T 1967/17 () of 25.5.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T196717.20200525
Datum der Entscheidung: 25 Mai 2020
Aktenzeichen: T 1967/17
Anmeldenummer: 12708775.7
IPC-Klasse: C08F220/06
C08F2/38
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: NIEDERMOLEKULARE PHOSPHORHALTIGE POLYACRYLSÄUREN UND DEREN VERWENDUNG ALS DISPERGIERMITTEL
Name des Anmelders: BASF SE
Name des Einsprechenden: COATEX
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54 (2007)
Schlagwörter: Neuheit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2 670 783 in geändertem Umfang.

II. Die Einsprechende hatte Einspruch eingelegt und den Widerruf des Streitpatents auf Grund des Artikels 100 a) (mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit) und 100 b) EPÜ beantragt.

Die Entscheidung der Einspruchsabteilung basierte auf dem am 27. Mai 2016 eingereichten Hauptantrag der Patentinhaberin, dessen Ansprüche 1 und 8 wie folgt lauteten:

"1.Verfahren zur Herstellung von wässrigen Lösungen von Acrylsäure-Polymeren durch Polymerisation von Acrylsäure in Zulauf-Fahrweise mit einem Radikal-Starter in Gegenwart von Hypophosphit in Wasser als Lösungsmittel, bei dem

(i) Wasser und gegebenenfalls ein oder mehrere ethylenisch ungesättigte Comonomere vorgelegt,

(ii) Acrylsäure in saurer, nicht neutralisierter Form, gegebenenfalls ein oder mehrere ethylenisch ungesättigte Comonomere, wässrige Radikalstarter-Lösung und wässrige Hypophosphit-Lösung kontinuierlich zugegeben werden,

(iii) nach Beendigung des Acrylsäure-Zulaufs zu der wässrigen Lösung eine Base zugegeben wird,

wobei der Comonomer-Gehalt 30 Gew.-%, bezogen auf den Gesamtmonomer-Gehalt, nicht übersteigt, dadurch gekennzeichnet, dass

die wässrige Hypophosphit-Lösung während einer Gesamtzulaufzeit aus drei aufeinander folgenden Zulaufzeitspannen, DeltatI, DeltatII und DeltatIII zugegeben wird, wobei die mittlere Zulaufgeschwindigkeit in der zweiten Zulaufzeitspanne DeltatII größer ist als die mittleren Zulaufgeschwindkeiten in der ersten und in der dritten Zulaufzeitspanne DeltatI, DeltatIII."

"8. Wässrige Lösungen von Acrylsäure-Polymeren, herstellbar nach dem Verfahren gemäß einem der Ansprüche 1 bis 7, mit einem Phosphor-Gesamtgehalt von organisch und gegebenenfalls anorganisch gebundenem Phosphor, wobei

(a) ein erster Teil des Phosphors in Form von in der Polymerkette gebundenen Phosphinat-Gruppen vorliegt,

(b) ein zweiter Teil des Phosphors in Form von am Polymerkettenende gebundenen Phosphinat und/oder Phosphonat-Gruppen vorliegt,

(c) gegebenenfalls ein dritter Teil des Phosphors in Form von gelösten anorganische Phosphorsalze vorliegt,

dadurch gekennzeichnet, dass mindestens 76 % des Phosphor-Gesamtgehalts in Form von in der Polymerkette der Acrylsäure-Polymere gebundenen Phosphinat-Gruppen vorliegt und das gewichtsmittlere Molekulargewicht der Acrylsäure-Polymere 3500 bis 8000 g/mol beträgt".

III. In der Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde inter alia auf folgendes Dokument Bezug genommen:

A1: US 5,216,099

IV. In der angefochtenen Entscheidung wurde im Wesentlichen ausgeführt:

- Der Hauptantrag erfülle die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.

- Anspruch 8 sei ausreichend offenbart.

- Beispiel 9 der A1 offenbare die Herstellung einer Polyacrylsäure mit gewichtsmittlerem Molekulargewicht von 5670, aber nicht deren Gehalt an in der Polymerkette gebundenen Phosphinat-Gruppen. Es sei außerdem nicht belegt, dass die Obergrenze des Bereichs von in der Polymerkette einpolymerisierten Phosphinatgruppen (90 %), die in Spalte 5, Zeile 20 in A1 offenbart sei, mit dem Herstellungsverfahren des Beispiels 9 kombinierbar sei oder dass bei einer Wiederholung des Beispiels 9 ein Gehalt an in der Polymerkette einpolymerisierten Phosphinat-Gruppen von über 76 % zu erwarten sei. Anspruch 8 des Hauptantrags sei somit neu gegenüber A1.

