T 2215/17 () of 25.2.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T221517.20210225
Datum der Entscheidung: 25 Februar 2021
Aktenzeichen: T 2215/17
Anmeldenummer: 09798885.1
IPC-Klasse: B23F5/20
B23F9/08
B23F21/12
B23F21/20
B23F23/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 542 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: WERKZEUG MASCHINE UND VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG VON VERZAHNUNGEN
Name des Anmelders: Voith Patent GmbH
Gebr. Heller Maschinenfabrik GmbH
Name des Einsprechenden: DECKEL MAHO Pfronten GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 52(1) (2007)
European Patent Convention Art 54 (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention Art 83 (2007)
European Patent Convention Art 84 (2007)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
Schlagwörter: Neuheit - nach Änderung (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Klarheit (ja)
Änderungen - Zwischenverallgemeinerung (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der der Einspruch zurückgewiesen und das Patent N° 2 367 656 in der erteilten Fassung aufrechterhalten worden ist, Beschwerde eingelegt.

II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die geltend gemachten Einspruchsgründe unter Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikeln 54 und 56 EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents wie erteilt nicht entgegen stehen.

III. Die Neuheit und das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes der Ansprüche 1, 7 und 19 in der erteilten Fassung wurden von der Einspruchsabteilung, unter anderen, unter Berücksichtigung, des folgenden Standes der Technik anerkannt:

E01: EP 1 518 630 A1

E14: WO 2007/044403 A1

E20: DE 20 2007 012 450 U1

IV. Am 06. März 2020 erging eine Ladung zur mündlichen Verhandlung. In einer am 29. April 2020 versandten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 legte die Kammer ihre vorläufige Meinung dar.

Eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 25. Februar 2021 als Videokonferenz statt.

V. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerinnen (Patentinhaberinnen) beantragten, das Patent auf der Grundlage des mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin eingereichten Hilfsantrags III aufrechtzuerhalten, der vor Abschluss der mündlichen Verhandlung zum Hauptantrag gemacht wurde.

VI. Anspruch 1 des Streitpatents gemäß diesem Antrag lautet wie folgt:

1. Werkzeugmaschine, insbesondere Fräsmaschine, umfassend

1.1 ein Maschinengestell (1);

1.2 einen auf dem Maschinengestell (1) montierten Werkzeugträger (2), in dem ein Werkzeug (3) aufgenommen ist;

1.3 eine Antriebseinrichtung (4) zum Drehantreiben des Werkzeugs (3) im Werkzeugträger (2) um eine Werkzeugachse (5);

1.4 eine auf dem Maschinengestell (1) montierte Aufnahmevorrichtung (6) zum Aufnehmen eines Werkstücks (7);

1.5 eine erste rotatorische Antriebsvorrichtung (8) zum Erzeugen einer ersten relativen Winkelbewegung zwischen dem Werkzeugträger (2) und der Aufnahmevorrichtung (6) und eine zweite rotatorische Antriebsvorrichtung (9) zum Erzeugen einer zweiten relativen Winkelbewegung zwischen dem Werkzeugträger (2) und der Aufnahmevorrichtung (6);

1.6 eine translatorische Antriebsvorrichtung (11) zum Erzeugen einer relativen Translationsbewegung zwischen dem Werkzeugträger (2) und der Aufnahmevorrichtung (6) entlang dreier Achsen;

1.7 eine Steuerungseinrichtung (12), die derart eingerichtet ist, dass sie eine Steuerung der relativen geradlinigen Bewegungen zwischen dem Werkzeugträger (2) und der Aufnahmevorrichtung (6) und der relativen Winkelbewegungen zwischen dem Werkzeugträger (2) und der Aufnahmevorrichtung (6) im Wesentlichen gleichzeitig erlaubt; wobei

1.8 das Werkzeug (3) als Stirn- oder Stirnumfangsfräser ausgebildet ist und Schneiden (14) umfasst, die eine Teilkontur einer in das Werkstück (7) zu fräsenden Verzahnung (13) aufweisen; wobei die Schneiden (14) in Radialrichtung des Werkzeugs (3) gesehen vom Werkzeug (3) weg gerichtet sind und

