European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2021:T215917.20211201 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 01 Dezember 2021 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2159/17 | ||||||||
Anmeldenummer: | 10157071.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | B65G 47/71 B65G 47/82 B07C 5/34 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Vorrichtung und Verfahren zum Ausleiten von Objekten von einer sich bewegenden Transporteinrichtung | ||||||||
Name des Anmelders: | Krones AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Heuft Systemtechnik GmbH KHS GmbH |
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Kammer: | 3.2.07 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderung nach Ladung - stichhaltige Gründe (nein) Neuheit - (ja) Zurückverweisung - (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der das europäische Patent Nr. 2 246 278 widerrufen wurde.
II. Zwei Einsprüche richteten sich gegen das Streitpatent im gesamten Umfang und stützten sich auf die Einspruchsgründe mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ.
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Einspruchsgrund mangelnder Neuheit nach Artikel 100 a) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung entgegenstehe, da die jeweilige Offenbarung von Dokument D1 (DE 10 2005 021 109 A1) und von Dokument D8 (EP 1 425 238 B1) den streitpatentgemäß beanspruchten Gegenstand neuheitsschädlich vorwegnehme.
III. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 3. Februar 2021 teilte die Beschwerdekammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die Beschwerde erfolgreich sein dürfte.
IV. Mit Schriftsatz vom 29. September 2021 nahm die Einsprechende 2 zur Mitteilung der Kammer inhaltlich Stellung und reichte die folgenden Anlagen ein:
E14: Schrift Firma Sulzer Electronics AG zu LinMot®,
E15: "Industrielle Linearmotoren", LinMot®, Ausgabe 14, und
E15a: E-Mail zum Veröffentlichungsdatum.
V. Die Patentinhaberin nahm mit Schriftsatz vom 20. April 2021 zur Mitteilung der Kammer inhaltlich Stellung und erwiderte mit Schriftsatz vom 17. November 2021 auf den Schriftsatz der Einsprechenden 2 vom 29. September 2021.
VI. In dieser Entscheidung wird ferner auf die folgende, von der Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2018 eingereichte Anlage Bezug genommen:
Anlage 1: Prospekt SEW-EURODRIVE GmbH & Co KG "Elektrozylinder standard und modular CMS.."
VII. Am 1. Dezember 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
Die Entscheidung wurde am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet.
VIII. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) beantragte
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag),
hilfsweise, die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Basis eines der Anspruchssätze gemäß Hilfsanträgen 1 bis 4,
wobei die Anspruchssätze gemäß Hilfsanträgen 1, 2 und 4 mit der Beschwerdebegründung und der Anspruchssatz gemäß Hilfsantrag 3 mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2018 im Beschwerdeverfahren eingereicht wurden.
Die Einsprechenden 1 und 2 (Beschwerdegegnerinnen) beantragten
die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Bestätigung des Widerrufs des Patents.
Alle Parteien beantragten für den Fall der Anerkennung der Neuheit der Anspruchsgegenstände des Patents in der erteilten Fassung
die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Prüfung und Entscheidung.
IX. Der unabhängige Vorrichtungsanspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag lautet:
"Vorrichtung (10) zum Ausleiten von Objekten (12) von einer sich bewegenden Transporteinrichtung (14) mit darauf aufeinander folgend stehenden Objekten (12), mit einer Ausleiteinrichtung (20) zum geschobenen Ausleiten von ausgewählten Objekten (12) senkrecht oder schräg zu einer Förderrichtung der Transporteinrichtung (14), wobei die Ausleiteinrichtung (20) durch einen positionsgeregelten Linearantrieb (22) gebildet ist, und wobei der Linearantrieb (22) mit einer Steuereinrichtung (30) gekoppelt ist, mit der verschiedene Bewegungsparameter des Antriebs (22) vorgebbar sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Steuereinrichtung (30) mit einem Sensor (40) zur Erfassung von Gewichts- und/oder Schwerpunktsparametern der Objekte (12) gekoppelt ist."
