European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2021:T180917.20210126 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 26 Januar 2021 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1809/17 | ||||||||
Anmeldenummer: | 11185649.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | A47B9/00 A47B9/20 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Vorrichtung zur Erfassung von Kollisionen und entsprechendes Verfahren | ||||||||
Name des Anmelders: | Kesseböhmer Produktions GmbH & Co. KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Linak A/S | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - (ja) Erfinderische Tätigkeit - (ja) Ausreichende Offenbarung - vollständige Offenbarung Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) legte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Streitpatent in geändertem Umfang in der Fassung des damaligen Hilfsantrags 1 (eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung) aufrechtzuerhalten.
II. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass
a) der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 15 des damaligen Hauptantrags (wie erteilt) nicht neu sei,
b) der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 des damaligen Hilfsantrags 1 aber neu und erfinderisch sei, sowie
c) das Patent die Erfindung des damaligen Hilfsantrags 1 so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents in vollem Umfang.
V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent auf der Grundlage des der Zwischenentscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrags 1 aufrechtzuerhalten.
VI. Der unabhängige Anspruch 1 in der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Fassung lautet wie folgt:
"Möbelsäule mit mindestens einem motorisch bewegbaren Anteil (1, 2, 31), der relativ zu dem restlichen Möbel bewegbar ist, aufweisend: eine Vorrichtung zur Erkennung von Kollisionen des bewegbaren Anteils (1, 2, 31) mit Hindernissen, einen automatischen Vortriebsmechanismus, der daran angepasst ist, den bewegbaren Anteil zu bewegen, eine Steuereinrichtung, die daran angepasst ist, den automatischen Vortriebsmechanismus zu steuern, und mindestens einen Sensor (4), der daran angepasst ist, eine Kollision bei der Bewegung des bewegbaren Anteils (1, 2, 31) mit einem Hindernis zu erfassen und an die Steuerung zu übermitteln, dadurch gekennzeichnet dass der mindestens eine Sensor einen Kraftempfindlichen Sensor (41) aufweist, wobei ein Steuersignal abhängig von einem Leitfähigkeitswert des Kraftempfindlichen Sensors erzeugbar ist, wobei der Kraftempfindliche Sensor zumindest eine Leiterschicht und eine Matrix aus leitendem und nicht leitendem Material aufweist."
VII. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D5 US 2009/134966 A1
D6 DE 10 2007 030 473 A2
D9 SE 516 479 C2
VIII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Anspruch 1 in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung nenne nicht alle wesentlichen Informationen für den Fachmann, um die beanspruchte Erfindung ausführen zu können (Artikel 100 b) EPÜ). Es fehle im Anspruch 1 eine Angabe zum Zusammenhang zwischen der Vorrichtung zur Erkennung von Kollisionen und den restlichen im Anspruch genannten Bauteilen, insbesondere dem Sensor. Zudem würde Anspruch 1 nicht definieren, wo der Sensor angeordnet ist und wie er betätigt wird.
b) Des Weiteren sei der Gegenstand des Anspruchs 1 in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung nicht neu gegenüber D6 (Artikel 54 EPÜ), aber auch nicht erfinderisch gegenüber einer Kombination von D9 mit D5, sowie D6 mit dem allgemeinen Fachwissen bzw. D5 (Artikel 56 EPÜ).
IX. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Die beanspruchte Erfindung sei ausführbar, da aus der Beschreibung klar werde, dass der Sensor Teil der Vorrichtung zur Erkennung von Kollisionen sei, wie er anzuordnen ist und welcher Sensortyp gewählt werden solle.
b) Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu, da in D6 nicht spezifiziert würde, welcher Sensortyp zur Kollisionserfassung verwendet werde. Der Fachmann hätte auch keine konkrete Veranlassung, aufgrund seines Fachwissens den erfindungsgemäßen Sensor in D6 zu verwenden. Zudem würde der Fachmann D5 weder mit D9, noch mit D6 kombinieren.
Entscheidungsgründe
1. Das Streitpatent offenbart die Erfindung so ausreichend deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 83 bzw. 100 b) EPÜ).
1.1 Maßgeblich ist hierbei nicht, ob der unabhängige Anspruch alle wesentlichen Merkmale definiert, sondern ob die gesamte Patentschrift dem Fachmann wenigstens ein gangbares Ausführungsbeispiel aufzeigt, wie die in Anspruch 1 definierte Erfindung umsetzbar ist.