1.9 der Außendurchmesser der Schneiden (14) größer als der Abstand zweier benachbarter Zahnflanken (15, 16) - Zahnlücke (17) - ist;

dadurch gekennzeichnet, dass

1.10 die Steuereinrichtung (12) eingerichtet ist, um das Werkzeug (3) derart durch den Bereich der zu schaffenden Verzahnung (13) zu bewegen, dass es insgesamt entlang der zu bearbeitenden Zahnflanke (15, 16) bei gleichbleibendem Abstand zum Zahnlückengrund (20) und/oder zum Zahnkopf (19) der zu schaffenden Verzahnung verschoben wird, und zum Schaffen einer bogenförmigen Verzahnung die absolute Ausrichtung der Werkzeugachse (5), die senkrecht oder winklig zur abzunehmenden Zahnflanke (15, 16) angeordnet ist, bei der Bewegung des Werkzeugs (3) permanent nachgeführt und variiert wird, um die relative Ausrichtung zur abzunehmenden Zahnflanke (15, 16) beizubehalten.

Anspruch 6 des Streitpatents gemäß Hilfsantrag III lautet wie folgt:

Verfahren zum Herstellen einer Verzahnung (13) auf einer Werkzeugmaschine gemäß einem der Ansprüche 1 bis 5, mit den folgenden Schritten:

6.1 Positionieren des Werkzeugs (3) außerhalb des Bereichs (18) der zu schaffenden Verzahnung (13);

6.2 Drehantreiben des Werkzeugs (3);

6.3 Durchfahren mit dem Werkzeug (3) mit einem Teil der im Bereich des Umfangs des Werkzeugs (3) angeordneten Schneiden (14) durch das Werkstück (7) in den Bereich (18) der zu schaffenden Verzahnung (13) durch Steuern einer oder mehrerer Antriebseinrichtungen (4, 8, 9) mittels der Steuereinrichtung (12) derart, dass eine Teilkontur einer Zahnflanke (15, 16) gefräst wird, wobei das Werkzeug (3) insgesamt entlang der zu bearbeitenden Zahnflanke (15, 16) bei gleichbleibendem Abstand zum Zahnlückengrund (20) und/oder zum Zahnkopf (19) der zu schaffenden Verzahnung verschoben wird;

6.4 Zurückführen des Werkzeugs (3) aus dem Bereich (18) der zu schaffenden Verzahnung (13);

6.5 Drehen des Werkstücks (7) und/oder des Werkzeugs (3) um die Werkstückachse (10) in eine um wenigstens eine Zahnteilung versetzte Position;

6.6 Wiederholen der Schritte 6.3 bis 6.5 bis alle Zahnflanken des Werkstücks 30 (7) in der gleichen Weise bearbeitet und die Zahnlücken vollständig erzeugt sind.

Anspruch 18 des Streitpatents gemäß Hilfsantrag III lautet wie folgt:

Verwendung eines Werkzeugs in einer Werkzeugmaschine gemäß einem der Ansprüche 1 bis 5 oder in einem Verfahren gemäß einem der Ansprüche 6 bis 17;

18.1 mit einer Vielzahl von Schneiden (14), deren Flugkreis bei Drehung des Werkzeugs (3) eine Scheibenoberfläche, eine Zylinder- oder Kegeloberfläche und/oder eine Torusoberfläche darstellt,

dadurch gekennzeichnet, dass

18.2 alle Schneiden (14 ), die zur Bearbeitung derselben Zahnflanke (15,16) einer zu schaffenden Verzahnung (13) angeordnet sind, wobei je Zahnflanke (15, 16) eine Vielzahl solcher Schneiden (14) vorgesehen ist, auf einem gemeinsamen Flugkreis positioniert sind.

Entscheidungsgründe

Artikel 123(2) EPÜ: Offenbarung

1. Anspruch 1 des Hilfsantrags III basiert auf einer Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 6, in welcher der Begriff "wenigstens" im Merkmal 1.8 gestrichen wurde, wobei das erteilte Merkmal 1.10 dadurch ergänzt wurde, dass:

"zum Schaffen einer bogenförmigen Verzahnung die absolute Ausrichtung der Werkzeugachse (5), die senkrecht oder winklig zur abzunehmenden Zahnflanke (15,16) angeordnet ist, bei der Bewegung des Werkzeugs (3) permanent nachgeführt und variiert wird, um die relative Ausrichtung zur abzunehmenden Zahnflanke (15, 16) beizubehalten."

Nach Auffassung der Beschwerdegegnerinnen basiere diese Einfügung auf der Lehre des zweiten Absatzes auf Seite 21 der ursprünglichen Anmeldeunterlagen, der dem Absatz [0057] der Patentschrift wörtlich entspricht.