X. Der nebengeordnete Verfahrensanspruch 5 des Patents in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag lautet:
"Verfahren zum Ausleiten von Objekten (12) von einer sich bewegenden Transporteinrichtung (14) mit darauf aufeinander folgend stehenden Objekten (12) mittels einer Ausleiteinrichtung (20) zum geschobenen Ausleiten von ausgewählten Objekten (12) senkrecht oder schräg zu einer Förderrichtung der Transporteinrichtung (14), wobei Objekte (12) mit einem positionsgeregelten Linearantrieb (22) ausgeleitet werden und der Linearantrieb (22) von einer Steuereinrichtung (30) zur Vorgabe verschiedener Bewegungsparameter des Antriebs (22) angesteuert wird, dadurch gekennzeichnet, dass der Antrieb (22) in Abhängigkeit von Gewichts- und/oder Schwerpunktsparametern der Objekte (12) angesteuert wird."
XI. Im Hinblick auf die Entscheidung der Kammer ist eine Wiedergabe des Wortlauts der Hilfsanträge nicht erforderlich.
XII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
Entscheidungsgründe
1. Revidierte Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) - Übergangsbestimmungen
Dieses Verfahren unterliegt der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, die am 1. Januar 2020 in Kraft trat (Artikel 24 und 25 (1) VOBK 2020), mit Ausnahme von Artikel 12 (4) bis (6) VOBK 2020, anstelle dessen Artikel 12 (4) VOBK 2007 weiterhin anwendbar ist (Artikel 25 (2) VOBK 2020).
2. Berücksichtigung im bzw. Zulassung ins Verfahren der Anlagen E14 bis E15a
Mit Schriftsatz vom 29. September 2021, d.h. nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 3. Februar 2021 und der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom selben Tag, reichte die Einsprechende 2 zum Nachweis des allgemeinen Fachwissens bezüglich Linearmotoren erstmalig die Anlagen E14 und E15 sowie zur Bestätigung des Veröffentlichungsdatums die Anlage E15a ein. Dies stellt eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Einsprechenden 2 gegenüber ihrer Beschwerdeerwiderung dar, deren Berücksichtigung im Verfahren den Erfordernissen nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 unterliegt.
Nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
Die Änderung ihres Beschwerdevorbringens rechtfertigte die Einsprechende 2 damit, dass der Hinweis auf die Bedeutung der Positionsregelung des Linearantriebs erstmals in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 erfolgt sei. Im Einspruchsverfahren sei nicht erkennbar gewesen, dass das Merkmal des positionsgeregelten Linearantriebs von großem Belang bei der Neuheitsbetrachtung sei. Vor Erhalt der vorläufigen Beurteilung durch die Kammer habe keine Veranlassung bestanden, einen entsprechenden Nachweis für das allgemeine Fachwissen zum Linearantrieb einzureichen, weil die Einspruchsabteilung im Sinne der Einsprechenden entschieden habe. Die Anlagen seien auch zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Hinblick auf eine mögliche Zurückverweisung der Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung genannt worden.
Die Kammer erkennt in der von der Einsprechenden 2 vorgebrachten Rechtfertigung keine stichhaltigen Gründe, die aufzeigten, dass außergewöhnliche Umstände vorlagen. Hingegen ist entsprechend der Auffassung der Patentinhaberin festzustellen, dass die Positionsregelung des Linearantriebs bereits im Einspruchsverfahren bei der Diskussion mangelnder Neuheit thematisiert und mit den Parteien erörtert wurde. Denn ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung auf Seite 1, Punkt 2, zweiter Absatz, wurde die "Neuheit der unabhängigen Ansprüche 1 und 5 ... mit besonderem Hinblick auf die in den genannten Ansprüchen aufgeführten Merkmale ... "positionsgeregelter Linearantrieb" diskutiert." Auch wurde das Merkmal des positionsgeregelten Linearantriebs zum Neuheitseinwand nach Artikel 100 a) EPÜ sowohl in der angefochtenen Entscheidung berücksichtigt als auch in der Beschwerdebegründung aufgegriffen.
Die Mitteilung der Kammer nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 ist der Argumentation der Patentinhaberin bezüglich des Merkmals der Positionsregelung des Linearantriebs gefolgt. Durch die vorläufige Meinung der Kammer ergab sich daher keine Änderung gegenüber dem Einspruchsverfahren, dass das Merkmal des positionsgeregelten Linearantriebs bei der Neuheitsbetrachtung nach Artikel 100 a) EPÜ als relevant anzusehen ist.
