T 2484/17 () of 8.10.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T248417.20201008
Datum der Entscheidung: 08 October 2020
Aktenzeichen: T 2484/17
Anmeldenummer: 11711777.0
IPC-Klasse: B60T13/68
B60T17/00
B60T17/02
F04B49/02
F04B49/22
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: EINRICHTUNG, VERFAHREN UND SYSTEM ZUR DRUCKLUFTSTEUERUNG UND DRUCKLUFTVERSORGUNG
Name des Anmelders: WABCO GmbH
Name des Einsprechenden: Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(1) (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - Hilfsantrag 1 (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 2 (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 2 582 560 in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde, Beschwerde eingelegt.

II. In der angefochtenen Entscheidung wird unter anderem von folgenden Entgegenhaltungen ausgegangen, die auch der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegen:

E1: EP 1 208 026 B1;

E9: EP 1 042 151 B1;

E13: WO 2010/051868 A1.

III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sowie der Gegenstand des Anspruchs 9 des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 1 nicht neu seien gegenüber E13. Allerdings wurde die Neuheit des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1, der in den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 2 übernommen wurde, gegenüber E13 und E9 anerkannt, da aus diesen Druckschriften kein pneumatisch betätigbares Entlüftungsventil bekannt sei. Auch der Gegenstand von Anspruch 9 gemäß Hilfsantrag 2 wurde als neu gegenüber E13 und E9 angesehen, da das Zufuhrsteuerventil in Abhängigkeit von dem Entlüftungsventil angesteuert werde. Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 9 des Hilfsantrags 2 erfüllten auch die Erfordernisse hinsichtlich des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit.

IV. Wie in der Beschwerdebegründung vom 15. Januar 2018 ausgeführt (siehe dort Seiten 1 und 2), wendet sich die Beschwerde "vornehmlich gegen eine aus Sicht der Beschwerdeführerin falsche Bewertung des Offenbarungs­gehalts der im vorausgegangenen erstinstanzlichen Einspruchsverfahren diskutierten Entgegenhaltungen E9 (EP 1 042 151 B1) sowie E13 (WO 2010/051868 A1)".

Die Beschwerde wird damit begründet (siehe Seite 2), "dass auch der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 des Einspruchspatents in der aufrechterhaltenen Fassung im Sinne von Art. 100a EPÜ nicht patentfähig ist, da dieser vor dem Hintergrund des Offenbarungsgehalts der E9 nicht neu ist, zumindest jedoch unter Heranziehung der E13 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht."

V. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents in vollem Umfang.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Basis eines der mit Beschwerdeerwiderung vom 4. April 2018 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3.

Beide Parteien hatten auch einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt.

VI. Die Parteien wurden daraufhin zu einer mündlichen Verhandlung am 29. Juli 2020 geladen.

VII. In einer Mitteilung der Kammer vom 7. April 2020 gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerde­kammern in der seit 1. Januar 2020 geltenden Fassung (VOBK 2020, siehe ABl. EPA Juli 2109, A63) hat die Kammer ihre vorläufige Meinung erläutert, wonach die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 in der erstinstanzlich aufrechterhaltenen Fassung gegenüber der Offenbarung der E9 fraglich sei und und die zusätzlichen Merkmale der Hilfsanträge 1 und 3 aus E9 bekannt seien. Allerdings scheine Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 gegenüber dem Stand der Technik abgegrenzt. Es wurde noch auf einen (durch Anpassung der zweiteiligen Form entstandenen) sprachlichen Mangel in Anspruch 1 der Hilfsanträge hingewiesen sowie bei entsprechend angepasster Antragslage (insbesondere der Anträge der Parteien auf mündliche Verhandlung) gegebenenfalls eine Entscheidung der Kammer im schriftlichen Verfahren in Aussicht gestellt.

VIII. Mit Schreiben vom 23. Juni 2020 nahm die Beschwerdegegnerin den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück, "Sofern die Kammer das Einspruchspatent mindestens im Rahmen des Hilfsantrags 2 der Patentinhaberin aufrechterhält".

Die Beschwerdeführerin zog mit Schreiben vom 24. Juni 2020 den Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung zurück, "falls im schriftlichen Verfahren eine Entscheidung auf Basis des 2. Hilfsantrags der Patentinhaberin erfolgt."

