T 2439/17 () of 9.4.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T243917.20200409
Datum der Entscheidung: 09 April 2020
Aktenzeichen: T 2439/17
Anmeldenummer: 09777806.2
IPC-Klasse: A61L27/00
A61L31/14
A61B17/68
A61B17/04
A61F2/44
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: IMPLANTAT AUS MAGNESIUM UND VERFAHREN ZU DESSEN HERSTELLUNG
Name des Anmelders: aap Implantate AG
Name des Einsprechenden: IP Full Asset Limited
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54 (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention R 76(2)(a) (2007)
European Patent Convention R 41(2)(c) (2007)
European Patent Convention R 77(2) (2007)
Schlagwörter: Zulässigkeit des Einspruchs (ja)
Zulässigkeit des Einspruchs - Existenz des Einsprechenden als juristische Person
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Neuformulierung der technischen Aufgabe
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent EP 2 318 057 unter Artikel 101(3)(a) EPÜ in geänderter Form aufrechtzuerhalten.

II. Im Einspruchsverfahren war das Patent unter Artikel 100(a) und 100(b) EPÜ wegen mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit und mangelnder Ausführbarkeit angegriffen worden.

Dabei wurde unter anderem auf die folgenden Dokumente verwiesen:

D2:|US 6,874,562 |

D3:|EP 0 875 218 |

D9:|MAG TECH 1: Magnesium alloys and processing technologies for lightweight transport applications - a mission to Europe. Chapter 3: Novel Casting Technologies, by Faraday Advance, 09/10-2004, Seiten 1-24|

D12:|Auszug aus dem Internet http://www.hongkongdir.org/ip-full-asset-limited-ccpiqfq|

D13:|Incorporation Form (Company Limited by Sharesa), Form NNC1, Companies Registry |

III. In ihrer Entscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, dass der Einspruch zulässig war; dies war von der Patentinhaberin bestritten worden. Der Einspruchsgrund mangelnder Ausführbarkeit unter Artikel 100(b) und 83 EPÜ wurde verworfen. Die Einspruchsabteilung kam zu dem Schluss, Ansprüche 1, 2 und 10 des erteilten Patents seien nicht neu gegenüber D2. Anspruch 1 des erteilten Patents sei weiterhin für den Fachmann ausgehend von D3 unter Berücksichtigung von D9 nahegelegt. Anspruch 10 des erteilten Patents sei ausgehend von D2 für den Fachmann nahegelegt. Die geänderten Ansprüche des vorgelegten Hilfsantrags erfüllten dagegen die Erfordernisse des EPÜ.

IV. Der unabhängige Anspruch des Patents, der auch der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegt, lautet wie folgt:

"Implantat aus Magnesium oder einer Magnesiumlegierung, welches zumindest abschnittsweise porös ist, wobei die Porosität zumindest abschnittsweise von außen nach innen zunimmt, dadurch gekennzeichnet, dass es sich um ein Implantat aus Magnesiumdruckguss oder einer Magnesiumdruckgusslegierung handelt."

V. In ihrer Beschwerdebegründung brachte die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes vor:

i) Der Einspruch sei nicht zulässig gewesen. Die Einsprechende sei keine juristische Person nach Hong Konger Recht, zumindest bestünden begründete Zweifel daran. Die Erfordernisse der Regel 76(2) i.V.m. Regel 41(2)c) EPÜ seien daher nicht erfüllt.

a) Neuheit gegenüber D2 sei gegeben, insbesondere deshalb, weil D2 keine Implantate, sondern Bauteile für die Automobilindustrie offenbare.

b) Die beanspruchten Implantate seien auch nicht nahegelegt. D3 offenbare gesinterte Implantate. D9 beschäftige sich mit Teilen für die Automobilindustrie und versuche, Porosität möglichst zu vermeiden. Für das Herstellungsverfahren in Anspruch 10 gelte entsprechendes.

VI. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent im erteilten Umfang aufrechtzuerhalten, d. h. den Einspruch zurückzuweisen.

Hilfsweise beantragte sie, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf Basis der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1-6 in geänderter Form aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerin hat im Beschwerdeverfahren weder Eingaben gemacht noch Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

2. Die Beschwerde ist zulässig.

3. Zulässigkeit des Einspruchs (Regel 77(2) EPÜ)

Die Beschwerdeführerin hat die Zulässigkeit des Einspruchs bestritten. Die Existenz der Einsprechenden als juristische Person sei nicht nachgewiesen. Als Belege wurden von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren D12 und von der Einsprechenden D13 vorgelegt. Eine Nichtexistenz der Einsprechenden hätte nach Regel 77(2) EPÜ eine Nichtzulässigkeit des Einspruchs zur Folge.

