T 1778/17 () of 25.11.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T177817.20201125
Datum der Entscheidung: 25 November 2020
Aktenzeichen: T 1778/17
Anmeldenummer: 11749194.4
IPC-Klasse: C08G69/46
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG VON VERARBEITUNGSSTABILEM POLYAMID
Name des Anmelders: BASF SE
Name des Einsprechenden: INVISTA Technologies S.à.r.l.
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4) (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention Art 100(b) (2007)
European Patent Convention Art 123(3) (2007)
Schlagwörter: Spät eingereichte Anträge - zugelassen (ja: Hauptantrag b und Hilfsanträge 1b bis 5b)
Einspruchsgründe - Erweiterung von Patentansprüchen (ja: Hauptantrag b und Hilfsanträge 1b bis 4b)
Einspruchsgründe - mangelhafte Offenbarung (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja: Hilfsantrag 5b)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden betreffen die am 7. Juni 2017 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung bezüglich der Aufrechterhaltung in geändertem Umfang des Europäischen Patents Nr. 2 614 105 auf Basis des während der mündlichen Verhandlung vom 30. März 2017 eingereichten Hilfsantrags 5 und einer geänderten Beschreibung.

II. Das erteilte Patent enthielt 13 Ansprüche, wobei die Ansprüche 1 und 4 wie folgt lauteten:

"1. Verfahren zur Herstellung von verarbeitungsstabilen Polyamiden, dadurch gekennzeichnet, dass man das Polyamid während der Festphasennachkondensation mit einem Gas, das Trägergas und Wasser und

a) Säure oder Anhydrid oder Lacton oder deren Gemische oder

b) Ammoniak oder Amin oder deren Gemische

enthält, bei einer Temperatur von 130 bis 200°C und einem Druck von 0,01 bis 10 bar behandelt wobei

das eingesetzte Gas enthaltend

eine Mischung der nicht wasserdampfflüchtigen Komponenten a) oder b) mit Wasser und dem Trägergas direkt in den Trägergasstrom am Festphasennachkondensator dosiert wird

oder

eine Mischung der nicht wasserdampfflüchtigen Komponenten a) oder b) mit Wasser und dem Trägergas durch Ultraschall im Bereich von 25 kHz bis 3 MHz vernebelt wird

eine Mischung der nicht wasserdampfflüchtigen Komponenten a) oder b) mit Wasser und dem Trägergas auf eine Temperatur im Bereich von 100 bis 300°C erhitzt wird."

"4. Verfahren zur Herstellung von verarbeitungsstabilem Polyamid nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass eine wasserdampfflüchtige Säure oder Anhydrid oder Lacton oder deren Gemische bzw. Ammoniak oder Amin oder deren Gemische direkt mit der Inertgas/Wassermischung erhitzt und in den Nachkondensator geleitet werden."

Die Ansprüche 2, 3 und 5 bis 12 waren abhängige Ansprüche vom Anspruch 1. Anspruch 13 war auf die Verwendung der Polyamide nach einem der Ansprüche 1 bis 12 für Pellets, und Granulate enthaltend oder bestehend aus Polyamid zur Herstellung von Folien, Monofilamenten oder Fasern gerichtet.

III. Es wurde Einspruch unter Geltendmachung der Gründe gemäß Artikel 100 (a) EPÜ (fehlende erfinderische Tätigkeit), Artikel 100 (b) EPÜ, sowie Artikel 100 (c) EPÜ eingelegt.

IV. Der Entscheidung lagen ein Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 4, welche alle mit Schreiben vom 5. November 2015 eingereicht wurden, sowie ein Hilfsantrag 5, eingereicht während der mündlichen Verhandlung vom 30. März 2017, zugrunde.

Anspruch 1 des Hauptantrags lautete wie folgt (im Vergleich zum erteilten Anspruch 1, Streichungen werden in [deleted: durchgestrichen] und Hinzufügungen in fett gekennzeichnet):

"1. Verfahren zur Herstellung von verarbeitungsstabilen Polyamiden, dadurch gekennzeichnet, dass man das Polyamid während der Festphasennachkondensation mit einem Gas, das Trägergas (Inertgas) und Wasser und

a) Säure oder Anhydrid oder Lacton oder deren Gemische oder

b) Ammoniak oder Amin oder deren Gemische

enthält, bei einer Temperatur von 130 bis 200°C und einem Druck von 0,01 bis 10 bar behandelt wobei

[deleted: das eingesetzte Gas enthaltend]

[deleted: eine Mischung der nicht wasserdampfflüchtigen Komponenten a) oder b) mit Wasser und dem Trägergas direkt in den Trägergasstrom am Festphasennachkondensator dosiert wird]

eine wasserdampfflüchtige Säure oder Anhydrid oder Lacton oder deren Gemische bzw. Ammoniak oder Amin oder deren Gemische direkt mit der Inertgas/Wassermischung erhitzt und in den Festphasennachkondensator geleitet werden

oder das eingesetzte Gas enthaltend

eine Mischung der nicht wasserdampfflüchtigen Komponenten a) oder b) mit Wasser und dem Trägergas durch Ultraschall im Bereich von 25 kHz bis 3 MHz vernebelt wird

oder

eine Mischung der nicht wasserdampfflüchtigen Komponenten a) oder b) mit Wasser und dem Trägergas auf eine Temperatur im Bereich von 100 bis 300°C erhitzt wird."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 entsprach Anspruch 1 des Hauptantrags, wobei folgende Merkmale am Ende des Anspruchs hinzugefügt wurden

"wobei das Gas 0,001 bis 20 Gew.-% Wasser enthält".

Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 3 entsprach Anspruch 1 des Hilfsantrags 1, wobei folgende Merkmale am Ende des Anspruchs hinzugefügt wurden:

"und wobei 0,001 bis 10 Gew.-% Säure oder Anhydrid oder Lacton oder deren Gemische bzw. Ammoniak oder Amin oder deren Gemische bezogen auf das Polyamid einsetzt".

Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 entsprach Anspruch 1 des Hilfsantrags 2, wobei das Merkmal b) ("Ammoniak oder Amin oder deren Gemische") gestrichen wurde.

Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 lautete wie folgt (im Vergleich zum erteilten Anspruch 1, Streichungen werden in [deleted: durchgestrichen] und Hinzufügungen in fett gekennzeichnet)

"1. Verfahren zur Herstellung von verarbeitungsstabilen Polyamiden, dadurch gekennzeichnet, dass man das Polyamid während der Festphasennachkondensation mit einem Gas, das [deleted: Trägergas] Inertgas und Wasser und

a) Säure oder Anhydrid oder Lacton oder deren Gemische oder

b) Ammoniak oder Amin oder deren Gemische

enthält, bei einer Temperatur von 130 bis 200°C und einem Druck von 0,01 bis 10 bar behandelt wobei

das eingesetzte Gas enthaltend

[deleted: eine Mischung der nicht wasserdampfflüchtigen Komponenten a) oder b) mit Wasser und dem Trägergas direkt in den Trägergasstrom am Festphasennachkondensator dosiert wird]

[deleted: oder]

eine Mischung der nicht wasserdampfflüchtigen Komponenten a) oder b) mit Wasser und dem [deleted: Trägergas] Inertgas durch Ultraschall im Bereich von 25 kHz bis 3 MHz vernebelt wird

oder

eine Mischung der nicht wasserdampfflüchtigen Komponenten a) oder b) mit Wasser und dem [deleted: Trägergas] Inertgas auf eine Temperatur im Bereich von 100 bis 300°C erhitzt wird."

Der Hilfsantrag 5 enthielt ferner sieben weitere Ansprüche, deren Wortlaut den erteilten Ansprüchen 2, 3, 5 bis 7, 9 und 13 (mit entsprechendem angepassten Rückbezug auf den vorherigen Ansprüchen) entsprachen.

V. In der angefochtenen Entscheidung wurde unter anderem auf folgende Dokumente Bezug genommen:|

D1: US 6 268 468

D10: DE 2 033 653

VI. Gemäß der Entscheidung erfüllten der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 4 nicht die Erfordernisse der Artikel 123 (2) und (3) EPÜ. Jedoch erfüllte der Hilfsantrag 5 die Erfordernisse der Artikel 123 (2) und 56 EPÜ und der ausreichenden Offenbarung, wobei eine erfinderische Tätigkeit ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik und in Anbetracht der Lehre der D10 anerkannt wurde.

Nach Meinung der Einspruchsabteilung erfüllte die im Anspruch 1 des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 4 durchgeführte Änderung "Trägergas (Inertgas)" die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ nicht.

Ferner stellte nach Meinung der Einspruchsabteilung die im Anspruch 1 des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 4 durchgeführte Streichung bzw. der Ersatz eines Merkmals aus dem erteilten Anspruch 1 einen Verstoß gegen den Erfordernissen des Artikels 123 (3) EPÜ dar (Entscheidungsgründe: Abschnitt 4).

Was die ausreichende Offenbarung betrifft, sei der von der Einsprechenden vorgebrachte Einwand, dass das beanspruchte Verfahren mit Ammoniak, welche bekannterweise eine wasserdampfflüchtige Komponente sei, nicht durchführbar sei, eine Frage der Klarheit. Ferner gebe es keinen Grund anzunehmen, dass das beanspruchte Verfahren unter Verwendung von Ammoniak nicht durchführbar sei.

In Bezug auf die erfinderische Tätigkeit vom Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 war die Einspruchsabteilung der Meinung, dass:

- D1 den nächstliegenden Stand der Technik darstelle;

- Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 von dem Verfahren gemäß D1 sich dadurch unterscheide, dass die D1 die Feuchtigkeit im Inertgasstrom (Stickstoff) nicht offenbare;

- Das Streitpatent keine eindeutigen Versuche und Vergleichsversuche beinhalte, welche zweifelsohne darlegten, dass der Zusatz von Wasser zum Inertgasstrom einen technischen Effekt impliziere. Somit liege die objektiv zu lösende Aufgabe in der Bereitstellung eines alternativen Verfahrens zu Festphasennachkondensation;

- Da D10 die Festphasennachkondensation von Polyamiden offenbare, sei davon auszugehen, dass der Fachmann dieses Dokument mit der Lehre der D1 kombinieren könnte. In der D10 stehe allerdings, dass der Feuchtigkeitsgehalt des Inertgasstroms (Stickstoff) irrelevant sei. Dies bedeute, dass der Fachmann keine Veranlassung gehabt habe, Wasser dem Inertgasstrom zuzusetzen.

Aus diesen Gründen sei der Anspruch 1 des geltenden Hilfsantrags 5 erfinderisch.

VII. In ihrer Beschwerdebegründung beantragte die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin 1) die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß einem der Hauptanträge a und b, hilfsweise einem der Hilfsanträge 1a bis 5a oder 1b bis 5b, welche mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurden.

Anspruch 1 des Hauptantrags b und der Hilfsanträge 1b bis 4b entsprachen Anspruch 1 des in der strittigen Entscheidung abgehandelten Hauptantrag und der Hilfsanträge 1 bis 4, wobei der Begriff "Trägergas (Inertgas)" durch "Inertgas" und der Begriff "Trägergas" durch "Inertgas" ersetzt wurde.

Der Hilfsantrag 5b enthielt 13 Ansprüche, wobei Anspruch 1 dem Anspruch 1 des in der strittigen Entscheidung abgehandelten Hilfsantrags 5 entsprach. Der Wortlaut der Ansprüche 2 bis 13 des Hilfsantrags 5b entsprach den jeweiligen Wortlaut der erteilten Ansprüchen 2 bis 13.

VIII. In ihrer Beschwerdebegründung beantragte die Einsprechende (Beschwerdeführerin 2) die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Die Beschwerdeführerin 2 beantragte ferner, dass alle Anträge der Beschwerdeführerin 1 nicht in das Verfahren zugelassen werden, weil nicht klar sei, in welcher Reihenfolge sie zu behandeln seien.

IX. Mit Schreiben vom 5. Dezember 2019 wurden die Parteien zur mündlichen Verhandlung geladen.

X. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung mit.

