T 2402/17 () of 8.9.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T240217.20200908
Datum der Entscheidung: 08 September 2020
Aktenzeichen: T 2402/17
Anmeldenummer: 11717500.0
IPC-Klasse: G01B5/008
G01B21/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: BETRIEB EINER KOORDINATENMESSMASCHINE ODER EINER WERKZEUGMASCHINE
Name des Anmelders: Carl Zeiss Industrielle Messtechnik GmbH
Name des Einsprechenden: Siemens Aktiengesellschaft
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention Art 84 (2007)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit: Hauptantrag (nein), Hilfsantrag (ja)
Anspruch: Relation zwischen relativen Begriffen - Klarheit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Patentinhaberin und die Einsprechende richteten ihre Beschwerden gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 2561311 in geänderter Form gemäß dem Hilfsantrag 1 aufrechterhalten worden ist.

Mit dem Einspruch war das Streitpatent in vollem Umfang im Hinblick auf den Einspruchsgrund der fehlenden erfinderischen Tätigkeit (Artikel 100 a) i.V.m. 56 EPÜ) angegriffen worden.

II. In der angefochtenen Entscheidung vertrat die Einspruchsabteilung u.a. die Auffassung, dass

- der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 (Hauptantrag) gegenüber der Druckschrift

E1: DE 10321970 A1

in Kombination mit dem übrigen im Einspruchsverfahren zitierten Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Artikel 56 EPÜ), und

- das Patent in geändertem Umfang gemäß dem Hilfsantrag 1 den Erfordernissen des EPÜ, insbesondere denen der Artikel 84 und 56 EPÜ, entspreche.

III. Am 8. September 2020 wurde mündlich verhandelt.

Die Patentinhaberin beantragte als Hauptantrag die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückweisung des Einspruchs, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung. Als Hilfsantrag 1 beantragte sie die Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden. Als Hilfsantrag 2 beantragte sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf Grundlage des Hilfsantrags 2, eingereicht mit Schreiben vom 3. März 2016. Als Hilfsantrag 3 beantragte sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf Grundlage des Hilfsantrags 3, eingereicht mit Schreiben vom 2. Mai 2017.

Die Einsprechende beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.

Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

IV. Der Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 (Hauptantrag) - mit den in eckigen Klammern eingefügten Merkmalskennzeichnungen "S1.1" bis "S1.5", die während des Verfahrens verwendet wurden - lautet wie folgt:

"[S1.1] Verfahren zum Betreiben einer Koordinatenmessmaschine (11) oder einer Werkzeugmaschine,

[S1.2] wobei eine Bewegung eines Maschinenteils (41) derart gesteuert wird, dass bei der Bewegung des Maschinenteils (41) eine vorgegebene maximale Beschleunigung und/oder ein vorgegebener maximaler Ruck (P) nicht überschritten wird,

[S1.3] wobei die maximale Beschleunigung und/oder der maximale Ruck abhängig von der Position des Maschinenteils (41) und/oder abhängig von der Ausrichtung des Maschinenteils innerhalb des räumlichen Bereichs, in dem der Maschinenteil (41) bewegt werden kann, variiert,

[S1.4] nämlich entsprechend einer vorgegebenen Kennlinie oder eines vorgegebenen Kennfeldes der maximalen Beschleunigung und/oder des maximalen Rucks, und

[S1.5] wobei die Kennlinie oder das Kennfeld die Werte der maximalen Beschleunigung und/oder des maximalen Rucks als Funktion der Position und/oder der Ausrichtung des Maschinenteils (41) definiert."

Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 dadurch, dass das folgende Merkmal am Ende des Anspruchs hinzugefügt wurde:

", wobei für die maximale Beschleunigung und/oder den maximalen Ruck (P) in Teilbereichen des räumlichen Bereichs mit höherer Schwingungsanfälligkeit des Maschinenteils (41) kleinere Werte vorgegeben werden als in Teilbereichen des räumlichen Bereichs mit geringerer Schwingungsanfälligkeit des Maschinenteils (41)".

Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 4 gemäß Hilfsantrag 1 lautet wie folgt:

"Koordinatenmessmaschine (11) oder Werkzeugmaschine, mit einem beweglichen Maschinenteil (41) und mit einer Steuerung (14), die ausgestaltet ist, eine Bewegung des Maschinenteils (41) derart zu steuern, dass bei der Bewegung des Maschinenteils (41) eine vorgegebene maximale Beschleunigung und/oder ein vorgegebener maximaler Ruck nicht überschritten wird, wobei die maximale Beschleunigung und/oder der maximale Ruck abhängig von der Position des Maschinenteils (41) und/oder abhängig von der Ausrichtung des Maschinenteils innerhalb des räumlichen Bereichs, in dem der Maschinenteil (41) bewegt werden kann, variiert, nämlich entsprechend einer vorgegebenen Kennlinie oder eines vorgegebenen Kennfeldes der maximalen Beschleunigung und/oder des maximalen Rucks, und wobei die Kennlinie oder das Kennfeld die Werte der maximalen Beschleunigung und/oder des maximalen Rucks als Funktion der Position und/oder der Ausrichtung des Maschinenteils (41) definiert,

wobei für die maximale Beschleunigung und/oder den maximalen Ruck (P) in Teilbereichen des räumlichen Bereichs mit höherer Schwingungsanfälligkeit des Maschinenteils (41) kleinere Werte vorgegeben werden als in Teilbereichen des räumlichen Bereichs mit geringerer Schwingungsanfälligkeit des Maschinenteils (41)."

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag (Patent in der erteilten Fassung) - Erfinderische Tätigkeit

1.1 In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung die Auffassung vertreten, dass das Verfahren gemäß dem erteilten Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Einspruchsabteilung war im Wesentlichen der Auffassung, dass

- die Verfahrensschritte S1.1 bis S1.3 (vgl. Nr. IV oben) des Anspruchs 1 in der Druckschrift E1 offenbart seien, und

- die Verfahrensschritte S1.4 und S1.5 des Anspruchs 1 in Kombination mit den Verfahrensschritten S1.1 bis S1.3 gegenüber der Druckschrift E1 als nächstkommendem Stand der Technik in Kombination mit dem übrigen im Einspruchsverfahren zitierten Stand der Technik nicht zu einem auf erfinderischer Tätigkeit beruhenden Verfahren führe.

Die Patentinhaberin ist dieser Auffassung entgegengetreten und hat geltend gemacht, dass die Verfahrensschritte S1.2 und S1.3 in der Druckschrift E1 nicht offenbart seien, sodass die beanspruchte Kombination von Verfahrensschritten auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Hinsichtlich der Verfahrensschritte S1.2 und S1.3 hat sie im Wesentlichen geltend gemacht, dass der in der Druckschrift E1 offenbarte "maximal mögliche" Wert der Beschleunigung bzw. des Rucks in der Bewegung des Maschinenteils in einer bestimmten der möglichen Positionen des Maschinenteils bzw. in einer bestimmten der Ausrichtungen des Maschinenteils innerhalb des räumliches Bereichs, in dem der Maschinenteil bewegt werden kann, keine "vorgegebene maximale Beschleunigung" bzw. keinen "vorgegebenen maximalen Ruck" im Sinne des Anspruchs 1 darstelle.