IX. Mit einem weiteren Schreiben vom 24. Juni 2020 reichte die Beschwerdegegnerin einen korrigierten Hilfsantrag 2 ein, in dem der in der Mitteilung der Kammer angesprochene sprachliche Mangel in Anspruch 1 korrigiert wurde, sowie eine angepasste Beschreibung.

Diese Fassung wurde der Beschwerdeführerin und der Kammer vorab per Email am 24. Juni 2020 zugesandt. Die Beschwerdeführerin bestätigte daraufhin umgehend per Email, dass es keine Einwände ihrerseits gebe.

X. Mit Verfügung der Kammer vom 25. Juni 2020 wurde daraufhin der Termin zu mündlichen Verhandlung vom 29. Juli 2020 aufgehoben und den Parteien mit Mitteilung vom 30. Juni 2020 mitgeteilt.

XI. Die geltenden Anträge der Parteien lauten demnach wie folgt:

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents in vollem Umfang.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Basis des mit Beschwerdeerwiderung vom 4. April 2018 eingereichten Hilfsantrags 1, oder des mit Schreiben vom 24. Juni 2020 eingereichten Hilfsantrags 2, oder des mit der Beschwerdeerwiderung vom 4. April 2018 eingereichten Hilfsantrags 3.

Die von beiden Parteien gestellten Anträge auf mündliche Verhandlung wurden zurückgezogen für den Fall, dass im schriftlichen Verfahren eine Entscheidung auf Basis des 2. Hilfsantrags der Patentinhaberin erfolgt (Beschwerdeführerin) bzw. das Patents mindestens im Rahmen des 2. Hilfsantrags aufrechterhalten wird (Beschwerdegegnerin).

XII. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:

"Druckluftsteuerungseinrichtung (2) zur Steuerung jeweiliger Betriebszustände eines Kompressors (6) und einer Lufttrocknungseinrichtung (8),

- wobei die Druckluftsteuerungseinrichtung (2) einen Kompressorsteuerausgang (62) aufweist, über den sie zum pneumatischen Schalten des Betriebszustands des Kompressors (6) pneumatisch mit einem Steuereingang des Kompressors (6) verbindbar ist,

- wobei die Druckluftsteuerungseinrichtung (2) einen Systemdruckeingang (28) aufweist, über den sie pneumatisch mit einer Systemdruckleitung (21), die einen vom Kompressor (6) erzeugten Systemdruck führt, verbindbar ist,

- wobei die Druckluftsteuerungseinrichtung (2) einen Entlüftungssteuerausgang aufweist, über den sie zum pneumatischen Schalten des Betriebszustands der Lufttrocknungseinrichtung (8) pneumatisch mit einem Steuereingang der Lufttrocknungseinrichtung (8) verbindbar ist,

- und wobei die Druckluftsteuerungseinrichtung (2) ein pneumatisch betätigbares, Entlüftungssteuer­ventil (14) aufweist, mittels dem zum Schalten des Betriebszustands der Lufttrocknungseinrichtung (8) der Systemdruckeingang (28) in Abhängigkeit vom Systemdruck pneumatisch mit dem Entlüftungssteuerausgang (36) verbindbar ist,

wobei

ein elektrisch betätigbares Zufuhrsteuerventil (12), mittels dem zum Schalten des Betriebszustands des Kompressors (6) der Systemdruckeingang (28) unabhängig vom Systemdruck pneumatisch mit dem Kompressorsteuerausgang (62) verbindbar ist."

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 wurde gegenüber dem Anspruch 1 des Hauptantrags noch um das folgende kennzeichnende Merkmal ergänzt:

"...

dadurch gekennzeichnet, dass

das Zufuhrsteuerventil (12) zwei Schaltzustände aufweist, wobei der Kompressorsteuerausgang (62), insbesondere jeweils unabhängig vom Systemdruck, in einem ersten Schaltzustand mit dem Entlüftungssteuerausgang (36) oder mit einer Entlüftung (84) und in einem zweiten Schaltzustand mit dem Systemdruckeingang (28) pneumatisch verbunden ist."

In Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 würde gegenüber Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 der Ausdruck "insbesondere" im kennzeichnenden Teil gestrichen und das letzte Merkmal im Oberbegriff sprachlich korrigiert, so dass der gegenüber dem Anspruch 1 des Hauptantrags geänderte Teil des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 nun wie folgt lautet:

...

mit

einem elektrisch betätigbaren Zufuhrsteuerventil (12), mittels dem zum Schalten des Betriebszustands des Kompressors (6) der Systemdruckeingang (28) unabhängig vom Systemdruck pneumatisch mit dem Kompressorsteuerausgang (62) verbindbar ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

das Zufuhrsteuerventil (12) zwei Schaltzustände aufweist, wobei der Kompressorsteuerausgang (62), jeweils unabhängig vom Systemdruck, in einem ersten Schaltzustand mit dem Entlüftungssteuerausgang (36) oder mit einer Entlüftung (84) und in einem zweiten Schaltzustand mit dem Systemdruckeingang (28) pneumatisch verbunden ist."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag

2.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist nicht neu gegenüber E9 (Artikel 54(1) EPÜ).

2.2 E9 offenbart (Figur 3 mit zugehöriger Beschreibung) eine in eine Druckluftaufbereitungsanlage integrierte Druckluftsteuerungseinrichtung zur Steuerung jeweiliger Betriebszustände eines Kompressors (LP, mit Füllanschluss 20 - gesteuert über Magnetventil 2, pneumatisches Schaltventil 23, ECU 24) und einer Lufttrocknungseinrichtung (Lufttrockner 10 - dessen Regeneration gesteuert wird über Regenerationsmagnet­ventil 15, oder über das mittels Ventil 14 angesteuerte Backup-Regenerationsventil 16, sowie Ventil 1), aufweisend

- einen Kompressorsteuerausgang (A4), über den die Druckluftsteuerungseinrichtung zum pneumatischen Schalten des Betriebszustand des Kompressors (LP) pneumatisch mit einem Steuereingang des Kompressors (LP) verbindbar ist (Kompressor als Energiespar­schaltkompressor LP, siehe Absatz [0040]),

- einen Systemdruckeingang (Abgriff über Leitung 22 zu Eingang Magnetventil 2), über den die Druckluftsteuerungseinrichtung pneumatisch mit einer Systemdruckleitung (22), die einen vom Kompressor (LP) erzeugten Systemdruck führt, verbindbar ist (siehe Absatz [0022]),

- einen Entlüftungssteuerausgang (vom Ausgang des Entlüftungssteuerventils abzweigende Leitung 31), über den die Druckluftsteuerungseinrichtung zum pneumatischen Schalten des Betriebszustands der Lufttrocknungseinrichtung (Druckluftbeaufschlagung der Leitung 31 schaltet sowohl Regenerationsventil 16 zur Freigabe des Regenerationspfades in umgekehrter Richtung durch den Lufttrockner 10, als auch Ventil 1, so dass der Kompressor ins Freie fördert) pneumatisch mit einem Steuereingang der Lufttrocknungseinrichtung (Steuereingänge der Ventile 1 und 16) verbindbar ist (siehe Absatz [0037]),

- ein pneumatisch betätigbares, Entlüftungssteuer­ventil (pneumatisch betätigbares Ventil 14), mittels dem zum Schalten des Betriebszustands der Lufttrocknungseinrichtung (10, 14-16, 1) der Systemdruckeingang (Abgriff von Leitung 22) in Abhängigkeit vom Systemdruck (pneumatische Vorsteuerung gegen Federkraft gemäß Schaltsymbol des Ventils 14) pneumatisch mit dem Entlüftungssteuerausgang (31) verbindbar ist,

- ein elektrisch betätigbares Zufuhrsteuerventil (2), mittels dem zum Schalten des Betriebszustands des Kompressors (LP) der Systemdruckeingang (Abgriff von Leitung 22) unabhängig vom Systemdruck pneumatisch (über das als Relaisventil wirkende pneumatische Schaltventil 23) mit dem Kompressorsteuerausgang (A4) verbindbar ist.

2.3 Die Kammer folgt damit der Beschwerdeführerin darin, dass - entgegen der Feststellung in der angefochtenen Entscheidung - aus E9 ein pneumatisch betätigbares Entlüftungssteuerventil hervorgeht, und zwar das in Figur 3 gezeigte pneumatisch betätigte Druckregler­vorsteuerventil 14. Denn dieses steuert (wie in E9 in Absatz [0037] beschrieben) den Druckregler 1 in einen Schaltzustand um, dass dieser entlüftet. Anders als in der angefochtenen Entscheidung festgehalten, hat die Einsprechende in ihrer Einspruchsbegründung (siehe Seite 27) die Ventile 2 und 23 in Figur 3 der E9 nicht mit dem beanspruchten pneumatisch betätigten Entlüftungsventil identifiziert, sondern mit dem elektrisch betätigbaren Zufuhrsteuerventil 12 gemäß Streitpatent in Beziehung gesetzt.