1.1 Die Beschwerdeführerin beanstandete, dass diese Änderung eine unter Artikel 123(2) EPÜ unzulässige Zwischenverallgemeinerung des in dem oben genannten Absatz [0057] beschriebenen Ausführungsbeispiels darstelle.

1.2 Unter Bezugnahme auf ihre schriftlichen Ausführungen führte die Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung aus, dass die Angabe "zum Schaffen einer bogenförmigen Verzahnung" im geänderten Merkmal 1.10 eine bloße Zweckangabe ohne einschränkende Wirkung für den Gegenstand des Anspruchs 1 sei, wohingegen sich das im Absatz [0057] der Patentschrift beschriebene Ausführungsbeispiel eindeutig auf den spezifischen Anwendungsfall der Fertigung einer bogenförmigen Verzahnung beziehe. Darüber hinaus sei gemäß dem beschriebenen Ausführungsbeispiel ein spezielles Werkzeug mit der in Figur 3a gezeigten Messerkopfgeometrie zu verwenden, bei welcher die Schneiden des Schneidkörpers nicht nur radial nach außen weisen, sondern deren Anordnung auch eine Scheibenoberfläche als Flugkreis aufweise. Abschließend gebe Absatz [0057] explizit an, dass die Werkzeugachse ständig außerhalb der aktuell zu bearbeitenden Zahnlücke verlaufen müsse, um die absolute Ausrichtung der Werkzeugachse - wie nun beansprucht - beliebig gegenüber der Zahnflanke anstellen zu können. Das Weglassen im geänderten Anspruch 1 der oben genannten, im Zusammenhang mit dem Ausführungsbeispiel des Absatzes [0057] offenbarten Merkmale führe zu einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung, die gegen Artikel 123(2) EPÜ verstoße.

1.3 Die Kammer kann sich den Ausführungen der Beschwerdeführerin zur behaupteten mangelnden Offenbarung unter Artikel 123(2) EPÜ aus folgen Gründen nicht anschließen:

Merkmal 1.10 des Anspruchs 1 verlangt wörtlich, dass die Steuereinrichtung derart eingereichtet ist, dass "... zum Schaffen einer bogenförmigen Verzahnung die absolute Ausrichtung der Werkzeugachse (5), die senkrecht oder winklig zur abzunehmenden Zahnflanke (15, 16) angeordnet ist, bei der Bewegung des Werkzeugs (3) permanent nachgeführt und variiert wird". Wie von den Beschwerdegegnerinnen zutreffend ausgeführt wurde, impliziert diese Formulierung eine eindeutige Einschränkung der Funktionalität der Steuereinrichtung auf die Herstellung bogenförmiger Verzahnungen, was die Lehre des Ausführungsbeispiels gemäß Absatz [0057] der Patentschrift widerspiegelt.

1.4 Der einzige Bezug im Absatz [0057] auf irgendeine bestimmte Werkzeuggeometrie, nämlich auf "die Kontur des Flugkreises der Schneiden (14)" ist als optionales Merkmal in Zeilen 48-54 zu finden (vgl. "Dabei kann das Werkzeug (3) derart geführt werden, dass der Außenumfang des Werkzeugs (3)..."), so dass das Weglassen im Anspruch 1 der in Figur 3a gezeigten scheibenförmigen Kontur des Flugkreises der Schneiden gerechtfertigt ist bzw. zu keiner unzulässigen Verallgemeinerung des im Absatz [0057] offenbarten Ausführungsbeispiels führt.

1.5 Die Kammer stimmt ebenfalls den Ausführungen der Beschwerdegegnerinnen zu, wonach die Werkzeugachse, aufgrund der unter Merkmal 1.9 des Anspruchs 1 angegebenen relativen Dimensionierung des Außendurchmessers der Schneiden zur Breite der Zahnlücke, während der Verschiebung des Werkzeugs, zwangläufig außerhalb der aktuell zu bearbeitenden Zahnlücke verlaufen muss. Diese Lehre, die ausdrücklich im Absatz [0057] angegeben wird, ist implizit daher auch dem gesamten technischen Kontext des Anspruchs 1 zu entnehmen.

1.6 Es liegt somit beim geänderten Anspruch 1 keine unzulässige Verallgemeinerung vor; das Patent in geänderter Fassung gemäß Hilfsantrag III entspricht somit den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ.