- A1, und insbesondere das Bespiel 9 dieses Dokuments, sei der nächstliegende Stand der Technik. Eine Lösung gemäß Anspruch 8 unterscheide sich von A1 in einem Gehalt an Dialkylhypophosphitgruppen von mindestens 76 % des gesamten Phosphorgehalts.

- Die Aufgabe sei Dispergiermittel für wässrige Feststoff-Dispersionen bereitzustellen, die ermöglichen, Dispersionen von Mineralien niedriger Viskosität herzustellen und ihre Wirkung über die Zeit beizubehalten. Diese Aufgabe werde durch einen Gehalt an Dialkylhypophosphit-Gruppen der Polyacrylsäuren von mindestens 76% des gesamten Phosphorgehalts gelöst.

- Da der Stand der Technik keinen Hinweis auf eine Zugabe der wässrigen Hypophosphitlösung in verschiedenen Zulaufzeitspannen unterschiedlicher Zulaufgeschwindigkeit enthalte, beruhen das Verfahren des Anspruchs 1 und und die damit hergestellten Lösungen gemäß Anspruch 8 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

V. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und reichte mit der Beschwerdebegründung unter anderem folgendes Dokument ein:

A4: Wiederholung des Beispiels 9 von A1

VI. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:

- A1 beschreibt eine wässrige Zusammensetzung enthaltend eine Polyacrylsäure mit Phosphinat- und Phosphonatfunktionalitäten, die infolge der Verwendung von Hypophosphit während der Polymerisation anwesend seien.

- Das Molekulargewicht der Polyacrylsäuren sei kleiner als 10000 g/mol und der Gesamtphosphorgehalt verteile sich wie folgt:

- 50-90 Gew.-% als Dialkylphosphinatgruppen (d.h. innerhalb der Polymerkette);

- 10-40 Gew.-% in Form von Monoalkylphosphinat- oder Phosphonatgruppen (d.h. am Ende der Polymerkette);

- der Rest, falls vorhanden, in Form von anorganischen Phosphorsalzen.

- Das Beispiel 9 von A1 insbesondere offenbare eine wässrige Lösung einer solchen Polyacrylsäure mit einem Molekulargewicht von 5670 g/mol.

- A4 enthalte eine Wiederholung des Beispiels 9 gemäß A1. A4 belege, dass dieses Polymer ein Molekulargewicht von 6375 g/mol, eine Polydispersität Mw/Mn von 2,6, ein Phosphorgehalt in Form von Dialkylphosphinatgruppen (d.h. innerhalb der Kette) von 83,5 %, einen Phosphorgehalt in Form von Monoalkylphosphinatgruppen oder Phosphonat (d.h. am Ende der Kette) von 9,5 % und einen Phosphorgehalt in Form von anorganischen Phosphorsalzen von 7 % besitzt.

- Somit offenbare das Beispiel 9 von A1 eine wässrige Lösung von Acrylsäure-Polymeren gemäß Anspruch 8 des Hauptantrags. Anspruch 8 des Hauptantrags ist somit nicht neu gegenüber A1.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

VIII. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) äußerte sich nicht zu der Beschwerde und reichte keine Anträge ein.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerdegegnerin hat im Beschwerdeverfahren keine Anträge eingereicht und auch keinen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Da die Kammer sich in der Lage sah, die Sache gemäß dem Antrag der Beschwerdeführerin und ihrer Argumentation folgend zu entscheiden, wird die vorliegende Entscheidung auf der Basis des schriftlichen Verfahrens, also ohne eine mündliche Verhandlung abzuhalten, getroffen.