Die Kammer vermag daher keinen stichhaltigen Grund für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zu erkennen, der nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 ein Abwarten zur Vorlage eines Nachweises für das allgemeine Fachwissen zum Linearantrieb bis nach der Zustellung des Ladungsbescheids zur mündlichen Verhandlung und eine dadurch bedingte Änderung des Beschwerdevorbringens in diesem späten Stadium des Verfahrens rechtfertigt.
Die Anlagen E14 bis E15a bleiben daher entsprechend dem Antrag der Patentinhaberin nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt.
3. Hauptantrag - Neuheit - Artikel 100 a) und 54 EPÜ
Die Patentinhaberin wendete sich gegen die Feststellung der angefochtenen Entscheidung, dass die jeweilige Offenbarung von D1 und D8 neuheitsschädlich für den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei und trug im Ergebnis vor, dass weder D1 noch D8 die Merkmale
- eines positionsgeregelten Linearantriebs sowie
- eines Sensors zur Erfassung von Gewichts- und/oder Schwerpunktsparametern
von Anspruch 1 beschreibe.
3.1 Positionsgeregelter Linearantrieb
3.1.1 Neuheit gegenüber der Offenbarung von D1
Nach der angefochtenen Entscheidung war das Merkmal des erteilten Anspruchs 1, dass die Ausleiteinrichtung durch einen positionsgeregelten Linearantrieb gebildet ist, in Absatz [0028] von D1 offenbart, wonach zum Antreiben des Stempels ein getriebeloser Linearantrieb diene.
Gemäß der Einsprechenden 2 lehrten die drei letzten Sätze in Abschnitt [0028] von D1 ausdrücklich, dass die Steuereinrichtung nach D1 den getriebelosen Linearantrieb in Kenntnis der zurückzulegenden Wegstrecke antreibe. Sie steuere den Antrieb also auf eine bestimmte Position hin. Mithin sei der Antrieb nach D1 ein positionsgesteuerter Linearantrieb.
Die Einsprechende 1 argumentierte, dass sich aus Absatz [0028] von D1 unzweifelhaft entnehmen ließe, dass ein getriebeloser Linearantrieb die motorische Kraft des Ausleitelements aufbringe. Auch im Streitpatent scheine ein getriebeloser Linearantrieb bevorzugt zu sein, da dort getriebebasierte Konzepte als nachteilig dargestellt werden (vgl. Absatz [0011] des Streitpatents). Dass der in D1 offenbarte Linearantrieb zugleich auch ein positionsgeregelter Linearantrieb sei, ginge eindeutig daraus hervor, dass gemäß Anspruch 4 und Absatz [0014] von D1 der Linearmotor über den Modus einer Wegsteuerung und den Modus einer Zeitsteuerung verfüge. Unter dem Begriff "Wegsteuerung" verstehe der Fachmann nichts anderes als eine "Positionsregelung" im Sinne des Streitpatents.
Die Kammer folgt der Argumentation der beiden Einsprechenden nicht, sondern teilt entgegen der angefochtenen Entscheidung unter Punkt II.12.1 die Auffassung der Patentinhaberin (siehe insbesondere Schriftsatz vom 5. Dezember 2018, Seiten 4 bis 6).
In der Tat sind die Begriffe "Steuerung" und "Regelung" technisch nicht gleichbedeutend. Entsprechend dem Vortrag der Patentinhaberin ist der Begriff einer Steuerung durch die dem Fachmann bekannte DIN 19226 definiert:
"Das Steuern - Steuerung - ist ein Vorgang in einem System, bei dem eine oder mehrere Größen als Eingangsgrößen andere Größen aus Ausgangsgrößen auf Grund der dem System eigentümlichen Gesetzmäßigkeiten beeinflussen. Kennzeichen für das Steuern ist der offene Wirkungsablauf über das einzelne Übertragungsglied oder die Steuerstrecke."
Ebenso wird nach DIN 19226 eine Regelung definiert:
"Das Regeln/die Regelung ist ein Vorgang bei dem eine Größe, die zu regelnde Größe (Regelgröße), fortlaufend erfasst, mit einer anderen Größe, der Führungsgröße verglichen und im Sinne einer Angleichung an die Führungsgröße beeinflusst wird. Kennzeichen für das Regeln ist der geschlossene Wirkungsablauf, bei dem die Regelgröße im Wirkungsweg des Regelkreises fortlaufend sich selbst beeinflusst."