Artikel 83 EPÜ: Ausführbarkeit

2. In der Beschwerdebegründung verwies die Beschwerdeführerin darauf, dass die in den Figuren 3a und 3b dargestellten, einen scheibenförmigen Flugkreis bildenden Schneiden zwangläufig auch eine Ausdehnung in Zahnlückenlängsrichtung aufweisen. Wenn das Werkzeug in Längsrichtung der Zahnlücke durch das Werkstück verfahren wird, und die Werkzeugachse dabei der bogenförmigen Kontur der Zahnflanke stets in Längsrichtung nachgeführt wird, erfolge zwangläufig eine Rotationsbewegung des Werkzeugs um eine senkrecht zur Werkzeugachse angeordnete Rotationsachse. Unter diesen Umständen und aufgrund der oben genannten Schneidengeometrie sei es praktisch unmöglich, die Flankenform vorherzubestimmen, so dass es auch gar nicht möglich scheine, eine gewünschte Flankenform herzustellen. Darüber hinaus führte die Beschwerdeführerin aus, dass für den Fachmann gar nicht ersichtlich sei, wie die absolute Ausrichtung der Werkzeugachse bei der Bewegung des Werkzeugs permanent variiert werden könnte bei gleichzeitiger Beibehaltung der Ausrichtung der Werkzeugachse relativ zur abzunehmenden Zahnflanke. Die Lehre des Streitpatents sei somit entweder gar nicht oder, wenn überhaupt, dann in einem sehr engen Bereich des beanspruchten Gegenstands ausführbar, in dem aber eine Vielzahl von Bearbeitungsparametern aufeinander einzustellen wären. In Ermangelung von entsprechenden und ausreichenden Informationen in den Patentunterlagen setze die Ermittlung der erforderlichen Bearbeitungsparameter sowie die Auswahl einer passenden Werkzeuggeometrie die Durchführung von aufwendigen Versuchen und Simulationen voraus, die für den Fachmann eine unzumutbare Belastung darstellten.

2.1 Die Ausführungen der Beschwerdeführerin zur mangelnden Ausführbarkeit im Sinne des Artikels 83 EPÜ sind aus folgen Gründen nicht überzeugend:

Wie von den Beschwerdegegnerinnen während der mündlichen Verhandlung zutreffend ausgeführt wurde, entnimmt der Fachmann den Angaben im Absatz [0057] des Streitpatents sowie den Darstellungen in den Figuren 3a und 3b ohne weiteres, wie die Nachführung und Variierung der Ausrichtung der Werkzeugachse im Sinne des zweiten Teils des Merkmals 1.10 erfolgen soll. Auf Basis des herzustellenden Flankenverlaufs kann die Steuereinrichtung so eingestellt, und dabei auch alle unter Merkmal 1.7 angegebenen Bewegungen derart aufeinander abgestimmt werden, dass die resultierende relative Ausrichtung der Werkzeugachse zur Ausrichtung der abzunehmenden Zahnflanke durch die Variierung ihrer absoluten Ausrichtung (d.h. bezogen auf ein am Maschinengestell fest angeordnetes Referenzsystem) beibehalten wird. Des Weiteren schließt sich die Kammer der Ansicht der Beschwerdegegnerinnen an, dass die Ermittelung der passenden Geometrie und Dimensionierung des Werkzeugs, sowie die Einstellung und Abstimmung aller erforderlichen Bearbeitungsparameter aufeinander dem Fachmann auf dem Gebiet der spanabhebenden Bearbeitung mittels einer 5-Achs-Fräsmaschine, ausgehend von der herzustellenden Verzahnungsgeometrie und mit Hilfe von in diesem technischen Gebiet verbreiteten CAD-Simulationanwendungen, keine Schwierigkeiten bereiten würden. Der zuständige Fachmann ist auch in der Lage, Verzahnungsbearbeitungen und Kombinationen von dazu erforderlichen Bearbeitungsparametern, die zwar unter den Schutzbereich des Anspruchs 1 fallen, die aber - aufgrund technischer bzw. geometrischer Einschränkungen - offenbar nicht ausführbar bzw. nicht verwendbar sind, zu erkennen und ggf. auszuschließen, so dass auch diesbezüglich keine mangelnde Ausführbarkeit zu beanstanden ist.

2.2 Demzufolge erfüllt das Streitpatent in geänderter Fassung gemäß Hilfsantrag III die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ.

