European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2019:T199817.20191017 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 17 October 2019 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1998/17 | ||||||||
Anmeldenummer: | 09175415.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | B60R 16/02 C09J 7/04 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Quereinreißbares Gewebeklebeband mit hoher Abriebfestigkeit | ||||||||
Name des Anmelders: | Coroplast Fritz Müller GmbH & Co. KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | certoplast Technische Klebebänder GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.06 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Ausreichende Offenbarung - (ja) Erfinderische Tätigkeit - (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 322 385 zurückzuweisen.
II. Die Parteien wurden zu einer mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer geladen. In einer Mitteilung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung legte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Meinung zu Interpretation, Ausführbarkeit und erfinderischer Tätigkeit dar.
III. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 17. Oktober 2019 statt.
IV. Der unabhängige Anspruch des Patents hat folgenden Wortlaut:
"Handeinreißbares, abriebfestes Gewebeklebeband, insbesondere Kabelwickelband, bestehend aus einem bandförmigen Gewebeträger (1) mit einer mindestens einseitigen Klebebeschichtung (4), wobei der Gewebeträger (1) aus Kettfäden (2) und aus Schussfäden (3) hergestellt ist und die Fadenstärke (Titer) in dtex der Schussfäden (3) größer ist als die Fadenstärke (Titer) in dtex der Kettfäden (2) sowie die auf die Breite bezogene Fadenstärke in dtex/cm der Kettfäden (2) kleiner ist als die auf die Länge bezogene Fadenstärke in dtex/cm der Schussfäden (3), wobei jeweils die auf die Breite bezogene Fadenstärke der Kettfäden (2) im Bereich von 2.000 dtex/cm bis 4.000 dtex/cm und die auf die Länge bezogene Fadenstärke der Schussfäden (3) im Bereich von 8.000 dtex/cm bis 16.000 dtex/cm liegt,
dadurch gekennzeichnet, dass die Klebebeschichtung (4) derart ausgebildet ist, dass nur eine Oberflächenbeschichtung vorhanden ist, so dass die Kett- und Schussfäden (2, 3) nicht durch die Klebebeschichtung (4) gegeneinander an ihren Kreuzungsstellen fixiert sind, wobei,
wenn die Kettfäden (2) aus Polyethylenterephtalat und die Schussfäden (3) aus Polyamid bestehen und die Klebebeschichtung (4) aus einem Acrylat besteht und das Trägergewicht 140 g/m**(2) beträgt, sowie das Klebstoffgewicht im Bereich von 75 bis 80 g/m**(2) liegt, wobei die Anzahl der Schussfäden (3) 20 pro cm Länge beträgt,
- wobei bei einer Stärke der Schussfäden (3) von 470 dtex, die längenbezogene Schussfadenstärke bei 9400 dtex/cm liegt, und wobei bei einer Anzahl der Kettfäden (2) von 48 pro cm Breite und einer Stärke der Kettfäden (2) von 55 dtex, die breitenbezogene Kettfadenstärke bei 2700 dtex/cm liegt,
oder
- wobei bei einer Stärke der Schussfäden (3) von 570 dtex, die Schussfäden (3) aus drei Einzelfäden gebildet sind, wobei ein Einzelfaden eine Stärke von 235 dtex und zwei Einzelfäden eine Stärke von 167 dtex aufweisen, wobei die längenbezogene Schussfadenstärke bei 11380 dtex/cm liegt, und wobei bei einer Anzahl der Kettfäden (2) von 35 pro cm Breite und einer Stärke der Kettfäden (2) von 84 dtex die breitenbezogene Kettfadenstärke bei 2940 dtex/cm liegt,
eine Abriebbeständigkeit der Klasse D gemäß LV 312 - gemessen am 5-mm-Dorn - vorliegt, die durch eine Anzahl von Hüben im Bereich von 1500 bis 3500 gekennzeichnet ist."
V. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
VI. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Beschwerde zurückzuweisen.