1.2 In der Druckschrift E1 wird der "maximal mögliche" Wert der Beschleunigung bzw. des Rucks in der jeweiligen Position bzw. Ausrichtung des Maschinenteils - wie von der Patentinhaberin geltend gemacht - auf der Basis der Antriebsmomente der Antriebsmotoren bestimmt bzw. berechnet, und zwar auf der Basis der vom Hersteller angegebenen maximal möglichen Antriebsmomente (vgl. E1, Absatz [0009] bis [0015], insbesondere Absatz [0009] und [0015]). Die vom Hersteller angegebenen maximal möglichen Antriebsmomente entsprechen aber keinen physikalischen Grenzen, d.h. keinen absolut oder physikalisch maximal erreichbaren Werten, sondern Werten, die eine Überlastung des Antriebs ausschließen (siehe E1, Absatz [0015], erste Zeile), und damit Werten, die vom Hersteller als die maximal zulässigen Werte vorgegeben sind, welche aber im Prinzip - zumindest bis zu einem bestimmten Grad - physikalisch überschritten werden können. Daher stellt der maximal mögliche Wert der Beschleunigung bzw. des Rucks, der in der Druckschrift E1 auf der Basis der vom Hersteller angegebenen Werte bestimmt bzw. berechnet wird, ebenfalls keinen absolut oder physikalisch maximal erreichbaren Wert dar, sondern einen ermittelten, als maximal zulässig zu betrachtenden Wert, der im Betrieb - zumindest bis zu einem bestimmten Grad - überschritten werden kann, aber nicht soll. Damit ist der in der Druckschrift E1 bezeichnete "maximal mögliche" Wert der Beschleunigung bzw. des Rucks - wie von der Einsprechenden geltend gemacht - als "vorgegeben" im eigenen Sinne und im Sinne des beanspruchten Verfahrens anzusehen.

Darüber hinaus kann die in der Druckschrift E1 offenbarte Bestimmung bzw. Berechnung des maximal möglichen Werts der Beschleunigung bzw. des Rucks in der jeweiligen Position bzw. Ausrichtung des Maschinenteils auf verschiedene Weise erfolgen, wie z.B. auf der Basis von Lagrangeschen Gleichungen (Absatz [0009] bis [0016] i.V.m. Absatz [0021]), eventuell über eine experimentelle ("Trial and Error", siehe Absatz [0018]) oder eine mathematische Ermittlung von Daten (Absatz [0019]), oder auf der Basis von Newton-Euler- bzw. Hamilton-Gleichungen (Absatz [0021], letzter Satz), oder auf der Basis von Simulationen (Absatz [0032]) etc. Dementsprechend sind verschiedene Werte der maximal möglichen Beschleunigung bzw. des maximal möglichen Rucks möglich, je nachdem, wie sie bestimmt bzw. berechnet werden. Daher folgt auch aus diesem Grund, dass der Wert der Beschleunigung bzw. des Rucks, der in der Druckschrift E1 als "maximal möglich" bezeichnet wird, keinen absolut oder physikalisch maximal erreichbaren Wert darstellt, sondern dass ihm - je nachdem, wie er bestimmt bzw. berechnet wird - ein bestimmter Wert zugeschrieben und er daher im beanspruchten Sinne "vorgegeben" wird.

Außerdem wird der Maschinenteil in der Druckschrift E1 in den erwähnten Positionen bzw. Ausrichtungen des Maschinenteils mit dem jeweiligen in der Druckschrift E1 bezeichneten "maximal möglichen" Wert der Beschleunigung und des Rucks bewegt (Absatz [0024]), sodass die entsprechenden Werte - wie beansprucht - nicht überschritten werden.

Aus diesen Gründen ist die Kammer der Auffassung, dass das Merkmal S1.2 - wie von der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung festgestellt - nicht neu gegenüber der Druckschrift E1 ist. Gleiches gilt für das Merkmal S1.3, weil die in diesem Merkmal angesprochenen maximalen Werte der Beschleunigung und des Rucks den in dem Merkmal S1.2 definierten vorgegebenen maximalen Werten der Beschleunigung und des Rucks entsprechen.

1.3 Die Kammer sieht daher keinen Grund, die Feststellung der Einspruchsabteilung hinsichtlich der fehlenden erfinderischen Tätigkeit des Verfahrens gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags in Zweifel zu ziehen (Artikel 100 a) und 56 EPÜ).

