European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2019:T163317.20191120 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 20 November 2019 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1633/17 | ||||||||
Anmeldenummer: | 11794460.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | B60T 7/04 B60T 15/14 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | BETRIEBSBREMSVENTIL MIT WENIGSTENS EINEM UNMITTELBAR DURCH EINEN RELAISKOLBEN BETÄTIGBAREN ELEKTRISCHEN SCHALTER | ||||||||
Name des Anmelders: | KNORR-BREMSE Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | WABCO GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - Hauptantrag (ja) Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Einsprechende hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2 648 947 in geändertem Umfang Beschwerde eingelegt.
II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 gemäß dem in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hauptantrag neu und erfinderisch sei und dabei unter anderem folgenden druckschriftlichen Stand der Technik berücksichtigt:
E1: IN 497/CHE/2004 mit vergrößerter Ansicht von
Figur 2 gemäß Anlage I;
E3: DE 33 08 279 A1;
E5: EP 0 267 881 B1.
III. Am 20. November 2019 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte als Hauptantrag die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Basis eines der mit der Beschwerdeerwiderung vom 13. Februar 2018 eingereichten Hilfsanträge 1 und 2.
IV. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet (in der Merkmalsanalyse der angefochtenen Entscheidung) wie folgt:
Merkmal A: Betriebsbremsventil (1) für wenigstens einen pneumatischen Bremskreis einer pneumatischen oder elektro-pneumatischen Bremseinrichtung eines Fahrzeugs,
Merkmal B: beinhaltend ein Betriebsbremsventil-Gehäuse (4),
Merkmal C: einen von einer Fußbremsplatte betätigbaren Stößel (2),
Merkmal D: eine Stößelaufnahme (6) mit Federteller(8),
Merkmal E: Federmittel (9) zur Übertragung der auf den Stößel (2) wirkenden Betätigungskräfte auf wenigstens einen Relaiskolben (10)
Merkmal F: sowie wenigstens einen elektrischen Schalter (12) zum Ändern eines elektrischen Signals unmittelbar nach Betätigung der Fußbremsplatte, wobei
Merkmal G: a) das Betriebsbremsventil-Gehäuse (4) einen Gehäusedeckel (22) aufweist, und
Merkmal H: b) der elektrische Schalter (12) in dem Betriebsbremsventil-Gehäuse (4) gehalten ist,
Merkmal I: wobei der elektrische Schalter (12) in dem Gehäusedeckel (22) des Betriebsbremsventil-Gehäuses (4) gehalten ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
Merkmal J: c) der Gehäusedeckel (22) einen Anschlag (20) für eine senkrecht zur Bewegungsrichtung des Relaiskolbens (10) angeordnete Stirnfläche (18) des Relaiskolbens (10) aufweist, gegen welchen dieser bei gelöster Bremse anschlägt, und dass
Merkmal K: d) der elektrische Schalter (12) unmittelbar vom Relaiskolben (10) betätigbar ist,
Merkmal L: wobei die senkrecht zur Bewegungsrichtung des Relaiskolbens (10) angeordnete Stirnfläche (18) des Relaiskolbens (10) ein Betätigungsorgan (14) des elektrischen Schalters (12) unmittelbar betätigt, und dass
Merkmal M: e) der elektrische Schalter (12) ein Mikroschalter und sein Betätigungsorgan (14) als ein aus einem Gehäuse (16) des Mikroschalters (12) ragender knopfartiger Stift ausgebildet ist, welcher von der Stirnfläche (18) des Relaiskolbens (10) unmittelbar betätigbar ist, und dass
Merkmal N: f) die Betätigungsrichtung des Betätigungs-organs (14) des elektrischen Schalters (12) parallel zur Bewegungsrichtung des Relaiskolbens (10) ist.