VII. Folgende Dokumente sind für die vorliegende Entscheidung relevant:
Anlage A4|Forschungsbericht "Penetration depth measurement of Cetroplast [sic] adhesive tape"|
Anlage A5|Forschungsbericht "Penetration depth measurement of Cetroplast [sic] adhesive tape", mit 50D Kettfadenstärke und 600D Schussfadenstärke (siehe Seite 4 "Specification")|
D1 |US 5 698 477 |
D2 |EP 1 074 595 A1 |
D3 |EP 1 990 393 A1 |
D4 |EP 1 911 633 A1 |
D5 |EP 2 000 516 A1 |
D6 |EP 1 607 459 B1 |
VIII. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Erfindung sei nicht ausreichend klar und vollständig offenbart, so dass ein Fachmann sie ausführen könne. Die Versuchsberichte A4 und A5 würden zeigen, dass es nicht möglich sei, eine Oberfläche zu beschichten, ohne dass es zu einer Kreuzungsstellenfixierung komme. Die Anlagen A4 und A5 seien in das Verfahren zuzulassen. Sie seien deshalb erst im Beschwerdeverfahren vorgelegt worden, weil die Beschwerdeführerin damit auf die während der mündlichen Verhandlung beziehungsweise in der Entscheidung gemachten Aussagen der Einspruchsabteilung reagiert habe. Dem beanspruchten Gegenstand mangele es zudem an erfinderischer Tätigkeit. Die in Anspruch 1 angeführten Parameter seien eine willkürliche Auswahl der in D3 genannten, nach oben offenen Wertebereiche. Die objektive, technische Aufgabe bestehe daher ausgehend von D3 oder D2 lediglich darin, ein alternatives Klebeband bereitzustellen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei damit ausgehend von D3 in Zusammenschau mit dem darin erwähnten vorbekannten Klebeband "Coroplast 839" naheliegend. Der Effekt der Handeinreißbarkeit sowie die hohe, vergleichbare Abriebbeständigkeit der Klasse "C" trete ohnehin bereits in D3 auf. Ausgehend von D2 würde der Fachmann ebenfalls in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand gelangen, indem er diese mit der Lehre einer der D1, D4, D5 oder D6 kombiniere.
IX. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Erfindung sei ausreichend klar und vollständig offenbart, so dass ein Fachmann sie ausführen könne. A4 und A5 seien nicht in das Verfahren zuzulassen, da sie bereits im Einspruchsverfahren hätten vorgelegt werden können. Die Einspruchsabteilung habe nämlich bereits in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass ein glaubhafter Beleg für die mangelnde Ausführbarkeit fehle. Die Merkmalskombination gemäß Anspruch 1 sei eine erfinderische Auswahl von Parametern, die gemeinsam die Aufgabe lösten, eine gute Verbundfestigkeit und eine gute Handeinreißbarkeit sowie eine Abriebbeständigkeit gemäß Klasse D nach LV 312 zu erreichen, und zwar ausgehend von einem Klebeband, wie es aus der D3 bekannt ist. Der beanspruchte Gegenstand sei daher weder ausgehend von D3 noch ausgehend von D2 naheliegend.
Entscheidungsgründe
1. Auslegung "wenn die Kettfäden..."
Anspruch 1 umfasst zwei Alternativen, denen jeweils ein Spiegelstrich vorangestellt ist. Zusätzlich beinhaltet der Anspruch direkt davor eine Merkmalskombination, die mit "wenn" eingeleitet ist. Es war daher zu interpretieren, ob einzelne, einige oder alle darauf folgenden Merkmale nur dann vorliegen sollen, wenn diese "Bedingung" erfüllt ist oder ob diese Merkmale für beide Alternativen gelten.
In ihrer Mitteilung (siehe Punkt 1.1) hat die Kammer ihre Auffassung mitgeteilt, dass der Anspruch 1 sinnerhaltend dahingehend zu interpretieren ist, dass das Wort "wenn" gedanklich zu streichen ist. Ausgehend von dieser Auslegung sind die dem Wort "wenn" folgenden Merkmale daher beiden Alternativen zwingend zuzuordnen.
Die Parteien haben keine Einwände gegen diese Auslegung vorgebracht. Die Kammer hat daher keine Veranlassung, von ihrer Interpretation abzuweichen.
2. Auslegung "Kreuzungsstellenfixierung"
Der unabhängige Anspruch 1 enthält das Merkmal,
"dass die Klebebeschichtung derart ausgebildet ist, dass nur eine Oberflächenbeschichtung vorhanden ist, so dass die Kett- und Schussfäden (2, 3) nicht durch die Klebebeschichtung (4) gegeneinander an ihren Kreuzungsstellen fixiert sind,..."