2. Hilfsantrag 1 - Klarheit

2.1 Die Einsprechende hat geltend gemacht, dass das in den unabhängigen Ansprüchen 1 und 4 gemäß Hilfsantrag 1 hinzugefügte Merkmal (vgl. Nr. IV oben) - entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung - nicht klar sei (Artikel 84 EPÜ), weil es relative Begriffe ("höhere Schwingungsanfälligkeit", "geringere Schwingungsanfälligkeit" und "kleinere Werte") beinhalte, die gemäß den Richtlinien für die Prüfung im EPA, November 2017 (Teil F, Kapitel IV, Nr. 4.6) in einem Patentanspruch nicht verwendet werden sollten und nicht dazu benutzt werden können, die Erfindung vom Stand der Technik abzugrenzen.

Die von der Einsprechenden angesprochenen Merkmale "höhere" und "geringe Schwingungsanfälligkeit" und "kleinere Werte" stellen zwar - isoliert betrachtet - relative Begriffe im Sinne der Richtlinien dar. Allerdings sind solche relative Begriffe - wie von der Patentinhaberin unter Hinweis auf die Rechtsprechung ("Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes", EPA, 9. Auflage 2019, II.A.3.6, vorletzter Absatz) vorgebracht - nicht per se unzulässig (vgl. neue Fassung des von der Einsprechenden zitierten Abschnitts der Richtlinien, Ausgabe November 2019, Teil F, Kapitel IV, Nr. 4.6). Außerdem verlangt Artikel 84 EPÜ zwar, dass ein Anspruch klar sein muss, nicht aber, dass jedes Merkmal bzw. jeder Begriff eines Anspruchs losgelöst vom übrigen Anspruchswortlaut auch klar sein muss. Bei der Prüfung der Klarheit stellt sich daher die Frage, ob die beanspruchte Kombination von Merkmalen klar ist, und nicht, ob alle Merkmale isoliert voneinander betrachtet bzw. unabhängig von ihrem Kontext klar sind.

Im vorliegenden Fall betrifft das beanspruchte Verfahren die Steuerung der Bewegung eines Maschinenteils innerhalb eines räumliches Bereichs, und Anspruch 1 erfordert nicht bloß Teilbereiche des räumlichen Bereichs mit einer "höheren" oder mit einer "geringeren" Schwingungsanfälligkeit oder die Steuerung der Bewegung des Maschinenteils mit "kleineren" Werten für die maximale Beschleunigung und/oder den maximalen Ruck, sondern eine Relation zwischen allen diesen Merkmalen, und zwar insofern, als "für die maximale Beschleunigung und/oder den maximalen Ruck (P) in Teilbereichen des räumlichen Bereichs mit höherer Schwingungsanfälligkeit des Maschinenteils (41) kleinere Werte [...] als in Teilbereichen des räumlichen Bereichs mit geringerer Schwingungsanfälligkeit des Maschinenteils (41)" vorgegeben werden. Anspruch 1 setzt daher voraus, dass der räumliche Bereich, in dem der Maschinenteil bewegt werden kann, Teilbereiche mit einer höheren und Teilbereiche mit einer - relativ dazu - geringeren Schwingungsanfälligkeit beinhaltet, und das in Frage stehende beanspruchte Merkmal definiert, wie die Werte für die maximale Beschleunigung bzw. den maximalen Ruck in den entsprechenden Teilbereichen in Relation zueinander vorzugeben sind.

Daher basiert die Definition des beanspruchten Verfahrens nicht lediglich auf relativen Begriffen, sondern auf einer Relation zwischen relativen Begriffen, die nach Auffassung der Kammer für den Fachmann klar ist.

