T 1928/17 (Superabsorbierende Zusammensetzung mit Tanninen/EVONIK) of 6.3.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T192817.20200306
Datum der Entscheidung: 06 März 2020
Aktenzeichen: T 1928/17
Anmeldenummer: 08802558.0
IPC-Klasse: C08J 7/14
C08F 220/06
A61L 15/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: SUPERABSORBIERENDE ZUSAMMENSETZUNG MIT TANNINEN ZUR GERUCHSKONTROLLE
Name des Anmelders: Evonik Operations GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.09
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention R 111(2)
Schlagwörter: Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs
Unzureichende Begründung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Patentanmeldung No. 08 802 558 zurückzuweisen.

II. Am 27. Dezember 2010 reichte die Anmelderin einen Antrag ein, welcher der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt.

III. Ansprüche 1, 2, 3 und 18 lauten wie folgt:

"1. Eine wasserabsorbierende Zusammensetzung, beinhaltend wasserabsorbierende Polymergebilde, auf deren Oberfläche sich mindestens eine Tanninfraktion befindet, welche ein gemäß der hierin beschriebenen Testmethode bestimmtes Zahlenmittel des Molekulargewichtes von mindestens 1.000 g/mol besitzt".

"2. Eine wasserabsorbierende Zusammensetzung, beinhaltend wasserabsorbierende Polymergebilde, auf deren Oberflache sich mindestens eine Tanninfraktion befindet, welche ein gemäß der hierin beschriebenen Testmethode bestimmtes Gewichtsmittel des Molekulargewichtes von mindestens 1.000 g/mol besitzt".

"3. Eine wasserabsorbierende Zusammensetzung, beinhaltend wasserabsorbierende Polymergebilde, auf deren Oberflache sich mindestens eine Tanninfraktion beinhaltend hydrolysierbares Gallotannin befindet".

"18. Ein Verfahren zur Herstellung einer wasserabsorbierenden Zusammensetzung, beinhaltend die Verfahrensschritte:

i) Bereitstellen eines wasserabsorbierenden Polymergebildes;

iv) Nachvernetzung des wasserabsorbierenden Polymergebildes;

v) in Kontakt bringen des wasserabsorbierenden Polymergebildes

a) mit mindestens einer Tanninfraktion, welche ein gemäß der hierin beschriebenen Testmethode bestimmtes Zahlenmittel des Molekulargewichtes von mindestens 1.000 g/mol besitzt, oder

b) mit mindestens einer Tanninfraktion, welche ein gemäß der hierin beschriebenen Testmethode bestimmtes Gewichtsmittel des Molekulargewichtes von mindestens 1.000 g/mol besitzt, oder

c) mit mindestens einer Tanninfraktion beinhaltend hydrolysierbare Gallotannine,

wobei der Verfahrensschritt iii) vor, wahrend oder nach dem Verfahrensschritt ii) durchgeführt werden kann und wobei die mindestens eine Tanninfraktion in einer Menge in einem Bereich von 0,001 bis 10 Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht aus wasserabsorbierenden Polymergebilden, eingesetzt wird".

IV. Anspruch 27 bezieht sich auf eine wasserabsorbierende Zusammensetzung, die nach einem Verfahren nach einem der Ansprüche 18 bis 25 erhältlich ist. Anspruch 29 bezieht sich auf die Verwendung der Zusammensetzung nach einem der Ansprüche 1 bis 17, 27 oder 28 in bestimmten Materialien zur kontrollierten Freisetzung von Wirkstoffen. Die übrigen Ansprüche sind abhängige Ansprüche.

V. Es erging eine Mitteilung gemäß Artikel 94(3) EPÜ.

In der Mitteilung verwies die Prüfungsabteilung auf zwei zuvor nicht erwähnte Dokumente und erhob folgenden Einwand:

"D4 beschreibt vernetzte Acrylat-Zusammensetzungen aus dem Anspruch 1 mit einem geruchshemmenden Wirkstoff aus Tee, z.B. Oorlong-Tee (s.5. die Beispiele).

Fig.3 von D5 (beigefügt) zeigt, dass "Oorlong Tee" Gallotannin enthält. Deshalb offenbart D4 eine Tanninfraktion mit den Zahlen- und Gewichtsmitteln des Molekulargewichts gemäß den Ansprüchen 1-2. Deshalb sind die Ansprüche 1-29 nicht neu."

