T 1288/17 () of 28.6.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T128817.20210628
Datum der Entscheidung: 28 Juni 2021
Aktenzeichen: T 1288/17
Anmeldenummer: 11002521.0
IPC-Klasse: F02D 9/06
F02D 41/00
F02B 37/22
F01L 13/06
F02D 13/04
F02B 37/02
F02B 37/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 416 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Motorbremsung
Name des Anmelders: MAN Truck & Bus Österreich AG
Name des Einsprechenden: Volvo Truck Corporation
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 83
RPBA2020 Art 011
Schlagwörter: Änderungen - zulässig (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Zurückverweisung - (ja)
Zurückverweisung - besondere Gründe für Zurückverweisung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1404/05
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 2 412 955 nach

Artikel 101 (3)(b) EPÜ zu widerrufen.

II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1, 2, 4 und 5 nicht die Erfordernisse des Artikels 100(b) bzw. 83 EPÜ erfüllten. Den während der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsantrag 3 ließ die Einspruchsabteilung nicht zu. Daher hat die Einspruchsabteilung das Patent widerrufen.

III. In einer Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Artikel 15(1) VOBK vom 12. Dezember 2019 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung nach erfolgter Ladung zur mündlichen Verhandlung mit. Die mündliche Verhandlung fand am 28. Juni 2021 per Videokonferenz statt.

IV. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin beantragt die Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag). Hilfsweise beantragt sie die Aufrechterhaltung auf Basis der mit der Beschwerde-begründung vorgelegten Hilfsanträge 1 und 2.

Weiterhin beantragt sie die Nichtzulassung der Entgegenhaltung E8, welche die Beschwerdegegnerin Einsprechende mit ihrer Erwiderung vom 23. August 2019 eingereicht hat:

E8: US 6,085,526 A

V. Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und die Entscheidung der Einspruchsabteilung über den Widerruf des Patents zu bestätigen. Außerdem beantragt sie, die Hilfsanträge 1 und 2 nicht zum Beschwerdeverfahren zuzulassen. Zudem beantragt sie eine Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung, um die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit zu prüfen. Weiterhin beantragt sie mit Schreiben vom 23. August 2019 die Zulassung der Entgegenhaltung E8.

VI. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 22 des für diese Entscheidung relevanten Hauptantrags (erteilte Fassung des Patents) haben folgenden Wortlaut:

"1. Verfahren zur Motorbremsung eines vorzugsweise nach dem Dieselprinzip arbeitenden Motors (M), der zumindest einen von einem Abgasstrom beaufschlagten Abgasturbolader mit einer Abgasturbine (106) und einem Ladeluftverdichter (105), die auf einer gemeinsamen Welle angeordnet sind, aufweist, mit einem Abgaskrümmer (103), der den Abgasstrom von Auslassventilen (102) des Motors (M) zum Abgasturbolader leitet, und mit einer zwischen den Auslassventilen (102) und dem zumindest einen Abgasturbolader angeordneten Vorrichtung (4) zur Drosselung des Abgasstroms, sowie zumindest einer Bypassleitung (5a, 5b, 5c) zum Vorbeiführen des Abgasstroms an der Vorrichtung (4) zur Drosselung des Abgasstroms, wobei der Abgasstrom durch die zumindest eine Bypassleitung (5a, 5b, 5c) auf ein Turbinenrad der Abgasturbine (106) geleitet wird, der Abgasstrom gedrosselt und so stromauf der Vorrichtung (4) zur Drosselung des Abgasstroms ein Druckanstieg im Abgas erzeugt wird, eine Messung eines Abgasgegendrucks, sowie eines Ladeluftdrucks erfolgt, dadurch gekennzeichnet, dass basierend auf der Messung (S10) des Abgasgegendrucks und des Ladeluftdrucks eine Stellung der Vorrichtung (4) zur Drosselung des Abgasstroms zum Erzielen einer vorbestimmten Bremsleistung ermittelt wird und eine Regelung des Abgasgegendrucks sowie des Ladeluftdrucks durch die Vorrichtung (4) zur Drosselung des Abgasstroms entsprechend der ermittelten Stellung der Vorrichtung (4) zur Drosselung des Abgasstroms erfolgt und dass falls der aktuelle Abgasgegendruck geringer als ein gewünschter Abgasgegendruck ist und der Ladeluftdruck einem vorbestimmten Wert entspricht (S20), die Stellung der Vorrichtung (4) zur Drosselung des Abgasstroms weiter geschlossen wird (S30) oder alternativ dazu falls der aktuelle Abgasgegendruck geringer als ein gewünschter Abgasgegendruck ist und der Ladeluftdruck kleiner einem vorbestimmten Wert ist (S40), die Stellung der Vorrichtung (4) zur Drosselung des Abgasstroms weiter geöffnet wird (S50)."

