T 2625/17 () of 7.9.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T262517.20210907
Datum der Entscheidung: 07 September 2021
Aktenzeichen: T 2625/17
Anmeldenummer: 11002028.6
IPC-Klasse: A61B 5/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Medizinische Kamera
Name des Anmelders: Dürr Dental SE
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 76(1)
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 111(1)
Schlagwörter: Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung oder der Stammanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus - Hauptantrag (nein)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hauptantrag (ja)
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0222/87
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Anmelderin hat gegen die am 24. Juli 2017 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 11 002 028.6 zurückzuweisen, Beschwerde eingelegt.

II. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Basis des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1 bis 3, alle eingereicht mit Brief vom 20. November 2017, zu erteilen. Eine mündliche Verhandlung wurde hilfsweise beantragt, "sofern dem Hauptantrag nicht bereits im schriftlichen Verfahren entsprochen werden kann".

III. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:

"Medizinische Kamera, mit einem Gehäuse (10), mit einer Lichtquelle (55), einer Optik (22, 28, 34; 80) und einem Bildwandler (8), wobei das Gehäuse (10) ein Eintrittsfenster (16) für von einem Untersuchungs-bereich zurücklaufendes Beobachtungslicht aufweist, welches nicht direkt von von der Lichtquelle abgegebenem Licht erreicht werden kann, wobei die Lichtquelle (59) eine UV-Lichtquelle ist, wobei das Eintrittsfenster als Filter ausgebildet ist oder im Strahlengang zwischen dem Eintrittsfenster (16) und dem Bildwandler (8) ein Filter (59; 84 angeordnet ist, und wobei der Bildwandler ein farbempfindlicher Bildwandler ist, dadurch gekennzeichnet, dass Mittel vorgesehen sind, welche aus den Bildsignalen des farbempfindlichen Bildwandlers Farbveränderungen erkennen."

IV. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Beschwerde-führerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags, insbesondere die Mittel, welche aus den Bildsignalen des farbempfindlichen Bildwandlers Farbveränderungen erkennen, gehe nicht über den Inhalt der Teil- und der Stammanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Diese Mittel seien an mehreren Stellen der Teil- und Stammanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassungen offenbart (zum Beispiel Seite 17, Zeilen 3 bis 11; Seite 13, Zeilen 14 bis 19; und Seite 12, Zeile 35 bis Seite 13, Zeile 24 mit Bezug auf Figur 4). Die Textpassage auf Seite 21, Zeilen 13 bis 19, impliziere durch die Wortwahl (Referenzsignal, weiteres Signal, verschiedene Spektralanteile, Verhält-nis der Intensität) technische Mittel zur Durchführung einer Auswertung, bei der eine Differenzbildung von Signalen mit Hinblick auf Farbverschiebungen erfolge.

Das Merkmal, dass "Mittel vorgesehen sind, welche aus Bildsignalen des farbempfindlichen Bildwandlers Farb-veränderungen erkennen", sei klar. Einem Entwicklungs-ingenieur mit Erfahrung in der Entwicklung von medizinischen Kameras seien die Grundlagen der digitalen Bildverarbeitung bekannt, so dass es für diesen unmittelbar offensichtlich sei, dass das Erkennen von Farbveränderungen mit Standardkomponenten wie Bildwandlern, Rechenkreisen und Bildspeichern, zum Beispiel durch Differenz- oder Verhältnisbildung, durchgeführt werden kann.

Entscheidungsgründe

1. Die Erfindung

Die Erfindung betrifft eine medizinische Kamera mit einem eine Lichtquelle, eine Optik und einen Bildwandler aufweisenden Gehäuse. Eine schematische Darstellung einer medizinischen Kamera gemäß der Erfindung ist in der Figur 1 der vorliegenden Anmeldung gezeigt. Die Figur 2 zeigt die Details der Optik dieser Kamera.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Medizinische Kameras gemäß der Erfindung sind zur Untersuchung von Gewebeoberflächen in Körperhöhlen, z.B. im Mund, geeignet.

Da eine Vielzahl von Bakterien, die verantwortlich für eine bestimmte Erkrankung sein können, unter optischer Anregung mit Licht eine Fluoreszenz zeigt, kann die Erkrankung durch die Bestimmung der Fluoreszenz nachgewiesen werden.

Die Lichtquelle (55) der medizinischen Kamera ist eine UV-Lichtquelle.

Das Gehäuse (10) weist ein Eintrittsfenster (16) für von einem Untersuchungsbereich (Zahn 6) zurücklaufendes Beobachtungslicht auf. Das Eintrittsfenster (16) kann nicht direkt von Licht, das von der Lichtquelle (55) abgegeben wird, erreicht werden.