Zur Vereinfachung wird im Folgenden auf dieses Merkmal unter der Kurzform "fehlende Kreuzungsstellenfixierung im Sinne des Streitpatents" Bezug genommen, womit jedoch die besondere, darin definierte Art der Kreuzungsstellenfixierung gemeint ist, falls nicht explizit etwas anderes angegeben wird. Umgekehrt soll mit "Kreuzungsstellenfixierung im Sinne des Streitpatents" abgekürzt ausgedrückt werden, dass die Kett- und Schussfäden durch die Klebebeschichtung gegeneinander an ihren Kreuzungsstellen fixiert sind.
Die Kammer hat in ihrer Mitteilung (siehe Punkt 1.2) bereits angegeben, dass sie dieses Merkmal dahingehend auslegt, dass bei einer fehlenden Kreuzungsstellenfixierung im Sinne des Streitpatents an den Berührpunkten der Kett- und Schussfäden zwischen diesen kein Klebstoff vorhanden ist, was eine entsprechend geringe Eindringtiefe desselben impliziert. Bei einer Eindringtiefe, die kleiner ist als jeder der beiden Fadendurchmesser, sind damit die Fäden an den Kreuzungsstellen nicht gegeneinander durch die Klebebeschichtung fixiert. Allenfalls sind dann die Fäden an der Klebebeschichtung festgelegt, nicht aber an den Berührungspunkten der Kreuzungsstellen.
Die Parteien sind dieser Auslegung nicht entgegengetreten. Die Kammer hat daher keine Veranlassung von ihrer Auslegung abzuweichen.
3. Artikel 100 b) EPÜ
Zulassung von A4 und A5 in das Beschwerdeverfahren
3.1 Als Beleg für die fehlende Ausführbarkeit hat die Beschwerdeführerin erstmals im Beschwerdeverfahren die Versuchsberichte A4 und A5 vorgelegt. In Ausübung des Ermessens gemäß Artikel 12 (4) VOBK hat die Kammer die Anlagen A4 und A5 nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen. Diese hätten bereits im Verfahren vor der Einspruchsabteilung vorgebracht werden können und sollen. Die Beschwerdeführerin hätte diese Dokumente bereits in Reaktion auf den mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren verbundenen rechtlichen Hinweis vorlegen müssen.
3.2 Insofern überzeugt die Kammer das Argument der Beschwerdeführerin nicht, dass die Anlage A4 erst deshalb mit der Beschwerdebegründung vorgelegt worden sei, weil erst durch entsprechende Aussagen der Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung sowie der Entscheidung Veranlassung dafür bestanden habe, die behauptete mangelnde Ausführbarkeit durch Tests nachzuweisen. Die Einspruchsabteilung hat vielmehr schon im der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid explizit darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin (damals Einsprechende) "nicht glaubhaft belegt [habe], dass der Fachmann [...] nicht in der Lage [sei], eine Klebebeschichtung darzustellen, die das Merkmal 'nur eine Oberflächenbeschichtung' im Sinne des Streitpatents erfüllt" (Hervorhebung durch die Kammer), siehe Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vom 21. November 2016, Punkt 6.1. Durch diese Aussage musste der Beschwerdeführerin klar sein, dass ein weiterer Beleg - wie zum Beispiel ein Vergleichstest - nötig war, um die fehlende Ausführbarkeit zu belegen.
Die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung fand am 10. Juli 2017 statt, sodass die Beschwerdeführerin ausreichend Zeit hatte, derartige Belege beizubringen. Unter den gegebenen Umständen konnte daher von der Beschwerdeführerin erwartet werden, die Anlagen A4 und A5 nicht erst im Beschwerdeverfahren, sondern bereits im Einspruchsverfahren vorzulegen. Die Kammer hatte somit im Rahmen des Artikels 12 (4) VOBK ein Ermessen, diese Beweismittel nicht in das Verfahren zuzulassen.
3.3 Im Übrigen sind die Beweismittel aus folgenden Gründen auch nicht relevant:
3.3.1 Mit den Testberichten A4 und A5 sollte im Allgemeinen nachgewiesen werden, dass es bei einer Klebstoffbeschichtung eines jedweden bandförmigen Gewebeträgers zwangsläufig und unvermeidbar zu einer Kreuzungsstellenfixierung im Sinne des Streitpatents kommt.