XI. Mit Schreiben vom 10. August 2020 nahm die Beschwerdeführerin 1 den Hauptantrag a und die Hilfsanträge 1a bis 5a zurück und reichte ferner die Hilfsanträge 6b bis 9b (die für die vorliegende Entscheidung nicht relevant sind) ein, wobei die Beschwerdeführerin präzisierte, dass die geltenden Anträge in der Reihenfolge Hauptantrag b und Hilfsanträge 1b bis 9b behandelt werden sollten.

XII. Mit Schreiben vom 26. Oktober 2020 beantragte die Beschwerdeführerin 2, dass alle Anträge der Beschwerdeführerin 1 mit Ausnahme des Hilfsantrags 6b nicht in das Verfahren zugelassen werden.

XIII. Die mündliche Verhandlung fand am 25. November 2020 als Videokonferenz (beide Parteien waren über Skype mit dem Raum verbunden, in dem die Kammer anwesend war) unter Zustimmung beider Parteien statt.

XIV. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin 1 können wie folgt zusammengefasst werden:

Hauptantrag b und Hilfsanträge 1b bis 5b - Zulassung

a) Der Hauptantrag b und die Hilfsanträge 1b bis 4b seien in Reaktion auf die strittige Entscheidung eingereicht worden, insbesondere um den erfolgreichen Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ in Bezug auf den Begriff "Trägergas (Inertgas)" auszuräumen.

Der Hilfsantrag 5b enthalte die gleichen unabhängigen Ansprüche wie der in der strittigen Entscheidung abgehandelte Hilfsantrags 5. Diese Hilfsanträge unterscheiden sich nur dadurch, dass abhängige Ansprüche wiedereingesetzt worden seien.

Somit werfen weder der Hauptantrag b, noch die Hilfsanträge 1b bis 5b im Vergleich zum Erstinstanzverfahren neue Fragestellungen auf.

Daher sei es nicht gerechtfertigt, diese Anträge nicht zuzulassen.

Hauptantrag b und Hilfsanträge 1b bis 4b - Artikel 123 (3) EPÜ

b) Der Fachmann würde erkennen, dass der erteilte Anspruch 4 in Widerspruch zum erteilten Anspruch 1 stehe und würde verstehen, bei Berücksichtigung der Beschreibung und der Ausführungsbeispiele des Streitpatents, dass die im erteilten Anspruch 4 genannten wasserdampfflüchtigen Komponenten als Ersatz für die nicht-wasserdampfflüchtigen Komponenten gemäß erteiltem Anspruch 1 zu berücksichtigen seien. Dieser Widerspruch könne nur aufgelöst werden, indem Anspruch 4 als nebengeordneter Anspruch zu Anspruch 1, d.h. als ein weiterer, unabhängiger Anspruch, interpretiert werde, wobei durch den Rückbezug auf Anspruch 1 ein Teil der Merkmale von Anspruch 1 auch in Anspruch 4 enthalten seien. Ferner sei gemäß Artikel 69 (1) EPÜ der Schutzbereich des europäischen Patents durch die Patentansprüche bestimmt, wobei die Beschreibung zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen sei. Aus diesen Gründen verstoße die im Anspruch 1 des Hauptantrags b und der Hilfsanträgen 1b bis 4b durchgeführte Änderung basierend auf dem erteilten Anspruch 4 nicht gegen Artikel 123 (3) EPÜ.

Hilfsantrag 5b - Artikel 100 (b) EPÜ

c) Da Ammoniak bekannterweise nicht-wasserdampfflüchtig sei, gehe der Einwand der Beschwerdeführerin 2 ins Leere. Ferner enthielten die Beschreibung und die Beispiele des Streitpatents ausführliche Informationen, wie das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 5b durchzuführen sei. Somit seien die Erfordernisse der ausreichenden Offenbarung erfüllt.

Hilfsantrag 5b - Artikel 56 EPÜ

d) Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 5b unterscheide sich vom nächstliegenden Stand der Technik D1 durch folgende zwei Merkmale:

- Die Behandlung mit den Komponenten a) oder b) werde während der Festphasennachkondensation des Polyamids durchgeführt, wobei D1 keine Festphasennachkondensation offenbare;

- Zusätzlich zu den Komponenten a) oder b) erfolge ein Zusatz von Wasser zum Inertgas.

Die Beispiele des Streitpatents zeigten, dass die tatsächlich gelöste Aufgabe darin bestehe, ein Verfahren zur Herstellung von Polyamiden mit einer erhöhten Viskosität, welches eine vereinfachte Dosierung des Additivs a) oder b) ermögliche, bereitzustellen.

Es gebe aus D1 und D10 keinen Hinweis, dass diese Verbesserung durch Zusatz vom Wasser und den Komponenten a) oder b) zum Inertgas während der Festphasennachkondensation zu erzielen sei.

Da weder D1, noch D10 den Zusatz einer Komponente a) oder b) zum Inertgas während der Festphasennachkondensation offenbare, gelte die gleiche Schlussfolgerung, selbst wenn die Aufgabe in der Bereitstellung eines weiteren Verfahrens, in Alternative zu D1, bestehe.

Aus diesen Gründen sei der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 5b erfinderisch.

XV. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin 2 können wie folgt zusammengefasst werden:

Hauptantrag b und Hilfsanträge 1b bis 5b - Zulassung

a) Selbst wenn die Beschwerdeführerin 1 mit ihrem letzten Schreiben klargestellt habe, in welcher Reihenfolge ihre Anträge zu behandeln seien, hätten

der geltende Hauptantrag b und die geltenden Hilfsanträge 1b bis 5b früher eingereicht werden können und sollen. Da der Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ in Bezug auf den Begriff "Trägergas (Inertgas)" bereits in der Einspruchsschrift vorgebracht worden sei, gebe es keine Rechtfertigung, diese Anträge erst im Beschwerdeverfahren einzureichen. Aus diesen Gründen sollten der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1b bis 5b nicht in das Verfahren zugelassen werden.

