T 2597/17 () of 11.12.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T259717.20201211
Datum der Entscheidung: 11 Dezember 2020
Aktenzeichen: T 2597/17
Anmeldenummer: 11724644.7
IPC-Klasse: C08F220/18
C08F2/22
C08F212/08
D21H19/58
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: POLYMERDISPERSIONEN AUS VINYLAROMATISCHEN VERBINDUNGEN UND ACRYLATMONOMEREN, HERGESTELLT IN GEGENWART VON SAATLATEX UND KOHLENHYDRATVERBINDUNGEN
Name des Anmelders: BASF SE
Name des Einsprechenden: Synthomer Deutschland GmbH
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54 (2007)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4) (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Hauptantrag - Neuheit eines durch Verfahrensmaßnahme definierten Produkts (Nein)
Hilfsantrag - zugelassen - Neuheit und erfinderische Tätigkeit (Ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0205/83
T 1247/03
T 1029/05
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die am 26. September 2017 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents 2 580 257 in geänderter Fassung auf Grundlage des 1. Hilfsantrags, eingereicht mit Schreiben vom 30. Juni 2017, und einer geänderten Beschreibung. Der Entscheidung lag ebenfalls die Zurückweisung des Einspruchs als Hauptantrag zu Grunde.

II. Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags lautete wie folgt:

"1. Wässrige Polymerdispersion, die erhältlich ist durch radikalisch initiierte Emulsionspolymerisation von

(a) 19,9 bis 80 Gew.-Teilen mindestens einer vinylaromatischen Verbindung,

(b) 19,9 bis 80 Gew.-Teilen mindestens eines Acrylatmonomers ausgewählt aus C1- bis C10-Alkylacrylaten und C1- bis C10-Alkylmethacrylaten,

(c) 0,1 bis 10 Gew.-Teilen mindestens einer ethylenisch ungesättigten Säure und

(d) 0 bis 20 Gew.-Teilen mindestens eines anderen ethylenisch ungesättigten Monomeren, wobei die Summe der Gew.-Teile der Monomeren (a), (b), (c) und (d) 100 beträgt,

und wobei die Emulsionspolymerisation in wässrigem Medium in Gegenwart von Radikale bildenden Initiatoren, Saatlatex sowie mindestens einer Kohlenhydratverbindung in Form einer abgebauten Stärke erfolgt,

wobei der Saatlatex in einer Menge von 0,1 bis 4 Gew.-% bezogen auf die Gesamtmenge an Monomeren eingesetzt wird."

Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags entsprach Anspruch 1 des erteilten Patents in dem das Merkmal einer Menge von 0,1 bis 4 Gew.-% Saatlatex bezogen auf die Gesamtmenge an Monomeren eingefügt wurde.

III. Im Einspruchsverfahren wurden inter alia folgende Dokumente herangezogen:

D3: "Emulsion Polymerization: Effects of Polymerization Variables on the Properties of Vinyl Acetate Based Emulsion Polymers", Hale Berber Yamak, Polymer Science, Chapter 2, Seiten 35-72, INTECH, 2013.

D4: EP 0 536 597 A1

D5: US 2004/0034147 A1

D6: DE 39 22 784 A1

D12: Römpp Chemie Lexikon Online, "Saatpolymerisation", März 2002

D13: Römpp Chemie Lexikon Online, "Emulsionspolymerisation", Dezember 2009

D14: Versuche eingereicht mit Schreiben der Patentinhaberin von 22. Juli 2016

IV. Die Gründe der angefochtenen Entscheidung, die für die vorliegende Beschwerde von Relevanz sind, können folgendermaßen zusammengefasst werden:

Im Hinblick auf D12 und D13 stelle das Verfahren zur Herstellung von Latex D23 in D4 kein Saatlatexverfahren, sondern ein Emulsionszulaufverfahren dar. Gemäß D12 setze der Begriff "Saatlatex" voraus, dass eine in ihrer Teilchengröße einheitliche Dispersion - ob in situ oder woanders vorgebildet - vorhanden sei. Bei der Herstellung von Latex D23 sei aber keine Maßnahme ergriffen worden, um sicherzustellen, dass die Teilchengröße der gebildeten Partikel einheitlich sei. Darüber hinaus sei auf Grund der Emulgator-Konzentration die Neubildung von Latexteilchen in der Zulaufphase nicht ausgeschlossen. Somit sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu gegenüber D4. Im Beispiel 1-5 von D5 sei die Polymerisation in Gegenwart eines Saatlatex und eines anionischen Emulgators durchgeführt worden. Absatz [0064] von D5 offenbare aber, dass der anionische Emulgator durch einen nicht ionischen Emulgator oder durch einen Schutzkolloid ersetzt werden könne. Im Absatz [0068] sei unter Schutzkolloid wasserlösliche Stärke gelistet, die abgebaute Stärke darstellen würde. Der Entscheidung T 332/87 folgend offenbare daher das Beispiel 1-5 von D5 in Lichte der Lehre der Absätzen [0064] und [0068] den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1. Der erteilte Anspruch 1 sei somit nicht neu. Die Neuheit des Anspruchs 1 gemäß 1. Hilfsantrag sei durch die Einführung der Konzentration des Saatlatex in einer Menge von 0,1 bis 4 Gew.-% bezogen auf die Gesamtmenge an Monomeren gegeben. Es sei nicht bestritten worden, dass der 1. Hilfsantrag die Bedingungen der Artikel 123(2), 123(3), 84 und 54 EPÜ erfülle. Hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit bilde D4 den nächstliegenden Stand der Technik. Der Gegenstand des 1. Hilfsantrags unterscheide sich somit von Latex D23 in D4 in der Verwendung eines Saatlatex in einer Menge von 0,1 bis 4 Gew.-% bezogen auf die Gesamtmenge an Monomeren. Im Hinblick auf die Vergleichsversuche im Streitpatent - Vergleichsbeispiel 1 stelle eine Wiederholung von Beispiel D23 von D4 dar - sei die durch den beanspruchten Gegenstand gelöste Aufgabe die Bereitstellung von Bindemitteln für Papierstreichmassen, die niedrig viskös seien und die die Trockenrupffestigkeit des Papiers erhöhen würden. Die Lösung sei weder von D5, noch D6 nahegelegt worden. Der Gegenstand des 1. Hilfsantrags beruhe daher auf einer erfinderischen Tätigkeit. Da der 1. Hilfsantrag die Erfordernisse des EPÜ erfülle, erübrige sich eine Prüfung der mit Schreiben vom 30. Juni 2017 eingereichten 2. und 3. Hilfsanträge.

V. Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags eingereicht mit Schreiben vom 30. Juni 2017 entsprach Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags in dem das Merkmal ", wobei der Saatlatex eine Polystyrol-Polymersaat oder eine Polymethacrylat-Polymersaat ist" nach dem die Menge an Saatlatex definierenden Merkmal eingefügt wurde.

VI. Gegen diese Entscheidung erhoben sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende Beschwerde.

VII. Im Lauf des Beschwerdeverfahrens wurden von der Einsprechenden folgende Dokumente eingereicht:

- Mit der Beschwerdebegründung (Schreiben vom 1. Februar 2018):

D17: Terminology of polymers and polymerization processes in dispersed systems (IUPAC Recommendations 2011), S. Slomkowski et al, Pure Appl. Chem., Vol. 83, No. 12, Seiten 2229-2259, 2011.

- Nach der Beschwerdeerwiderung, mit Schreiben vom 1. März 2019:

D18E: Anlagen 1 bis 5

- Mit Schreiben vom 1. August 2019:

D19: "Wässrige Polymerdispersionen", Dieter Distler, Wiley Verlag GmbH, 1999, Seiten 14 bis 17.

VIII. Im Lauf des Beschwerdeverfahrens wurden von der Patentinhaberin folgende Dokumente eingereicht:

- Nach der Beschwerdeerwiderung, mit Schreiben vom 29. April 2019:

D18P: Versuchsbericht

- Mit Schreiben vom 3. September 2019:

D19a: "Wässrige Polymerdispersionen", Dieter Distler, Wiley Verlag GmbH, 1999, Seiten 13 bis 19.

IX. Außerdem reichte die Patentinhaberin mit Schreiben vom 29. Juni 2018 einen 4. Hilfsantrag ein, dessen Wortlaut für die vorliegende Entscheidung nicht relevant ist.

X. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung erfolgte mit Schreiben von 5. Dezember 2019. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK vom 8. Oktober 2020 teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung mit. Nach vorläufiger Meinung der Kammer offenbare D5 nicht, dass die Beispiele dieses Dokuments, geschweige denn das Beispiel 1-5, in Hinblick auf eine weitere in diesem Dokument enthaltene Lehre zu modifizieren seien. Der Einwand, dass D5 für den Gegenstand von Anspruch 1 neuheitsschädlich sei, sei daher nicht überzeugend. Hinsichtlich der Frage, ob die Dispersion gemäß Anspruch 1 neu gegenüber der Dispersion D23 von D4 sei, stelle sich nicht nur die Frage, ob das Verfahren zur Herstellung der Dispersion D23 in Anwesenheit eines Saatlatex wie im Anspruch 1 des Streitpatents definiert ebenfalls stattgefunden habe, sondern, ob die bloße Definition dieses Verfahrensmerkmals die Neuheit gegenüber der Dispersion D23 von D4 verleihen könne.

XI. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2020 nahm die Patentinhaberin sowohl ihre Beschwerde als auch den bisherigen Hauptantrag zurück.

XII. Die mündliche Verhandlung fand am 11. Dezember 2020 als Videokonferenz statt.

XIII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Einsprechende (Beschwerdeführerin) sind aus den unten stehenden Entscheidungsgründen zu entnehmen. Im Wesentlichen brachte die Beschwerdeführerin vor:

a) Als Zwischenstufe der Herstellung der Dispersion D23 von D4 sei ein Saatlatex hergestellt worden. Somit beschreibe D4 alle Merkmale der Dispersion gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags, inklusive das Verfahrensmerkmal der Verwendung eines Saatlatex, womit die beanspruchte Dispersion nicht neu sei. Selbst, wenn das so erhaltene Zwischenprodukt keinen Saatlatex darstelle, könne dieses Verfahrensmerkmal allein die Neuheit der beanspruchten Dispersion nicht begründen.

b) Die Dispersion gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags sei ausgehend von der Dispersion D23 von D4 als nächstliegendem Stand der Technik und im Hinblick auf die Lehre von D6 nicht erfinderisch.

c) Der 1. Hilfsantrag sei nicht in das Verfahren zuzulassen.

d) Der Dispersion gemäß Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags liege aus den gleichen Gründe wie für den Hauptantrag keine erfinderische Tätigkeit zugrunde.

XIV. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) sind aus den unten stehenden Entscheidungsgründen zu entnehmen. Im Wesentlichen brachte die Beschwerdegegnerin vor:

a) Die Verwendung eines Saatlatex führe zur Herstellung einer Dispersion mit einer engen und monomodalen Größenverteilung der Polymerteilchen. Somit würden sich die beanspruchten Dispersionen von der Dispersion D23 aus D4 unterscheiden. Der Gegenstand des Hauptantrag sei daher neu gegenüber D4.

b) Der 1. Hilfsantrag sei in das Verfahren zuzulassen.

c) Bei Anwendung der beanspruchten Dispersionen als Bindemittel in Papierstreichmassen würde die enge und monomodale Größenverteilung der Polymerteilchen zu unerwarteten Verbesserungen führen. Aus diesem Grund sei ausgehend von der Dispersion D23 von D4 als nächstliegendem Stand der Technik eine erfinderische Tätigkeit anzuerkennen.

XV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Außerdem beantragte die Beschwerdeführerin, die 1. bis 3. Hilfsanträge nicht in das Verfahren zuzulassen.

XVI. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte als Hauptantrag die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung (Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden), hilfsweise auf der Grundlage des 1. oder 2. Hilfsantrags, eingereicht als 2. und 3. Hilfsantrag mit Schreiben vom 30. Juni 2017, weiter hilfsweise auf der Grundlage des 3. Hilfsantrags, eingereicht als 4. Hilfsantrag mit Schreiben vom 29. Juni 2018.

Entscheidungsgründe

Zulassung von Beweismitteln

1. D17 ist mit der Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin eingereicht worden. Gemäß Artikel 25(1) VOBK 2020 ist die revidierte Fassung der VOBK auf alle Fälle anzuwenden, die am Tag des Inkrafttretens anhängig sind, vorbehaltlich der in den Absätzen (2) und (3) genannten Ausnahmen. Nach Artikel 25(2) VOBK 2020 ist Artikel 12 Absätze 4 bis 6 der revidierten Fassung auf Beschwerdebegründungen und darauf fristgerecht eingereichte Erwiderungen, die, wie im vorliegenden Fall, vor dem 1. Januar 2020 eingereicht wurden, nicht anzuwenden. Stattdessen ist weiterhin Artikel 12(4) VOBK 2007 anzuwenden (Artikel 25(2) VOBK 2020).