2.2 Die Einsprechende hat darüber hinaus unter Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung betreffend die Verwendung von Parametern - insbesondere von unüblichen Parametern - in Ansprüchen ohne Hinweis auf die entsprechende Messmethode bzw. auf die einzuhaltenden Messbedingungen (vgl. Singer/Stauder, "Europäisches Patentübereinkommen - Kommentar", 8. Auflage 2019, Art. 84, Rdn. 14) vorgebracht, dass der Begriff der "Schwingungsanfälligkeit" nicht klar und zuverlässig in den unabhängigen Ansprüchen 1 und 4 definiert sei; es sei für den Fachmann unklar, welche Teilbereiche des räumlichen Bereichs den beanspruchten Teilbereichen mit höherer bzw. geringerer Schwingungsanfälligkeit des Maschinenteils entsprächen, sodass es für ihn einen nicht zumutbaren Aufwand darstellen würde, die erwähnten Teilbereiche herauszufinden.

Die Kammer ist der Ansicht, dass die Schwindungsanfälligkeit eines beweglichen Maschinenteils eine physikalische Eigenschaft darstellt, die dem Fachmann bekannt ist und - wie von der Patentinhaberin vorgebracht - durch Ermittlung der Amplitude der Schwingungen (vgl. Patentschrift, Absatz [0004], und letzter Satz des Absatzes [0038]) während des Betriebs der Maschine und daher durch übliche Methoden bestimmt werden kann. Außerdem besteht die beanspruchte Erfindung nicht darin, dass ein bestimmter absoluter numerischer Wert - oder Bereich von Werten - für die Schwingungsanfälligkeit des Maschinenteils vorgegeben wird, sondern nur darin, dass die relative Schwingungsanfälligkeit in den erwähnten Teilbereichen die beanspruchte Relation erfüllt; bei der Betrachtung des räumlichen Bereichs, in dem der Maschinenteil bewegt werden kann, ist für den zuständigen Fachmann - wie von der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung ausgeführt - ersichtlich, welche Teilbereiche eine höhere Schwingungsanfälligkeit und welche Teilbereiche relativ dazu eine geringere Schwingungsauffälligkeit aufweisen. Die Schwindungsanfälligkeit stellt daher im vorliegenden Fall keinen unüblichen Parameter und auch keinen Parameter dar, dessen Messmethode im Detail angegeben werden muss, um die Klarheit des Anspruchs nicht zu beeinträchtigen. Die weitere Frage, ob bzw. inwieweit es für den Fachmann einen nicht zumutbaren Aufwand darstellen würde, die erwähnten Teilbereiche zu identifizieren, betrifft die Frage der Ausführbarkeit nach Artikel 83 EPÜ und ist für die Frage der Klarheit des Anspruchs im Sinne von Artikel 84 EPÜ - wie von der Patentinhaberin geltend gemacht - unerheblich.

2.3 Die Kammer ist somit der Auffassung, dass Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht durch das in Frage stehende hinzugefügte Merkmal unklar wird und dass der Anspruch die Voraussetzungen des Artikels 84 EPÜ erfüllt. Das gleiche gilt in Bezug auf den unabhängigen Anspruch 4 gemäß Hilfsantrag 1, denn die darin vorgenommenen Änderungen entsprechen denjenigen des Anspruchs 1.

3. Hilfsantrag 1 - Erfinderische Tätigkeit

3.1 Die Einsprechende hat auf das allgemeine Fachwissen des Fachmanns verwiesen und geltend gemacht, dass das in den unabhängigen Ansprüchen 1 und 4 hinzugefügte Merkmal - entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung - gegenüber der Druckschrift E1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Druckschrift E1 offenbare bereits die Festlegung der maximalen Bahngeschwindigkeit, der maximalen Bahnbeschleunigung oder des maximalen Bahnrucks in Abhängigkeit der Position des Maschinenteils im Arbeitsraum der Maschine, um die Bewegung zu optimieren, und es sei allgemeines Fachwissen, dass durch Begrenzung der Geschwindigkeit, der Beschleunigung und des Rucks Schwingungen vermieden werden können. Außerdem werde in der Druckschrift E1 die Maschine auf der Basis bestimmter Anregefunktionen zwecks Bestimmung von Beschleunigungs- und Drehmomentkoeffizienten angeregt (Fig. 4 und Absätze [0049] ff.), um eine Trägheitsmatrix für verschiedene Stützpunkte zu ermitteln und dann auf Basis dieser Trägheitsmatrix die Maximalwerte für die Bahngeschwindigkeit und den Ruck stützpunktabhängig zu bestimmen (Absätze [0029] und [0064]). Somit würden die erwähnten Maximalwerte abhängig von den Trägheitseigenschaften der Maschine in den verschiedenen Stützpunkten bestimmt, und dies führe implizit dazu, dass die Maximalwerte in Bereichen mit höherer Schwingungsanfälligkeit kleiner als in Bereichen mit geringer Schwingungsanfälligkeit seien.