Für die Kammer ist in den Anlagen A4 und A5 jedoch keine Kreuzungsstellenfixierung im Sinne des Streitpatents erkennbar. Die von der Beschwerdeführerin zitierte rasterelektronenmikroskopische Aufnahme auf Blatt 15 von A5 zeigt keinen Klebstoff an den Berührungsstellen zwischen den Kett- und Schussfäden. Der Verweis der Beschwerdeführerin auf die Überschrift "Maximum penetration all through the warp and in some cases to first layer of weft" kann diesem Umstand nicht abhelfen. Eine Eindringtiefe in einzelnen Fällen bis zum Schussfaden stellt gemäß obiger Interpretation (siehe Punkt 2.) noch keine Fixierung der Kett- und Schussfäden an den Kreuzungsstellen zueinander dar. Da die Klebebänder der Anlagen A4 und A5 somit ebenfalls nur eine Oberflächenbeschichtung und damit keine Kreuzungsstellenfixierung im Sinne des Streitpatents aufweisen, ist nicht ersichtlich, wie damit nachgewiesen werden soll, dass gerade dies für den Fachmann nicht ausführbar sei.
3.3.2 Mit den Anlagen A4 und A5 hätte gemäß Beschwerdeführerin darüber hinaus nachgewiesen werden sollen, dass ein Gewebeträger gemäß Anspruch 1 des Streitpatents mit einer reinen Oberflächenbeschichtung nicht herstellbar sei. A4 und A5 sollen also belegen, dass auch ein Gewebeträger mit (unter anderem) Kettfäden aus Polyethylenterephtalat (PET) und Schussfäden aus Polyamid (PA) nicht mit Klebstoff beschichtbar sei, ohne dass es dabei zu einer Kreuzungsstellenfixierung im Sinne des Streitpatents komme.
Weder A4 noch A5 zeigen indes einen Gewebeträger wie er im Anspruch 1 des Streitpatents definiert ist. Insbesondere weisen die Gewebeträger in A4 und A5 Kett- und Schussfäden aus PET (und damit nicht aus PA) auf. Ergebnisse, die mit einem reinen PET-Gewebe erhalten wurden, gelten nicht generell auch für Mischgewebe, da die unterschiedlichen Materialien unterschiedliche physikalische Eigenschaften aufweisen. Dass sich dies nicht auf das Benetzungsverhalten des Klebstoffs und damit letztlich auf die Eindringtiefe desselben auswirkt, ist nicht belegt worden. Aus E4 und E5 kann daher keine Aussage abgeleitet werden, wie tief der Klebstoff in ein Klebeband mit einem Gewebeträger gemäß Anspruch 1 zwangsläufig eindringt. Zudem liegt den Versuchen lediglich ein Düsenspritzverfahren zugrunde, so dass nicht ersichtlich ist, welche Ergebnisse mit anderen bekannten Beschichtungsverfahren (z.B. curtain-coating; Transferbeschichtung) erzielbar wären.
3.3.3 Die Anlagen A4 und A5 belegen somit nicht die mangelnde Ausführbarkeit des beanspruchten Gegenstandes. Sie sind daher für die Entscheidung über den Einspruchsgrund des Artikels 100 b) EPÜ nicht relevant.
Die Kammer hat A4 und A5 daher nicht in das Verfahren zugelassen.
4. Artikel 100 b) EPÜ
4.1 Die Erfindung ist so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Der Fachmann hat genügend Information, die Klebebeschichtung derart auszubilden, dass nur eine Oberflächenbeschichtung vorhanden ist, so dass die Kett- und Schussfäden nicht durch die Klebebeschichtung gegeneinander an ihren Kreuzungsstellen fixiert sind.
4.2 Die Beschwerdeführerin hat, unabhängig von den Anlagen A4 und A5, weitere Argumente vorgebracht, warum es dem Fachmann nicht möglich sein solle, ein Klebeband ohne Kreuzungsstellenfixierung im Sinne des Streitpatents herzustellen.