Alle anderen im Beschwerdeverfahren eingereichten Beweismittel, d.h. D18E, D18P, D19 und D19a sind nach der Beschwerdeerwiderungen der Einsprechenden und der Patentinhaberin, aber vor der Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer, eingereicht worden.

Während der mündlichen Verhandlung waren sich die Beteiligten einig, dass diese im Beschwerdeverfahren eingereichten Beweismittel von der Kammer zu berücksichtigen waren. Die Kammer hat auch keinen Grund, die Dokumente nicht zu berücksichtigen. D17, bzw. D18E, D18P, D19 und D19a, sind daher im Verfahren (Artikel 12 (4) VOBK 2007 (Artikel 25(2) VOBK 2020), bzw. Artikel 13(1) VOBK 2020).

Hauptantrag (Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden)

Neuheit

2. Während der mündlichen Verhandlung wurde die Neuheit des Anspruchs 1 des Hauptantrags lediglich im Hinblick auf die auf Seite 14 von D4 beschriebene Dispersion D23 erhoben. Gemäß diesem Absatz wird die Dispersion D23 dadurch erhalten, dass zuerst ein Gemisch aus spezifischen Mengen Wasser, verzuckerter Stärke, Zulauf 1 (bestehend aus spezifischen Mengen an n-Butylacrylat, Styrol und Acrylsäure, voremulgiert in Wasser mit ethoxylierten Fettalkoholen) und Zulauf 2 (bestehend aus spezifischen Mengen an Natriumperoxi-disulfat als Initiator - siehe Seite 6, Zeilen 37-41 - und Wasser) auf 80°C erhitzt und 15 min bei dieser Temperatur gehalten wird. Die Angabe der Beschwerdegegnerin (Schreiben vom 3. Dezember 2019, Seite 1, letzter Absatz), dass 10 Gew.-% der zu reagierenden Monomeren in dieser ersten Stufe des Verfahrens umgesetzt werden, wurde von der Beschwerdeführerin nicht widersprochen. Die Kammer hat hierzu keinen Grund eine andere Meinung zu vertreten. In einem weiteren Schritt werden unter Aufrechterhaltung der gleichen Temperatur zeitgleich beginnend die Restmengen der Zuläufe 1 und 2 kontinuierlich der Reaktionszone zugeführt. Abschließend wird eine Stunde bei der gleichen Temperatur nachpolymerisiert und auf Raumtemperatur abgekühlt.

3. Es ist nicht streitig, dass nur das Verfahrensmerkmal im vorliegenden Anspruch 1 der Gegenwart eines Saatlatex in einer Menge von 0,1 bis 4 Gew.-% bezogen auf die Gesamtmenge an Monomeren während der Emulsionspolymerisation der Dispersion gemäß vorliegendem Anspruch 1 die Neuheit gegenüber der Dispersion D23 von D4 verleihen könnte. Die Beteiligten waren sich nicht einig, ob das mit der ersten Stufe des Verfahrens (von der Beschwergegnerin als Anpolymerisation bezeichnet) hergestellte Zwischenprodukt als Saatlatex bezeichnet werden kann. Bezug nehmend auf D18E und D18P argumentierte die Beschwerdegegnerin, dass dieses Zwischenprodukt keine Polymerteilchen, deren Polymerisation abgeschlossen sei, und somit keinen Saatlatex darstelle. Zwischen den Beteiligten war es dennoch unstrittig, dass das Verfahrensmerkmal der Gegenwart eines Saatlatex auf jedem Fall die Verwendung einer extern (d.h. nicht in situ) zubereiteten Dispersion von Polymerteilchen, deren Polymerisation abgeschlossen ist (nachstehend externe Saat), deckt. Die Kammer hat keinen Grund, eine andere Meinung zu vertreten, insbesondere im Hinblick auf die Beispiele B1 bis B3 des Streitpatents, die diese Teilauslegung bestätigen. Es ist auch nicht strittig, dass dies eine andere als die bei der Herstellung der Dispersion D23 von D4 verwendete Verfahrensweise darstellt.