Das Eintrittsfenster (16) ist als Filter ausgebildet, oder ein Filter (59) ist im Strahlengang zwischen dem Eintrittsfenster (16) und dem Bildwandler (8) angeordnet.

Der Bildwandler (8) ist ein farbempfindlicher Bildwandler.

Nach Anspruch 1 des Hauptantrages sind Mittel vor-gesehen, welche aus den Bildsignalen des farbempfind-lichen Bildwandlers Farbveränderungen erkennen.

Diese Farbveränderungen können die von den Bakterien verursachte Fluoreszenz darstellen und daher der Ermittlung einer möglichen Krankheit dienen.

2. Die vorliegende Anmeldung ist eine Teilanmeldung der europäischen Patentanmeldung Nr. 05 739 588.1 (die Stammanmeldung). Die Beschreibung, die Zeichnungen und Anspruch 1 der Teilanmeldung und der Stammanmeldung wie ursprünglich eingereicht sind identisch.

Die Prüfungsabteilung hat den Hauptantrag nicht gewährt, weil der Gegenstand des Anspruchs 1 über den Inhalt der Teil- und der Stammanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe, und der Anspruch 1 außerdem unklar sei.

3. Einwand der unzulässigen Erweiterung

Die Prüfungsabteilung ist zu dem Schluss gekommen, dass das Merkmal des Anspruchs 1 des Hauptantrags, dass "Mittel vorgesehen sind, welche aus den Bildsignalen des farbempfindlichen Bildwandlers Farbveränderungen erkennen", über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Teil- und Stammanmeldung hinausgeht.

Unter Punkt 13.1 der angefochtenen Entscheidung erklärt die Prüfungsabteilung, dass der Absatz, der die Seiten 20 und 21 der Beschreibung wie ursprünglich eingereicht verbindet, die einzige Stelle sei, die Bezug auf das Erkennen von Farbveränderungen nehme, und lediglich die Möglichkeit offenbare, dass eine Veränderung des Spektrums in Form einer Farbveränderung erkannt werden könne, indem die Farbveränderung mit Farbkameras erfasst und auf einem Monitor angezeigt werde. Das Erkennen der Veränderung des Spektrums in Form einer Farbveränderung sei also Sache des Betrachters der Anzeige. Eine Basis für technische Mittel, die eine Farbveränderung erkennen können, stelle der genannte Absatz nicht dar.

Wie auch im genannten Absatz auf Seiten 20 und 21 der ursprünglichen Beschreibung erläutert wird, findet eine Farbveränderung statt, wenn sich das Farbenspektrum eines Bildes ändert. Daraus folgt, dass die Erkennung einer Farbveränderung einen Vergleich zwischen einem Referenzbild und einem weiteren, veränderten Bild impliziert.

Es muss daher festgestellt werden, ob die ursprüngliche Anmeldung technische Mittel einer Kamera offenbart, die einen solchen Vergleich durchführen können.

Die Kammer teilt die Meinung der Beschwerdeführerin, dass nicht nur der genannte Absatz auf Seiten 20 und 21 der ursprünglichen Beschreibung eine Basis für solche Mittel darstellen kann.

So wird auf Seite 21, Zeilen 13 bis 19 allgemein auf die Erkennung von Farbveränderungen hingewiesen:

"Generell, kann also erfindungsgemäß das Verhältnis der Intensitäten verschiedener Spektralanteile verwendet werden, um ein Maß für die Erkrankung zu erhalten. Dabei repräsentiert der eine Spektralanteil das von der Erkrankung nicht beeinflußte Referenzsignal und der andere Spektralanteil das vorwiegend durch die Erkrankung beeinflußte Signal."

Dieser Absatz deutet auf einen Vergleich von zwei Signalen hin. Ein solcher Vergleich kann nicht vom bloßen Auge eines Betrachters durchgeführt werden. Er setzt eine Recheneinheit voraus.

Außerdem offenbart die ursprünglich eingereichte Beschreibung eine Recheneinheit als Teil der medizinischen Kamera (Seite 9, Zeilen 5 bis 8). Auf Seite 12, Zeile 30, bis Seite 13, Zeile 29, wird erklärt, wie eine solche Recheneinheit Bildsignale von einem Bildwandler verarbeiten kann. Es wird beschrieben, wie von einem Fluoreszenz-Bild, das auch durch Umgebungslicht erzeugte Spektralanteile aufweist, ein Weißlicht-Bild abgezogen wird, um ein Bild, das nur die von Bakterien erzeugte Fluoreszenz enthält, durch Differenzbildung zu erhalten. Dieses erhaltene Bild wird in einem Bildspeicher gespeichert und kann auf einem Bildschirm dargestellt werden.