3.2 In der Druckschrift E1 werden die vorgegebenen maximalen Werte der Beschleunigung bzw. des Rucks in Abhängigkeit von Merkmalen der Antriebsmotoren und - wie von der Einsprechenden ausgeführt - auf Basis der Trägheitseigenschaften der Maschinen bestimmt. Die Kammer kann aber den übrigen Ausführungen der Einsprechenden nur insoweit folgen, als Schwingungen durch eine Begrenzung der Beschleunigung bzw. des Rucks vermindert werden können und in bestimmten Situationen eine bestimmte Korrelation zwischen Trägheit und Schwingungsanfälligkeit bestehen kann. Trägheit und Schwingungsanfälligkeit korrelieren aber im Allgemeinen miteinander nicht in dem Umfang, wie in den Ausführungen der Einsprechenden vorausgesetzt wird. Es kann Situationen geben - z.B. bei der Bewegung des Maschinenteils mit einem variablen Drehmoment -, in denen eine Begrenzung der Beschleunigung und/oder des Rucks auf Basis der Trägheitseigenschaften eine Reduzierung der Schwingungen des Maschinenteils mit sich bringen kann; es gibt aber auch Situationen - z.B. bei der variablen linearen Bewegung eines mit einem teleskopierbaren Element ausgestalteten Horizontalarms zwischen Positionen (vgl. Fig. 3 und 4 der Patentschrift i.V.m. Absätzen [0040] und [0041]), die aufgrund unterschiedlicher Faktoren (elastische Biegung bei weit ausgefahrenem Horizontalarm (Patentschrift, Absatz [0014]), mechanische Defekte usw.) eine unterschiedliche Anfälligkeit für Schwingungen aufweisen -, in denen eine Begrenzung der Beschleunigung und/oder des Rucks auch eine Reduzierung der Schwingungen verursacht, ohne dass dabei die Trägheit auf der von der Einsprechenden vorgetragenen Weise eine Rolle spielt.

Außerdem gibt die Druckschrift E1 keinerlei Hinweis darauf, die Beschleunigung bzw. den Ruck von der Schwingungsanfälligkeit in irgendeiner Weise abhängig zu machen. Weder aus der Druckschrift E1 noch aus dem von der Einsprechenden erwähnten Fachwissen hätte der Fachmann eine Anregung entnehmen können, in der Werkzeugmaschine der Druckschrift E1 die Maximalwerte für die Beschleunigung bzw. für den Ruck in den unterschiedlichen räumlichen Teilbereichen, in denen der Maschinenteil bewegt werden kann, in Abhängigkeit der Schwingungsanfälligkeit des Maschinenteils in den jeweiligen Teilbereichen, wie beansprucht, zu wählen.

3.3 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass das Verfahren des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 im Hinblick auf Dokument E1 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ). Gleiches gilt für die im unabhängigen Anspruch 4 definierten Koordinatenmess- und Werkzeugmaschinen, da diese eine Steuerung aufweisen, deren funktionellen Merkmale den Verfahrensmerkmalen des Verfahrens gemäß Anspruch 1 entsprechen, und auch für die jeweiligen abhängigen Ansprüche 2 und 3 sowie 5 und 6.

4. Im Ergebnis ist also die Entscheidung der Einspruchsabteilung zutreffend, sodass sowohl die Beschwerde der Patentinhaberin als auch die der Einsprechenden zurückzuweisen sind.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

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