T 1297/17 () of 28.11.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T129717.20191128
Datum der Entscheidung: 28 November 2019
Aktenzeichen: T 1297/17
Anmeldenummer: 01985425.6
IPC-Klasse: B61K 9/12
G01M 17/10
G01H 1/00
B61L 23/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN UND VORRICHTUNG ZUM ÜBERWACHEN DES FAHRVERHALTENS VON SCHIENENFAHRZEUGEN
Name des Anmelders: DB Fernverkehr AG
Name des Einsprechenden: Siemens Aktiengesellschaft
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung der Erfindung
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zwischen­entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 1345802 in geändertem Umfang, zur Post gegeben am 14. März 2017.

II. Die Einspruchsabteilung hat im Wesentlichen entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 der aufrechterhaltenen Fassung neu ist gegenüber

D1 : US 5 777 891

und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ausgehend von D1 in Kombination mit

D2 : DE 198 27 271 A1, oder

D3 : WO 00/02022 A1.

Weiterhin hat sie festgestellt, dass die Erfindung derart beschrieben ist, dass sie ein Fachmann ausführen kann.

Der verspätet vorgebrachte Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ wurde mangels Relevanz nicht in das Verfahren zugelassen.

Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende Beschwerde eingelegt.

III. Am 28. November 2019 wurde vor der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts in Abwesenheit der Beschwerdegegnerin nach Regel 115(2) EPÜ und Artikel 15(3) VOBK mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte schriftlich die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das Patent in geänderter Fassung gemäß des Hilfsantrags eingereicht mit Schreiben vom 26. Februar 2018 aufrechtzuerhalten.

IV. Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin lautet wie folgt:

Verfahren zum Überwachen des Fahrverhaltens von Schienenfahrzeugen und der Diagnose von; Komponenten von Schienenfahrzeugen, wobei gleiche und unterschiedliche Betriebsparameter, d. h. Messsignale, des Schienenfahrzeuges beziehungsweise von Komponenten des Schienenfahrzeuges während dessen bestimmungsgemäßen Einsatzes erfasst und ausgewertet werden,

dadurch gekennzeichnet, dass

wenigstens ein Teil der erfassten Betriebsparameter einer Mehrzahl von Überwachungsebenen einer Überwachungshierarchie parallel zugeordnet und wenigstens zwei derselben Überwachungsebene zugeordnete Betriebsparameter (Messsignale) zur Erzielung das Fahrverhalten und die Komponentendiagnose charakterisierender, ereignisabhängiger Aussagen miteinander verknüpft werden, wobei je nach Zuordnung zu einer der Überwachungsebenen die Betriebsparameter in den Überwachungsebenen gleichen und/oder unterschiedlichen Auswertealgorithmen unterzogen werden.

V. Die Beschwerdeführerin brachte im Wesentlichen die folgenden Argumente vor:

Die Erfindung sei nicht so offenbart, dass sie ein Fachmann ausführen könne. So stehe insbesondere die Beschreibung im Widerspruch zu dem Wortlaut der unabhängigen Ansprüche 1 und 15.

Im Anspruch 1 sei definiert, dass die ereignisabhängige Aussage, also das Ergebnissignal der jeweiligen Überwachungsebene auf einer Verknüpfung der Betriebsparameter beruhe. In der Beschreibung würden hingegen die Alarmsignale verknüpft werden. Dies aber sei ein Widerspruch.

Der Fachmann, die die Erfindung gemäß der Beschreibung und den Figuren nacharbeite, was unstrittig möglich sei, wisse nicht, ob er sich damit im Schutzbereich der Ansprüche des Streitpatents befinde oder nicht.

Des Weiteren sei der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche nahegelegt.

Zunächst könne das Merkmal der parallelen Zuordnung zu Überwachungsebenen den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht einschränken, da es sich dabei um einen logischen Prozess handele, der in einem Vorrichtungsanspruch keine Wirkung entfalten könne.

Des Weiteren sei in D1 ein System mit mehreren verteilten Mikroprozessoren offenbart. Der Fachmann wisse aber, dass ein solches System nur dann sinnvoll einzusetzen sei, wenn die unterschiedlichen Prozessoren auch mit verschiedenen Daten betrieben würden. Daher läge es nahe, die Betriebsparameter über mehrere Mikroprozessorebenen zu verteilen.

Auch die Kombination von D1 mit D2 oder D3 lege den Gegenstand des Anspruchs 1 nahe. Insbesondere offenbare D2 eine parallele Zuordnung von erfassten Sensordaten zu mehreren Drehgestellrechnern.

In D3 würden ebenfalls mehrere parallele Verarbeitungswege offenbart werden.

Darüber hinaus geht der Gegenstand des Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus

VI. Die Argumente der Beschwerdegegnerin, auf die sich die Kammer in ihrer Begründung gestützt hat sind im Wesentlichen den folgenden Entscheidungsgründen zu entnehmen.

Entscheidungsgründe

1. Die Erfindung ist derart vollständig und deutlich offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, Artikel 83 EPÜ.

1.1 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass es einen Widerspruch zwischen Beschreibung und der Bedeutung des Patentanspruchs 1 gebe. Gemäß Anspruch 1 würden Betriebsparameter verknüpft während die Beschreibung, Paragraph [0025], die Verknüpfung von Alarmsignalen offenbare. Der Fachmann wisse also nicht, wenn er die Vorrichtung gemäß Figur 6 baue, ob er im Schutzbereich des Anspruch l liege oder nicht.