"22. Vorrichtung zur Durchführung eines Verfahrens nach einem der vorhergehenden Ansprüche mit einem vorzugsweise nach dem Dieselprinzip arbeitenden Motor (M), der zumindest einen von einem Abgasstrom beaufschlagten Abgasturbolader mit einer Abgasturbine (106) und einem Ladeluftverdichter (105), die auf einer gemeinsamen Welle angeordnet sind, aufweist, mit einem Abgaskrümmer (103), der den Abgasstrom von Auslassventilen (102) des Motors (M) zum Abgasturbolader leitet, und mit einer zwischen den Auslassventilen (102) und dem zumindest einen Abgasturbolader angeordneten Vorrichtung (4) zur Drosselung des Abgasstroms, sowie zumindest einer Bypassleitung (5a, 5b, 5c) zum Vorbeiführen des Abgasstroms an der Vorrichtung (4) zur Drosselung des Abgasstroms, wobei der Abgasstrom durch die zumindest eine Bypassleitung (5a, 5b, 5c) auf ein Turbinenrad der Abgasturbine (106) geleitet wird, der Abgasstrom gedrosselt und so stromauf der Vorrichtung (4) zur Drosselung des Abgasstroms ein Druckanstieg im Abgas erzeugt wird, sowie Mittel zur Messung eines Abgasgegendrucks (P), sowie eines Ladeluftdrucks vorgesehen sind, dadurch gekennzeichnet, dass eine Steuereinrichtung (104) vorgesehen ist, welche sich eignet, basierend auf der Messung (S10) des Abgasgegendrucks und des Ladeluftdrucks eine Stellung der Vorrichtung (4) zur Drosselung des Abgasstroms zum Erzielen einer vorbestimmten Bremsleistung zu ermitteln und die Steuereinrichtung (104) eine Regelung des Abgasgegendrucks sowie des Ladeluftdrucks durch die Vorrichtung (4) zur Drosselung des Abgasstroms entsprechend der ermittelten Stellung der Vorrichtung (4) zur Drosselung des Abgasstroms durchführt und die Steuereinrichtung (104) falls der aktuelle Abgasgegendruck geringer als ein gewünschter Abgasgegendruck ist und der Ladeluftdruck einem vorbestimmten Wert entspricht (S20), die Stellung der Vorrichtung (4) zur Drosselung des Abgasstroms weiter schließt (S30) oder alternativ dazu falls der aktuelle Abgasgegendruck geringer als ein gewünschter Abgasgegendruck ist und der Ladeluftdruck kleiner einem vorbestimmten Wert ist (S40), die Stellung der Vorrichtung (4) zur Drosselung des Abgasstroms weiter öffnet (S50)."

VII. Die Beschwerdeführerin Patentinhaberin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten Folgendes vorgetragen:

Der Gegenstand von Anspruch 1, 12 und 22 des Hauptantrags enthalte zulässige Änderungen. Die im Hauptantrag beanspruchte Erfindung werde so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

VIII. Die Beschwerdegegnerin Einsprechende hat zu den entscheidungserheblichen Punkten Folgendes vorgetragen:

Die Änderungen in den Ansprüchen 1, 12 und 22 des Hauptantrags gingen über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Die in Anspruch 1 und 22 des Hauptantrags beanspruchte Erfindung sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Anwendungsgebiet der Erfindung

Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Motorbremsung eines vorzugsweise nach dem Dieselprinzip arbeitenden Motors, der zumindest einen Abgasturbolader aufweist. Zwischen den Auslassventilen des Motors und dem Abgasturbolader ist eine Vorrichtung zur Drosselung des Abgasstroms angeordnet, wodurch stromauf dieser Vorrichtung ein Druckanstieg im Abgas erzeugt wird. Die Vorrichtung zur Drosselung des Abgasstroms kann beispielsweise als Drosselklappe ausgebildet sein. Da es für die vorliegende Entscheidung nicht auf die genaue Ausgestaltung der Vorrichtung ankommt, wird sie nachfolgend für eine bessere Lesbarkeit der Entscheidung als Drosselklappe bezeichnet.