Hauptantrag

2. Neuheit des Anspruchs 8 gegenüber A1

2.1 Der Einwand der mangelnden Neuheit des Anspruchs 8 des der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegenden Antrags gegenüber A1 ist in der strittigen Entscheidung in Punkt 6.1 behandelt. Darin führte die Einspruchsabteilung aus, dass das Polymerisationsverfahren gemäß Beispiel 9 der A1 zu einer wässrigen Lösung von Polyacrylsäure führe, die ein Molekulargewicht (5670 g/mol) gemäß der Definition des Anspruchs 8 des Hauptantrags aufweise. Allerdings sei für diese Polyacrylsäure des Beispiels 9, die in Anwesenheit von Hypophosphit in wässriger Lösung hergestellt sei, der Gehalt der in der Polymerkette einpolymerisierten Phosphinatgruppen nicht angegeben und das Argument der Einsprechenden, wonach die Polyacrylsäure aus dem Beispiel 9 einen Gehalt an in der Polymerkette einpolymerisierten Phosphinatgruppen von über 76 % aufweise, irrelevant, da hierfür kein Beweis vorliege. Aus diesem Grund sei die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 8 des Hauptantrags anzuerkennen.

2.2 Dieser Aspekt der Entscheidung der Einspruchsabteilung wird in der Beschwerde bestritten (Punkt 2.1 der Beschwerdebegründung). In diesem Zusammenhang reichte die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerdebegründung A4 als Beweismittel ein, in dem das Beispiel 9 der A1 nachgearbeitet wurde. Es ist offensichtlich, dass A4 unmittelbar als Reaktion auf die Entscheidungsbegründung hinsichtlich der Frage der Neuheit gegenüber dem Beispiel 9 der A1 eingereicht wurde. Es bestehen daher keine Gründe, A4 im Beschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen (Artikel 12 (4) VOBK 2007 in Verbindung mit Artikel 25 (2) VOBK 2020).

2.3 Das Protokoll der Polymerisation gemäß A4 zeigt, dass die Nacharbeitung dem Beispiel 9 der A1 entspricht, in dem die Polymerisation gemäß Beispiel 1 dieses Dokuments durchgeführt wurde, allerdings mit einer anderen Menge an Natriumhypophosphit-Monohydrat.

2.4 Die Tabelle von A4 fasst mehrere Parameter der erhaltenen Polyacrylsäure zusammen, unter anderem ihr Molekulargewicht (6375 g/mol), ihren Teil des Phosphor-Gesamtgehalts in der Polymerkette (83,5 %) und ihren Teil am Kettenende (9,5 %). Das Molekulargewicht der Polyacrylsäure, die in A4 erhalten wurde, weicht von dem des Beispiels 9 der A1 (5670 g/mol) ab. Diese Abweichung ist wohl durch die Abwesenheit der Messbedingungen des Molekulargewichts mittels GPC in A1 zu erklären. Die Abweichung ist jedoch für die zu behandelnde Frage der Neuheit des Hauptantrags nicht wesentlich, da beide in A1 und in A4 gemessenen Molekulargewichte unzweifelhaft im Bereich von 3500 bis 8000 g/mol gemäß der Definition des Anspruchs 8 liegen.

2.5 Die Tabelle in A4 zeigt auch, dass der Teil des Phosphor-Gesamtgehalts in der Polymerkette der Polyacrylsäure (83,5%) höher als 76% gemäß Anspruch 8 des Hauptantrags war, und dass ein zweiter Teil des Phosphors am Polymerkettenende gebunden vorlag, was gemäß der Beschreibung der A1 nur ein Phosphinat/Phosphonat sein kann (Spalte 4, Zeilen 20-55). Somit entsprechen diese Merkmale der Polyacrylsäure auch den Produktmerkmalen der wässrigen Lösungen von Acrylsäure-Polymeren gemäß dem Anspruch 8 des Hauptantrags.

2.6 Mit A4 hat die Beschwerdeführerin daher glaubhaft gezeigt, dass das einzige in der Entscheidung anerkannte Unterscheidungsmerkmal des Anspruchs 8 gegenüber dem Beispiel 9 von A1 auch erfüllt wird, sodass die wässrige Lösung gemäß Beispiel 9 der A1 den Gegenstand des Anspruchs 8 des der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegenden Antrags neuheitsschädlich vorwegnimmt.

2.7 Da dem Beschwerdeverfahren keine weiteren Anträge der Beschwerdegegnerin unterliegen, ist das angefochtene Patent zu widerrufen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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