T 1773/17 () of 26.6.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T177317.20180626
Datum der Entscheidung: 26 Juni 2018
Aktenzeichen: T 1773/17
Anmeldenummer: 08708656.7
IPC-Klasse: C08F 2/00
C08F 2/10
C08F 2/16
C08F 2/18
A61L 15/60
C08F 6/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG WASSERABSORBIERENDER POLYMERPARTIKEL DURCH POLYMERISATION VON TROPFEN EINER MONOMERLÖSUNG
Name des Anmelders: BASF SE
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0567/11
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Europäische Patentanmeldung Nr. 08 708 656.7 wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 11. Oktober 2010 (Postdatum) wegen fehlender Neuheit zurückgewiesen.

Mit Entscheidung T 567/11 wurde diese Entscheidung von der Beschwerdekammer aufgehoben. Inter alia wurde die Neuheit festgestellt, und die Anmeldung zur weiteren Behandlung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.

Mit einer Entscheidung, die am 23. Februar 2017 zur Post gegeben wurde, wurde die Anmeldung wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit von der Prüfungsabteilung zurückgewiesen.

II. Die vorliegende Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die genannte Zurückweisungsentscheidung vom 23. Februar 2017.

III. Die Entscheidung erfolgte auf Basis eines Hauptantrags und vier Hilfsanträgen, alle mit Schreiben vom 26. Januar 2017 eingereicht.

Folgende Dokumente, inter alia, wurden von der Prüfungsabteilung zitiert:

D1: WO-A-2006/079631

D5: US-A-5 866 678.

Gemäß der Entscheidung erfüllte der Gegenstand keiner der Anträge die Erfordernisse vom Artikel 56 EPÜ im Hinblick auf D1 bzw. dessen Kombination mit D5.

IV. Mit der Beschwerdebegründung hielt die Anmelderin - jetzt Beschwerdeführerin - die ehemaligen 2. und 4. Hilfsanträge als Haupt- und Hilfsantrag aufrecht.

Anspruch 1 des Hauptantrags hatte folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Herstellung wasserabsorbierender Polymerpartikel durch Polymerisation von Tropfen einer Monomerlösung, enthaltend

a) mindestens ein ethylenisch ungesättigtes Monomer,

b) wahlweise einen Vernetzer,

c) mindestens einen Initiator und

d) Wasser,

in einer umgebenden Gasphase, dadurch gekennzeichnet, dass die erhaltenen Polymerpartikel einen Wassergehalt von mindestens 5 Gew.-% aufweisen, in fluidisiertem Zustand in Gegenwart eines Gasstromes bei einer Temperatur von mindestens 60°C thermisch nachbehandelt werden und die Nachbehandlung mindestens 5 Minuten durchgeführt wird, wobei der Gasstrom bei einer Temperatur von weniger als 100°C eine relative Feuchte von mindestens 20% aufweist oder bei einer Temperatur von 100°C oder mehr mindesten 0,25 kg Wasserdampf pro kg trockenes Gas enthält, wobei die relative Feuchte der Quotient aus Wasserdampfpartialdruck und Wasserdampfdruck (Sättigung) bei einer gegebenen Temperatur multipliziert mit 100% ist, und die Nachbehandlungstemperatur und die relative Feuchte des Gasstromes so gewählt werden, dass sich der Wassergehalt der Polymerpartikel während der Nachbehandlung um weniger als 40 % ändert, wobei die Änderung die relative Änderung bedeutet."

Die Ansprüche 2-10 des Hauptantrags waren auf bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens gerichtet.

V. In einem Bescheid vom 21. März 2018 äußerte die Kammer Bedenken bezüglich erfinderischer Tätigkeit im Hinblick auf die Kombination der Offenbarungen von D1 und D5. Insbesondere stellte sich die Frage, ob die Verfahrensweise von D5 unter den Anspruch 1 des Hauptantrags falle.

VI. Mit Schreiben vom 2. Mai 2018 zog die Anmelderin den ehemaligen Hilfsantrag zurück und reichte fünf neue Hilfsanträge ein.

Es wurde auf die Relevanz von D5 im Hinblick auf den Anspruchswortlaut eingegangen.

VII. Die Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich folgendermaßen zusammenfassen

Nächstliegender Stand der Technik sei D1. Dieses offenbare eine Sprühpolymerisation mit anschließender Trocknung, wobei D1 lehre, dass die Trockengeschwindigkeit während der Polymerisation über die relative Feuchte des Trägergases getrennt von der Polymerisationsgeschwindigkeit beeinflusst werden könne. Die erhaltenen Teilchen werden getrocknet, aber erst wenn der gewünschte Umsatz erreicht sei.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich hiervon dadurch, dass eine thermische Nachbehandlung mit einem wasserdampfhältigen Gasstrom durchgeführt werde. Während dieser Behandlung darf sich der Wassergehalt der Partikel nicht wesentlich ändern. Hierdurch werde der Restmonomergehalt reduziert, wie durch die Beispiele der Anmeldung belegt.