Das elektrisch betätigte Ventil 2 aus E9 stellt dabei bereits für sich betrachtet (ohne Relaisventil 23) ein Zufuhrsteuerventil im Sinne von Anspruch 1 dar, da Anspruch 1 keine direkte bzw. unmittelbare pneumatische Verbindung des Systemdruckeingangs über das Zufuhrsteuerventil mit dem Kompressorsteuerausgang fordert. Die Ansteuerung des Magnetventils 2 (siehe Schaltsymbol in Figur 3) erfolgt elektrisch und damit unabhängig vom Systemdruck, so dass auch die mit Anspruch 1 geforderte Verbindbarkeit unabhängig vom Systemdruck vorliegt.

Das Argument der Einspruchsabteilung, dass "... die Schaltung des Relaisventils 23 abhängig vom geregelten Druck aus Regler 5 und damit nicht unabhängig vom Systemdruck" sei, mag zwar zutreffen (siehe dazu weiter unten die Ausführungen zum Hilfsantrag 2), setzt aber eine Interpretation von Anspruch 1 voraus, die nach Auffassung der Kammer durch den Wortlaut von Anspruch 1 nicht notwendigerweise gefordert ist. Der Ausdruck "unabhängig vom Systemdruck" in Anspruch 1 ist nicht eindeutig auf die Verbindung des Systemdruckeingangs mit dem Kompressorsteuerausgang zu beziehen, die in E9 durch Umschalten des Relaisventils hergestellt wird, sondern kann auch lediglich die elektrische (im Unterschied zu einer pneumatischen) Ansteuerung des Zufuhrsteuerventils hervorheben. Eine solche breite Auslegung des Gegenstands von Anspruch 1 ist angesichts der zusätzlichen Merkmale des abhängigen Anspruchs 2 sogar geboten, denn diese Merkmale spezifizieren die Verbindungen des Kompressorsteuerausgangs für die zwei Schaltzustände des Zufuhrsteuerventils nur fakultativ als unabhängig vom Systemdruck ("insbesondere jeweils unabhängig vom Systemdruck").

2.4 Das Argument der Beschwerdegegnerin (unter Verweis auf die im Streitpatent gezeigte Regeneration auch bei Elektronikausfall), dass E9 eine elektronische Ansteuerung der Ventile bevorzuge, war gegen den Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von E9 gerichtet, falls (wie in der angefochtenen Entscheidung) von einem elektrisch betätigbaren Entlüftungsventil in E9 als Unterschiedsmerkmal ausgegangen würde. Da die Kammer diesen Unterschied gegenüber E9 nicht sieht (siehe oben), muss darauf nicht weiter eingegangen werden.

Die Beschwerdegegnerin sieht noch einen weiteren Unterschied gegenüber E9 darin, dass E9 kein gezieltes An und Ausschalten des Kompressors zeige. Allerdings ist eine solche Ansteuerung explizit in E9 in Zusammenhang mit der Beschreibung der Figur 3 und dem Vorsehen einer Abschaltung des Kompressors über den Ausgang A4 offenbart (siehe Absatz [0040]).

2.5 Der vorliegende Hauptantrag ist somit aufgrund fehlender Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber E9 nicht gewährbar.

3. Hilfsantrag 1

3.1 Die gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags hinzugefügten Merkmale in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 sind nicht geeignet, Neuheit gegenüber E9 herzustellen.

3.2 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 spezifiziert das Zufuhrsteuerventil zusätzlich dahingehend, dass es zwei Schaltzustände aufweist, die eine pneumatische Verbindung herstellen zwischen

- Kompressorsteuerausgang und Entlüftungssteuerausgang

oder einer Entlüftung (erster Schaltzustand) bzw.

- Kompressorsteuerausgang und Systemdruckeingang

(zweiter Schaltzustand).

Damit wird das Zufuhrsteuerventil als 3/2-Wegeventil spezifiziert, mit 3 Ports (Entlüftungssteuerausgang oder Entlüftung, Systemdruckeingang, Kompressorsteuer­ausgang) und 2 Schaltzuständen (Entlüften, Belüften), wobei der erste Schaltzustand zudem zwei Alternativen umfasst, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen.