Hauptantrag b und Hilfsanträge 1b bis 4b - Artikel 123 (3) EPÜ

b) Es sei der Einspruchsabteilung zuzustimmen, dass die im Anspruch 1 des Hauptantrags b und der Hilfsanträgen 1b bis 4b durchgeführte Änderung basierend auf dem erteilten Anspruch 4 gegen Artikel 123 (3) EPÜ verstoße. Insbesondere sei Anspruch 1 der erteilten Fassung auf nicht wasserdampfflüchtige Komponenten gerichtet, während gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags b auch der Einsatz ausschließlich von wasserdampfflüchtigen Komponenten umfasst sei.

Hilfsantrag 5b - Artikel 100 (b) EPÜ

c) Ammoniak sei bekanntermaßen wasserdampfflüchtig und somit keine nicht wasserdampfflüchtige Komponente gemäß dem geltenden Anspruch 1. Somit könne das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 5b mit nur Ammoniak als Komponente b) nicht durchgeführt werden. Aus diesem Grund seien die Erfordernisse der ausreichenden Offenbarung nicht erfüllt.

Hilfsantrag 5b - Artikel 56 EPÜ

d) Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 5b unterscheide sich von dem Verfahren gemäß dem nächstliegenden Stand der Technik D1 nur dadurch, dass zusätzlich zu den Komponenten a) oder b) Wasser im Inertgas vorhanden sei.

Die Beispiele des Streitpatents zeigten keinen Effekt in Bezug auf das Vorhandensein von Wasser in dem in den Festphasennachkondensationsreaktor zugeführten Inertgas. Somit liege die gegenüber D1 gelöste Aufgabe lediglich in der Bereitstellung eines weiteren Verfahrens zur Herstellung von Polyamiden.

Es sei naheliegend, diese Aufgabe durch Kombination der D1 mit der Lehre der D10 (Seite 4, 8. bis 10. Zeilen von unten), wonach die Anwesenheit von Wasser im Inertgas, welches in den Festphasennachkondensationsreaktor zugeführt wird, irrelevant sei, zu lösen.

Aus diesen Gründen sei der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 5b nicht erfinderisch.

XVI. Die Beschwerdeführerin 1 beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß Hauptantrag b, hilfsweise gemäß einem der Hilfsanträge 1b bis 5b, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, weiterhin hilfsweise gemäß einem der Hilfsanträge 6b, 7b, 8b oder 9b, eingereicht mit Schreiben vom 10. August 2020.

Die Beschwerdeführerin 2 beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Sie beantragte weiterhin, sämtliche Anträge außer Hilfsantrag 6b nicht in das Verfahren zuzulassen.

Entscheidungsgründe

Zulassung von Anträgen

1. Zulassung des Hauptantrags b und der Hilfsanträge 1b bis 5b

1.1 Die Beschwerdeführerin 2 beantragt, dass der geltende Hauptantrag b und die geltenden Hilfsanträge 1b bis 5b nicht in das Verfahren zugelassen werden.

1.2 Da die Beschwerdebegründungen der Parteien im Jahr 2017 eingereicht wurden und die Ladung zur mündlichen Verhandlung im Dezember 2019 erging, wird das vorliegende Verfahren durch die revidierte Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) geregelt, die am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist (Artikel 24 und 25, Absatz 1, VOBK 2020), mit Ausnahme von Artikel 12, Absätze 4 bis 6 VOBK 2020 und Artikel 13, Absatz 2 VOBK 2020, anstelle derer Artikel 12, Absatz 4 und Artikel 13 VOBK 2007 weiterhin anwendbar bleiben (Artikel 25, Absätze 2 und 3, VOBK 2020).

1.3 Unter diesen Umständen ist die Frage der Nichtzulassung von Anträgen in das Verfahren, welche von der Beschwerdeführerin 1 zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurden, nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 zu beurteilen, wobei zu berücksichtigen ist, dass es das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens ist, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen, wie jetzt im Artikel 12 (2) VOBK 2020 explizit angegeben. Somit ist die Frage zu beantworten, ob es gerechtfertigt wäre, diese Anträge nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 vom Verfahren auszuschließen, weil diese bereits im Verfahren vor der Einspruchsabteilung hätten eingereicht werden können und müssen.

1.4 Die Beschwerdeführerin 1 rechtfertigte das Einreichen des Hauptantrags b und der Hilfsanträge 1b bis 5b erst mit der Beschwerdebegründung dadurch, dass sie als direkte Reaktion auf die negative Entscheidung der Einspruchsabteilung betreffend der Beurteilung von Artikel 123 (2) EPÜ in Bezug auf den Begriff "Trägergas (Inertgas)" für den seinerzeit geltenden Hauptantrag und die damaligen Hilfsanträge 1 bis 4 eingereicht wurden, wobei andererseits die gleiche Verteidigungslinien in Bezug auf die weiteren Einwände gegen diese Anträge im Beschwerdeverfahren weiterverfolgt würden.

1.5 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass der Hauptantrag b und die Hilfsanträge 1b bis 4b dem in der strittigen Entscheidung abgehandelten Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 4 entsprechen, wobei die Begriffe "Trägergas (Inertgas)" und "Trägergas" jeweils durch den Begriff "Inertgas" ersetzt wurden.

1.5.1 Der Beschwerdeführerin 2 ist zuzustimmen, dass der Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ in Bezug auf den Begriff "Trägergas (Inertgas)" seit Beginn des Einspruchsverfahrens erhoben wurde und in der vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung als erfolgsversprechend angesehen wurde (siehe Absatz 4). Daher wäre es für die Patentinhaberin absehbar, dass der dann geltende Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 4 als unzulässig mindestens nach Artikel 123 (2) EPÜ angesehen werden könnten. Somit hätte die Beschwerdeführerin 1 ohne Zweifel gute Gründe gehabt, auf diesen Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ bereits im Einspruchsverfahren zu reagieren.