4.2.1 Die Beschwerdeführerin hat unter anderem sinngemäß argumentiert, dass die Äußerung der Kammer in der Entscheidung T 1000/10, wonach "es vernünftig [sei], anzunehmen, dass die unvermeidliche Funktion des Klebstoffes darin besteh[e], die Längsfäden in Querrichtung an ihrem Platz festzulegen" (siehe T 1000/10, Rz. 5.2.4), auch im vorliegenden Fall Geltung habe. Wie bereits in der Mitteilung der Kammer (Punkt 2.4) dargelegt, gelten die Aussagen dieser Entscheidung jedoch nur für das dort in D3 beschriebene Beschichtungsverfahren und lassen sich nicht auf jede Art von Beschichtungsverfahren verallgemeinern.
Die Beschwerdeführerin hat diesbezüglich keine weiteren Ausführungen gemacht. Die Kammer hatte somit keinen Anlass, von ihrer vorläufigen Meinung abzugehen und bestätigt diese hiermit.
4.2.2 Die Beschwerdeführerin hat im Beschwerdeverfahren erstmals in der mündlichen Verhandlung argumentiert, dass es für den Fachmann einen unzumutbaren Aufwand darstelle, die Erfindung nachzuarbeiten, weil er während des Herstellungsprozesses nicht wisse, wie er die einzelnen Parameter einstellen solle und erst am fertigen Produkt feststellen könne, ob er bei der Erfindung angelangt sei. Ungeachtet der Frage, ob dieses Vorbringen nach Artikel 13 VOBK in das Beschwerdeverfahren zuzulassen ist, überzeugt es die Kammer jedenfalls nicht. Vielmehr sind Tests vor dem Anlauf einer Produktion als normaler Herstellungsaufwand zu werten. Versuchsdurchläufe zur Einstellung der Produktionsparameter stellen daher nicht nur einen zumutbaren Aufwand dar, sie sind vielmehr im Rahmen des Produktionsanlaufs ohnehin nötig.
4.2.3 Auch das Argument der Beschwerdeführerin, wonach die Erfindung nicht über die gesamte Breite des Schutzumfangs ausführbar sei, da zumindest das in Absatz [0014] genannte Düsenverfahren nicht zu der beanspruchten, fehlenden Kreuzungsstellenfixierung im Sinne des Streitpatents führe, überzeugt die Kammer nicht. Der Anspruch betrifft ein Gewebeklebeband und ist als reiner Produktanspruch formuliert. Mit welchem Verfahren dieses Produkt hergestellt wurde, ist nicht Teil des Schutzgegenstandes. Es ist im Rahmen des Einspruchsgrundes des Artikels 100 b) EPÜ somit nicht ausschlaggebend, ob das Gewebeklebeband mit jedem denkbaren oder mit jedem in der Beschreibung genannten Verfahren herstellbar ist. Vielmehr genügt es, wenn dem Fachmann eine Möglichkeit zur Verfügung steht, ein anspruchsgemäßes Gewebeklebeband herzustellen. Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Fachmann geeignete Verfahren kennt, unter anderem das im Absatz [0014] des Streitpatents angeführte Curtain-coating-Verfahren und das von der Beschwerdegegnerin genannte Transferverfahren. Die Frage, ob das beanspruchte Gewebeklebeband darüber hinaus auch mit dem Düsenverfahren hergestellt werden kann, ohne dass es dabei zu einer Kreuzungsstellenfixierung im Sinne des Streitpatents kommt, ist daher solange nicht relevant, als dem Fachmann - wie hier - andere Verfahren zur Verfügung stehen, mit denen dies möglich ist.
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1 Der Einspruchsgrund des Artikels 100 a), 56 EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ. Die spezielle Auswahl der im Anspruch 1 definierten Parameter war im Hinblick auf den vorbekannten Stand der Technik für den Fachmann nicht naheliegend.
5.2 Ausgehend von D3 bzw. "Coroplast 839"
5.2.1 D3 offenbart ein handeinreißbares Gewebeklebeband gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1. Eine ähnliche Ausführungsform ist, wie in Absatz [0004] des Streitpatents anerkannt, unter dem Namen "Coroplast 839" bekannt geworden. Dessen Eigenschaften sind in der Tabelle 2 des Streitpatents angeführt. Demnach ist das Klebeband "Coroplast 839" zwar gut handeinreißbar, besitzt aber nicht die gewünschte Abriebbeständigkeit der Klasse D nach LV 312. Es ist unstrittig und entspricht auch der Auffassung der Kammer, dass das in der D3 erwähnte Gewebeklebeband "Coroplast 839" den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.