1.2 Im vorliegenden Fall wird aus Absatz [0005] der Beschreibung deutlich, dass die Kollision der Tischplatte mit einem Hindernis mit Hilfe einer Kollisionserkennungsvorrichtung mit einem oder mehreren Sensoren erkannt wird, d. h. dass die Sensoren Teil der Vorrichtung zur Erkennung der Kollision sind. Zudem wird in den Absätzen [0012] und [0013] beschrieben, welcher Sensortyp (Sensor der Bauart "Force Sensitive Resistor" oder kurz "FSR-Sensor" der Firma Interlink) hierfür geeignet ist. Weiterhin wird in den Figuren 2 - 6, sowie den korrespondierenden Absätzen [0029] - [0033] der Beschreibung mehrere Wege gezeigt, wie der Sensor an der Möbelsäule angeordnet werden kann und im Kollisionsfall die Kollision erkennen kann.
1.3 Der Fachmann kann daher dem Streitpatent wenigstens einen Weg zur Umsetzung der Erfindung entnehmen, so dass das Streitpatent den Erfordernissen des Artikels 83 bzw. 100 b) EPÜ genügt.
2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu gegenüber D6 (Artikel 54 EPÜ).
2.1 Das Dokument D6 offenbart unstrittig zwischen den Parteinen ein elektrisch verstellbares Möbelstück mit wenigstens einer Möbelsäule nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1. Die Möbelsäule erkennt eine Kollision mit einem Hindernis mit Hilfe eines Kraftempfindlichen Sensors (siehe Absatz [0022]: "Kraftsensor" SE) und unterbindet dann die Bewegung des automatischen Vortriebsmechanismus (Antrieb E1 bzw. E2).
2.2 Entgegen der Argumentation der Beschwerdeführerin wird aber das Steuersignal des Kraftsensors der D6 nicht zwingend abhängig von einem Leitfähigkeitswert des Sensors erzeugt. Der Fachmann kennt eine Vielzahl an verschiedenen Sensortypen, die Kraftempfindlich sind, aber zur Erstellung des Steuersignals keine Änderung des Leitfähigkeitswertes verwenden. Beispielsweise kennt der Fachmann Piezo-Sensoren, bei denen die durch die einwirkende Kraft verursachte Deformation eines Kennkörpers über die sich durch die Deformation verändernde Ladung gemessen wird. Der Fachmann kennt auch Kraftsensoren, die die Deformation eines elastischen Kennkörpers optisch erfassen.
Entsprechend verwendet nicht jeder Kraftsensor zwingend als Messgröße den Leitfähigkeitswerts (also den Kehrwert eines Widerstands des Sensors), so dass auch D6 dies nicht implizit offenbart.
2.3 Zudem weist auch nicht jeder Kraftsensor zwingend eine Leiterschicht und eine Matrix aus leitendem und nicht leitendem Material auf.
2.4 Damit unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von der aus D6 bekannten Möbelsäule dadurch, dass
a) ein Steuersignal abhängig von einem Leitfähigkeitswert des Sensors erzeugbar ist; und
b) der Sensor zumindest eine Leiterschicht und eine Matrix aus leitendem und nicht leitendem Material aufweist.
3. Ausgehend von D6 als nächstkommenden Stand der Technik wird der Gegenstand des Anspruchs 1 auch nicht durch das Fachwissen des Fachmanns oder D5 nahegelegt (Artikel 56 EPÜ).
3.1 Der Fachmann hat keine Veranlassung, als Sensor einen speziellen Sensor mit einer Leiterschicht und einer Matrix aus leitendem und nicht leitendem Material zu verwenden. Der Fachmann kennt eine Vielzahl an verschiedenen Sensoren mit unterschiedlicher Bauart, mit denen eine Kraft gemessen werden kann. Beispielsweise kann der Fachmann einen Sensor verwenden, der die einwirkende Kraft über die Verformung eines elastischen Körpers mit Hilfe von Dehnmessstreifen misst oder über eine opto-elektrische Erfassung des Verformungsweges des Kennkörpers.
Nachdem die Beschwerdeführerin keinen überzeugenden Grund nennt, warum der Fachmann gerade einen Sensor mit einer Leiterschicht und einer Matrix aus leitendem und nicht leitendem Material als Kraftsensor der D6 verwenden sollte, kann die Wahl dieses speziellen Typs nicht als naheliegend angesehen werden, da der Fachmann auch jeden der anderen ihm an sich bekannten Sensortypen verwenden könnte.
3.2 Zudem kennt der Fachmann aus dem Dokument D5 auch einen FSR-Sensor, der einen Kraftsensiblen Sensor darstellt und eine Leiterschicht (22), sowie einer Matrix (18) aus leitendem und nicht leitendem Material aufweist. Dieser Sensor erzeugt auch ein Steuersignal, das abhängig vom Leitfähigkeitswert des Sensors ist.