4. Selbst wenn man zu Gunsten der Beschwerdegegnerin annehmen würde, dass das Verfahrensmerkmal, dass die Emulsionspolymerisation in Gegenwart eines Saatlatex stattfindet, lediglich die Verwendung einer externen Saat bedeutet, wäre auch zu beachten, dass gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammer (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Auflage, 2019, II.A.7.2) die bloße Definition, dass ein beanspruchtes Produkt durch ein anderes Verfahren als im Stand der Technik erhalten wird, diesem beanspruchten Produkt keine Neuheit verleiht. Zur Neuheitsabgrenzung bedarf es des Nachweises, dass die Abwandlung der Verfahrensparameter zu anderen Erzeugnissen führt (siehe zum Beispiel T 0205/83, ABL. 1986, 211, Punkt 3.2.1 der Gründe; T 1029/05 vom 12. März 2008, Punkt 3.5 der Gründe und T 1247/03 vom 3. Mai 2005, Punkt 2.21 der Gründe). Es ist daher im vorliegenden Fall zu beantworten, ob es nachgewiesenist, dass die Gegenwart einer externen Saat während der Emulsionspolymerisation, wobei der Saatlatex in einer Menge von 0,1 bis 4 Gew.-% bezogen auf die Gesamtmenge an Monomeren verwendet wird, zwangsläufig zu einer gegenüber der Dispersion D23 neuen Dispersion führt, d.h. zu einer Dispersion, die unterschiedliche strukturelle Merkmale aufweist, bzw. andere Eigenschaften besitzt, die auf diese strukturelle Unterscheidungsmerkmale zurückzuführen sind.

4.1 In der angefochtenen Entscheidung vertrat die Einspruchsabteilung hinsichtlich des Anspruchs 1 wie erteilt, d.h. hinsichtlich der Dispersion gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 ohne Einschränkung bezüglich der Menge an Latexteilchen, die Auffassung, dass eine solche Verfahrensweise zur Bildung von Teilchen führe, deren Größe zwangsläufig einheitlich ist, womit die beanspruchte Dispersion eine engere Teilchengrößenverteilung als die Dispersion D23 von D4 habe. Die Beschwerdegegnerin folgte einer ähnlichen Argumentation hinsichtlich des vorliegenden Hauptantrags, wonach durch die Saatsteuerung eine monomodale Verteilung und keine breite Verteilung erhalten werden solle. Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin, impliziere der Wortlaut von Anspruch 1, dass es sich bei der Emulsionspolymerisation um ein Saatpolymerisationsverfahren handele. Diese impliziere nicht nur eine monomodale und enge Verteilung der Saatteilchen, sondern auch die Durchführung einer kontrollierten Emulsionspolymerisation, womit das Verfahren zur Herstellung der beanspruchten Dispersion gemäß vorliegendem Anspruch 1 zu Polymerteilchen mit einer engen und monomodalen Größenverteilung führe. Dem wird von der Beschwerdeführerin widersprochen.

4.2 Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin zu, dass die Monomerzusammensetzung der Saat gemäß Anspruch 1 keine Einschränkung unterliegt, so dass die Zusammensetzung der Saat gemäß Anspruch 1 und die der Monomeren gemäß Merkmalen (a) bis (d) des vorliegenden Anspruchs 1 gleich sein können. Es ist auch nicht strittig, dass dieselbe Monomerzusammensetzung bei der Herstellung von D23 sowohl für die Anpolymerisation als auch für die zweite Stufe der Polymerisation verwendet wird, wobei die verwendete Monomerzusammensetzung der Monomerzusammensetzung gemäß Merkmalen (a) bis (d) des vorliegenden Anspruchs 1 entspricht. Folglich teilt die Kammer die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass die Zusammensetzung der Dispersion gemäß vorliegendem Anspruch 1 kein Unterscheidungsmerkmal gegenüber D23 darstellt, wobei des Weiteren auf Grund des Kontinuums der Monomerzusammensetzung zwischen Saat und gepfropften Polymer, wenn die gleiche Zusammensetzung für die Saat und das gepfropfte Polymer verwendet wird, keine Zuordnung von Saat und auf dieser Saat gepfropftem Polymer möglich ist. Daraus folgt, dass die verwendete Menge an Saatlatex bezogen auf die Gesamtmenge an Monomer, die für die Emulsionspolymerisation verwendet wurde, kein Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Dispersion D23 darstellen kann, wenn die gleiche Zusammensetzung für die Saat und die Monomeren gemäß Merkmalen (a) bis (d) im vorliegenden Anspruch 1 verwendet wird.