Artikel 84 EPÜ: Klarheit

3. Die Beschwerdeführerin beanstandete, dass durch die Änderung im Merkmal 1.10 versucht wird, den Gegenstand des Anspruchs 1 durch weitere Merkmale einzuschränken, die aber auf die Geometrie der abzunehmenden Zahnflanke Bezug nehmen. Da die Geometrie der Zahnflanke vollkommen unbestimmt ist, könne die für die beanspruchte Funktionsweise der Werkzeugmaschine entscheidende Ausrichtung der Werkzeugachse zur Zahnflanke nicht eindeutig ermittelt werden. Darüber hinaus führe auch der Bezug auf einen Gegenstand, der nicht Teil der beanspruchten Werkzeugmaschine ist, nämlich auf die herzustellende und undefinierte Zahnflanke, ebenfalls zu Unklarheit.

3.1 Die Kammer kann sich den Ausführungen der Beschwerdeführerin zu diesem behaupteten Mangel an Klarheit unter Artikel 84 EPÜ aus folgenden Gründen nicht anschließen:

3.2 Die Große Beschwerdekammer hat in G 3/14 entschieden, dass Änderungen in den Ansprüchen des Patents nur auf die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ geprüft werden können, sofern - und dann auch nur soweit - gerade diese Änderungen zu einem bislang nicht vorhandenen Verstoß gegen Artikel 84 EPÜ führen. Da der oben behauptete Mangel an Klarheit bereits im erteilten Anspruch 1 enthalten war (vgl. Merkmale 1.8 bis 1.10) und somit nicht erstmals durch die Änderung herbeigeführt wurde, ist eine Überprüfung des gerügten Bezugs zur herzustellenden Zahnflanke auf eine Verletzung von Artikel 84 EPÜ der Kammer verwehrt.

3.3 Die Beschwerdeführerin führte weiterhin aus, dass schon an dem Wortlaut des Merkmals 1.10 nicht nachvollziehbar und somit unklar sei, wie die absolute Ausrichtung der Werkzeugachse variiert werden kann, während gleichzeitig ihre relative Ausrichtung zur abzunehmenden Zahnflanke beibehalten wird.

3.4 Auch diese Argumentation ist aus folgenden Gründen nicht überzeugend:

Wie von den Beschwerdegegnerinnen in der mündlichen Verhandlung zutreffend ausgeführt wurde, versteht der Fachmann unter "absolute Ausrichtung der Werkzeugsachse" die winklige Ausrichtung der Drehachse des Werkzeugs relativ zu einem am Maschinengestell fest angeordneten Referenzsystem. Wenn als Ganzes betrachtet, verlangt Merkmal 1.10 eindeutig, dass die winklige oder senkrechte Anordnung der Werkzeugachse zur abzunehmenden Zahnflanke im Laufe der Verschiebung des Werkzeugs entlang der gesamten herzustellenden bogenförmigen Zahnflanke, d.h. an jedem Punkt einer ausgewählten Zahnflankenkurve, unverändert bleiben muss. Dies wird eindeutig dadurch erreicht, dass die absolute Ausrichtung der Werkzeugachse bei der Bewegung des Werkzeugs (3) in Abhängigkeit von dem Verlauf der bogenförmig herzustellenden Zahnflanke, und somit entsprechend der punktuellen Ausrichtung der Zahnflanke, permanent nachgeführt und variiert wird, um Änderungen der Ausrichtung der Zahnflanke in Lückenlängsrichtung auszugleichen. Genau durch diesen zusätzlichen Freiheitsgrad der Werkzeugsachse ist das Beibehalten ihrer relativen Ausrichtung zur Zahnflanke entlang der gesamten zu bearbeitenden Zahnflanke und auch bei komplexen Ausgestaltungen der Verzahnung möglich. Die Bedeutung des Wortlauts des Merkmals 1.10 des Anspruchs ist somit eindeutig und wird von der Darstellung in Figur 3a in Kombination mit den Angaben in Absatz [0057] gestützt, so dass die Kammer keinen Mangel an Klarheit feststellen kann.

3.5 Die Beschwerdeführerin stellte auch in Frage, wie die beanspruchte relative Ausrichtung der Werkzeugachse gegenüber der Ausrichtung einer nicht ebenen Oberfläche, nämlich gegenüber der variierenden Ausrichtung der bogenförmigen Oberfläche der Zahnflanke, mit welcher die Werkzeugachse keinen Schnittpunkt hat, überhaupt ermittelt werden könnte.