V. Das für diese Entscheidung wesentliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Anders als in der angefochtenen Entscheidung festgestellt offenbare E1 auch die Merkmale G bis M. Die Adaptor Plate (AP) der E1 erfülle auch eine Deckelfunktion und stelle einen Gehäusedeckel im Sinne von Merkmal G dar, da sie das nach oben offene Gehäuse des Betriebsbremsventils nach oben verschließe bzw. abdecke. Der elektrische Schalter (SM) sei in der Adaptor Plate (AP) gehalten und somit Merkmal I in E1 verwirklicht, wobei die Adaptor Plate als Gehäusedeckel als Teil des Betriebsbremsventil-Gehäuses fungiere und Merkmal H damit auch indirekt erfüllt sei. Der Begriff "gehalten" beschreibe eine statisch tragende Funktion und verlange nicht, dass der elektrische Schalter vollständig umschlossen aufgenommen sei. Merkmal J sei bei E1 ebenfalls vorhanden. Wie schriftlich vorgetragen sei in Anlage I bzw. Figur 2 der E1 deutlich erkennbar, dass die Adaptor Plate (AP) einen Absatz in ihrer zum Kolben B1 gewandten Unterseite aufweise, durch den sich (anders als bei Ausgestaltung mit Dichtungsmanschette, siehe Figur 1) eine bei dieser Ausgestaltung notwendige Kante ergebe, gegen welche der Kolben B1 anschlage. Dem in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Argument folgend rage der Kolben in die Vertiefung in der Adaptor Plate hinein und komme dort zum Anschlag. Der Fachmann wisse, dass der Relaiskolben definiert aufzufangen und damit ein Anschlag notwendig sei. Ein Sprengring im Gehäuse werde nicht als Anschlag genommen. Aus mehreren Stellen der E1 (Abstract; Seite 5, letzter Absatz; Anspruch 1; auch bei Betrachtung der Figuren) ergebe sich unzweifelhaft, dass der elektrische Schalter (SM) durch die Stirnfläche des Kolbens B1 unmittelbar betätigt werde. Merkmal K und ebenso Merkmal L und Merkmal M (hierzu siehe Figur 3) seien damit bei E1 verwirklicht. Damit seien sämtliche Merkmale von Anspruch 1 aus E1 bekannt.
Anspruch 1 sei gegenüber E1 auch nicht erfinderisch. Mögliche Unterschiede zu E1 seien allenfalls in einer einfachen baulichen Ausgestaltung z. B. des Gehäuses oder Gehäusedeckels zu finden. Ein in das Gehäuse aufgenommener elektrischer Schalter gemäß Merkmal H sei sicherer untergebracht und mit Merkmal J werde ein sicherer Anschlag für den Relaiskolben realisiert. Die objektive technische Aufgabe bestehe darin, eine sichere Ausbildung für die mechanisch verstellbaren bzw. beweglichen Teile (elektrischer Schalter und Relaiskolben) zu schaffen.
Der Fachmann strebe aufgrund seines Fachwissens im Bremsenbereich immer eine sichere Ausbildung an und treffe die erforderlichen baulichen Maßnahmen. Die angefochtene Entscheidung weise auf den Platzmangel im Gehäuse der E1 hin, aber der Fachmann würde den elektrischen Schalter nicht in das aus E1 bekannte Gehäuse einbauen, sondern das Gehäuse neu auslegen und z. B. etwas höher konstruieren. Eine Anbringung des Schalters unterhalb der Adapterplatte sei naheliegend.
Die Ausgestaltung des Patentanspruchs 1 sei auch in Kombination der E1 mit der E5 nicht erfinderisch. E5 betone auch Sicherheitsaspekte (Seite 1, Zeile 37 ff.) und sei in Bezug auf die kinematische Betätigung ähnlich ausgebildet. E5 zeige die Anordnung eines Potentiometers (21) in einem Gehäusedeckel (6) des aus zwei Teilen (6, 8) bestehenden Gehäuses, welche der Darstellung der Figur des Streitpatents frappierend ähnlich sehe. Der Fachmann wisse, dass ein Potentiometer als Schalter verwendbar sei bzw. auch die Funktion eines Schalters beinhalte (siehe E3, Seite 3, dritter Absatz).
Ausgehend von E1 entnehme der Fachmann aus E5 diese Lehre und übertrage sie auf E1, da er in E1 den aus der Adapterplatte herausragenden Schalter als kritisch ansehe. Um diese technische Lehre zu realisieren, werde er das aus E1 bekannte Gehäuse umkonstruieren, d. h. höher machen oder die Gehäusewand radial nach außen ziehen. Ein Schalter sei im Übrigen auch schon in E1 gezeigt, ebenso die Betätigung des Schalters vom Relaiskolben. In E5 wirke der Schalter (Potentiometer (21)) zwar mit der Stößelaufnahme (9) zusammen, aber dem Fachmann sei bereits aus der E1 bekannt, dass ein elektrischer Schalter auch unmittelbar durch die Stirnfläche eines Relaiskolbens zu betätigen sei. In Kenntnis der E1 müsse der Fachmann bei E5 den dortigen Schalter (21) radial nach außen versetzen, wobei beim Gehäusedeckel (6) bereits ein Anschlag für den Kolben im nicht betätigten Zustand vorhanden sei.