VI. Dieser Mitteilung waren folgende Dokumente beigefügt:

D4:|EP 1 510 562 A1|

D5:|Cabrera C. et al; "Determination of Tea Components with Antioxidant Activity"; J. Agric. Food Chem. 2003, 51, 4427-4435. |

VII. In ihrer Antwort auf die Mitteilung der Prüfungsabteilung legte die Anmelderin dar, weshalb ihrer Ansicht nach der Gegenstand von Anspruch 1 und der anderen unabhängigen Ansprüche neu gegenüber D4 sei.

VIII. In der angefochtenen Entscheidung entschied die Prüfungsabteilung, dass der Gegenstand der Ansprüche 3, 8, 10, 18, 19 und 27-29 des am 27. Dezember 2010 eingereichten Antrags nicht neu gegenüber D4 sei. Sie begründete dies damit, dass diese Ansprüche nicht auf ein bestimmtes Molekulargewicht eingeschränkt seien und D4 vernetzte Acrylat-Zusammensetzungen mit einem geruchshemmenden Wirkstoff aus Oorlong-Tee offenbare, wobei Oorlong-Tee ausweislich D5 Gallotannine enthalte.

IX. Gegen diese Entscheidung legte die Anmelderin (nachfolgend: Beschwerdeführerin) Beschwerde ein.

X. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin Hilfsanträge 5 und 6 ein. Sie rügte, dass die Entscheidung der Prüfungsabteilung überraschend gekommen sei und auf Gründe gestützt sei, zu denen sie sich nicht äußern konnte. Hinsichtlich der Neuheit des durch das Merkmal "hydrolysierbares Gallotannin" gekennzeichneten Gegenstandes der Ansprüche 3 und 18 (Ausführungsform (c)) sei vor der Entscheidung kein Argument vorgebracht worden. Des Weiteren führe die angefochtene Entscheidung nicht aus, warum die angeblich in Oolong Tee enthaltene Tanninfraktion ein hydrolysierbares Gallotannin beinhalte. Die technischen Merkmale, die die anderen Ansprüche (z.B. Anspruch 18) charakterisierten, seien ebenfalls ignoriert worden. Deshalb sei die angefochtene Entscheidung auch unzureichend begründet.

XI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung, die Prüfung der Anmeldung auf Grundlage des am 27. Dezember 2010 eingereichten Antrags bzw. eines der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 5 und 6 fortzuführen und die Anmeldung nicht zurückzuweisen, ohne zuvor eine weitere Mitteilung nach Artikel 94 (3) EPO bezüglich des Gegenstands der Ansprüche zu erlassen. Weiterhin beantragte sie die Rückerstattung der Beschwerdegebühr.

Entscheidungsgründe

1. Verletzung des rechtlichen Gehörs und unzureichende Begründung

1.1 Gemäß Artikel 113(1) EPÜ dürfen Entscheidungen nur auf Gründe gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Dies bedeutet insbesondere, dass ein Beteiligter in der Entscheidungsbegründung nicht durch bisher unbekannte Gründe überrascht werden darf.

1.2 Es ist zu entscheiden, ob der Beschwerdeführerin zuvor die Gelegenheit gegeben wurde, sich mit den Gründen, auf die sich die Entscheidung stützt, auseinander zu setzen. Dies setzt voraus, dass der Beschwerdeführerin die Gründe vorab mitgeteilt worden waren.

1.3 In den unabhängigen Ansprüchen des Anspruchssatzes, welcher der Mitteilung nach Artikel 94(3) und der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegt, finden sich drei kennzeichnende Merkmale, die die Tanninfraktion näher charakterisieren:

- Merkmal X: ein bestimmtes Zahlenmittel des Molekulargewichts von mindestens 1000g/mol

- Merkmal Y: ein bestimmtes Gewichtsmittel des Molekulargewichts von mindestens 1000g/mol

- Merkmal Z: das Vorhandensein von hydrolysierbarem Gallotannin in der Tanninfraktion.

1.4 Ansprüche 1, 2 und 3 sind jeweils durch die Merkmale X, Y und Z charakterisiert. Anspruch 18 umfasst drei alternative Ausführungsformen, die jeweils durch eines der Merkmale X, Y oder Z gekennzeichnet sind.