Basierend auf Messungen des Abgasgegendrucks und des Ladeluftdrucks wird eine Stellung der Drosselklappe zum Erzielen einer vorbestimmten Bremsleistung ermittelt, und eine Regelung des Abgasgegendrucks sowie des Ladeluftdrucks erfolgt durch die Drosselklappe entsprechend ihrer ermittelten Stellung. Falls der aktuelle Abgasgegendruck geringer als ein gewünschter Abgasgegendruck ist und der Ladeluftdruck einem vorbestimmten Wert entspricht, wird die Stellung der Drosselklappe weiter geschlossen. Alternativ dazu, nämlich falls der aktuelle Abgasgegendruck geringer als ein gewünschter Abgasgegendruck ist und der Ladeluftdruck kleiner einem vorbestimmten Wert ist, wird die Stellung der Drosselklappe weiter geöffnet. Durch die Einbeziehung des Ladeluftdrucks in die Regelung des Abgasgegendrucks wird eine verbesserte Motorbremsleistung ermöglicht (Absatz 0014 der Patentschrift).

Außerdem betrifft die Erfindung eine Vorrichtung zur Motorbremsung mit einer derartigen Regelung.

3. Änderungen - Hauptantrag

Die Beschwerdegegnerin Einsprechende bestreitet den Befund der Entscheidung, wonach die Änderungen in den Ansprüchen 1, 12 und 22 des Hauptantrags nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgingen.

In ihrer Mitteilung, Abschnitte 2.2 bis 2.5, hat die Kammer zu den Änderungen die folgende vorläufige Meinung geäußert, wobei die Merkmalsnummerierung aus der Beschwerdebegründung verwendet wird:

"2.2 Anspruch 1 des Hauptantrags basiert unbestritten auf einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1, 9 und 10. Die ursprünglich eingereichten Ansprüche 9 und 10 sind jeweils von einem der vorhergehenden Ansprüche abhängig, so dass die Merkmale von Anspruch 10 in Kombination mit denen der Ansprüche 1 und 9 offenbart werden. Zudem scheint die Formulierung "und dass" am Ende des Merkmals M10 keine unzulässige Änderung zu schaffen, da die nebenordnende Konjunktion "und" eine übliche Formulierung bei der Kombination voneinander abhängiger Ansprüche ist, und da die Ansprüche 9 und 10 bereits die Formulierung "dadurch gekennzeichnet, dass" enthalten.

2.3 Im Hinblick auf Anspruch 12 des Hauptantrags bestreitet die Beschwerdegegnerin wegen dessen Rückbezug auf Anspruch 1, dass die Merkmale der ursprünglich eingereichten Ansprüche 9, 10 und 18 miteinander kombiniert werden können.

Aus Sicht der Kammer ist die gesamte Patentanmeldung auf eine Motorbremsung gerichtet, welche mittels Zwischenöffnen des Auslassventils bzw. unter teiloffengehaltenem Auslassventil während des Kompressionstaktes erfolgt (siehe Absatz 2 und die Darstellung des Standes der Technik in Figur 6, was laut der Absätze 7 und 8 den Ausgangspunkt der Erfindung bildet). Die weiteren Merkmale in Anspruch 12, wonach das Auslassventil durch eine Steuereinrichtung abgefangen, am Schließen gehindert und längstens bis zur nockengesteuerten Auslassventilöffnung teilweise offen gehalten wird, scheinen in Absatz 30 der Anmeldung offenbart zu werden. Da sie dort als "zusätzlich ... zur erfindungsgemäßen Vorrichtung bzw. zum erfindungsgemäßen Verfahren" beschrieben werden, scheinen diese Merkmale insbesondere in Kombination mit den in Absatz 21 bzw. den Ansprüchen 9 und 10 genannten Merkmalen M11 und M12 offenbart zu werden.