Figuren 2, 3 und 4 offenbaren eindeutig, was unter einer Verknüpfung von Betriebsparametern zu verstehen ist. Hierbei ist anzumerken, dass im Rahmen einer komplexen Aufbereitung von Signalen auch aus den Betriebs­parametern weiterverarbeitete Größen (sogenannte Alarmsignale) entstehen und diese ebenfalls verknüpft und weiterverarbeitet werden, um ein anspruchsgemäßes Ergebnis (ereignisabhängige Aussagen) zu erhalten.

Letztlich hat auch die Beschwerdegegnerin nicht bestritten, dass eine Vorrichtung gemäß den Figuren von einem Fachmann nacharbeitbar sind.

2. Das Verfahren des Anspruchs 1 und der Gegenstand des Anspruchs 15 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ.

2.1 Insbesondere offenbart keines der im Verfahren befindlichen Dokumente verschiedene Überwachungsebenen, denen mindestens zwei Betriebsparameter parallel zugeordnet sind.

Mit diesem Merkmal wird die in der Patentschrift genannte Aufgabe gelöst, nämlich eine sichere Überwachung des Fahrverhaltens von Schienenfahrzeugen bei minimaler Fehlalarmauslösung zu ermöglichen, siehe Patentschrift, Paragraph [0003].

Somit wird schon aus diesem Grund ausgehend von D1 der Fachmann nicht dazu angeregt, Betriebsparameter parallel verschiedenen Ebenen zuzuordnen.

Hierbei kann vor allem der Argumentation der Beschwerdeführerin nicht gefolgt werden, dass es sich bei der parallelen Zuordnung zu Überwachungsebenen um einen logischen Prozess handele, der in einem Vorrichtungsanspruch (Anspruch 15) keine einschränkende Wirkung entfalten könne. So wird eine logische Verknüpfung durchaus mit technischen Mitteln realisiert, wie etwa Logikgattern oder entsprechend programmierten Microcontrollern, siehe dazu auch die Entscheidung der Einspruchsabteilung, Seite 4, erster und zweiter Absatz.

2.2 Die Beschwerdeführerin führt weiterhin aus, dass D1 mehrere verteilte Mikroprozessorsystem (distributed multiple processor configuration) offenbare (z.B. Spalte 1, Zeilen 53 ff., Spalte 3, Zeilen 2 ff.). Dies mache ein Fachmann nur dann, wenn er den verschiedenen Prozessorebenen auch unterschiedliche Daten, hier Betriebsparameter, zuordne, denn nur dann würde der Vorteil einer verteilten Multiprozessorumgebung auch wirkungsvoll genutzt werden können. Somit sei der Gegenstand von Anspruch 1 bzw. 15 ausgehend von D1 in Kombination mit dem Fachmann nahegelegt.

Die Kammer stellt hierzu fest, dass es in D1 keine Offenbarung darüber gibt, wie Daten (insbesondere Betriebsparameter) auf die Systeme verteilt werden und auf welche Art die Prozessorebenen mit Aufgaben belegt werden. Die Sichtweise der Beschwerdeführerin, nämlich dass Betriebsparameter verteilt an die verschiedenen Prozessorsysteme gegeben werden, beruht auf einer rückschauenden Betrachtungsweise. Auch ist aus D1 für den Fachmann kein Hinweis entnehmbar, dass die verschiedenen Überwachungsebenen einen ereignis­abhängigen Ausgang aufweisen.

2.3 Durch die fehlende Anregung ausgehend von D1, gilt dasselbe für die nur im schriftlichen Verfahren vorgebrachten Einwände, die Kombination der Dokumente D1 und D2 bzw. D1 und D3 legten den Gegenstand des Streitpatents nahe.

Hierbei verweist die Kammer weiter auf die Begründung der Einspruchsabteilung.

3. Mit der Entscheidung, den verspätet vorgebrachten Einwand wegen unzulässiger Erweiterung nicht in das Verfahren zuzulassen, hat die Einspruchsabteilung ihr Ermessen korrekt ausgeübt.

3.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist es bei einer angefochtenen Ermessensentscheidung der ersten Instanz nicht Aufgabe der Beschwerdekammer, die Sachlage nochmals wie ein erstinstanzliches Organ zu prüfen, um zu entscheiden, ob sie das Ermessen in derselben Weise ausgeübt hätte. Ein erstinstanzliches Organ, das nach dem EPÜ unter bestimmten Umständen Ermessens­entscheidungen zu treffen hat, muss bei der Ausübung dieses Ermessens einen gewissen Freiraum haben, in den die Beschwerdekammern nicht eingreifen. Eine Beschwerdekammer sollte sich nur dann über die Art und Weise, in der die erste Instanz bei einer Entscheidung in einer bestimmten Sache ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher bzw. unangemessener Weise ausgeübt hat und damit ihr eingeräumtes Ermessen überschritten hat, (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, V.A.3.5.1 b).

3.2 Bei dem unstrittig verspätet vorgebrachten Einwand der unzulässigen Erweiterung hat die Einspruchsabteilung ihre Ermessensentscheidung, den Einwand nicht in das Verfahren zuzulassen, mit der mangelnden prima facie Relevanz begründet. Damit hat die Einspruchsabteilung ein nach gängiger Rechtspraxis korrektes Kriterium ausgewählt und dieses angemessen begründet, siehe Entscheidung, Seite 4, erster und zweiter Absatz.

Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Vorbringen weder die Ermessens­entscheidung der Einspruchsabteilung, noch das Kriterium der prima facie Relevanz oder dessen Anwendung beanstandet sondern die sachlichen Argumente dargelegt, die ihrer Meinung nach eine unzulässige Erweiterung begründeten. Aus den obengenannten Gründen hat aber die Kammer nicht darüber zu befinden, ob hier tatsächlich eine unzulässige Erweiterung vorliegt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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