3.6 Auch diesbezüglich sieht die Kammer im Einklang mit der Argumentation der Beschwerdegegnerinnen keine gravierende Unklarheit. Auch wenn kein materieller Schnittpunkt vorhanden ist, ist der Fachmann immer in der Lage, die relative Ausrichtung der Werkzeugsachse gegenüber der - ggf. in Lückenlängsrichtung variierenden - Ausrichtung einer Senkrechten durch jeden Punkt einer bestimmten Zahnflankenkurve (z.B. der mittleren Zahnflankenkurve) zu ermitteln, und sie, durch Variierung der absoluten Ausrichtung der Werkzeugsachse während der Verschiebung des Werkzeugs, permanent konstant zu halten. Die Kammer ist daher der Auffassung, dass auch für den Fall, dass die Werkzeugsachse keinen Schnittpunkt mit der Zahnflanke hat, der Gegenstand des Anspruchs 1 keine Unklarheit enthält.

3.7 Die Beschwerdeführerin führte weiterhin aus, dass die Änderungen in Merkmal 1.10 eine rein verfahrensbezogene technische Lehre einführten, die als solche keine weitere Beschränkung der beanspruchten Werkzeugmaschine anhand zusätzlicher technischer Vorrichtungsmerkmale bewirken könnten. Dies habe einen unklaren Schutzumfang des Anspruchs 1 des Hilfsantrags III zur Folge.

3.8 Die Kammer kann sich auch dieser Argumentation aus folgenden Gründen nicht anschließen:

3.9 Wie von den Beschwerdegegnerinnen zutreffen vorgetragen wurde, impliziert die in Anspruch 1 neu eingeführte Lehre, wonach die Steuereinrichtung

"zum Schaffen einer bogenförmigen Verzahnung die absolute Ausrichtung der Werkzeugachse (5), die senkrecht oder winklig zur abzunehmenden Zahnflanke (15, 16) angeordnet ist, bei der Bewegung des Werkzeugs (3) permanent nachgeführt und variiert wird, um die relative Ausrichtung zur abzunehmenden Zahnflanke (15, 16) beizubehalten",

eingereichtet ist, zweifellos, dass die Steuerungseinrichtung derart programmiert ist, dass sie in der Lage ist, die relativen geradlinigen und rotatorischen Bewegungen gemäß Merkmalen 1.7 mit den in Merkmal 1.10 bestimmten Ergebnissen auszuführen. Darüber hinaus setzt die von Anspruch 1 verlangte Funktionalität der Steuereinrichtung das Vorhandensein von spezifischen Schnittstellen zur gleichzeitigen Steuerung und Überwachung der erforderlichen rotatorischen und translatorischen Antriebsvorrichtungen voraus (vgl. Merkmale 1.5 bis 1.7). Die Kammer ist daher der Auffassung, dass die Änderung im erteilten Merkmal 1.10 zu klaren vorrichtungsspezifischen Einschränkungen des Gegenstands des Anspruchs 1 führt.

3.10 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags III entspricht somit auch den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ.

Neuheit: Artikel 52(1) und 54 EPÜ

4. Die Beschwerdeführerin bestritt die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hilfsantrags III gegenüber Dokument E01. Es wurde ausgeführt, dass eine permanente Nachführung und Variierung der Ausrichtung der Werkzeugsachse derart, dass ihre relative Ausrichtung zur abzunehmenden Zahnflanke beibehalten wird, gemäß dem zweiten Teil des Merkmals 1.10 eine zwangläufige Voraussetzung für die Herstellung einer Zahnlücke einer bogenförmigen Verzahnung in einem einzigen Arbeitsgang sei. Eine permanente Nachführung und Variierung der absoluten Ausrichtung des Werkzeugachse im Sinne des Merkmals 1.10 des Anspruchs 1 erfolge zwangläufig auch bei der Herstellung der bogenförmigen Verzahnung, wie z.B. dem in Figur 5 dargstellten Bewegungsablauf des Werkzeugs implizit zu entnehmen sei. Folglich verfüge auch die aus diesem Stand der Technik bekannte Werkzeugmaschine über eine Steuereinrichtung gemäß dem strittigen Merkmal 1.10.