Das Abziehen des Weißlicht-Bildes von dem Fluoreszenz-Bild (Differenzbildung) stellt eine Erkennung einer Farbveränderung durch technische Mittel in Form einer Recheneinheit dar.

Auf Seite 17, Zeilen 3 bis 11 der ursprünglich eingereichten Beschreibung werden andere Möglichkeiten offenbart, wie ein repräsentatives Bild durch Differenzbildung zu erhalten ist.

Der Absatz, der die Seiten 20 und 21 der ursprünglich eingereichten Beschreibung verbindet, bezieht sich speziell auf eine Farbveränderung des Emissions-spektrums von Zahnmaterial unter UF-Anregung, das von Bakterien bzw. befallenen Zellen verursacht wird. Die in diesem Absatz gemeinte Farbveränderung kann zwar einen Vergleich mit einem Referenzbild voraussetzen, das kein Weißlicht-Bild ist. Es könnte sich um ein unter UV-Strahlung erhaltenes Bild von gesundem Zahnmaterial handeln. Schließlich wird aber in jedem Fall ein Bild durch Differenzbildung erzeugt.

Eine Recheneinheit gemäß Seiten 12 und 13 der ursprüng-lich eingereichten Beschreibung ist in der Lage, beliebige Referenzbilder von einem Fluoreszenz-Bild abzuziehen.

Letztlich weist auch der Satz auf Seite 21, Zeilen 10 und 11, der ursprünglich eingereichten Beschreibung auf eine Recheneinheit hin. Es wird erläutert, dass die absolute Intensität der Farben an Relevanz für die Diagnose verlieren kann. Eine zuverlässige Unterschei-dung von Farbintensitäten in zwei verschiedenen Bildern mit bloßem Auge ist aber zumindest problematisch, wenn überhaupt möglich.

Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass die ursprünglich eingereichte Beschreibung der Teil- und der Stammanmeldung Mittel, welche aus den Bildsignalen des farbempfindlichen Bildwandlers Farbveränderungen erkennen, unmittelbar und eindeutig offenbart.

Die übrigen Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags basieren auf Anspruch 1, und Seite 7, Zeile 23, Seite 18, Zeilen 3 und 4, und Seite 21, Zeilen 4 bis 7, der Teil- und Stammanmeldung wie ursprünglich eingereicht.

Somit erfüllt Anspruch 1 des Hauptantrags die Erfordernisse der Artikel 76(1) und 123(2) EPÜ.

4. Einwand der mangelnden Klarheit

In der angefochtenen Entscheidung (Punkt 13.2) ist die Prüfungsabteilung zum Schluss gekommen, dass das Merkmal in Anspruch 1 des Hauptantrags, "dass Mittel vorgesehen sind, welche aus den Bildsignalen des farbempfindlichen Bildwandlers Farbveränderungen erkennen", unklar sei.

Die Kammer teilt diese Ansicht nicht.

Wie schon erwähnt, impliziert die beanspruchte Er-kennung einer Farbveränderung einen Vergleich zwischen einem Referenzbild und einem weiteren, veränderten Bild. Entgegen der Meinung der Prüfungsabteilung setzen die beanspruchten Mittel die Kenntnis des Referenz-bildes nicht voraus. Diese Mittel müssen lediglich in der Lage sein, Bildsignale zur Erkennung von Farbveränderungen (zum Beispiel durch die beschriebene Differenzbildung) unabhängig von einem spezifischen Referenzbild zu vergleichen. Es könnte sich beispiels-weise um eine zu diesem Zweck vorprogrammierte Rechen-einheit handeln.

Daher ist die Kammer der Meinung, dass der Anspruch 1 deutlich gefasst ist (Artikel 84 EPÜ).

5. Da die Gründe, auf welche die Prüfungsabteilung die Zurückweisung des Hauptantrags gestützt hat, nicht zutreffen, ist die angefochtene Entscheidung aufzu-heben.

Andere Erfordernisse des EPÜ in Bezug auf den Hauptantrag wurden von der Prüfungsabteilung nicht geprüft. Die Kammer hält es daher für angemessen, die Angelegenheit auf die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung zurückzuverweisen (Artikel 111(1) EPÜ).

6. Die Beschwerdeführerin hat hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt, "sofern dem Hauptantrag nicht bereits im schriftlichen Verfahren entsprochen werden kann".

Die Kammer stellt fest, dass die Beschwerdeführerin durch die Entscheidung der Kammer, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen, nicht beschwert ist (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, III.C.4.5). Daher ist die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nicht nötig (siehe auch Entscheidung T 222/87).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.

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