1.5.2 Jedoch hatte die Einspruchsabteilung in ihrer vorläufigen Meinung den Parteien ferner mitgeteilt, dass sie bezüglich Artikel 123 (3) EPÜ beabsichtigte, sich den Ausführungen der Patentinhaberin anzuschließen (vorläufige Meinung: Absatz 4). Somit ist es glaubhaft, dass die Beschwerdeführerin 1 von der während der mündlichen Verhandlung getroffenen (und für sie negativen) Entscheidung bezüglich Artikel 123 (3) EPÜ in Bezug auf den Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 4 überrascht wurde und dass sie dann nicht in der Lage war, alle möglichen Handlungsoptionen zu verfolgen. Ferner wird berücksichtigt, dass die im Beschwerdeverfahren vorgebrachte Verteidigungslinie der Beschwerdeführerin 1 bezüglich Artikel 123 (3) EPÜ für diese Anträge hauptsächlich die gleiche war als die, die während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung angewandt wurde. Darüber hinaus, da die Einspruchsabteilung der Meinung war, dass der dann geltende Hauptantrag und die dann geltenden Hilfsanträge 1 bis 4 auch die Erfordernisse von Artikel 123 (3) EPÜ nicht erfüllten, hätte das Einreichen im Einspruchsverfahren der jetzt geltenden Hauptantrag b und Hilfsanträge 1b bis 4b in Bezug z.B. auf die Verfahrensökonomie nichts gebracht. Dadurch, dass der Hauptantrag b und die Hilfsanträge 1b bis 4b ferner zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurden und dass die einzige Änderung in dem Hauptantrag b und in den Hilfsanträgen 1b bis 4b gegenüber dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 4 in Einspruchsverfahren, hinzugefügt um den Einwand gemäß Artikel 123 (2) EPÜ zu überwinden, die gleiche war, wie in dem damals eingereichten Hilfsantrag 5, liegt weder ein Verfahrensmissbrauch vor, noch wurde das Verfahren dadurch verzögert. Insbesondere werden keine neuen Fragen aufgeworfen.

1.6 Was den Hilfsantrag 5b betrifft, brachte die Beschwerdeführerin 1 vor, dass er dem Hilfsantrag 5 gemäß der strittigen Entscheidung entsprach, wobei die irrtümlicherweise gestrichenen Unteransprüche wieder aufgenommen wurden.

Obwohl es diesbezüglich auch keinen Zweifel gibt, dass ein solcher Antrag auch hätte früher eingereicht werden können, sieht die Kammer bei dem Einreichen des Hilfsantrags 5b zu Beginn des Beschwerdeverfahrens ebenfalls keinen Verfahrensmissbrauch und ist ferner der Meinung, dass das Verfahren dadurch nicht verzögert wurde. Auch in diesem Fall werden keine neuen Fragen aufgeworfen.

1.7 Aus diesen Gründen erachtet es die Kammer für nicht angebracht, ihre Befugnis nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 auszuüben und den Hauptantrag b und die Hilfsanträge 1b bis 5b vom Verfahren auszuschließen. Somit sind diese Anträge im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen.

Hauptantrag b und Hilfsanträge 1b bis 4b

2. Artikel 123 (3) EPÜ

2.1 Anspruch 1 des Hauptantrags b ist aus folgenden Teilen zusammengesetzt:

- ein Hauptteil, welcher wie folgt lautet: "Verfahren zur Herstellung von ... einem Druck von 0,01 bis 10 bar behandelt, wobei...";

- die drei folgenden Alternativen, die mit dem Hauptteil kombiniert werden:

- "eine wasserdampfflüchtige Säure oder ... und in den Festphasennachkondensator geleitet werden" (basierend auf dem Wortlaut vom erteilten Anspruch 4; im Folgendem Alternative A);

- "das eingesetzte Gas enthaltend eine Mischung ... durch Ultraschall im Bereich von 25 kHz bis 3 MHz vernebelt wird" (im Folgendem Alternative B);

- "das eingesetzte Gas enthaltend eine Mischung ... von 100 bis 300°C erhitzt wird" (im Folgendem Alternative C).

2.2 Die Beschwerdeführerin 2 brachte im Einklang mit der Einspruchsabteilung vor (Abschnitt 4.2 der Entscheidungsgründen), dass Anspruch 1, Alternative A, die Erfordernisse von Artikel 123 (3) EPÜ nicht erfülle.

2.3 Nach Artikel 123 (3) EPÜ darf das europäische Patent nicht in der Weise geändert werden, dass der Schutzbereich erweitert wird. Im vorliegenden Fall stellt sich daher die Frage, ob der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1, Alternative A, unter den Schutzbereich der erteilten Ansprüche fällt.

2.4 Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass der erteilte Anspruch 4 im Widerspruch zum erteilten Anspruch 1 stehe und somit als unabhängiger Anspruch anzusehen sei. Somit falle der Gegenstand des Anspruchs 1, Alternative A, des Hauptantrags b unter den Schutzbereich des erteilten Anspruchs 4.

2.4.1 Nach Meinung der Kammer ist jedoch die von der Beschwerdeführerin 1 vorgeschlagene Lesart des erteilten Anspruchs 4 nicht korrekt, wie bereits von der Einspruchsabteilung entschieden. Aufgrund seiner expliziten Abhängigkeit vom erteilten Anspruch 1 ist der erteilte Anspruch 4 zuerst so zu lesen, dass er einen zusätzlichen Verfahrensschritt enthält, wie in dem Absatz zwischen Seiten 5 und 6 der Entscheidung dargelegt. Aus dem Wortlaut des erteilten Anspruch 1 ist, nach Meinung der Kammer, nicht zu schließen, dass alle Komponenten a) und b), die im Gas enthaltend sind, zwangsläufig nicht wasserdampfflüchtig sind. Vielmehr definiert der Wortlaut des erteilten Anspruchs 1, dass es im Gas nicht wasserdampfflüchtigen Komponenten a) oder b) vorhanden sind, die einem bestimmten Verfahrensschritt unterworfen werden (sowohl nach Alternativen B oder C als auch nach der gestrichenen Alternative). Ebenfalls definiert der Wortlaut des erteilten Anspruchs 4, dass es im Gas wasserdampfflüchtigen Komponenten a) oder b) vorhanden sind, die einem bestimmten Verfahrensschritt unterworfen werden (nach Alternative A). In dieser Hinsicht wird ferner berücksichtigt, dass nach dem Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 Gemische von Komponenten a) oder b) möglich sind und, dass das Gas gemäß den Absätzen 10 und 44 des angefochtenen Patents an verschiedenen Stellen des Festphasennachkondensationsreaktors zugeführt werden kann. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass Gase unterschiedlicher Zusammensetzungen zugeführt werden können. Obwohl solche Ausführungsformen im angefochtenen Patent nicht ausdrücklich offenbart werden, gibt es keinen Grund für die Kammer zu schließen, dass der Fachmann sie ausschließen würde (z.B. weil sie technisch keinen Sinn machen oder weil sie als offensichtlicher Fehler oder als Inkonsistenz zwischen den Ansprüchen angesehen würden).