VI. Die Beschwerdegegnerin entgegnete dem wie folgt:
Die Merkmale D, E sowie G bis N seien nicht unmittelbar und eindeutig in E1 offenbart. In Figur 2 von E1 seien Federmittel nicht eindeutig erkennbar und der "primary piston B1" werde nicht als Relaiskolben beschrieben (in E1 sei auch kein Doppelsitzventil erkennbar, auf das ein Relaiskolben üblicherweise wirke), wie mit den Merkmalen D, E gefordert. Die "adaptor plate AP" sei in E1 nicht näher beschrieben und trage zudem Bauteile (Bremspedal, Bremslichtschalter SM), welche nicht zum Betriebsbremsventil gehörten. Folglich könne sie nicht als Bauteil des Betriebsbremsventil-Gehäuses angesehen werden und dürfe nicht als Gehäusedeckel im Sinne von Merkmal G interpretiert werden. Zudem seien in einer unteren Ausnehmung der "adaptor plate AP" horizontale Linien erkennbar, die womöglich auch einen Deckel darstellten. Die Merkmale H und I seien nicht gezeigt, weil der Bremslichtschalter SM lediglich an der "adaptor plate AP" gehalten sei, also nicht (im Verständnis des Streitpatents) in der aus Gehäuse und Deckel gebildeten Struktur. Auch Merkmal J sei E1 nicht entnehmbar. Anhand der groben Zeichnung von Figur 2 (auch in Vergrößerung) sei nicht auszuschließen, ob der "primary piston B1" an einem Anschlag des Gehäuses (z. B. an einem in dessen radial innerer Umfangsfläche eingesetzten Sprengring) anschlage, zumal der Kolben schon vor der Ausnehmung ende. Aus den von der Einsprechenden zitierten Textstellen gehe Merkmal L nicht hervor, weil nur ein Kontakt zwischen einem "piston" und einem "plunger" angesprochen werde, aber nicht an welcher Fläche dieser Kontakt stattfinde und ob er unmittelbar sei. Anhand Figur 3 von E1 könne eine indirekte Befestigung des Schalters an der "adapter plate AP" von Figur 2 nicht ausgeschlossen werden, wobei dann über ein zusätzliches und separates Kontaktelement (und nicht unmittelbar) eine Bewegung des "primary piston B1" auf den "plunger A2" des Schalters übertragen werde. Die Merkmale K, L, M seien auch nicht unmittelbar und eindeutig entnehmbar, weil die Schraffur des "primary piston B1" in Figur 2 ein Stück weit beabstandet von der unteren Ausnehmung in der "adaptor plate AP" ende und auch nicht in diese hineinrage, so dass keine unmittelbare Betätigung des Bremslichtschalters SM durch den "primary piston B1" vorliegen könne. Auch die Betätigungsrichtung gemäß Merkmal N sei nicht unmittelbar und eindeutig gezeigt.
Mit den Unterschiedsmerkmalen werde als synergetischer Effekt eine eindeutige Lagebeziehung bzw. Zuordnung des elektrischen Schalters und des Relaiskolbens zum Gehäusedeckel erzielt (ohne weitere, die Toleranz beeinflussende Bauteile), was entscheidend sei für die Funktion des Mikroschalters. Die objektive technische Aufgabe bestehe darin, eine höhere Schaltgenauigkeit des elektrischen Schalters zu erreichen.
E1 gebe dem Fachmann keinerlei Hinweise. Der Fachmann würde das Design von E1 auch nicht grundsätzlich ändern und etwa den Schalter SM in das Gehäuse oder einen Gehäusedeckel verlegen. Um die Sicherheit zu erhöhen gebe es viele Möglichkeiten, wie z. B. das Vorsehen von Redundanzen. Es bestehe also keine Veranlassung, den Schalter in das Gehäuse zu verlegen, zumal im Gehäuse von Figur 2 kein Platz mehr vorhanden sei und dies eine grundlegende Umkonstruktion bedeute.
Es sei fraglich, ob der Fachmann das in E1 gezeigte rein pneumatische Bremsventil, das einen Schalter als Bremslichtschalter aufweise, mit dem in E5 gezeigten reinen Bremswertgeber eines elektrischen Bremskreises kombiniere, zumal auch im Streitpatent (Absätze [0025] und [0032]) zwischen diesen beiden Funktionen unterschieden werde.