Die Einspruchsabteilung kam zu dem Schluss, dass die Voraussetzungen der Identität der Einsprechenden unter Regel 76(2) i.V.m. Regel 41(2)(c) EPÜ erfüllt sind. Der Registerauszug D13 belege die Existenz der Firma. Sie stellte daher keine Mängel unter Regel 77(2) EPÜ fest und ließ den Einspruch zu.

Die Beschwerdeführerin hat im Beschwerdeverfahren keine weiteren Beweise vorgelegt, sondern argumentiert, die Einsprechende sei unbekannt, in keiner Weise geschäftlich aktiv und ihre Stellung als juristische Person nach Hong Konger Recht sei nicht belegt. Die Kammer kann dem nicht folgen. Der Registerauszug D13 belegt die Existenz der Firma. Die Beschwerdeführerin hat dies nicht glaubhaft anzweifeln können. Weder Bekanntheit noch nachweisliche (hier: im Internet) geschäftliche Aktivität sind im EPÜ geforderte Voraussetzungen für die Erlangung der Einsprechendenstellung.

Die Kammer sieht daher keine Veranlassung, in diesem Punkt von der Entscheidung der Einspruchsabteilung abzuweichen.

Hauptantrag: Patent wie erteilt

4. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

D2 offenbart zweiteilige Metall-/Metallschaum-Verbundmaterialien (siehe etwa Spalte 3 Zeile 57 bis Spalte 4, Zeile 7), wobei der poröse Teil mittels Druckguss erzeugt und mit dem Metall verbunden wird (Spalte 4 Zeile 46ff). Die Porosität kann nach innen hin zunehmen (Spalte 5 Zeile 39-46). Dabei kann das Metall Magnesium sein (Anspruch 10).

Die Einspruchsabteilung erkannte auf mangelnde Neuheit. Sie war der Ansicht, die in D2 offenbarten Verbundmaterialien fielen strukturell unter die Ansprüche; die bloße Bezeichnung der beanspruchten Materialien als "Implantate" könne keine Neuheit verleihen.

Die Kammer schließt sich dieser Meinung nicht an.

D2 offenbart keine konkreten Produkte, die unter die Ansprüche fallen könnten. In der Beschreibung der D2 wird stets allgemein von Verbundmaterialien gesprochen Die oben angeführten Stellen bezeichnen die hergestellte Objekte allgemein als "composite body", "composite component", oder "shaped metal parts", die in der Automobilindustrie Verwendung finden können (Spalte 1, Zeilen 10-17). Das einzige konkrete Produkt, das in D2 offenbart wird, ist aus Aluminium (siehe Beispiel) und wird als "vehicle component" bezeichnet.

Die Kammer folgt der Auffassung der Beschwerdeführerin, dass dies nicht die Neuheit der beanspruchten Implantate vorwegnimmt. D2 enthält nur unspezifische Produktbeschreibungen. Der Begriff "Implantat" impliziert aber durchaus gewisse Beschränkungen, die in D2 nicht direkt offenbart sind. Wie von der Beschwerdeführerin richtigerweise angeführt, muss sich ein Implantat zum Einsetzen in einen menschlichen Körper eignen. Beispielsweise ist ein Implantat also in seiner Größe beschränkt und sollte keine toxischen Bestandteile enthalten. Die verfahrensbedingt enthaltenen Rückstände der Treibmittel in den Produkten der D2 (Metallhydride) sind nicht kompatibel mit einer Verwendung als Implantat.

D2 offenbart also nicht direkt und unmittelbar ein Implantat gemäß Anspruch 1. Für das in Anspruch 10 definierte Herstellungsverfahren gilt analoges.

5. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

5.1 Das Patent beschäftigt sich mit Implantaten aus porösem Magnesium oder Magnesiumlegierungen. Dabei nimmt die Porosität des Materials von außen nach innen hin zu. Die Implantate werden mit der Zeit vom Körper resorbiert. Da die Porosität außen geringer ist, wird das Material zunächst nur langsam angegriffen. Ist der äußere, weniger poröse Teil abgebaut, so wird der Resorptionsprozess durch die zunehmende Porosität schneller, da mehr Angriffsfläche zur Verfügung steht und weniger Material abzutragen ist. Daher bleibt das Implantat relativ lange stabil. Wenn es aber seine Stabilität durch den zunehmenden Abbau verloren hat, wird es relativ schnell resorbiert (Absatz [0012] des Patents).