5.2.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von dem Gewebeklebeband "Coroplast 839" zum Einen durch zwei alternative Auswahlkombinationen der Werte der einzelnen Parameter. Somit ist gemäß beider Alternativen unter anderem die Schussfadenstärke größer (470 dtex bzw. 570 dtex statt 334 bzw. 2x167 dtex), die Anzahl der Schussfäden geringer (20/cm statt 30/cm) sowie als Material für die Schussfäden Polyamid (statt PET) ausgewählt.
Diese Unterschiede wurden von den Parteien nicht in Frage gestellt.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von dem Gewebeklebeband "Coroplast 839" zum Anderen dadurch, dass in der D3 weder explizit noch implizit offenbart ist, dass die Kett- und Schussfäden nicht durch die Klebebeschichtung gegeneinander an ihren Kreuzungsstellen fixiert sind.
Dieser Unterschied wurde auch von der Beschwerdeführerin zumindest nach Bekanntgabe der Interpretation des Begriffs "Kreuzungsstellenfixierung" durch die Kammer nicht in Frage gestellt.
5.2.3 Gemäß der Argumentation der Beschwerdegegnerin sei die spezielle Auswahl aller Parameterwerte nicht willkürlich. Vielmehr würde ein technischer Effekt erreicht. Die Beschwerdegegnerin nannte daher als Aufgabe, "eine gute Verbundfestigkeit und eine gute Handeinreißbarkeit sowie eine Abriebbeständigkeit gemäß Klasse D nach LV 312 zu erreichen, und zwar ausgehend von einem Klebeband, wie es aus der EP 1990303 A1 bekannt ist."
5.2.4 Das Vorliegen eines auf die spezielle Parameterkombination zurückzuführenden Effekts wurde von der Beschwerdeführerin angezweifelt, sodass sie die beanspruchte Werteauswahl als willkürlich ansah. Gemäß der Argumentation der Beschwerdeführerin mögen zwar die dickeren Schussfäden zur Abriebbeständigkeit beitragen. Es sei aber nicht belegt, dass auch die übrigen Parameter dazu beitragen. Vielmehr würden die Beispiele 2, 6 und 7 zeigen, dass eine Veränderung der weiteren Parameter keine Auswirkung auf die Abriebbeständigkeit habe. Als Aufgabe formulierte die Beschwerdeführerin daher das Auffinden eines alternativen Gewebeklebebandes mit den positiven Eigenschaften der D3.
5.2.5 Die Kammer folgt weder der von der Beschwerdeführerin formulierten Aufgabe noch der von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagenen Aufgabe. Beide Parteien berücksichtigen in der Formulierung der objektiven technischen Aufgabe das Merkmal der fehlenden Kreuzungsstellenfixierung nicht. Als Unterscheidungsmerkmal ist es Teil der Lösung. Es kann daher nicht ein Teil der objektiven technischen Aufgabe darin bestehen, auf eine Kreuzungsstellenfixierung im Sinne des Streitpatents zu verzichten. Zunächst ist somit nach einer Wirkung zu fragen, die diesem Verzicht zuzuschreiben ist, wobei die Wirkung auch darin bestehen kann, eine Alternative für das nun weggelassene Merkmal zu finden. Im konkreten Fall ist die Kreuzungsstellenfixierung mittels Kleber weggelassen und durch eine spezielle Parameterauswahl ersetzt worden. Die Kammer definiert daher als objektive Aufgabe, in einem Klebeband gemäß D3 die Verbundfestigkeit und somit eine gute Handeinreißbarkeit auf eine alternative Art zu gewährleisten und gleichzeitig eine höhere Abriebbeständigkeit zu erreichen. Diese von der Kammer neu formulierte Aufgabe wurde auch mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung besprochen. Diesbezüglich haben die Parteien keine Argumente vorgebracht.
5.2.6 Die von der Kammer formulierte Aufgabe wird durch die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 gelöst. Während in D3 bzw. dem Gewebeklebeband "Coroplast 839" die Verbundfestigkeit und damit die gute Handeinreißbarkeit durch die Kreuzungsstellenfixierung mittels Klebstoff sowie weitere Maßnahmen gewährleistet wird, geschieht dies im Streitpatent anspruchsgemäß durch die spezielle Parameterauswahl, unter anderem also durch die unterschiedlichen Dicken der Kett- und Schussfäden und das gewählte Material derselben.