E5 offenbare lediglich einen im oberen Teil des Gehäuses 6 angeordneten Bremswertgeber als Potentiometer 21, welcher weder einen elektrischen Schalter noch einen Mikroschalter im Sinne des Anspruchs 1 darstelle. Der Fachmann sehe auch einen Unterschied zwischen dem Bremslichtschalter von E1 (schalte das Bremslicht digital) und dem Bremswertgeber von E5 (sensiere den Betätigungsgrad des Bremspedals), die aus Sicherheitsgründen separate Bauteile seien. Weiterhin sei im Gehäuse des Bremsventils von E5 kein Platz, um das Potentiometer 21 von dem Stößel 9 weg nach radial außen so zu verlagern, dass es direkt von der Stirnfläche des Kolbens betätigt werden könne, d. h. diese Änderung beruhe auf einer rückschauenden Betrachtungsweise. Selbst wenn der Fachmann die Verhältnisse von E5 in Bezug auf den dortigen Bremswertgeber auf den Schalter von E1 übertrage, gelange er nicht zur Erfindung, da die Merkmale I bis M fehlten. Diese Merkmale erforderten eine komplette Umkonstruktion, für die keine Veranlassung bestehe.
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag - Neuheit (Artikel 54 (1) EPÜ)
1.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 ist neu gegenüber der Offenbarung der Druckschrift E1 (Artikel 54 (1) EPÜ).
Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist zu beurteilen, was der Fachmann dem Dokument E1 beim Lesen entnehmen würde, wobei Merkmale aber nur als implizit offenbart angesehen werden können, wenn der Fachmann sofort erkennen würde, dass nichts anderes als das angebliche implizite Merkmal Teil des offenbarten Gegenstands war.
1.2 Unbestritten zeigt E1 (Figur 2) ein Betriebsbremsventil gemäß den Merkmalen A, B, C, F mit einem Betriebsbremsventil-Gehäuse, einem von einer Fußbremsplatte betätigbaren Stößel sowie einem elektrischen Schalter (SM) zum Ändern eines elektrischen Signals unmittelbar nach Betätigung der Fußbremsplatte.
1.3 Die Einspruchsabteilung sah zumindest die Merkmale G bis M als nicht unmittelbar und eindeutig aus E1 entnehmbar an.
1.3.1 Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin zu, dass die in E1 gezeigte "adaptor plate AP" - auch wenn nicht explizit als Deckel beschrieben - als Gehäusedeckel im Sinne von Merkmal G aufzufassen ist, da sie das nach oben offene Betriebsbremsventil-Gehäuse abdeckt und damit eine Deckelfunktion erfüllt. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Adapterplatte noch weitere Bauteile trägt, wie von der Beschwerdegegnerin argumentiert, oder dass E1 oberhalb des Kolbens B1 noch Strukturen in Form horizontaler Linien zeigt, die womöglich den nach oben offenen Kolben (aber nicht notwendigerweise die gesamte Gehäuseöffnung) abdecken.
1.3.2 Der Gehäusedeckel ist gemäß Merkmal G ein Bestandteil des Betriebsbremsventil-Gehäuses. Die Kammer kann der Beschwerdeführerin aber nicht darin folgen, dass Merkmal H ("der elektrische Schalter in dem Betriebsbremsventil-Gehäuse gehalten") auch indirekt erfüllt sei, wenn Merkmal I ("der elektrische Schalter in dem Gehäusedeckel (22) des Betriebsbremsventil-Gehäuse gehalten") in E1 verwirklicht sei. Denn der in E1 von oben in die Adapterplatte AP eingesetzte Schalter SM ist allenfalls am Betriebsbremsventil-Gehäuse gehalten, wobei bei Zusammenschau der beiden Merkmale dann auch fraglich ist, ob der elektrische Schalter aus E1 als "in dem Gehäusedeckel (als Teil des Gehäuses) gehalten" angesehen werden kann oder doch auch nur als "am Gehäusedeckel gehalten". Die beiden Merkmale beschreiben nicht nur eine statisch tragende Funktion (Begriff "gehalten"), sondern verlangen zusätzlich (mittels "in dem") noch eine bestimmte relative Lage des elektrischen Schalters in Bezug auf Gehäuse und Deckel. Im Sinne des Streitpatents (siehe Absätze [0028], [0029]) sind die Merkmale H, I nach Auffassung der Kammer so zu verstehen, dass der elektrische Schalter innerhalb der von Gehäuse und Deckel gebildeten Struktur angeordnet ist, was in E1 gerade nicht gezeigt ist. Der Beschwerdeführerin ist allenfalls darin zuzustimmen, dass Anspruch 1 (auch im Sinne des Streitpatents) keinen vollständig von dieser Struktur umschlossenen elektrischen Schalter verlangt, da elektrische Leitungen nach außen zu führen sind.