2.4 Im Hinblick auf Anspruch 22 des Hauptantrags bestreitet die Beschwerdegegnerin wegen dessen Rückbezug auf Anspruch 1, dass die Merkmale der ursprünglich eingereichten Ansprüche 9, 10 und 14 miteinander kombiniert werden können.

Aus Sicht der Kammer wird bereits durch das Verfahren gemäß der Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1, 9 und 10 eine dafür ausgebildete Vorrichtung offenbart, da die Beschreibung des Verfahrens sowohl eine Vorrichtung zur Drosselung des Abgasstroms als auch eine Regeleinrichtung nennt (Absatz 19, wobei ein Fachmann die Begriffe "Steuereinrichtung" und "Regeleinrichtung" als Synonyme anzusehen scheint). Diese Vorrichtung scheint alle Merkmale von Anspruch 22 des Hauptantrags aufzuweisen. Alternativ scheint dieser Anspruch durch eine Kombination der Absätze 19, 21, 25 und 26 der ursprünglich eingereichten Beschreibung offenbart zu werden. Die unter Punkt 5.3.7 der Erwiderung angegriffenen Merkmale scheinen in Absatz 26 der ursprünglich eingereichten Beschreibung offenbart zu sein.

2.5 Daher scheint der Hauptantrag die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ zu erfüllen."

Die Beschwerdegegnerin hat dazu nicht weiter Stellung genommen. Mangels weiterer Ausführungen sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer Sichtweise abzuweichen. Somit bestätigt sie den Befund der angefochtenen Entscheidung zu den Änderungen, wonach die Ansprüche 1, 12 und 22 des Hauptantrags die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfüllen.

4. Ausreichende Offenbarung - Hauptantrag

4.1 Die Beschwerdeführerin bestreitet den Befund der Entscheidung, wonach die kennzeichnenden Merkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht so deutlich und vollständig offenbart seien, dass ein Fachmann die Erfindung ausführen kann.

Dieser Befund wird in der angegriffenen Entscheidung damit begründet, dass das Verfahren laut dem Kennzeichen von Anspruch 1 drei aufeinanderfolgende Schritte umfasse. In einem ersten Schritt werde basierend auf der Messung des Abgasgegendrucks und des Ladeluftdrucks eine Stellung der Vorrichtung zur Drosselung des Abgasstroms (nachfolgend: Drosselklappe, siehe oben) zum Erzielen einer vorbestimmten Bremsleistung ermittelt. In einem zweiten Schritt erfolge eine Regelung des Abgasgegendrucks sowie des Ladeluftdrucks durch die Drosselklappe entsprechend der ermittelten Stellung der Drosselklappe. Und in einem dritten Schritt werde die Stellung der Drosselklappe weiter geschlossen, falls der aktuelle Abgasgegendruck geringer als ein gewünschter Abgasgegendruck ist und der Ladeluftdruck einem vorbestimmten Wert entspricht, oder alternativ dazu die Stellung der Drosselklappe weiter geöffnet, falls der aktuelle Abgasgegendruck geringer als ein gewünschter Abgasgegendruck ist und der Ladeluftdruck kleiner einem vorbestimmten Wert ist.

4.2 Die Kammer kann sich dieser auch von der Beschwerdegegnerin geteilten Sichtweise aus den folgenden Gründen nicht anschließen:

4.2.1 Der gegen das Merkmal "Regelung ... entsprechend der ermittelten Stellung" der Drosselklappe erhobene Einwand beruht auf einer Interpretation der ermittelten Stellung als Endpunkt oder Ergebnis einer Regelung, woran sich in einem nachfolgenden Verfahrensschritt ein weiteres Schließen bzw. Öffnen der Drosselklappe anschließen soll. Daher muss die Kammer zuerst die Bedeutung des Merkmals "Regelung ... entsprechend der ermittelten Stellung" klären.