Dass diese Aufgabe durch den beanspruchten Gegenstand gelöst wird, wurde zuletzt von der Beschwerdeführerin nicht in Abrede gestellt. Vielmehr argumentierte sie, dass den beiden beanspruchten Alternativen und der darin spezifizierten Parameterauswahl kein spezieller Effekt zugeordnet werden könne, weil dieser auch außerhalb der beiden beanspruchten Merkmalskombinationen, z.B. in den Beispielen 2, 6 und 7 des Streitpatents, auftrete. Das Argument, dass die Beispiele 2, 6 und 7 der Beschreibung auch handeinreißbar seien und eine Abriebklasse "D" aufwiesen und deshalb im Umkehrschluss durch die beiden beanspruchten Beispiele 8 und 9 kein zusätzlicher Effekt mehr auftrete, kann jedoch das Vorhandensein einer erfinderischen Tätigkeit nicht widerlegen. Zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit der beanspruchten Beispiele kann ein Vergleich mit anderen, erstmals in dem Streitpatent veröffentlichten, aber nicht beanspruchten Beispielen nichts beitragen. Vielmehr müssen dazu die erfindungsgemäßen Ausführungen mit dem nächstliegenden vorbekannten Stand der Technik verglichen werden.
Dass die Aufgabe mit den beiden beanspruchten Alternativen gelöst wird, mit dem nächstliegenden Stand der Technik jedoch nicht, ist plausibel und wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht angezweifelt. Andere hypothetische Parameterkombinationen innerhalb der nach oben offenen Wertebereiche in D3 könnten zwar wie von der Beschwerdeführerin eingewandt die Abriebklasse C erreichen, diese bilden jedoch nicht den Ausgangspunkt des Fachmanns. Diesen bildet vielmehr das im Streitpatent gewürdigte Klebeband "Coroplast 839", welches daher innerhalb des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes den nächstliegenden Stand der Technik bildet.
Der Umstand, dass nicht nur mit der beanspruchten Parameterauswahl, sondern auch mit anderen, nicht beanspruchten Parametern, die (erstmals) im Streitpatent als Beispiele aufgeführt sind, derselbe Effekt erreicht wird, schließt - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - die Ursächlichkeit der beanspruchten Merkmalskombination für den Effekt nicht aus.
5.2.7 Die Beschwerdeführerin hat daher nicht widerlegt, dass es sich bei den beanspruchten Beispielen um eine gezielte Auswahl der Parameter handelt, die untereinander zusammenwirken und gemeinsam die gestellte Aufgabe lösen. Die Auswahl der spezifischen Merkmalskombinationen ergibt sich für den Fachmann weder aus D3 noch ausgehend von dem Gewebeklebeband "Coroplast 839" in naheliegender Weise.
5.3 Ausgehend von D2
5.3.1 Die Beschwerdeführerin hat weitere, auf D2 als nächstliegendem Stand der Technik basierende Einwände vorgebracht.
5.3.2 D2 offenbart ein handeinreißbares Klebeband mit einem Trägergewebe aus Polyester, bei dem explizit eine Kreuzungsstellenfixierung im Sinne des Streitpatents vorgesehen ist, um ein Verschieben der Kettfäden beim Abreißen zu verhindern und so eine gute Handeinreißbarkeit zu gewährleisten.
5.3.3 Ungeachtet der weiteren, konkret ausgewählten Parameter unterscheiden sich die beiden im Streitpatent beanspruchten Alternativen von dem Klebeband gemäß D2 somit zumindest dadurch, dass die Schussfadenstärke größer ist (470 bzw. 570 dtex statt 150 bis 250 dtex), die längenbezogene Schussfadenstärke größer ist (9400 bzw. 11380 dtex/cm statt 3000 bis 4500 dtex/cm), ein anderes Schussfadenmaterial gewählt ist (PA statt PET), sowie dadurch, dass im Streitpatent eine Kreuzungsstellenfixierung ausgeschlossen ist, während D2 eine solche in Anspruch 1 explizit erwähnt.