Auf einer solchen Regelung basiert der positionsgeregelte Linearantrieb gemäß Streitpatent im Gegensatz zu einem gesteuerten Linearantrieb nach D1. Entgegen der Meinung der Einsprechenden sind ein gesteuerter Linearantrieb und ein geregelter bzw. positionsgeregelter Linearantrieb unterschiedliche technische Komponenten mit jeweils unterschiedlicher Wirkungsweise, wobei die D1 einen solchen positionsgeregelten Linearantrieb nicht offenbart. Denn dass eine Regelung erfolgt, die gemäß DIN 19226 als Kennzeichen einen geschlossenen Wirkungsablauf verlangt, ist D1 nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen. D1 beschreibt zwar einen getriebelosen Linearantrieb (Absatz [0028]). Dieser nimmt jedoch einen positionsgeregelten Linearantrieb nicht neuheitsschädlich vorweg.
3.1.2 Neuheit gegenüber der Offenbarung von D8
Nach der angefochtenen Entscheidung war in D8 ein Linearantrieb anhand eines hin- und herbeweglichen Stößels offenbart (D8, Absatz [0018]), wobei eine irgendwie geartete Positionsregelung vorgesehen sei (D8, Absätze [0010],[0022],[0024]).
Die Einsprechende 2 argumentierte, dass D8 einen Stößel beschreibe, mittels dessen ein "wohldefiniertes Schieben" umgesetzt werde (D8, Absatz [0024]). Durch dieses wohldefinierte Schieben sei es möglich, "die Position, die der Gegenstand auf der Transporteinrichtung nach der Überführungseinrichtung einnimmt, sehr genau einzustellen" (D8, Absatz [0027]). Es seien Mittel vorgesehen, mit denen die Überführungseinrichtung, hier der Stößel, angesteuert werden könne, insbesondere werde die Überführungsbewegung verschieden stark ausgelöst (D8, Absatz [0031]). In den Absätzen [0035], [0036] werde der Vorgang des Ansteuerns des Stößels erläutert. In Spalte 8, Zeilen 10 bis 19 und 42 bis 52, von D8 werde das Steuern der Bewegung des Stößels beschrieben. Somit werde nach D8 die Position des Stößels in Abhängigkeit von der Position des Gegenstandes gesteuert. Das präzise Auslenken um jeweils andere Wegstrecken erfordere eine hochpräzise Auslenkung, bei der der Fachmann automatisch mitlese, dass dieses Bewegen des Stößels immer ein korrektes Positionieren des Stößels und mithin ein Regeln des Stößels erfordere.
Die Einsprechende 1 brachte hinsichtlich der Offenbarung eines positionsgeregelten Linearantriebs vor, dass der hin- und herbewegliche Stößel nach Absatz [0018] von D8 einen Linearantrieb im Sinne des Streitpatents darstelle. Zwar sei in der Beschreibung von D8 der Fokus eher auf das zu erreichende Ziel gerichtet, nämlich die positionsgenaue Ausleitung der Gegenstände. Daher betreffe die dort gewählte Formulierung primär die Positionierung dieser Gegenstände. Dem Fachmann sei aber selbstverständlich unmittelbar klar, dass eine exakte Positionierung eines Gegenstands nur dann erreicht werden könne, wenn auch die zur Ausleitung verwendete Vorrichtung über eine exakte Positionskontrolle verfüge. Darüber hinaus werde in Absatz [0024] eine Regelung (und nicht nur eine Steuerung) beschrieben. Um den in D8 beschriebenen Stößel zuverlässig so zu positionieren, dass er sich bereits vor der eigentlichen Ausleitung schon dicht an dem auszuleitenden Gegenstand befinde, müsse eine Regelung verwendet werden. Nur mit einer Regelung, bei der der Ist-Wert der Regelgröße erfasst werde, sei eine genaue Einstellung dieser Regelgröße möglich.