Laut "Duden" bedeutet "entsprechend" gemäß, nach, in Übereinstimmung mit etwas, und das Verb "erfolgen" ist im Sinne von etwas, das geschieht oder vor sich geht, zu verstehen. Wenn die Regelung der beiden Drücke in Übereinstimmung mit der ermittelten Stellung der Drosselklappe erfolgen soll, kann diese Stellung nicht das Ergebnis der Regelung sein. Dann wäre nämlich die Regelung bereits beendet und könnte nicht noch - wie vom angegriffenen Merkmal verlangt - geschehen oder vor sich gehen. Die Kammer teilt daher nicht die von der Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vertretene Sicht, wonach die Regelung mit dem Ziel erfolgen würde, diese Stellung zu erreichen ("to the determined position"). Abgesehen davon, dass die deutsche Fassung der Patentansprüche wegen der Verfahrenssprache die verbindliche Fassung des Streitpatents darstellt, findet sich auch in der englischen Übersetzung der Patentansprüche kein Beleg für die Sichtweise der Beschwerdegegnerin. Der dort verwendete Begriff "corresponding to" hat laut "Langenscheidt" nämlich ebenfalls die Bedeutung entsprechend ("regulation ... is carried out ... corresponding to the determined position", Hervorhebung durch die Kammer).

Daher gelangt die Kammer zum Zwischenergebnis, dass der Begriff "entsprechend der ermittelten Stellung" auf die Ausgangsstellung der Drosselklappe, also den Beginn der Regelung bezogen ist.

4.2.2 Bei diesem Begriffsverständnis können die von der Einspruchsabteilung im Kennzeichen von Anspruch 1 identifizierten zweiten und dritten Schritte auf ein und dieselbe Regelung - und somit einen einzigen Verfahrensschritt gerichtet sein.

Diese Auslegung wird durch die Beschreibung und Figuren der Patentschrift bestätigt. Figur 1 und die damit zusammenhängenden Absätze 0044 bis 0049 der Beschreibung betreffen laut Absatz 0044 ein erfindungsgemäßes Verfahren, und folglich ein Verfahren zur Motorbremsung unter Regelung des Abgasgegendrucks sowie des Ladeluftdrucks, siehe das zweite Merkmal im Kennzeichen von Anspruch 1. Die in den Absätzen 0045 und 0047 beschriebenen alternativen Strategien zur Erhöhung des Abgasgegendrucks und Ladeluftdrucks durch Schließen bzw. Öffnen der Drosselklappe entsprechen unbestritten den letzten beiden Merkmalen im Kennzeichen von Anspruch 1. Diese Strategien werden in den Absätzen 0045 und 0047 als Schritte S30 und S50 bezeichnet. Da laut Absatz 0048 eine "Regelung des Abgasgegendrucks und des Ladeluftdrucks" während der Schritte S30 und S50 erfolgt, und da die Regelung zudem "entsprechend einer Bestimmung der optimalen (siehe zum Begriff "optimalen" den nachfolgenden Absatz 4.2.4) Stellung der Drosselklappe (siehe oben)" erfolgt, wird durch diesen Absatz bestätigt, dass die beiden alternativen Strategien lediglich spezifische Implementierungen der generisch in Anspruch 1 definierten Regelung darstellen.

4.2.3 Das Gegenargument der Beschwerdegegnerin, wonach der in Figur 1 und Absatz 0044 thematisierte Schritt S10 keine Ermittlung der Stellung der Drosselklappe enthalte, so dass diese Figur die obige Merkmalsauslegung nicht stützen könne, überzeugt die Kammer nicht. Die Stellung der Drosselklappe wird anspruchsgemäß basierend auf einer Messung des Abgasgegendrucks und des Ladeluftdrucks ermittelt, und genau diese beiden Messungen werden im Schritt S10 durchgeführt, so dass es sich um eine indirekte Ermittlung der Stellung handelt. Der indirekte Charakter der Ermittlung anhand der beiden Messungen wird durch Absatz 0049 bestätigt, wonach "zusätzlich zur Messung des Abgasgegendrucks und des Ladeluftdrucks ... auch die Stellung der Drosselklappe direkt ... gemessen werden [kann]" (Hervorhebung durch die Kammer).