4.1 Die Kammer kann sich den Ausführungen der Beschwerdeführerin zur mangelnden Neuheit aus folgen Gründen nicht anschließen:

Wie von den Beschwerdegegnerinnen überzeugend entgegnet wurde, ist an keiner Stelle des E01 eine permanente Nachführung und Variierung der absoluten Ausrichtung der Werkzeugsachse beschrieben. Gegen die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass dieses Merkmal implizit dem E01 zu entnehmen sei, spricht die Darstellung der bekannten Werkzeugmaschine in Figur 7, die überhaupt keine Möglichkeit erkennen lässt, die absolute Ausrichtung (d.h. im Bezug auf das Maschinengestell) der Werkzeugsachse (17) zu variieren. Die Werkzeugachse kann offensichtlich lediglich entlang der Richtungen (Z) und (X) verfahren werden, aber nicht winklig zum Maschinengestell beliebig eingestellt werden.

4.2 Die Kammer ist somit der Auffassung, dass das zweite Teil des Merkmals 1.10, wonach die Steuereinrichtung

"zum Schaffen einer bogenförmigen Verzahnung die absolute Ausrichtung der Werkzeugachse (5), die senkrecht oder winklig zur abzunehmenden Zahnflanke (15, 16) angeordnet ist, bei der Bewegung des Werkzeugs (3) permanent nachgeführt und variiert wird, um die relative Ausrichtung zur abzunehmenden Zahnflanke (15, 16) beizubehalten" eingerichtet ist,

dem Dokument E01 nicht eindeutig und und unmittelbar zu entnehmen ist.

4.3 Die Beschwerdeführerin hat keine weiteren Neuheitsangriffe vorgelegt. Aus den oben angegebenen Grunde ist der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag III neu im Sinne der Artikel 52(1) und 54 EPÜ.

Erfinderische Tätigkeit: Artikel 52(1) und 56 EPÜ

5. Das Vorligen einer erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag III wurde von der Beschwerdeführerin im schriftlichen Verfahren sowie während der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf E01 oder E20, jeweils in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen bestritten.

5.1 Ausgehend von dem oben ermittelten, unterscheidenden technischen Merkmal kann die zu lösende technische Aufgabe - im Einklang mit den Ausführungen der Beschwerdegegnerinnen - darin gesehen werden, die aus dem E01 bekannte Werkzeugmaschine derart weiterzuentwickeln, dass die Herstellung von unterschiedlichen, komplexen Zahnprofilen unter Verwendung eines einzigen Werkzeugs gewährleistet werden kann.

5.2 Die Beschwerdeführerin führte im Wesentlichen aus, dass es für den Fachmann auf dem technischen Gebiet der NC- gesteuerten Bearbeitungsmaschinen naheliegend sei, einen zusätzlichen Freiheitsgrad in einer 4-Achs-Fräsmaschine einzuführen, um eine verbesserte und genauere Verfahrbarkeit des Werkzeuges entlang eines herzustellenden, komplexen Zielprofils zu gewährleisten. Diesbezüglich verwies die Beschwerdeführerin auf den Absatz [0034] des Dokuments E01. Die Einführung eines zusätzlichen Freiheitsgrades in die aus dem E01 bekannte Maschine, die eine Nachführung und eine Variierung der absoluten Ausrichtung der Werkzeugachse entlang des Verlaufs des Zielprofils gewährleistet, sei für den Fachmann als eine naheliegende bauliche Überlegung anzusehen, die keinen erfinderischen Beitrag leiste. Hinsichtlich des E20 führte die Beschwerdeführerin aus, dass die aus diesem Stand der Technik bekannte Werkzeugmaschine bereits über eine 5-Achs-Steuerung verfügt, wobei lediglich die Änderung der Schwenklage der Planscheibe (9), die einen der 5 vorhandenen Freiheitsgrade darstellt, auf 20° beschränkt ist. Sollte im Hinblick auf die gestellte Aufgabe eine vollständige 5-Achs-Steuerung gewünscht sein, wäre es für den Fachmann ohne weiteres denkbar, den Verstellzylinder der Planscheibe (9) durch eine zweite rotatorische Antriebsvorrichtung gemäß Merkmal 1.5 zu ersetzen und somit, ohne erfinderisches Zutun, zu einer vollständigen 5-Achs-Steuereinrichtung zu gelangen, die eine exakte Nachführung des Zahnprofils entlang der gesamten herzustellenden Zahnflanke im Sinne des Merkmals 1.10 des Anspruchs 1 gewährleiste.