Die Kammer ist von der Argumentation der beiden Einsprechenden nicht überzeugt. Entgegen der angefochtenen Entscheidung unter Punkt II.12.2 teilt die Kammer vielmehr die Auffassung der Patentinhaberin.
Der hin- und herbewegliche Stößel nach Absatz [0018] von D8 beschreibt zwar einen Linearantrieb. Dass der Linearantrieb des Stößels jedoch positionsgeregelt sein muss, ist durch eine seitliche Versetzung der Gegenständen in verschiedene Bereiche nach Absatz [0022] in Verbindung mit Absatz [0010] von D8, so dass sich insgesamt immer eine sehr genauen Positionierung von Gegenständen eingestellt, nicht offenbart. Die dort erwähnte Positionierung bezieht sich auf die versetzten Gegenstände.
Absatz [0024] von D8 beschreibt zwar, dass ein Stößel dicht an einen jeweiligen Gegenstand heranbewegt ist, und dass anschließend durch Bewegen des Stößels ein wohldefiniertes Schieben des Gegenstandes einsetzt. Allerdings handelt es sich hierbei um eine Steuerung des Stößels. Im technischen Sinne wird im Rahmen einer Steuerung eine Eingangsgröße direkt in eine Ausgangsgröße umgesetzt. Hingegen wird bei einer Regelung ein Ist-Wert einer Größe gemessen bzw. erfasst, mit einem Sollwert verglichen und eine Ausgangsgröße unter Berücksichtigung des Vergleichs angepasst. Daher versteht der Fachmann das Merkmal eines positionsgeregelten Linearantriebs derart, dass eine Regelung vorgesehen ist, bei der die jeweilige Position eines Stößels ständig mit einer Vorgabe verglichen und gegebenenfalls korrigiert werden muss. Dies lässt sich D8 nicht unmittelbar und eindeutig entnehmen. D8 offenbart lediglich, insbesondere auch in den von den Einsprechenden zitierten Absätzen von D8, dass der Stößel im Rahmen einer Steuerung bewegt wird. Somit stellt der nach D8 gesteuerte Stößel, entgegen der angefochtenen Entscheidung, Punkt II.12.2, M1.4, keine "irgendwie geartete Positionsregelung" und keinen positionsgeregelten Linearantrieb dar.
3.1.3 Zur Neuheit gegenüber der jeweiligen Offenbarung von D1 und D8 unter Berücksichtigung des Fachwissens
Die Einsprechende 2 betonte, dass ein Linearmotor, der eingesetzt werde, um durch Auslenkung einen Behälter zu verschieben, stets zwingend eine Positionsregelung aufweisen müsse. Die Steuereinheit benötige zwingend die Rückmeldung zur Position des Linearmotors, um eine vorgegebene Position einstellen zu können und gegebenenfalls anschließend erkennen zu können, ob eine vorgegebene Position erreicht wurde. Die Positionsregelung sei ein selbstverständlicher Bestandteil des Linearmotors. Daher werde dieses Bauteil als Selbstverständlichkeit im Stand der Technik nicht gesondert erwähnt.
Die Einsprechenden argumentierten, dass die Positionsregelung des Linearantriebs allgemeines Fachwissen sei, das exemplarisch von der Einsprechenden 1 genannt wurde und laut der Einsprechenden 2 von der Patentinhaberin anhand der Anlage 1 gezeigt worden sei. Die Positionsregelung sei ein inhärentes Merkmal des Linearantriebs, das der Fachmann zwanglos im Stand der Technik mitlese.
Die Kammer teilt die Meinung der Einsprechenden nicht und ist vielmehr von den Argumenten der Patentinhaberin überzeugt, dass eine Positionsregelung kein inhärentes Merkmal des Linearantriebs ist.