4.3 Betreffend das von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte Argument, dass eine monomodale und enge Größenverteilung der Polymerteilchen durch die Verwendung eines Saatlatex während der Polymerisationsemulsion erhalten wird, ist, wie von der Beschwerdeführerin angemerkt, festzustellen, dass alle Teilchen in einem Saatlatex nicht eine ähnliche Größe haben müssen. Eine solche Definition ist aus dem vorliegenden Anspruch 1 nicht zu entnehmen, der hinsichtlich der Merkmale der Größe und der Größenverteilung der Polymerteilchen in Saat offen ist. Dies wird durch die Beschreibung der Patentschrift im Absatz [0019] bestätigt, wonach die Verwendung einer monomodalen Polymersaat und einer engen Teilchengrößenverteilung lediglich als vorteilhaft, aber nicht als zwingend dargestellt wird. Dies hat zur Folge, dass die Verwendung einer Saat gemäß vorliegendem Anspruch 1, selbst unter Bedingungen, die zu Polymerteilchen führen würden, deren Größenverteilung der Modalität und Breite der verwendeten Saat ähneln würde (von der Beschwerdegegnerin als reproduzierbare Emulsionspolymerisation bezeichnet), nicht zwangsläufig zu einer monomodalen und engen Größenverteilung der Polymerteilchen führt.

4.4 Das weitere Argument der Beschwerdegegnerin, dass die Verwendung einer Saat zu einer Reproduzierbarkeit der Größenverteilung der Polymerteilchen führe, ist im Hinblick auf das allgemeine Fachwissen über das Emulsionspolymerisationsverfahren unter Verwendung einer externen Saat zu betrachten. Dieses Fachwissen wird in D3 (überbrückender Absatz zwischen den Seiten 55 und 56), D12, D13 (Seite 3, Punkt 4), D17 (Punkte 6.1.10, 7.10) und D19 (Seite 16, zweiter vollständiger Absatz und Seite 18, dritten Absatz) dokumentiert. Hinsichtlich D17 ist anzumerken, dass dieses Dokument ca. drei Monate nach dem Anmeldetag des Streitpatents veröffentlicht wurde. Dennoch ist die Kammer der Überzeugung, dass D17, weil es die von der IUPAC empfohlene Terminologie auf dem vorliegenden Gebiet betrifft, das allgemeine Fachwissen über das Polymerisationsverfahren in dispergierten Systemen am Anmeldetag widerspiegelt. Dieses wurde von den Beteiligten nicht bestritten.

4.4.1 D12 beschreibt, dass ein Saatlatexverfahren, insbesondere bei der Herstellung von Latizes mit sehr enger Teilchengrößenverteilung sowie von Latizes aus mehr als einer Sorte von Monomeren, angewandt wird, aber nicht, dass es sich bei einem Saatlatexverfahren ausschließlich um solche Verfahren handelt. In D12 wird im zweiten Absatz darauf hingewiesen, dass darauf zu achten ist, dass die Emulgator-Konzentration im System nicht den kritischen Wert überschreitet, oberhalb dessen es zu Latex-Teilchenneubildung kommt. Anderenfalls führen die neu entstehenden, viel kleineren Latex-Teilchen zu einer starken Verbreitung der Größenverteilung.

4.4.2 Dies wird auf der dritten Seite von D13 (Punkt 4 unter "Diskontinuierliche Verfahren") bestätigt, in dem angegeben wird, dass ein Saatlatexverfahren die Erzeugung von Polymerisaten mit breiter Teilchengrößenverteilung erlaubt.

4.4.3 Außerdem wird in D3 (Seite 55, letzter Absatz), D17 (Punkt 6.1.10) und D19 (Seite 16, zweiter vollständiger Absatz) ebenfalls bestätigt, dass die Verwendung eines Saatlatex allein nicht ausreichend ist, um eine enge Teilchengrößenverteilung zu erhalten, sondern, dass zusätzliche Maßnahmen getroffen werden müssen, um Teilchenneubildung zu verhindern. In den oben genannten Passagen von D3 und D19 wird ebenfalls betont, dass die Emulgator-Konzentration in System zu kontrollieren ist, so dass keine neuen Partikel entstehen.

