantrag 5, eingereicht mit Schreiben vom 11. April 2018, und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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