4.2.4 Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin darin zu, dass Absatz 0048 auf eine "optimale" Stellung der Drosselklappe verweist, und dass dieses Adjektiv in Anspruch 1 des Hauptantrags fehlt, da dort eine "ermittelte Stellung" beansprucht wird. Die Kammer ist bereits zu dem Ergebnis gelangt, dass die Formulierung "Regelung entsprechend der ermittelten Stellung erfolgt" wegen der Bedeutungen von "entsprechend" und "erfolgt" auf die Ausgangsstellung der Drosselklappe, also den Beginn der Regelung, bezogen ist, siehe Absatz 4.2.1 dieser Entscheidung. Diese beiden Begriffe werden auch in Absatz 0048 verwendet, wo die Regelung entsprechend "einer Bestimmung der optimalen Stellung der Drosselklappe" erfolgt. Folglich ist auch diese Formulierung auf den Beginn der Regelung bezogen, und "optimale Stellung" verweist nicht etwa auf die Zielstellung der Drosselklappe. Dessen ungeachtet kann die ermittelte Stellung der Drosselklappe bereits optimal sein, wenn der sich dabei einstellende Abgasgegendruck und Ladeluftdruck zur gewünschten Bremsleistung (Sollwert) führen, so dass keine weitere Regelung durchgeführt werden muss. Dieselbe Begründung gilt für die Merkmale "optimale Stellung" in den Ansprüchen 2 und 3 des Hauptantrags.

4.2.5 Auch der zutreffende Verweis der Beschwerdegegnerin auf den zweiten Drehzahlbereich im Schritt S50 der Figur 1 führt zu keinem anderen Ergebnis. Das mit dem Schritt S50 korrespondierende letzte Merkmal von Anspruch 1 ist nicht auf eine bestimmte Drehzahl beschränkt. Der in Figur 1 gezeigte Schritt S50 kann daher als eine spezifische Ausführungsform dieses allgemeiner formulierten Merkmals angesehen werden. Auf den Befund zur ausreichenden Offenbarung der Erfindung hat das keine Auswirkungen, da Figur 1 und der darin gezeigte Schritt S50 von der Kammer nur als Beleg für die generelle Annahme herangezogen werden, dass die beiden letzten Merkmale im Kennzeichen von Anspruch 1 auf eine spezifische Ausgestaltung der im zweiten Merkmal des Kennzeichens allgemein formulierten Regelung anzusehen sind.

4.2.6 Aus diesen Gründen legt die Kammer Anspruch 1 des Hauptantrags in dem Sinne aus, dass die Merkmale seines Kennzeichens zwei aufeinanderfolgende Verfahrensschritte definieren. Die beiden alternativen Strategien zur Erhöhung des Abgasgegendrucks und Ladeluftdrucks durch Schließen bzw. Öffnen der Drosselklappe stellen dabei spezifische Implementierungen der im vorangehenden Merkmal generisch definierten Regelung des Abgasgegendrucks und Ladeluftdrucks entsprechend der Stellung der Drosselklappe dar. Im Hinblick auf die Zahl der Verfahrensschritte ersetzt daher jede der beiden alternativen Strategien den vorher generisch definierten Regelungsschritt, und bildet somit den zweiten Verfahrensschritt nach der Ermittlung der vorbestimmten Bremsleistung basierend auf den beiden Druckmessungen.

Mithin können die angegriffenen Merkmale nicht alternativ im Sinne eines dreischrittigen Verfahrens ausgelegt werden, so dass die von der Beschwerdegegnerin unter Verweis auf die Entscheidung T 1404/05 aufgeworfene Frage, ob eine weitere mögliche Auslegung des Anspruchs - hier ein dreischrittiges Verfahren - in der Patentschrift ausreichend offenbart ist, nicht beantwortet werden muss.

4.3 Die Kammer muss nun prüfen, ob das in Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Verfahren zur Motorbremsung bei obiger Anspruchsauslegung ausführbar ist. Aus den genannten Gründen betrifft das Kennzeichen des Anspruchs eine Regelung des Abgasgegendrucks und des davon mittels des Abgasturboladers beeinflussten Ladeluftdrucks. Ausgehend von einer durch die beiden Druckmessungen ermittelten Ausgangsstellung der Drosselklappe wird deren Stellung mittels einer der beiden alternativen Regelstrategien variiert, wodurch sich der Abgasgegendruck und damit auch der Ladeluftdruck verändern.