Die Tatsache, dass sich der erteilte Anspruch 1 auf "nicht-wasserdampfflüchtige Komponenten a) oder b)" bezieht, während sich der erteilte Anspruch 4 auf "wasserdampfflüchtige" Komponenten bezieht, die die gleichen Namen (wie unter a) und b) aufgeführt) haben, bedeutet ferner nicht zwingend, dass es eine Inkonsistenz gibt, wie von der Beschwerdeführerin 1 vorgebracht. Dies kann so verstanden werden, dass die alternativen Schritte im erteilten Anspruch 1 auf die Komponenten a) oder b) beschränkt sind, die nicht-wasserdampfflüchtig sind, während der Schritt im erteilten Anspruch 4 auf Komponenten beschränkt ist, die wasserdampfflüchtig sind, wie oben erklärt. Die einzige Komponente, bei der es einen Fehler zu geben scheint, ist Ammoniak, das keine allgemeine Gruppe, sondern eine einzige Verbindung ist. Eine solche Komponente kann nicht gleichzeitig wasserdampfflüchtig und nicht-wasserdampfflüchtig sein. In dieser Hinsicht war es zwischen den Parteien umstritten, ob Ammoniak wasserdampfflüchtig oder nicht-wasserdampfflüchtig ist (Schriftsatz der Beschwerdeführerin 1 vom 28. Februar 2020: Abschnitt 3, vierter Absatz; Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin 2: zweiter Absatz von Abschnitt 2). Unabhängig vom Ergebnis dieser Diskussion würde der Fachmann jedoch in jedem Fall nicht die Option berücksichtigen, die keinen Sinn macht, und würde daher nicht der Ansicht sein, dass es eine Inkonsistenz zwischen den Ansprüchen 1 und 4 in der erteilten Form gibt.

In Anbetracht des Vorstehenden wird das Argument der Beschwerdeführerin, wonach die erteilten Ansprüche 1 und 4 im Widerspruch zueinander stehen, zurückgewiesen.

Somit ist es nicht notwendig, sich der Beschreibung zuzuwenden, um den erteilten Anspruch 4 zu verstehen/zu interpretieren. Ferner gibt es keinen Grund, Artikel 69 (1) EPÜ zur Auslegung der Ansprüche zu verwenden. Obwohl nach der Rechtsprechung bezüglich Artikels 69 (1) EPÜ die Beschreibung zur Auslegung der Ansprüche und zur Identifizierung ihres Gegenstands verwendet werden kann, ist eine Diskrepanz zwischen den Ansprüchen und der Beschreibung kein triftiger Grund, um die klare sprachliche Struktur eines Anspruchs zu ignorieren und ihn anders auszulegen (Rechtsprechung, oben, II.A.6.3.2, siehe insbesondere den zweiten und dritten Absatz).

2.4.2 Aus diesen Gründen ist der erteilte Anspruch 4 kein unabhängiger Anspruch, sondern ein abhängiger Anspruch vom erteilten Anspruch 1. Ein Verfahren gemäß dem Hauptteil des Anspruchs 1 des Hauptantrags b (wie im Absatz 2.1 oben definiert), in welchem die Inertgas/Wassermischung ausschließlich eine wasserdampfflüchtige Komponente a) oder b) enthält, die dem hinzugefügten Schritt unterworfen wird, fällt unter den Anspruch 1, Alternative A des Hauptantrages b. Jedoch ist ein solches Verfahren vom Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 (und des davon abhängigen Anspruchs 4), welcher den zwangsläufigen Zusatz von nicht wasserdampfflüchtigen Komponenten a) verlangt, die einem von drei alternativen Verfahrensschritten unterworfen werden (siehe Absatz II oben, insbesondere die drei alternativen Ausführungsformen nach dem Begriff ,,wobei"), ausgeschlossen. Dies bedeutet, dass nicht alle im Anspruch 1, Alternative A, des Hauptantrags b beanspruchten Verfahren unter den Schutzbereich der erteilten Ansprüche, insbesondere nicht des erteilten Anspruchs 4, fallen.

2.4.3 Somit ist der Einspruchsabteilung zuzustimmen, dass die durchgeführte Streichung bzw. der Ersatz eines Merkmals aus dem erteilten Anspruch 1 einen Verstoß gegen den Erfordernissen des Artikels 123 (3) EPÜ darstellt (Entscheidungsgründe: Abschnitt 4).

2.5 In Anbetracht des Vorstehenden liefern die Argumente der Beschwerdeführerin 1 keinen Grund für die Kammer, die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung, dass der Hauptantrag b nicht die Erfordernisse des Artikels 123 (3) EPÜ erfüllt, aufzuheben.

2.6 Anspruch 1 der Hilfsanträge 1b bis 4b enthält die gleiche Änderung basierend auf dem erteilten Anspruch 4 wie der Hauptantrag. Somit erfüllen auch diese Hilfsanträge - aus den gleichen Gründen wie oben für den Hauptantrag b erläutert - nicht die Erfordernisse des Artikels 123 (3) EPÜ.

Hilfsantrag 5b

3. Artikel 100 (b) EPÜ

3.1 Was die Frage der ausreichenden Offenbarung nach Artikel 100 (b) EPÜ betrifft, ist zu klären, ob der Fachmann dem Patent, ggf. unter Heranziehung seines allgemeinen Fachwissens, genügende Informationen entnehmen kann, um ein Verfahren gemäß dem geltenden Anspruch 1 durchzuführen, was von der Beschwerdeführerin 2 bestritten wurde.

