European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2021:T188317.20210730 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 30 Juli 2021 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1883/17 | ||||||||
Anmeldenummer: | 12179325.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | E05D 15/58 E06B 3/50 E05D 11/06 E05D 11/10 E05F 1/12 E05D 3/14 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Scharnier insbesondere für eine Verschiebevorrichtung | ||||||||
Name des Anmelders: | Hawa Sliding Solutions AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Koblenz S.p.A. | ||||||||
Kammer: | 3.2.08 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein) Grundlage der Entscheidung - von der Patentinhaberin vorgelegte Fassung nicht ins Verfahren zugelassen Grundlage der Entscheidung - kein gewährbarer Antrag |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, der zufolge das Streitpatent in der Fassung des während der mündlichen Verhandlung im Einspruch eingereichten Hauptantrags die Erfordernisse des EPÜ erfülle.
II. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass der Gegenstand von Anspruch 1 weder über den Inhalt der Anmeldung noch der Stammanmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe, neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
III. Am 6. Oktober 2020 erging die Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 übermittelte die Kammer am 26. Oktober 2020 eine vorläufige Stellungnahme.
IV. Am 26. Juni 2021 reichte die Beschwerdegegnerin einen neuen Hauptantrag und Hilfsanträge 1B, 2A, 2B, 3A, 3B, 4A und 4B ein.
V. Am 30.07.2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
VI. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Sie stellte während der mündlichen Verhandlung den Antrag, die am 26. Juni 2021 eingereichten Anträge nicht in das Verfahren zuzulassen.
VII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des am 26. Juni 2021 eingereichten Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1B, 2A, 2B, 3A, 3B, 4A und 4B, ebenfalls eingereicht am 26. Juni 2021.
Sie trug vor, sie habe mit der Einreichung der neuen Anträge die in der Stellungnahme der Kammer gesetzte Frist von einem Monat beachtet. Ihre Anträge übernähmen die laut Stellungnahme der Kammer unter Punkt 4 nötigen Änderungen und könnten daher für die Beschwerdeführerin keine Überraschung darstellen.
Entscheidungsgründe
1. Zulassung der Anträge der Beschwerdegegnerin
1.1 In ihrer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer am 26. Oktober 2020 ihre vorläufige Meinung mit, wonach der bislang einzige von der Beschwerdegegnerin vorgelegte Antrag, der damalige Hauptantrag, nicht die Erfordernisse der Artikel 76 (1) und 123 (2) EPÜ erfülle (Punkt 4 der Stellungnahme).
1.2 Am 26. Juni 2021, gut einen Monat vor dem Termin der mündlichen Verhandlung, reichte die Beschwerdegegnerin neue Anträge ein und ersetzte damit den bisherigen Hauptantrag.
1.3 Die Beschwerdegegnerin trug vor, die neuen Anträge behöben die Einwände unter Punkt 4 der Stellungnahme durch Aufnahme der fehlenden Merkmale. Sie bestritt nicht, dass es sich bei den neuen Anträgen um eine Änderung ihres bisherigen Beschwerdevorbringens handelt.
1.4 Im vorliegenden Fall erging die Ladung zur mündlichen Verhandlung nach dem 1. Januar 2020, dem Datum des Inkrafttretens der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts in der aktuellen Fassung (VOBK 2020). Gemäß den Übergangsbestimmungen von Artikel 25 VOBK 2020 ist daher, mit Ausnahme von Artikel 12 Absätze 4 bis 6, die VOBK 2020 auf den vorliegenden Fall anzuwenden.
1.5 Die Zulassung der neuen Anträge der Beschwerdegegnerin richtet sich nach Artikel 13 (2) VOBK 2020, welcher bestimmt, dass Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung grundsätzlich unberücksichtigt bleiben, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
1.6 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass die neuen Anträge innerhalb der von der Kammer hierfür in der vorläufigen Stellungnahme gesetzten Frist eingereicht worden seien und die gemäß der Stellungnahme nötigen Änderungen übernähmen. Sie könnten daher auch keine Überraschung für die Beschwerdeführerin darstellen.
1.6.1 In der Tat bestimmte die Kammer in ihrer Mitteilung vom 26. Oktober 2020, dass etwaiges Vorbringen in Erwiderung auf die vorläufige Stellungnahme der Kammer bis spätestens einen Monat vor dem für die Verhandlung anberaumten Termin einzureichen sei. Dies kann jedoch nicht als Aufforderung zur Stellungnahme nach Regel 100 (2) EPÜ angesehen werden. Darüber hinaus wies die Kammer darauf hin, dass die Zulassung weiteren Vorbringens den Bestimmungen des Artikels 114 (2) EPÜ und der Artikel 12 und 13 der VOBK 2020 sowie deren Übergangsbestimmungen unterliege (Punkt 6 der Mitteilung). Somit ist das neu eingereichte Vorbringen daraufhin zu prüfen, ob es eine Änderung des Beschwerdevorbringens darstellt und, wenn dies der Fall ist, ob es in das Verfahren zuzulassen ist.
Der Vollständigkeit halber möchte die Kammer darauf hinweisen, dass die Regel 116(1) EPÜ gemäß G 6/95 nicht für die Beschwerdekammern gilt.
1.6.2 Die Änderungen können nicht als unmittelbare Reaktion auf die Mitteilung der Kammer gesehen werden.
Die Stellungnahme behandelt unter Punkt 4 nur Einwände, die inhaltlich bereits in der Beschwerdebegründung (Abschnitte 2.1.1 und 2.1.2 auf Seiten 3-6) vorgetragen wurden. Auf diese Einwände hätte die Beschwerdegegnerin daher bereits in ihrer schriftlichen Erwiderung vom 11. April 2018 vollumfänglich reagieren müssen. Denn die Beschwerdebegründung und die Erwiderung müssen nach Artikel 12 (3) VOBK 2020 das vollständige Beschwerdevorbringen der Beteiligten enthalten.
1.6.3 Die Argumentation der Beschwerdegegnerin zielt auch darauf ab, dass die Änderungen in den neuen Anträgen alle in der vorläufigen Stellungnahme der Kammer bekräftigten Einwände auf einfache Weise ausräumten und daher der Verfahrensökonomie nicht abträglich seien.
Dieses Argument mag für die Zulassung von Änderungen des Beschwerdevorbringens nach Einreichung der Beschwerdebegründung bzw. Erwiderung nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 relevant sein, ist allerdings kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020.
1.7 Die Beschwerdegegnerin konnte folglich weder darlegen, dass ihre Änderungen rechtzeitig waren, noch hat sie stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Gründe vorliegen, die die Zulassung der neuen Anträge nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 rechtfertigen würden. Daher hat die Kammer die Anträge vom 26. Juni 2021 nicht in das Verfahren zugelassen.
2. Da die Beschwerdegegnerin mit der Einreichung neuer Anträge am 26. Juni 2021 ihren bisherigen Hauptantrag zurückgenommen und durch die neuen Anträge ersetzt hat, diese aber nicht in das Verfahren zugelassen wurden, liegen keine gewährbaren Ansprüche vor und daher keine Fassung des europäischen Patents, auf deren Grundlage gemäß Artikel 101 (3) EPÜ die Aufrechterhaltung des Patents beschlossen werden könnte.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.