4.4.4 Daraus folgt, dass die bloße Definition, dass die Polymerisation in Gegenwart einer bestimmten Menge eines externen Saatlatex stattfindet, ohne wie im vorliegenden Fall unter anderem die relativen Konzentrationen an Emulgator und Monomer im Verlauf der Emulsionspolymerisation anzugeben, nicht ausreichend ist, um zu gewährleisten, dass das Emulsionspolymerisation zu einer reproduzierbaren Teilchengrößeverteilung führt, d.h. zu einer Teilchengrößenverteilung, deren Breite und Modalität denen der Saat entsprechen.

4.5 Ferner betreffen die im Streitpatent enthaltenen Beispiele, worauf sich das Vorbringen der Beschwerdegegnerin ebenfalls stützt, nur ein spezifisches Verfahren unter Anwendung eines spezifischen Saatlatex und spezifischen Verfahrensbedingungen. Das gleiche gilt für das Beispiel gemäß Streitpatent aus D14.

4.5.1 Die in diesen Beispielen verwendete spezifische externe Saatlatex und die spezifischen Verfahrenbedingungen sind aber nicht im vorliegenden Anspruch 1 widergespiegelt, der hinsichtlich der Teilchengröße und Teilchengrößenverteilung der verwendeten Saat und des Verlaufes der Emulgatorszugabe offen ist. Die von der Beschwerdegegnerin herangezogenen Versuche eignen sich daher nicht, um zu belegen, dass die bloße Gegenwart einer externen Saat während der Emulsionspolymerisation, wobei der Saatlatex in einer Menge von 0,1 bis 4 Gew.-% bezogen auf die Gesamtmenge an Monomeren verwendet wird, zu einer Dispersion führt, die gegenüber der Dispersion D23 von D4 unterschiedliche strukturelle Merkmale aufweist.

4.5.2 Hinsichtlich des Arguments der Beschwerdegegnerin, dass die im Streitpatent enthaltenen Beispiele und Vergleichsbeispiele zeigen würden, dass die Verwendung der erfindungsgemäßen Dispersionen gegenüber der Dispersion von D23 bei der Herstellung von Papierstreichmassen zu deutlich verbesserten Trockenrupffestigkeit und Rakeldruck führt, ist im Hinblick auf Tabelle 1 des Streitpatents festzustellen, dass diese angebliche Verbesserung lediglich in Verbindung mit unterschiedlichen Teilchengrößen, aber nicht mit weiteren strukturellen Merkmalen der Dispersion gebracht wird. Da, wie oben dargestellt, die Teilchengröße der beanspruchten Dispersion kein Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Dispersion D23 von D4 darstellt, können diese im Streitpatent enthaltenen Vergleichsbeispiele nicht belegen, dass diese angeblich anderen Eigenschaften der beanspruchten Dispersion auf strukturelle Unterscheidungsmerkmale gegenüber der Dispersion D23 von D4 zurückzuführen sind.

4.6 Bezug nehmend auf die Versuche D19E, die die Herstellung der Dispersion D23 nachstellen sollen, argumentierte die Beschwerdegegnerin ferner, dass Anlagen 2 und 3 das Erhalten einer Teilchengrößenverteilung mit einem breiten "Tailing" und mehrere Maxima zeigen würde. Somit handele es sich ihrer Meinung nach bei der Herstellung der Dispersion D23 nicht wie im Streitpatent um eine saatgesteuerte Polymerisation, mittels der eine breite Verteilung vermieden werden soll und zu einer monomodalen Verteilung der Polymerteilchen führe. Dieses Argument führt aber in die Leere, da, wie oben dargestellt, nicht glaubhaft ist, dass die beanspruchte Dispersion eine andere Teilchengrößenverteilung als die Dispersion D23 von D4 zwangsläufig aufweist.