3.3 Die Kammer folgt der Beschwerdeführerin darin, dass der zweite Schaltzustand sowie in Bezug auf den ersten Schaltzustand zumindest die zweite Alternative gemäß Anspruch 1 aus E9 hervorgehen. Wie in E9 in Figur 3 gezeigt, wird der Kompressorsteuerausgang (A4) über das Relaisventil 23 in einem ersten Schaltzustand des Zufuhrsteuerventils (2) mit einer Entlüftung (21) und in einem zweiten Schaltzustand mit dem Systemdruckeingang (22) verbunden.

Wie bereits zum Hauptantrag ausgeführt, verlangt der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht notwendigerweise eine direkte Leitungsverbindung (also ohne das in E9 zwischengeschaltete Relaisventil) des Kompressorsteuerausgangs mit dem Zufuhrsteuerventil. Zudem wird das Merkmal "insbesondere jeweils unabhängig vom Systemdruck" als fakultativ und damit nicht limitierend angesehen.

3.4 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 ist demnach aufgrund fehlender Neuheit gegenüber E9 nicht gewährbar (Artikel 54(1) EPÜ).

4. Hilfsantrag 2

4.1 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 beruht auf einer Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 2, in denen zudem die Ausdrücke "insbesondere" gestrichen und somit die entsprechenden Merkmale nicht mehr als fakultativ anzusehen sind.

Die Kammer hat keine Einwände unter Artikel 84 oder Artikel 123 EPÜ gegen die Zulässigkeit dieser Änderungen, die im Übrigen auch seitens der Beschwerdeführerin nicht beanstandet wurden.

4.2 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 ist neu gegenüber E9 (Artikel 54 (1) EPÜ).

4.2.1 Anspruch 1 fordert im kennzeichnenden Teil, dass in den zwei Schaltzuständen des Zufuhrsteuerventils (siehe oben zu Hilfsantrag 1) der Kompressorsteuerausgang "jeweils unabhängig vom Systemdruck" entweder mit einer Entlüftung bzw. dem Entlüftungssteuerausgang oder mit dem Systemdruckeingang pneumatisch verbunden ist.

In E9 ist die Verbindung des Kompressorsteuerausgangs mit dem Systemdruckeingang im zweiten Schaltzustand noch abhängig vom Schaltzustand des Relaisventils 23, das (da federbelastet, siehe Schaltsymbol in Figur 3) einen gewissen Steuerdruck zum Schalten in die Belüftungsstellung benötigt. Dieser Steuerdruck wird über das geschaltete Zufuhrsteuerventil 2 zur Verfügung gestellt, welches im zweiten Schaltzustand den an der Systemdruckleitung 22 anliegende Druck zum Relaisventil 23 durchschaltet. Abhängig von der Höhe dieses Steuerdrucks, also des Systemdrucks, wird dann eine pneumatische Verbindung zwischen Systemdruckeingang und Kompressorsteuerausgang hergestellt.

4.2.2 Damit ist in E9 nicht offenbart, dass im zweiten Schaltzustand des Zufuhrsteuerventils der Kompressorsteuerausgang unabhängig vom Systemdruck mit dem Systemdruckeingang pneumatisch verbunden ist.

Die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 ist also anzuerkennen.

4.3 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 ist auch neu gegenüber E13 (Artikel 54 (1) EPÜ), wie bereits in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, da E13 kein pneumatisch betätigbares Entlüftungsventil im Sinne von Anspruch 1 zeigt, d. h. mittels dem der Systemdruckeingang in Abhängigkeit vom Systemdruck pneumatisch mit dem Entlüftungssteuerausgang verbindbar ist.

Mangelnde Neuheit gegenüber E13 wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht mehr vorgetragen.

4.4 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

4.4.1 Ausgehend von E9 als nächstliegendem Stand der Technik unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 von der Lehre der E9 darin, dass der Kompressorsteuerausgang unabhängig vom Systemdruck mit dem Systemdruckeingang pneumatisch verbunden ist.

4.4.2 Dieses Unterschiedsmerkmal ermöglicht ein Abschalten des Kompressors auch bei niedrigeren Systemdrücken, die noch nicht zum Schalten des Betriebszustandes der Lufttrocknungseinrichtung (also dem Einleiten einer Regenerationsphase) über das pneumatisch betätigbare Entlüftungssteuerventil führen. Wie im Streitpatent ausgeführt, wird damit eine flexible und damit energiesparende Ansteuerung des Kompressors zur Förderung von Druckluft erreicht. Die sich stellende objektive technische Aufgabe ist also darin zu sehen, eine flexible Ansteuerung des Kompressors vorzusehen.