1.3.3 Der "pimary piston B1" aus E1 ist zwar - anders als von der Beschwerdegegnerin behauptet - als Relaiskolben (wie mit Merkmal E eingeführt und ab Merkmal J näher spezifiziert) anzusehen. Dies ist der Figur 2 von E1 in Verbindung mit den Erläuterungen zu dem pneumatisch identisch aufgebauten Fußbremsventil aus Figur 1 zu entnehmen, welches bei Betätigung des Bremspedals zwei Ausgänge ("delivery ports P1, P2") bzw. zwei Bremskreise mit Bremsdruck versorgt.
Die Kammer sieht dennoch Merkmal J als nicht in E1 offenbart an. Der Fachmann mag zwar wissen, dass der Relaiskolben definiert aufzufangen und damit ein Anschlag notwendig ist. Die Darstellung in Figur 2 und auch in der vergrößerte Ansicht gemäß Anlage I ist aber derart undeutlich, dass - wie die Beschwerdeführerin behauptet - weder eindeutig zu erkennen ist, dass der Relaiskolben in eine Vertiefung der Adapterplatte AP hineinragt und direkt am Deckel zum Anschlag kommen muss, noch dass der Kolben B1 gegen die Kante eines auf der Unterseite der Adapterplatte AP ausgebildeten Absatzes anschlägt. Es mag - anders als in Merkmal J spezifiziert - auch ein irgendwie gearteter Anschlag für den Kolben B1 am Gehäuse (z. B. ein Sprengring in der inneren Gehäusewand) vorgesehen sein.
1.3.4 Die von der Beschwerdeführerin angeführten textlichen Offenbarungsstellen in E1 sprechen von einem federbelasteten Stößel des Schalters (Figur 3: "plunger A2"), der auf dem Kolben aufliegt (Anspruch 1: "The switch comprises of a spring-loaded plunger that rests on the piston") bzw. anfangs in Kontakt mit dem Kolben ist (Seite 5, letzter Absatz: "As the brake pedal is pressed, the plunger (A1) moves the primary piston (B1) downwards. When the contact is lost between the piston and the plunger (A2), ..."). Daraus erschließt sich nach Auffassung der Kammer zweifelsfrei, dass der elektrische Schalter SM in E1 (und zwar "plunger A2") unmittelbar von dem als Relaiskolben aufzufassenden Kolben B1 betätigbar ist, wie mit Merkmal K gefordert, und dass ein zusätzliches und separates Kontaktelement ausgeschlossen ist. Dem steht nicht entgegen, dass wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen in E1 der "primary piston B1" ein Stück weit beabstandet von der Ausnehmung in der "adaptor plate AP" zu enden scheint (in Figur 2 durch Schraffur angedeutet) und nicht in diese hineinragt, da aus Figur 3 ein über das Gehäuse des elektrischen Schalters nach unten herausragender Stößel zu erkennen ist.
1.3.5 Der Relaiskolben B1 betätigt ein Betätigungsorgan des Schalters SM ("plunger A2"), wobei der Fachmann aus der Schnittdarstellung in Figur 2 auch entnimmt, dass die Stirnfläche des Kolbens senkrecht zu dessen Bewegungsrichtung angeordnet ist und den Schalter betätigen muss, so dass Merkmal L auch aus E1 bekannt ist. Zu der mit diesem Merkmal geforderten unmittelbaren Betätigung des Schalters durch den Relaiskolben wurde schon vorstehend ausgeführt.
1.3.6 Figur 3 in E1 zeigt den Aufbau des elektrischen Schalters mit einem aus dem Gehäuse des Schalters ragenden knopfartigen Stift ("plunger A2"), der wie bereits ausgeführt unmittelbar von der Stirnfläche des Relaiskolbens B1 betätigt wird. Damit zeigt E1 auch Teile des Merkmals M, wobei nur offen bleibt, ob der Schalter einen Mikroschalter im Sinne des Streitpatents darstellt (laut Absatz [0005] des Streitpatents ein elektrischer Schalter, dessen Kontakte im geöffneten Zustand weniger als 3 mm Abstand voneinander haben).