Die Definition der Begriffe Regelung und Steuerung nach DIN 19226, wie oben unter Punkt 3.1.1 angegeben, stellt das allgemeine Fachwissen des Fachmanns dar. Gemäß DIN 19226 ist dem Fachmann bekannt, dass zwischen den Begriffen Regelung und Steuerung streng zu unterscheiden ist. Vor dem Hintergrund dieses in DIN 19226 festgesetzten allgemeinen Fachwissens liest und versteht der Fachmann den erteilten Anspruch 1. Mit diesem Verständnis des dem Fachmann bekannten Unterschieds zwischen Regelung und Steuerung liest der Fachmann auch die Dokumente D1 und D8. Beim Lesen von D1 und D8 findet der Fachmann allerdings keine Lehre, die die nach DIN 19226 definierte Regelung unmittelbar und eindeutig aufzeigte, wie beispielsweise einen geschlossenen Wirkungsablauf, bei dem die Regelgröße im Wirkungsweg des Regelkreises fortlaufend sich selbst beeinflusst. Die Einsprechenden versuchen in ihrer Argumentation hingegen bezüglich der Offenbarung von D1 und D8, den dem Fachmann bekannten Unterschied zwischen Regelung und Steuerung zu verwässern, indem sie sich auf ein allgemeinen Fachwissen berufen, das der Fachmann beim Lesen von D1 oder D8 nicht berücksichtigte. Vielmehr legt der Fachmann beim Lesen von D1 oder D8 sein allgemeines Fachwissen nach DIN 19226 zugrunde.
Daher ist das Merkmal des positionsgeregelten Linearantriebs unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens weder aus D1 noch aus D8 bekannt.
3.2 Sensor zur Erfassung von Gewichts- und/oder Schwerpunktsparametern
3.2.1 Neuheit gegenüber der Offenbarung von D1
Nach der angefochtenen Entscheidung seien die nach D1, Absatz [0028], von der Detektionseinrichtung erfassten Abmessungen eines Objekts für dessen Schwerpunkt als Parameter anzusehen.
Gemäß der Einsprechenden 2 lehre D1 in Absatz [0028] das Erfassen von Tiefe, Breite und Länge eines Produkts mittels Sensoren. Tiefe, Länge und Breite seien jeweils Schwerpunktsparameter. D1 zeige, dass eine Steuereinrichtung (Absatz [0028]) mit einen Sensor zur Erfassung von Gewichts- und/oder Schwerpunktsparametern gekoppelt sei. Anspruch 1 und die Beschreibung des Streitpatents forderten nicht, dass eine Berechnung des Gewichts bzw. des Schwerpunkts erfolge. Es komme streitpatentgemäß also darauf an, dass ein Parameter erfasst werde, der bei einer Berechnung von Gewicht oder Schwerpunkt sinnvoll eingesetzt werden könnte. Das Ausleiten erfolge in Abhängigkeit von einem Parameter, nicht in Abhängigkeit von Gewicht oder Schwerpunkt. Daher sei die Erfassung eines Parameters neuheitsschädlich, der dazu geeignet sei, für die Berechnung von Gewicht oder Schwerpunkt eingesetzt zu werden.
Laut der Einsprechenden 1 gehe aus Absatz [0019] von D1 die allgemeine Lehre hervor, dass der/die Sensor/en dazu ausgelegt seien, die Tiefe und/oder die Breite eines Produkts zu erfassen, diese Parameter zu bestimmen und das als Stempel bezeichnete Ausleitorgan entsprechend zu betreiben. D1 lehre also auch, dass die Steuereinrichtung den Antrieb in Abhängigkeit von Schwerpunktsparametern des auszuleitenden Produkts ansteuere. Dabei seien Schwerpunktparameter Parameter, die zur Berechnung des Schwerpunkts verwendet werden könnten. Auch das Streitpatent gebiete keine restriktive Auslegung der Begriffe Gewichts- und Schwerpunktparameter.
Die Kammer ist von der Argumentation der beiden Einsprechenden nicht überzeugt und schließt sich der Auffassung der Patentinhaberin an.
Entgegen der angefochtenen Entscheidung, Punkt II.12.1, ist die Detektionseinrichtung nach D1 kein Sensor zur Erfassung von Gewichts- und/oder Schwerpunktsparametern. Zwar sind die Sensoren nach D1 dazu ausgelegt, die Tiefe und/oder die Breite eines Produkts zu erfassen und diese Parameter zu bestimmen (Absätze [0019] und [0028] von D1). Auch sind die Abmessungen eines Objekts, wie Tiefe und Breite, Schwerpunktparameter eines Objekts. Allerdings ist die daraus hinsichtlich der Offenbarung von D1 gezogene Schlussfolgerung unzutreffend. Dass die von der Detektionseinrichtung nach D1 erkannten Abmessungen des Produkts Schwerpunktparameter sind und dass die Detektionseinrichtung nach D1 tatsächlich als Sensor zur Erfassung von Schwerpunktsparametern der Objekte vorgesehen ist, ist weder Absatz [0028] noch Absatz [0019] von D1 unmittelbar und eindeutig zu entnehmen.