4.4.3 Die in E9 gezeigte Ventilkombination 2+23 wird zwar auf Seite des Magnetventils 2 elektrisch angesteuert, aber als Ventilkombination - entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin - nicht in dem Sinne unabhängig vom Systemdruck geschaltet, wie nun mit Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 gefordert und bereits zur Neuheit ausgeführt. Bei der gestellten Aufgabe wird dem Fachmann nach Auffassung der Kammer auch nicht nahegelegt, konstruktiv an der aus E9 bekannten Anlage etwas zu ändern und in einem Schaltzustand der Ventile 2 und 23 eine pneumatische Verbindung des Kompressor­steuerausgang mit dem Systemdruckeingang unabhängig vom Systemdruck vorzusehen, da zur Lösung der gestellten Aufgabe beispielsweise auch Maßnahmen auf der Steuerungsseite denkbar sind.

4.4.4 Die Beschwerdeführerin weist auch auf die in E13 oder E1 gezeigte elektrische Ansteuerung hin, welche der Fachmann ebenfalls als Alternativen berücksichtigen würde.

Die Kammer war aber nicht überzeugt, dass der Fachmann ausgehend von E9 und unter Berücksichtigung der Lehre von E13 in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 gelangt wäre. Denn E13 verzichtet auf die in E9 noch gezeigte Backup-Regeneration im stromlosen Zustand, die über die rein pneumatisch betätigten Ventile 1, 14, 16 gesteuert wird, und steuert die Regenerationsphasen nur noch über die elektrisch betätigbaren Ventile 23 und 24. E13 legt damit nahe, von einer pneumatisch über den Systemdruck gesteuerten Regeneration abzusehen und auf das in E9 pneumatisch betätigbare Entlüftungssteuerventil 14 zu verzichten. Die Kombination von E9 mit E13 führt damit nach Auffassung der Kammer nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1, der noch ein pneumatisch betätigbares Entlüftungssteuerventil zur Verbindung des Systemdruckeingangs mit dem Entlüftungssteuerausgang fordert.

E1 zeigt ein timergesteuertes Magnetventil 24, allerdings nachgeschaltet zu einem pneumatisch, in Abhängigkeit des Systemdrucks betätigbaren Ventil, welches dem Vorsteuerventil 14 aus E9 entspricht, das eine Regeneration auch im stromlosen Zustand erlaubt. Damit legt E1 allenfalls nahe, das aus E1 bekannte Magnetventil in Verbindung mit dem Vorsteuerventil 14 aus E9 zum Schalten des Entlüftungssteuerausgangs 31 in E9 vorzusehen, jedoch nicht um eine pneumatische Verbindung mit dem Kompressorsteuerausgang A4 in E9 herzustellen. Zudem wird der das Magnetventil 24 in E1 ansteuernde Timer in Abhängigkeit des Systemdrucks gesteuert, d. h. die Kombination von E9 mit E1 kann das in E9 nicht gezeigte Unterschiedsmerkmal auch nicht nahelegen.

4.4.5 Hinsichtlich weiterer paralleler Argumentationslinien verweist die Beschwerdeführerin lediglich ganz allgemein das Einspruchsverfahren, ohne dies näher zu substantiieren.

Die Kammer schließt sich diesbezüglich der Auffassung der Einspruchsabteilung an, die für den noch weiter gefassten Anspruch 1 des im Einspruchsverfahren aufrechterhaltenen Anspruch 1 bereits das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E13 anerkannt hat.

4.4.6 Somit erfüllt der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

Die weiteren unabhängigen Ansprüche des Hilfsantrags 2 sind gegenüber der im Einspruchsverfahren aufrechterhaltenen Fassung nicht geändert und wurden mit der Beschwerde nicht angegriffen.

4.5 Anspruch 1 mit den abhängigen Ansprüchen 2 bis 3 sowie Ansprüche 4 bis 14 gemäß Hilfsantrag 2 und der daran angepassten Beschreibung und den vorliegenden Zeichnungen bilden daher eine geeignete Grundlage für die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

- Beschreibung: Seiten 1 bis 25 , wie eingereicht mit Schreiben vom 24. Juni 2020

- Ansprüche: 1 bis 14, wie eingereicht mit Schreiben vom 24. Juni 2020 als Hilfsantrag 2,

- Figuren: 1 bis 10 des Streitpatents wie erteilt.

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