3.2 Der Einwand der Beschwerdeführerin 2 besteht darin, dass das Verfahren gemäß Anspruch 1 nicht durchgeführt werden könne, wenn nur Ammoniak als Komponente b) verwendet werde, da Ammoniak bekanntermaßen wasserdampfflüchtig sei und somit nicht als nicht-wasserdampfflüchtige Komponente gemäß dem geltenden Anspruch 1 eingesetzt werden könne.

3.3 Unabhängig davon, ob Ammoniak wasserdampfflüchtig ist, was von die Beschwerdeführerin 1 bestritten wird (Schriftsatz vom 28. Februar 2020: Abschnitt 3, vierter Absatz), wird angemerkt, dass beide Alternativen im Anspruch 1 des Hilfsantrags 5b den Wortlaut "eine Mischung der nichtwasserdampfflüchtigen Komponenten a) oder b) ..." enthalten. Somit soll die dort angegebene Mischung zwangsläufig nicht-wasserdampfflüchtige Komponenten enthalten. Daher ist ein Verfahren, bei dem nur eine wasserdampfflüchtige Komponente verwendet wird, wie von der Beschwerdeführerin 2 geltend gemacht, nicht durch den geltenden Anspruch 1 abgedeckt. Schon aus diesen Gründen ist der Einwand der Beschwerdeführerin 1, nicht überzeugend, da es Ausführungsformen betrifft, die vom Anspruch 1 nicht abgedeckt werden.

3.4 Aus diesen Gründen können die Argumente der Beschwerdeführerin 2 bezüglich der unzureichenden Offenbarung nicht überzeugen und liefern der Kammer keinen Grund, die Entscheidung der Einspruchsabteilung in dieser Hinsicht aufzuheben.

4. Artikel 56 EPÜ

4.1 Der einzige Einwand bezüglich Artikel 56 EPÜ der Beschwerdeführerin 2 betrifft die erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 5b.

4.2 In diesem Zusammenhang sind beide Beschwerdeführerinnen im Einklang mit der Einspruchsabteilung der Auffassung, dass D1 den nächstliegenden Stand der Technik darstellt. Die Kammer hat auch keinen Grund, einen anderen Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zugrunde zu legen.

4.3 Unterscheidungsmerkmal(e)

4.3.1 Die Parteien waren sich nicht einig, inwiefern das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 5b sich von einem Verfahren gemäß D1 unterscheidet.

4.3.2 Anspruch 1 des Hilfsantrags 5b betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Polyamiden, in dem man das Polyamid während der Festphasennachkondensation mit einem Gas, das Inertgas, Wasser und mindestens einer weiteren Komponente gemäß Merkmal a) oder b) enthält, unter bestimmten Temperatur- und Druckbedingungen behandelt. In diesem Zusammenhang versteht der Fachmann im Gebiet der Herstellung von Polyamiden, dass mit "Festphasennachkondensation" eine Verfahrensstufe zur Weiterkondensation (Weiterpolymerisation) von Polyamiden bezeichnet wird, um deren Molmasse (bzw. Viskosität) zu erhöhen, wobei ein granuliertes Polyamid mit niedriger Ausgangsmolmasse/Viskosität üblicherweise unter Inertgas oder Vakuum nachbehandelt wird (siehe z.B. D10: Seite 2, erster Absatz). Die Kammer hat keinen Grund, insbesondere angesichts der Absätze 13 bis 15 und der Beispiele des Streitpatents von dieser üblichen Definition des Begriffs "Festphasennachkondensation" abzuweichen. Diesbezüglich wurde während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer von der Beschwerdeführerin 1 klargestellt, dass in den Beispielen des Streitpatents, insbesondere in den Beispielen 3 und 4, welche den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags 5b illustrieren, die Polyamide einer Festphasennachkondensation, wie im (Referenz)-Beispiel 1 des Streitpatents beschrieben, unterzogen worden sind. Aus den Tabellen 3 und 4 des Streitpatents ist ersichtlich, dass bei dieser Verfahrensstufe die Viskosität der Polyamidgranulate steigt (gemäß Absatz 39 des Streitpatents haben die behandelten Polyamidgranulate eine Ausgangsviskositätszahl von 152 ml/g).

4.3.3 D1 betrifft die Behandlung eines Polyamids mit einer Säure, Anhydrid oder Amin in der Gasphase (D1: Anspruch 1; Spalte 2, Zeilen 56-63; Spalte 3, Zeilen 1-7; Beispiele 1-4), wobei diese Komponenten den Merkmalen a) oder b) gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 5b entsprechen. Gemäß Dl wird der Aminoendgruppengehalt des Polyamids vermindert durch Umsetzung des Polyamids mit gasförmiger Säure oder Anhydrid bei z.B. 165 °C (siehe Beispiele 1-4). Dazu wird das Polyamid in der Festphase ("solid state polyamide": D1, Spalte 2, Zeilen 56-57) mit einem inerten Trägergas wie Stickstoff oder Argon, das Säure oder Anhydrid enthält, bei Temperaturen oberhalb des Siedepunkts der Säure oder des Anhydrids behandelt. Alternativ kann die Zahl der Carboxylendgruppen in entsprechender Weise durch Behandlung des Polyamids mit einem gasförmigen Amin vermindert werden. Es ist jedoch aus der Tabelle 1 der D1 ersichtlich, dass bei dieser Behandlung die Viskosität des Polyamids nicht steigt.

Im Hinblick auf das Obige, wird im Verfahren der D1 von bereits vollständig hergestelltem Polyamid ausgegangen und in einem zusätzlichen Schritt beispielsweise mit einem vorgeheizten Stickstoffgas, die eine Komponente a) oder b) gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 5b enthält, behandelt. Jedoch offenbart D1 keine "Festphasennachkondensation" wie im Anspruch 1 des Hilfsantrags 5b definiert, sondern eine Nachbehandlung eines fertigen Polyamids. Dabei gibt es keinen Zweifel, dass der Begriff "Polyamid in der Festphase" gemäß D1 nicht mit dem Begriff "Festphasennachkondensation" gleichzusetzen ist, sondern lediglich definiert, dass ein festes Polyamide nachbehandelt wird.