Der Fachmann hat ein spezifisches Verständnis zum Begriff eines Gewichts- und/oder Schwerpunktsparameters. Daher entnimmt der Fachmann aus der unspezifischen Offenbarung des Ermittelns der Abmessungen eines Produkts nach D1 nicht automatisch und zwangsläufig das spezifische Merkmal des Erfassens eines Gewichts- und/oder Schwerpunktsparameters.
3.2.2 Neuheit gegenüber der Offenbarung von D8
Nach der angefochtenen Entscheidung werde nach D8 über eine vordefinierte Messbewegung die Reibung zwischen der Transporteinrichtung und den Gegenständen bestimmt, welche eindeutig ein Gewichtsparameter sei.
Die Einsprechenden 2 argumentierte, dass entsprechend der angefochtenen Entscheidung den Absätzen [0012], [0014], [0015] und [0031] von D8 zu entnehmen sei, dass eine Steuereinrichtung mit einem Sensor zur Erfassung von Gewichts- und/oder Schwerpunktsparametern der Objekte gekoppelt sei. Insbesondere Absatz [0031] von D8 erläutere den Zusammenhang zwischen der Erfassung der Daten und der Steuerung des Stößels. Absatz [0012] von D8 erläutere zuvor, dass die Reibung zwischen dem Gegenstand und der Transporteinrichtung durch Auslösen und Erfassen einer Messbewegung bestimmt werde. Auch beschreibe D8 in Absatz [0007] einen Sensor zur Erfassung von Gewichts- und/oder Schwerpunktsparameter beschreibe. Die Normalkraft, die gleichartige Behälter auf die Transporteinrichtung ausübten, wenn sie auf ihr gefördert werden, beeinflusse wesentlich das Reibungsverhalten dieser Behälter. Wenn diese Behälter zum Beispiel beim Passieren einer Rampe oder beim Einwirken eines kleinen seitlichen Stoßes unterschiedlich große Bewegung zeigten, werde diese Bewegung vom Gewicht des Behälters bestimmt, das in erster Ordnung die Normalkraft beeinflusse.
Die Einsprechende 1 argumentierte, dass es sich bei der Reibung nach D8 um einen Gewichtsparameter handle. Nach D8 werde bestimmt, wie groß die Reibung zwischen dem Gegenstand und dem Transporteur sei, um festzustellen, wie schwer sich die Gegenstände verschieben ließen (Absatz [0007] von D8). Mangels irgendeiner spezielleren Definition im Streitpatent hinsichtlich der Gewichts- und/oder Schwerpunktsparameter, sei es gerechtfertigt, die Bestimmung der Reibung in D8 mit der Bestimmung von Gewichts- und/oder Schwerpunktsparameter gleichzusetzen. Auch stelle die nach D8 durch die Abstandssensoren gemessene Distanz ein direktes Maß für die zugrundeliegende Reibung dar, und damit seien in dieser Distanz die für den Fachmann nötigen Parameter enthalten.
Die Kammer ist von der Argumentation der beiden Einsprechenden nicht überzeugt. Zwar wird nach D8 eine vordefiniert ausgelöste Messbewegung (Absatz [0012]) durch beispielsweise Abstandssensoren (Absatz [0014]) erfasst und einer Steuereinrichtung zur Verfügung gestellt, die mit dem Antrieb der Ausleiteinrichtung gekoppelt ist. Dabei wird über die Messbewegung die Reibung zwischen der Transporteinrichtung und dem Gegenstand bestimmt (Absatz [0012]).
Allerdings ist entgegen der Feststellung unter Punkt II.12.2 der angefochtenen Entscheidung die nach D8 bestimmte Reibung kein Gewichtsparameter, so dass D8 keinen Sensor zur Erfassung von Gewichtsparametern offenbart.