1.5 Wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, sind die Ausführungen in der Mitteilung nach Artikel 94(3) EPÜ (siehe oben Punkt V.) so zu verstehen, dass die Prüfungsabteilung den Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 durch D4 neuheitsschädlich vorweggenommen sah, da D4 implizit eine Tanninfraktion mit den Merkmalen X und Y offenbare. Hinsichtlich der Offenbarung des Merkmals Z, (hydrolysierbares Gallotannin), das den Anspruch 3 und andere Ansprüche charakterisiert, führt die Prüfungsabteilung in dieser Mitteilung nichts aus. Weder wird dieses technische Merkmal erwähnt, noch wird ein Argument vorgebracht, warum die im in D4 offenbarten Oolong-Tee enthaltenen Verbindungen den in Anspruch 3 erwähnten hydrolysierbaren Gallotanninen zuzuordnen wären.

1.6 Was die Schlussfolgerung "Deshalb sind die Ansprüche 1-29 nicht neu" anbelangt, bleibt diese - zumindest im Hinblick auf die Ansprüche 3 bis 29 - völlig unbegründet, weil keines der technischen Merkmale, die die Ansprüche 3 bis 29 kennzeichnen, berücksichtigt wird.

1.7 Durch die ausschließliche Bezugnahme auf die technischen Merkmale X und Y, die die Ansprüche 1 und 2 charakterisieren, erweckt daher die Prüfungsabteilung in der Mitteilung den Eindruck, dass lediglich die Neuheit des beanspruchten Gegenstandes bestritten wird, der auf einer durch die Merkmale X und Y charakterisierten Tanninfraktion beruht.

1.8 Wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, gab es zu diesem Zeitpunkt keinen Grund zu der Annahme, die Prüfungsabteilung vertrete die Ansicht, D4 offenbare Zusammensetzungen, die hydrolysierbare Gallotannine enthalten. Aus diesen Gründen musste die Beschwerdeführerin nicht damit rechnen, dass die Anmeldung wegen mangelnder Neuheit des Gegenstands von Anspruch 3 sowie desjenigen der anderen Ansprüche, die durch das Merkmal Z gekennzeichnet sind, zurückgewiesen würde. Dieser Schlussfolgerung steht auch nicht entgegen, wie dies in der angefochtenen Entscheidung angeführt wird, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Antwort auf die Mitteilung nach Artikel 94(3) EPÜ auf das in Anspruch 1 genannte Merkmal des Molekulargewichts abgestellt hatte, welches nicht in Anspruch 3 genannt ist.

1.9 Darüber hinaus ist die Entscheidung nicht ausreichend begründet, da nicht ausgeführt wird, warum die in Oolong Tee angeblich enthaltene Tanninfraktion ein hydrolysierbares Gallotannin nach Anspruch 3 beinhaltet. Die Frage, ob die in D5 aufgelisteten Catechine, die angeblich in den in D4 angegebenen Zusammensetzungen enthalten sind, als "hydrolisierbare Gallotannine" betrachtet werden können, wird in der Entscheidung nicht erörtert.

1.10 Außerdem wird keines der zusätzlichen technischen Merkmale berücksichtigt, die die übrigen als nicht neu betrachteten Ansprüche charakterisieren. So wird in der Entscheidung beispielsweise nicht festgestellt, ob und wo ein Verfahren offenbart wird, bei dem ein wasserabsorbierendes Polymergebilde mit mindestens einer Tanninfraktion in Kontakt gebracht wird, welche hydrolysierbares Gallotannin beinhaltet und wobei die mindestens eine Tanninfraktion in einer Menge von 0.001 bis 10 Gew.-% bezogen auf das Gesamtgewicht aus wasserabsorbierenden Polymergebilden eingesetzt wird.

1.11 Aus diesen Gründen teilt die Kammer die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass die Entscheidung der Prüfungsabteilung unter Verletzung des Gebots der Wahrung rechtlichen Gehörs gemäß Artikel 113(1) EPÜ ergangen ist und somit mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet ist. Darüber hinaus ist die angefochtene Entscheidung unzureichend begründet. In diesem Verstoß gegen Regel 111 (2) EPÜ liegt ein weiterer wesentlicher Verfahrensmangel.| |

1.12 Diese Verfahrensmängel stellen einen besonderen Grund im Sinne von Artikel 11 VOBK 2020 dar. Daher ist es gerechtfertigt, die Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen, damit diese die Anmeldung auf der Grundlage des Antrags, der der Entscheidung zugrunde liegt, erneut prüft.

1.13 Da die Beschwerdeführerin angesichts der obengenannten Verfahrensfehler verpflichtet war, eine Beschwerde einzulegen und die entsprechende Beschwerdegebühr zu entrichten, entspricht es auch der Billigkeit, dass diese Gebühr rückerstattet wird.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.

3. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.

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