5.3.4 Die Argumentation der Beschwerdeführerin, dass D2 dennoch ebenfalls eine vergleichbare Abriebbeständigkeit der Klasse D wie das Streitpatent erreiche, weil insgesamt ein Polyestergewebe zum Einsatz komme, welches über vergleichbare Eigenschaften des Trägergewebes verfüge wie das Streitpatent, ist nicht überzeugend. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass im Streitpatent die dickeren, enger liegenden Schussfäden aus Polyamid schon allein eine Auswirkung auf die Abriebbeständigkeit haben werden. Diese im Streitpatent mitbeanspruchte Eigenschaft ist in D2 jedoch nicht zwangsläufig gegeben und stellt ein weiteres Unterscheidungsmerkmal dar.
Ebenso ist die beanspruchte, fehlende Kreuzungsstellenfixierung im Sinne des Streitpatents als Unterscheidungsmerkmal anzusehen.
5.3.5 Wiederum sieht die Kammer es als die objektive technische Aufgabe an, in einem Klebeband, hier gemäß D2, die Verbundfestigkeit und somit eine gute Handeinreißbarkeit auf eine alternative Art zu gewährleisten und gleichzeitig eine höhere Abriebbeständigkeit zu erreichen.
5.3.6 Die Argumente der Beschwerdeführerin, dass eine Zusammenschau der D2 mit D1 den Anspruchsgegenstand nahelegen sollen, konnten die Kammer nicht überzeugen. Zwar offenbart D1 gemäß Ausführungsbeispiel "Example 2" tatsächlich Fadenstärken und längen- bzw. breitenbezogene Fadenstärken, die den Werten der beiden beanspruchten Alternativen sehr nahe kommen, doch lediglich für ein Mischgewebe mit Kettfäden aus Azetat-Filamentgarn und Schussfäden aus Baumwolle. Die Werte können nicht ohne Weiteres auf ein anderes Material übertragen werden, da sich bei gleichen Werten aber anderem Material aufgrund der unterschiedlichen Rohdichte andere Feinheiten ergeben. D1 kann damit die beanspruchten Werte für Polyamidfäden nicht nahelegen.
5.3.7 Auch die von der Beschwerdeführerin angeführte Kombination von D2 mit D4 kann nicht überzeugen. D4 beschreibt ein reines Polyamidgewebe, welches zwar eine sehr hohe Abriebbeständigkeit (Klasse D gemäß LV 312) aufweist, aber offensichtlich nicht handeinreißbar ist. Die Übernahme der darin gezeigten Werte und Materialien würde damit die objektive technische Aufgabe nicht lösen.
5.3.8 Auch das Argument, dass der Fachmann bei einer Kombination von D2 mit D5 zum beanspruchten Gegenstand gelange, überzeugt die Kammer nicht. Auch D5 zeigt kein handeinreißbares Klebeband und auch keine Schussfäden aus Polyamid.
5.3.9 Hinsichtlich der ebenfalls angeführten Kombination von D2 mit D6 stellt die Kammer fest, dass die Beschwerdeführerin keine Angaben gemacht hat, wie D6 die Unterscheidungsmerkmale nahelegen könnte. Vielmehr behauptete sie lediglich, dass bei einer derartigen Kombination "Vergleichbares [gelte], wenn anstelle der D5 die D6 zu Rate gezogen [werde]" (siehe Beschwerdebegründung, Seite 16, dritter Absatz). Die Beschwerdegegnerin hat in diesem Zusammenhang auf die unter Punkt 5.4.2 enthaltene Begründung der Entscheidung der Einspruchsabteilung verwiesen, wonach keines der zitierten Dokumente das Merkmal nahelege, die Kettfäden aus PET und die Schussfäden aus PA auszuführen. Die Kammer stellt fest, dass D6 auf den ersten Blick zwar von einem PET/PA-Mischgewebe spricht, bei näherem Hinsehen (vgl. z.B. Abs. [0022]) jedoch ein Mischfasergarn vorschlägt. Die Kett- und Schussfäden aus unterschiedlichen Garnen zu verwenden, ist in D6 somit nicht beschrieben, sodass dies durch D6 auch nicht nahegelegt werden kann.
5.3.10 Da keine der vorgetragenen Kombinationen ausgehend von D3 und ausgehend von D2 mit D1, D4, D5 oder D6 den beanspruchten Gegenstand nahelegen kann, gilt dieser im Sinne des Artikels 56 EPÜ als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend. Der Einspruchsgrund des Artikels 100 a) EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.