5.3 Diese Ausführungen sind aus folgenden Gründen nicht überzeugend:

Wie von den Beschwerdegegnerinnen zutreffend vorgetragen wurde, ist die aus dem E01 bekannten Werkzeugmaschine bereits in der Lage, gebogene Zahnprofile zu erzeugen. Es besteht somit für den Fachmann kein naheliegender Anlass, die in Figur 7 gezeigte Ausgestaltung dieser bekannten Werkzeugmaschine durch die Einführung eines zusätzlichen Freiheitsgrads für die Werkzeugsachse (17) mit entsprechender Steuerung zu erweitern, um eine Nachführung und eine Variierung ihrer absoluten Ausrichtung entsprechend der Lehre des zweiten Teils des Merkmals 1.10 gleichzeitig mit den restlichen Bewegungen (vgl. Merkmale 1.5 bis 1.7) zu ermöglichen. Dasselbe würde gelten, wenn der Fachmann von der aus Dokument E20 bekannten Maschine ausgehen würde. Selbst die von der Beschwerdeführerin angeregte Ersetzung des Verstellzylinders der Planscheibe (9) durch eine rotatorische Antriebvorrichtung würde nicht unmittelbar zu einer gesteuerten Variierung der absoluten Ausrichtung der Werkzeugsachse entsprechend dem Merkmal 1.10 des Anspruchs 1 führen, weil der Werkzeugträger auch nach dieser Änderung lediglich entlang den Richtungen X, Y und Z translatorisch bewegbar bleiben würde, d.h. es wäre immer noch keine gesteuerte, absolute Ausrichtung der Rotationsachse des scheibenförmigen Werkzeuges (8) gemäß Merkmal 1.10 des Anspruchs 1 möglich. In diesem Zusammenhang sei bemerkt, dass das Element (10) in Figur 2 lediglich als "Andockelement" bezeichnet ist, so dass eine gesteuerte Einstellung der Werkzeugsachse nicht offenbart ist. Darüber hinaus wird, wie zutreffend von den Beschwerdegegnerinnen vorgetragen wurde, in E20 keine gleichzeitige Steuerung der sämtlichen rotatorischen und translatorischen Bewegungen gemäß Merkmal 1.7 offenbart, sondern nur eine Synchronisierung des Vorschubs der C-Achse mit dem Vorschub der Z-Achse, was eigentlich zur Herstellung von Gerad- und Schrägverzahnungen (vgl. Absatz [0001] von E20), im Gegensatz zur Herstellung bogenförmiger Verzahnungen wie von Merkmal 1.10 verlangt, gar nicht erforderlich ist. Die Kammer ist daher der Auffassung, dass auch im Hinblick auf Dokument E20 für den Fachmann kein naheliegender Anlass besteht, die dortige Werkzeugmaschine mit einer Steuerungseinrichtung gemäß Merkmal 1.10 des Anspruchs 1 auszustatten.

5.4 Mit der Beschwerdebegründung hatte die Beschwerdeführerin eine weitere, auf Dokument E14 beruhende Angrifflinie vorgetragen, die aber während der mündlichen Verhandlung nicht weiterverfolgt wurde. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Kammer bereits mit ihrer vorläufigen Auffassung vom 29. April 2020 und im Rahmen der Diskussion des Patents als erteilt signalisiert hatte, dass die in dieser Entgegenhaltung offenbarte Werkzeugmaschine keine Steuereinrichtung gemäß dem Kennzeichen des Anspruchs 1 wie erteilt aufwies. Zu dieser vorläufiger Einschätzung hat die Beschwerdeführerin weder mit der Erwiderung vom 10. November 2020 noch während der mündlicher Verhandlung Stellung genommen, so dass die Kammer keinen Anlass hat, von ihrer Einschätzung, dass die Erfindung auch ausgehend von E14 nicht nahegelegt wird, abzuweichen. Aus den bezüglich Dokumente E01 und E20 angegebenen Gründen ist daher auch diese Angrifflinie nicht erfolgreich.

5.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag III erfüllt somit die Erfordernisse der Artikel 52(1) and 56 EPÜ hinsichtlich des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit.

6. Die Ansprüche 6 und 18 betreffen ein Verfahren zum Herstellen einer Verzahnung auf einer Werkzeugmaschine gemäß einem der Ansprüche 1 bis 5 bzw. die Verwendung eines Werkzeugs in einer Werkzeugmaschine gemäß einem der Ansprüche 1 bis 5 und erfüllen somit ebenfalls die Erfordernisse der Artikel 52(1), 54 und 56 EPÜ.

7. Das Patent in der Fassung gemäß dem als Hilfsantrag III eingereichten Hauptantrag genügt somit allen Erfordernissen des EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage des Hilfsantrags III, wie eingereicht mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung vom 17. April 2018, und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

Quick Navigation