5.2 Nächster Stand der Technik

Als nächster Stand der Technik wurde sowohl von der Einspruchsabteilung als auch von der Beschwerdeführerin D3 angesehen.

D3 offenbart poröse Stents. Die Löcher in der porösen Struktur dienen zur Aufnahme von Wirkstoffen, die dann mit der Zeit wieder abgegeben werden (Spalte 2 Zeilen 10-25). In einer Ausführungsform nimmt die Porengröße nach innen zu (Spalte 2 Zeilen 40-52). Magnesium wird als eines von mehreren möglichen Materialien genannt (Spalte 5 Zeilen 25-30). Die kleineren Poren an der Oberfläche dienen dabei der Kontrolle der Freisetzungsrate, während die größeren Poren im Inneren ein Depot für den Wirkstoff darstellen (Seite 8 Zeilen 28-54). Der Stent wird durch ein Sinterverfahren erhalten, bei dem verschieden große Partikel miteinander verpresst werden (Spalte 4 Zeile 50ff).

5.3 Aufgabe und Lösung

5.3.1 Die Einspruchsabteilung hat ausgehend von D3 als zu lösende Aufgabe die Bereitstellung eines alternativen porösen Implantats gesehen.

Dieser Aufgabenstellung kann die Kammer nicht zustimmen. Das Patent selbst definiert als technische Aufgabe, ein Implantat bereitzustellen, bei welchem die mechanischen Eigenschaften des Implantats während des Abbauprozesses über eine lange Zeit erhalten bleiben, und der Zersetzungsprozess des Restimplantats einen möglichst geringen Anteil der gesamten Verweilzeit im Körper einnimmt (siehe Absatz [0007]).

Diese im Patent formulierte Aufgabe ist in D3 nicht gelöst worden; in D3 wird eine eventuelle Resorption des Stents gar nicht angesprochen. Da die im Patent selbst definierte Aufgabe in D3 nicht bereits gelöst war, besteht kein Anlass, die technische Aufgabe in der gemachten Weise als bloße Alternative umzuformulieren. Die zu lösende Aufgabe bleibt daher die, die in Absatz [0007] des Patents gestellt wurde.

5.3.2 Die Aufgabe wird durch ein poröses Implantat aus Magnesium oder Magnesiumlegierungen mit nach innen zunehmender Porosität gemäß Anspruch 1 des Patents gelöst, das insbesondere dadurch charakterisiert ist, dass es sich um einen Druckguss handelt.

5.3.3 Dass die Aufgabe gelöst wurde, wurde nicht bestritten.

5.4 Naheliegen der Lösung

Ausgehend von D3 war die beanspruchte Lösung dem Fachmann nicht nahegelegt.

5.4.1 Zunächst einmal erhält der Fachmann keinerlei Information aus D3, dass die nach innen zunehmende Porosität, egal ob durch Sintern oder Druckguss erhalten, einen vorteilhaften Effekt in Bezug auf die Resorptionseigenschaften der Implantate hat. Er würde daher solche Strukturen nicht für die Lösung seiner Aufgabe in Betracht ziehen. Alleine deshalb schon ist die beanspruchte Lösung des Problems ausgehend von D3 nicht nahegelegt.

5.4.2 Eine Kombination mit D9 führt den Fachmann auch nicht zu anspruchsgemäßen Implantaten. D9 beschäftigt sich mit Bauteilen für die Automobilindustrie und enthält demgemäß keinerlei Aussagen über die Resorption der Objekte im menschlichen Körper. Auch offenbart D9 keineswegs, dass Sintern und Druckgießen alternative Methoden zur Herstellung poröser Strukturen sind, geschweige denn solcher Strukturen, bei denen die Porosität von außen nach innen zunimmt. Sintern wird in D9 gar nicht erwähnt. Die Porosität, die beim Druckgießen durch Lufteinschlüsse entstehen kann (Seite 10 der D9) wird als negative Begleiterscheinung des Verfahrens beschrieben. D9 kann den Fachmann nicht zur beanspruchten Lösung führen.

5.5 In analoger Weise gilt für das Herstellungsverfahren des Anspruchs 10, dass es ausgehend von D3 nicht für den Fachmann nahegelegt war. Auch für diesen Anspruch muss D3 als nächsten Stand der Technik angesehen werden, und nicht D2, das sich nicht mit der Herstellung von Implantaten beschäftigt.

6. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass keiner der vorgebrachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht. Der Beschwerde ist daher stattzugeben und der Einspruch gemäß Artikel 111(1) EPÜ i.V.m. Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen. Auf die Hilfsanträge der Beschwerdeführerin braucht nicht näher eingegangen zu werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Der Einspruch wird zurückgewiesen.

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