Bei dem Verfahren von D1 würde der Restmonomergehalt durch die Steuerung des ersten Polymerisationsschritts beeinflusst. D1 sei jedoch, im Gegensatz zur streitgegenständlichen Anmeldung, kein Hinweis auf einer Reduzierung des Restmonomergehalts durch Behandlung mit einem feuchten Gasstrom nach der Polymerisation zu entnehmen.

D5 betreffe ein Verfahren zur Reduzierung des Restmonomergehalts mittels Behandlung mit reaktionsfähigen Verbindungen bei einer bestimmten Feuchtigkeit und anschließender Nachbehandlung, bei der die Änderungen des Wassergehalts weniger als 20% betragen würden.

Das anspruchsgemäße Verfahren schließe einen weiteren Verfahrensschritt zwischen der Polymerisation und der thermischen Nachbehandlung aus; das Produkt der Polymerisation sei direkt der Behandlung mit dem feuchtem Gasstrom zuzuführen. Dies wurde bereits in der Entscheidung T 567/11, Entscheidungsgründe 3 festgestellt. Somit könne eine zwischengeschaltete Behandlung gemäß der Lehre D5 anspruchsgemäß nicht stattfinden.

Somit könne D5 keine Hinweise auf das anspruchsgemäße Verfahren liefern.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf Grundlage des Hauptantrags, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, hilfsweise auf Grundlage einer der Hilfsanträge 1 bis 5, eingereicht mit Schreiben vom 2. Mai 2018.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag

1.1 Erfinderische Tätigkeit

1.1.1 Nächstliegender Stand der Technik

Es ist unstrittig, dass Beispiel 1 der D1 den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.

Dieses Dokument betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines wasserabsorbierenden Polymers durch Gasphasen-Vertropfungspolymerisation (Anspruch 1). Nach der Polymerisation wird das Produkt getrocknet und wahlweise agglomeriert und/oder nachvernetzt (Anspruch 1; Seite 1, Zeilen 6-11; Seite 4, Zeilen 32-34; Seite 6 Zeilen 18-27). Gemäß Seite 12, Zeilen 18-31 weisen die Geschwindigkeit der Polymerisation und der Trocknung unterschiedliche Temperaturabhängigkeiten auf, wobei die Trockengeschwindigkeit durch die relative Feuchte des bei der Polymerisation verwendeten Inertgases kontrolliert wird und die Polymerisations­geschwindigkeit durch die Art und Menge des Initiatorsystems eingestellt wird. Gemäß Seite 14, Zeilen 32 und 33 wird in einer bevorzugten Ausführungsform der Erfindung von D1 (Seite 14, Zeilen 7-39, Fig. 3) der Monomerumsatz während der Trocknung erhöht.

In Beispiel 1 von D1 wird ein Tropfungspolymerisation von Natriumacrylat und Acrylsäure, jeweils in Form von wässrigen Lösungen, durchgeführt. Die erhaltenen Polymerpartikel, welche einen Wassergehalt von 16.5 Gew.-% aufweisen, werden zwei Stunden bei 80°C in einem Wirbelschichttrockner getrocknet. Die Feuchtigkeit der Atmosphäre im Wirbelschichttrockner wird nicht spezifiziert. Die getrocknete Polymerpartikel weisen einen Wassergehalt von 3.5 Gew.-% auf. Die Änderung des Wassergehalts während der Nachbehandlung betrug somit ca. 80%. Die Anmelderin hat einen Restmonomergehalt von 0.4 Gew.-% im Produkt gemessen (vgl. Entscheidung, Seite 6, vorletzter Absatz).

1.1.2 Unterscheidende Merkmale

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich somit von der Offenbarung vom Beispiel 1 des D1 dadurch, dass:

- Die Trocknung in Anwesenheit eines Gasstroms mit definierter Feuchte durchgeführt wird;

- Die Änderung des Wassergehalts des Polymers während der Nachbehandlung weniger als 40% beträgt.

1.1.3 Technischer Effekt

Aus den Beispielen der Anmeldung geht hervor, dass bei steigender Feuchte des Gasstroms während der Nachbehandlung der Gehalt an Restmonomer reduziert wird:

Bei Vergleichsbeispiel 1 wird das Polymer (Restmonomergehalt 0,5 Gew.-%) eine Stunde bei 165°C im Umlufttrockenschrank getrocknet, d.h. ohne Behandlung mit Wasserdampf. Der Restmonomergehalt nach dieser Behandlung beträgt 0,4 Gew.-%.

Gemäß Beispiel 2 wird das gleiche Ausgangsprodukt vor der Trocknung 30 Minuten unter Luft/Wasserdampf bei 90°C und relativer Feuchte 50% behandelt. Die Veränderung des Wassergehalts betrug ca 75% Gew.-% und somit außerhalb des anspruchsgemäßen Bereiches. Die erhaltenen Polymerpartikel weisen einen Restmonomergehalt von 0,3 Gew.-% auf.