Es war ferner zwischen den Parteien nicht bestritten, dass D1 nicht die Anwesenheit vom Wasser in dem für die Nachbehandlung eingesetzten Inertgas offenbart.

4.3.4 Aus diesen Gründen stimmt die Kammer der Beschwerdeführerin 1 zu, dass sich das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 5b von dem Verfahren der D1, insbesondere dessen Beispiele, durch folgende zwei Merkmale unterscheidet:

- die Komponenten a) oder b) werden dem in dem Festphasennachkondensationsreaktor zugeführten Inertgas zugesetzt;

- zusätzlich zu den Komponenten a) oder b) Wasser im Inertgas vorhanden sein muss.

4.4 Die gegenüber D1 gelöste Aufgabe

Die Parteien waren sich nicht einig, wie die gegenüber D1 tatsächlich gelöste Aufgabe formuliert werden soll (Alternative oder Verbesserung). Jedoch wird im vorliegenden Fall selbst in Anbetracht der minimalen technischen Aufgabe, nämlich die Bereitstellung eines weiteren Verfahrens in Alternative zu dem Verfahren gemäß D1, eine erfinderische Tätigkeit anerkannt (siehe Absatz 4.5 unten). Unter solchen Umstände braucht die Kammer in der vorliegenden Entscheidung zu dieser Fragestellung nicht Stellung zu nehmen.

4.5 Naheliegen der Lösung

4.5.1 Der Einwand der Beschwerdeführerin 2 beruht auf der Kombination der D1 mit der Passage auf Seite 4, 8. bis 10. Zeilen von unten der D10, wonach der Feuchtigkeitsgehalt des während der Festphasennachkondensation eingeleiteten heißen Stickstoffs sich innerhalb weiter Grenzen als irrelevant erweise. |

4.5.2 Jedoch betrifft D10 ein Verfahren zur Herstellung hochmolekularer Polyamide in fester Form durch thermische Nachkondensation in Gegenwart inerter Gase (Trocken-Nachkondensation; siehe D10: Anspruch 1). Es wurde nicht bestritten, dass eine solche Trocken-Nachkondensation einer Festphasennachkondensation gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 5b entspricht (siehe insbesondere Absätze 13 bis 15 des Streitpatents). Gemäß D10 wird die Polymerisation des Polyamids in Gegenwart von Polymerisationskatalysatoren und Kettenstabilisatoren durchgeführt, wobei beispielsweise Phosphorsäure als Polymerisationskatalysator und Mono- oder Dicarbonsäure - welche der Komponente a) gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 5b entsprechen - als Kettenstabilisator verwendet werden können (D10: Ansprüche 5 und 6; Seite 3, letzter Absatz; Beispiele). Bei dieser Polymerisation werden niedrig viskose Polyamide (in D10 auch als "Vorpolymerisat" gekennzeichnet: siehe z.B. D10: Anspruch 4; Seite 3, 9. und 10. Zeilen von untern; Seite 6, Zeile 14; Beispiel 1) hergestellt, welche anschließend einer Festphasennachkondensation unterworfen werden (D10: Anspruch 1; Seite 3, letzter Absatz). Dies bedeutet, dass in D10 der Zusatz der Komponente a) während der (Vor)Polymerisation, nicht jedoch während der Festphasennachkondensation erfolgt. Somit findet die Zugabe der Komponente a) in D1 und in D10 während unterschiedlichen Verfahrensstufen statt (D1: bei einer Nachbehandlung des fertigen Polyamids, wobei D1 keine Festphasennachkondensation offenbart; D10: bei Herstellung des "Vorpolymerisats" in der Schmelze, welches anschließend einer Festphasennachkondensation unterworfen wird). Infolgedessen betreffen D1 und D10 zwei grundsätzlich unterschiedliche Verfahren, in denen u.a. die Komponente a) während unterschiedlichen Verfahrenstufen zugegeben wird. Somit kann die Kombination dieser Dokumente nicht naheliegend angesehen werden.

4.5.3 Darüber hinaus wird in der Passage auf Seite 4, 8. bis 10. Zeilen von unten der D10, angegeben, dass der Feuchtigkeitsgehalt des eingeleiteten heißen Stickstoffs sich innerhalb weiter Grenzen als irrelevant erweise. Somit betrifft diese Passage der D10 höchstens eine mögliche Anwesenheit von Wasser im Inertgas bei der Festphasennachkondensation, wie von beiden Parteien während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zugestimmt. Da eine solche Festphasennachkondensation in D1 jedoch nicht offenbart wird, gibt es keinen Grund, diese Lehre von D10 mit der von D1 zu kombinieren. Eine solche Kombination würde ferner nicht zu einem Zusatz vom Wasser und Komponenten a) oder b) im Inertgas bei der Festphasennachkondensation, wie im Anspruch 1 des Hilfsantrags 5b definiert, führen.

4.5.4 Aus diesen Gründen ist die von der Beschwerdeführerin 2 durchgeführte Kombination von D1 und D10 weder naheliegend, noch führt sie zu einem Verfahren gemäß dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 5b. Somit können die von der Beschwerdeführerin 2 vorgebrachten Argumente nicht zeigen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags 5b angesichts der Lehre von D1 und D10 naheliegend ist.

4.6 Aus diesen Gründen ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 5b ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik und im Lichte der Lehre von D10 erfinderisch. Infolgedessen wird der Einwand der fehlenden erfinderischen Tätigkeit der Beschwerdeführerin 2 zurückgewiesen.

5. Da keine der Einwänden der Beschwerdeführerin 2 gegen den Hilfsantrag 5b erfolgreich ist, ist das Patent in dieser Form aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent auf der Grundlage der Patentansprüche gemäß Hilfsantrag 5b, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, und mit einer gegebenenfalls noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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