3.2.1 Der aus D5 bekannte Sensor wird jedoch nicht zur Kollisionserkennung einer Möbelsäule verwendet, sondern dazu, die Betätigung einer Fernbedienung, eines Telefons oder eines PDAs durch den Finger eines Benutzers zu erkennen (siehe Absatz [0004]). Derartige Anwendungen bedingen aber im Unterschied zur Kollisionserkennung bei einer höhenverstellbaren Möbelsäule vergleichbar niedrige Druckkräfte und basieren auch auf wesentlich kleineren Stellwegen. Daran ändert auch nichts, dass in Absatz [0022] der D5 erwähnt wird, dass der Sensor selbst hinter dicken Metallschichten in der Lage ist, den Druck eines Fingers zu erkennen.
3.2.2 Der Fachmann würde daher den aus D5 bekannten Sensor zur Erkennung eines Fingerdrucks bei der Suche nach einem geeigneten Kraftsensor für die Kollisionserkennung der D6 gar nicht erst berücksichtigen, da der aus D5 bekannte Sensor aufgrund der unterschiedlichen Randbedingungen (Wegstrecke und Höhe des einwirkenden Drucks) nicht für die Kollisionserkennung einer Möbelsäule geeignet ist.
3.2.3 In diesem Zusammenhang argumentiert die Beschwerdeführerin, dass der Fachmann hier über ein Getriebe eine Kraftunter- und Wegübersetzung erzielen könne und/oder durch eine Lagerung auf einem elastischen Untergrund die auf den Sensor wirkenden Kräfte reduzieren könne, so wie es das Streitpatent auch als bevorzugtes Ausführungsbeispiel offenbare.
Nachdem aber weder D6, noch D5 ein derartiges Getriebe oder eine derartige Lagerung zeigen, sieht die Kammer keinen Grund, warum der Fachmann derartiges tun sollte, nur um einen an sich nicht geeigneten Sensor doch verwendbar zu machen. Diese Argumentation stellt eine unzulässige rückwirkende Betrachtung in Kenntnis der Erfindung dar.
4. Auch ausgehend von D9 wird der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht durch D5 nahegelegt (Artikel 56 EPÜ).
4.1 Die aus D9 bekannte Möbelsäule weist analog zu der aus D6 bekannten Möbelsäule einen Kraftempfindlichen Sensor auf. Der aus D9 bekannte Sensor ist dabei ein Dehnmessstreifen (siehe Seite 3, Zeile 15 und Seite 4, Zeile 12), mit dem implizit auch ein Steuersignal abhängig von einem Leitfähigkeitswert des Sensors erzeugbar ist, so dass D9 zusätzlich zu den Merkmalen des Oberbegriffs von Anspruch 1 auch das oben genannte Merkmal a) zeigt.
4.2 Ein Dehnmessstreifen unterscheidet sich jedoch zumindest noch durch das oben genannte Merkmal b) vom Sensor des Anspruchs 1, da ein Dehnmessstreifen üblicherweise aus einem mäandrierenden Leiter auf einer isolierenden, dehnbaren Unterlage besteht. Bei einer Dehnung ändert der Leiter seine Länge und seinen Querschnitt, was zu einer Änderung seines elektrischen Widerstandes führt, die erfassbar ist.
4.3 Erneut zeigt zwar D5 einen Sensor mit einer Leiterschicht und einer Matrix aus leitendem und nicht leitendem Material. Der Fachmann würde aber - wie bereits zur potentiellen Kombination von D6 mit D5 ausgeführt - das Dokument D5 bei seiner Suche nach einem geeigneten Sensor für die Kollisionserfassung einer Möbelsäule nicht in Betracht ziehen, da D5 einem anderen technischen Gebiet entstammt und nicht ohne weitere Modifikationen der aus D9 bekannten Konstruktion dort verwendet werden kann.
5. Des Weiteren bemängelt die Beschwerdeführerin, dass die zweiteilige Fassung des Anspruchs 1 falsch gewählt sei.
Wie bereits in der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern ausgeführt, kann eine - möglicherweise - nicht korrekte zweiteilige Fassung die Patentfähigkeit des vorliegenden Anspruchs 1 im Einspruchsverfahren nicht gefährden. Anspruch 1 besteht nämlich aus der Kombination der erteilten Ansprüche 1 und 2, und war somit bereits im erteilten Patent vorhanden. Zudem stellt Regel 43 EPÜ betreffend die zweiteilige Fassung von Ansprüchen keinen Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 EPÜ dar.
6. Die Kammer sieht daher keinen Grund, warum die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Streitpatent auf Grundlage des im Einspruchsverfahren als Hilfsantrags 1 bezeichneten Antrags aufrechtzuerhalten, nicht korrekt gewesen wäre.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.