Gemäß Beispiel 3 (90°C, 70% relative feuchte, Änderung des Wassergehalts ca. 42 Gew.-%) wird einen Restmonomergehalt von 0,08% erreicht.

Gemäß Beispiel 4 (90°C, 90% relative Feuchte), Änderung des Wassergehalts um 36 Gew.-%) wurde einen Restmonomergehalt von 0,035 Gew.-% bestimmt.

Somit ist gezeigt, dass das unterscheidende Merkmal gegenüber D1 - die Behandlung unter definierter Feuchte mit kontrollierter/limitierter Änderungen des Wassergehalts - zu einem technischen Effekt, nämlich der Reduzierung des Restmonomergehalts führt.

Gemäß der streitgegenständlichen Entscheidung (Abschnitt 4.2) sei nicht bewiesen worden, dass der gezeigte Effekt über den gesamten Anspruchsbreite erhalten werde. Als Beweis hierfür wurde auf D1, Beispiel 1 hingewiesen.

Wie oben erläutert betrifft D1 jedoch ein anderes Verfahren als jenes der vorliegenden Anmeldung. Insbesondere wird keine Nachbehandlung unter Bedingungen der definierten Feuchtigkeit sowie mit definierter Kontrolle der Veränderung des Wassergehalts der Polymerpartikel durchgeführt.

Somit kann aufgrund dieser Verfahrensunterschiede ein Vergleich oder Gegenüberstellung des anmeldungsgemäßen Verfahren mit jenem von D1 kein Indiz dafür liefern, ob der gezeigte Effekt über die gesamte Anspruchsbreite erhalten wird oder nicht.

Somit besteht die objektive Aufgabe gegenüber Beispiel 1 von D1 darin, ein Verfahren zur Reduzierung des Gehalts an Restmonomer bereitzustellen.

1.1.4 Naheliegend

Insofern D1 die Reduzierung des Restmonomergehalts betrifft, wird lediglich gelehrt, dass der Monomerumsatz während des Trocknungsschrittes eines spezifischen Verfahrens (gemäß Figur 3) erhöht wird (Seite 14, Zeilen 30-33). Auch wenn anzunehmen ist, dass eine solche Reduzierung im Trocknungsschritt der vorliegenden Anmeldung ebenfalls stattfindet, gibt es aber keinen Hinweis in D1, dass die Reduzierung des Monomergehalts (zusätzlich) durch eine anspruchsgemäße Nachbehandlung erhöht oder in irgendeiner Weise beeinflusst werden kann.

Sofern D1 Hinweise auf die relative Feuchte enthält (Seite 12, Zeilen 25-26), werden maximale Werte angegeben, jedoch nicht, wie im geltenden Anspruch, ein minimaler Wert. Somit ist D1, im Gegensatz zur Lehre der Anmeldung nicht zu entnehmen, dass eine minimale Feuchte erforderlich oder zweckdienlich sei. Ferner ist D1 kein Hinweise zu entnehmen, die Veränderung des Feuchtegehalts der Partikel während eines Behandlungsschritts wie anspruchsgemäß definiert zu kontrollieren.

Somit ist das anspruchsgemäße Verfahren im Lichte der Lehre von D1 allein nicht naheliegend.

Gemäß der Entscheidung würde die Kombination von D1 mit D5 den Anspruchsgegenstand nahelegen (Absatz 4.4 der Entscheidungsgründe).

D5 betrifft ein Verfahren zur Nachbehandlung eines feuchten wasserabsorbierenden Polymers durch Behandlung unter hoher Feuchtigkeit. Jedoch enthält das Verfahren von D5 zwangsläufig eine vorgeschaltete Stufe der Zugabe einer mit dem Restmonomer reaktionsfähigen Verbindung (Anspruch 1).

Der vorliegende Anspruch 1 definiert, dass die "erhaltenen Polymerpartikel....in fluidisiertem Zustand ....thermisch nachbehandelt werden" (Betonung der Kammer). Wie in der Entscheidung T 567/11 (Entscheidungsgründe 3 und 3.2) festgestellt, ist durch den Wortlaut des Anspruchs eine zwischengeschaltete Behandlung ausgeschlossen. Vielmehr ist es erforderlich, dass das unmittelbare Produkt der Polymerisation der Behandlung unterzogen wird. Wäre nämlich ein weiterer Schritt wie gemäß der Lehre von D5 durchgeführt, dann wären nicht mehr die "erhaltenen Polymerpartikel", sondern wäre ein anderes Produkt nachbehandelt. Aus diesem Grund, wenn, wie im Absatz 4.4 der streitgegenständlichen Entscheidung besprochen, die Lehren von D1 und D5 kombiniert werden würden, führte dies nicht zum anspruchsgemäßen Verfahren.

1.1.5 Somit sind die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ erfüllt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen, mit der Anordnung, ein Patent auf der Basis des Hauptantrags (Ansprüche 1 bis 10), eingereicht mit der Beschwerdebegründung, und einer noch anzupassenden Beschreibung zu erteilen.

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