Die Gewichts- bzw. Normalkraft eines Objekts spielt zwar eine Rolle bei der Bestimmung der Reibung. Allerdings ist in D8 an keiner Stelle eindeutig offenbart, dass ein Gewichtsparameter eines Gegenstandes eine zwingende Voraussetzung für die in D8 ermittelte Reibung wäre. Nach Absatz [0007] von D8 wird beispielsweise festgestellt, wie leicht bzw. schwer sich die Gegenstände auf der Transporteinrichtung verschieben lassen. Dass diese Verschiebung von der Gewichtskraft abhinge, ist in D8 nicht unmittelbar und eindeutig gezeigt.
Wie oben unter Punkt 3.2.1 zur Offenbarung von D1 festgestellt, hat der Fachmann ein spezifisches Verständnis zum Begriff eines Gewichts- und/oder Schwerpunktsparameters. Daher entnimmt der Fachmann aus der unspezifischen Offenbarung der Reibung nach D8 nicht automatisch das spezifische Merkmal eines Gewichts- und/oder Schwerpunktsparameters.
3.3 Somit zeigt weder D1 noch D8 die Merkmale von Anspruch 1 unmittelbar und eindeutig,
- dass die Ausleiteinrichtung durch einen positionsgeregelten Linearantrieb gebildet ist, und
- dass die Steuereinrichtung mit einem Sensor zur Erfassung von Gewichts- und/oder Schwerpunktsparametern der Objekte gekoppelt ist.
Daher ist der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber der jeweiligen Offenbarung von D1 und D8.
3.4 Der Gegenstand des nebengeordneten Verfahrensanspruchs 5 umfasst unstreitig die zum Vorrichtungsanspruch 1 korrespondierenden Verfahrensmerkmale. Daher ist der Gegenstand von Anspruch 5 entsprechend den obigen Feststellungen zur Neuheit von Anspruch 1 (siehe Punkte 3.1 bis 3.3) neu gegenüber der Offenbarung von D1 oder D8.
3.5 Die Ansprüche 2 bis 4 und 6 bis 11 des Patents in der erteilten Fassung sind auf den erteilten unabhängigen Anspruch 1 bzw. 5 rückbezogen und daher ebenfalls neu, so dass der Einspruchsgrund mangelnder Neuheit nach Artikel 100 a) und 54 EPÜ nicht durchgreift.
3.6 Die Einsprechenden 1 und 2 erklärten übereinstimmend, keine weiteren Neuheitsangriffe zum Hauptantrag zu haben (siehe Protokoll der mündlichen Verhandlung, Seite 4, zweiter Absatz).
Daher befindet die Kammer, dass die Patentinhaberin überzeugend die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zur mangelnden Neuheit dargetan hat, so dass die Neuheit der Anspruchsgegenstände in der erteilten Fassung anerkannt und der Beschwerde der Patentinhaberin insoweit stattgegeben werden kann.
4. Zurückverweisung
Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragten die Parteien einvernehmlich für den Fall der Anerkennung der Neuheit der Anspruchsgegenstände des Patents in der erteilten Fassung, die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Prüfung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Nach Artikel 11 VOBK 2020 verweist eine Kammer die Angelegenheit nur dann zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurück, wenn besondere Gründe dafür sprechen.
Nachdem das Streitpatent im Einspruchsverfahren wegen mangelnder Neuheit des erteilten Anspruchs 1 gegenüber der jeweiligen Offenbarung von D1 und D8 widerrufen wurde, bestand für die Einspruchsabteilung keine Veranlassung, den von den Einsprechenden im Einspruchsverfahren weiter geltend gemachten Einspruchsgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ zu diskutieren und darüber zu entscheiden.
Da das Beschwerdeverfahren in erster Linie der Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung dient und im vorliegenden Fall der Einspruchsgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit betreffend eine wesentliche Frage zur Patentierbarkeit der streitpatentgemäß beanspruchten Gegenstände von der Einspruchsabteilung noch nicht geprüft und entschieden wurde, und im Beschwerdeverfahren die Einsprechenden keinen Anlass hatten, sich zu dem Einspruchsgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit zu äußern, zu dem auch die Patentinhaberin im Beschwerdeverfahren nicht vortrug, liegen besondere Gründe für die Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung vor.
Daher gibt die Kammer dem Antrag der Parteien auf Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung statt.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.