1.4 Aus dem Vorstehenden folgt, dass der E1 zumindest nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist, dass
a) der elektrische Schalter im Gehäuse und im Deckel des Betriebsbremsventils gehalten ist (Merkmal H in Verbindung mit Merkmal I),
b) der Relaiskolben mit seiner Stirnfläche bei gelöster Bremse gegen einen Anschlag des Gehäusedeckels anschlägt (Merkmal J),
c) der elektrische Schalter ein Mikroschalter ist (Teil des Merkmals M).
Die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist deshalb bereits aus diesen Gründen anzuerkennen, so dass nicht mehr darauf eingegangen werden muss, ob auch die Merkmale E, D und N unmittelbar und eindeutig aus E1 hervorgehen, was von der Beschwerdegegnerin zusätzlich bestritten wurde.
2. Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
2.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag wird als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend angesehen (Artikel 56 EPÜ).
Ausgehend von E1 als nächstliegendem Stand der Technik ist nach Auffassung der Kammer das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit bereits aufgrund der in E1 nicht gezeigten Merkmale H, I und J anzuerkennen.
2.2 Die Kammer ist der Auffassung, dass die Unterschiedsmerkmale einen synergetischen Effekt erzielen, so dass eine gemeinsame technische Aufgabe vorliegt. Diese besteht darin, eine sichere Ausbildung für den elektrischen Schalter und den Relaiskolben zu schaffen. Damit wird eine höhere Schaltgenauigkeit erreicht.
Diese Punkte sind im Wesentlichen unstrittig.
2.3 Die Kammer kann nicht erkennen, was den Fachmann ausgehend von E1 auf der Suche nach einer sicheren Ausbildung der beweglichen Teile (oder auch nach einer höheren Schaltgenauigkeit des elektrischen Schalters aus E1) veranlassen würde, gerade die beanspruchte Lösung gemäß den Merkmalen H bis J in naheliegender Weise in Betracht zu ziehen. Die Verlegung des elektrischen Schalters aus E1 von außen in das Gehäuse unterhalb der Adapterplatte erfordert eine grundlegende Umkonstruktion des aus E1 bekannten Gehäuses, was nach Auffassung der Kammer keine naheliegende Lösung darstellt. Zudem gibt es viele Möglichkeiten, um insbesondere die Sicherheit des elektrischen Schalters zu erhöhen, z. B. indem Redundanzen vorgesehen werden.
2.4 Selbst wenn der Fachmann ausgehend von E1 die Lehre von E5 berücksichtigen würde, kann die Kammer nicht erkennen, dass der Fachmann in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangen würde. Der Lehre der E5 folgend müsste das Betriebsbremsventil-Gehäuse aus E1 auf jeden Fall in Bezug auf seine Höhe vergrößert werden, um den Schalter wie mit den Merkmalen H und I gefordert in das Gehäuse zu integrieren. E5 mag dem Fachmann dabei auch eine platzsparende Anordnung mit einem durch den "Gehäusedeckel 6" (gemäß Argumentation der Beschwerdeführerin) bereitgestellten Anschlag für den Relaiskolben nahelegen wie mit Merkmal J gefordert. Damit würden sowohl die von der Beschwerdeführerin als auch von der Beschwerdegegnerin argumentierten Wirkungen erreicht bzw. die entsprechend gestellte Aufgabe gelöst. Allerdings war die Kammer nicht überzeugt, dass der Fachmann zusätzlich eine radiale Verbreiterung des Gehäuses aus E5 in Betracht ziehen würde, um für eine unmittelbare Betätigung des elektrischen Schalters durch den Relaiskolben Platz zu schaffen (wie in den Merkmalen K bis M spezifiziert und in E1 gezeigt), und dabei auf die in E5 gezeigte Betätigung durch den Stößel verzichten würde. Dazu wäre wiederum eine grundlegende Umkonstruktion erforderlich, die als nicht naheliegend angesehen wird. Der Fachmann würde somit bei Berücksichtigung der Lehre von E5 die Merkmale K bis M aufgeben und demnach nicht zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangen.
2.5 Die Kammer bestätigt damit die Feststellung in der angefochtenen Entscheidung, dass der Fachmann nur durch eine rückschauende Betrachtung zum Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag gelangen würde.
3. Weitere Argumentationslinien wurden von der Beschwerdeführerin nicht vorgebracht, die den Bestand des europäischen Patents gemäß vorliegendem Hauptantrag und somit in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung in Frage stellen könnten.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.