5. Da aus den in Punkten 4.2 bis 4.6 genannten Gründen nicht dargestellt wurde, dass das Verfahrensmerkmal der Gegenwart eines Saatlatex in einer Menge von 0,1 bis 4 Gew.-% bezogen auf die Gesamtmenge an Monomeren während der Emulsionspolymerisation im Kontext des vorliegenden Anspruchs 1 zu einem unterschiedlichen strukturellen Merkmal gegenüber der Dispersion D23 von D4 führt, fehlt dem Gegenstand des Anspruchs 1 die Neuheit. Da der Hauptantrag aus diesem Grund schon nicht gewährbar ist, kann die Frage, ob das Zwischenprodukt, das nach der Anpolymerisation für die Herstellung der Dispersion D23 von D4 erhalten wird, auch als Saatlatex bezeichnet werden kann, womit aus diesem weiteren Grund die Neuheit gegenüber der Dispersion D23 von D4 ebenfalls abzuerkennen wäre, dahingestellt werden.

1. Hilfsantrag

6. Der 1. Hilfsantrag wurde vor der Einspruchsabteilung als 2. Hilfsantrag mit Schreiben vom 30. Juni 2017 eingereicht. Eine Entscheidung über seine Zulassung ins Einspruchsverfahren wurde aber nicht getroffen. Dieser Antrag unterscheidet sich vom vorliegenden Hauptantrag dadurch, dass der Saatlatex als Polystyrol-Polymersaat oder Polymethylmethacrylat-Polymersaat definiert wird.

7. Die Beschwerdeführerin trug vor, dass der 1. Hilfsantrag nicht zuzulassen sei, weil dieser Antrag, insbesondere hinsichtlich der Frage der erfinderischen Tätigkeit, nicht begründet sei.

7.1 Es wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten, dass die Präzisierung der chemischen Zusammensetzung der Saat im 1. Hilfsantrag offensichtlich zumindest dazu diente, den Einwand der mangelnden Neuheit gegen den Hauptantrag, d.h. den 1. Hilfsantrag im Einspruchsverfahren, zu begegnen. Somit kann die Verteidigung dieses 1. Hilfsantrags als eine legitime Antwort auf die erst von der Kammer gestellte Frage angesehen werden, ob das Verfahrensmerkmal der Verwendung eines Saatlatex in einer Menge von 0,1 bis 4 Gew.-% bezogen auf die Gesamtmenge an Monomeren im Hauptantrag die Neuheit gegenüber der Dispersion D23 von D4 herstellen konnte. Unter diesen Umständen sieht die Kammer keinen Grund, ihr gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 (Artikel 25(2) VOBK 2020) zukommendes Ermessen dahingehend auszuüben, den 1. Hilfsantrag nicht in das Verfahren zuzulassen.

7.2 Die Beschwerdeführerin machte keinen Einwand gegen die Neuheit des beanspruchten Gegenstands geltend. Die Kammer hat daher keinen Grund, dessen Neuheit nicht anzuerkennen. Die Beschwerdeführerin brachte lediglich vor, dass der beanspruchte Gegenstand ausgehend von der Dispersion D23 von D4 als nächstliegendem Stand der Technik aus den gleichen Gründen wie für den Hauptantrag angegeben keine erfinderische Tätigkeit aufweise. Die Argumente der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Frage der erfinderischen Tätigkeit, sowohl im schriftlichen Verfahren (Schreiben vom 10. November 2020, Punkte 6.1. und 6.2 und Schreiben vom 1. Februar 2018, Punkte 5.1 bis 5.4), als auch während der mündlichen Verhandlung, bezogen sich nicht auf die Verwendung eines Latex, deren Zusammensetzung im 1. Hilfsantrag nun definiert wird, sondern lediglich auf die Verwendung einer Saat gemäß D6, deren chemische Natur nicht angegeben wird, oder auf das Zwischenprodukt erhalten nach der Anpolymerisation für die Herstellung der Dispersion D23 von D4, deren Zusammensetzung sich von der Zusammensetzung der Saat gemäß vorliegendem Anspruch 1 wie oben erklärt unterscheidet. Der Einwand der Beschwerdeführerin hinsichtlich einer mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der Dispersion D23 von D4 als nächstliegendem Stand der Technik und in Anbetracht von D6, wobei beide Dokumente nicht eine Saat gemäß Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags betreffen, kann daher nicht überzeugen. Die Beschwerdeführerin erklärte, keine weiteren Einwände gegen den 1. Hilfsantrag zu haben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche gemäß 1. Hilfsantrag, eingereicht als 2. Hilfsantrag mit Schreiben vom 30. Juni 2017, und mit einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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