Für die Frage der ausreichenden Offenbarung ist daher zu prüfen, ob diese Erfindung im Streitpatent so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Keines der Gegenargumente der Beschwerdegegnerin Einsprechende überzeugt die Kammer:

4.3.1 Die Kammer teilt nicht die Sichtweise der Beschwerdegegnerin, wonach ein Zusammenhang ("link") zwischen Bremsleistung und Abgasgegendruck bzw. Ladeluftdruck in der Patentschrift fehle. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Fachmann bei der Ausführung einer beanspruchten Erfindung die in der Patentschrift enthaltenen Informationen durch sein allgemeines Fachwissen vervollständigen, siehe hierzu RdBK, 9. Auflage 2019, II.C.4.1. Dem Fachmann ist nach Meinung der Kammer der Zusammenhang zwischen dem Abgasgegendruck bzw. dem Ladeluftdruck und der Bremsleistung anhand dieses Fachwissens bekannt, was durch die Darstellung des Standes der Technik in den einführenden Abschnitten der Beschreibung bestätigt wird (Absatz 0002: Motorbremsung durch Abgasgegendruck; Absatz 0005: "Ladeluftdruckerhöhung für eine Bremsleistungssteigerung"). Der Fachmann kann daher die im ersten Merkmal des Kennzeichens genannte Bremsleistung anhand dieses Fachwissens ermitteln. Da die Bremsleistung vom Abgasgegendruck und dem Ladeluftdruck abhängt, ist sie nicht beliebig, sondern als Folge dieser beiden Druckwerte "vorbestimmt". Für die von der Beschwerdegegnerin behauptete engere Auslegung des Begriffes "vorbestimmt" im Sinne einer vom Bediener des Fahrzeugs wählbaren oder gewünschten Bremsleistung gibt es in der Patentschrift keine Veranlassung.

4.3.2 Die Kammer ist von dem Argument der Beschwerdegegnerin, wonach die Erfindung wegen einer abweichenden Regelstrategie für niedrige Drehzahlen nicht im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar sei, nicht überzeugt. Das in Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Verfahren enthält überhaupt keinen Bezug auf die Motordrehzahl. Daher ist für die Frage der Ausführbarkeit dieses Verfahrens davon auszugehen, dass die in den letzten beiden Merkmalen des Kennzeichens genannten alternativen Strategien bei jeder beliebigen Drehzahl anzuwenden sind. Ob davon abweichend in Absatz 0047 der Beschreibung eine andere Strategie bei niedrigen Drehzahlen genannt wird, ist aufgrund eines möglichen Widerspruchs zu Anspruch 1 allenfalls für die Frage der Klarheit dieses Anspruchs relevant. Das gilt auch für das weitere Argument der Beschwerdegegnerin, wonach die in Absatz 0021 genannte Motorbremsleistung von Null oder generell eine Reduktion der Motorbremsleistung nicht durch das beanspruchte Verfahren erreicht werden können. Anspruch 1 ist auf ein Verfahren zur Motorbremsung gerichtet, so dass auch eine von Null verschiedene Motorbremsleistung erzielt werden muss. Eine Leistung von Null stünde daher im Widerspruch zu Anspruch 1, was erneut die Klarheit betreffen würde. Dagegen ist eine Reduktion der Motorbremsleistung für die Frage der ausreichenden Offenbarung der Erfindung nicht relevant, da das beanspruchte Verfahren wegen der beiden alternativen Regelstrategien ausschließlich auf eine Erhöhung der Motorbremsleistung gerichtet ist. Auch der von der Beschwerdegegnerin in Absatz 0044 bemängelte Ort der Druckmessung nach der Drosselklappe ist für die Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung nicht relevant, da Anspruch 1 auf keinen bestimmten Ort der Druckmessung beschränkt ist. Ein Fachmann würde daher im Falle einer Druckmessung nach der Drosselklappe entsprechende Kennlinien erzeugen und diese statt der in Figur 4 gezeigten Kennlinien verwenden.

4.3.3 Im Hinblick auf Anspruch 6 des Hauptantrags teilt die Kammer die Sichtweise der Beschwerdegegnerin, wonach dieser Anspruch wegen des darin genannten Vorrangs der Ladeluftdruckregelung vor einer Regelung des Abgasgegendrucks im Widerspruch zu Anspruch 1 steht. Dieser Einwand betrifft jedoch erneut die Klarheit. Für die Frage der ausreichenden Offenbarung der in Anspruch 1 definierten Erfindung ist dieser Widerspruch unerheblich, da ein Fachmann wegen dieses Widerspruchs Anspruch 6 nicht als von dieser Erfindung umfasst ansehen wird.

4.3.4 Die Kammer teilt auch die von der Beschwerdegegnerin unter Verweis auf die Figur auf Seite 5 der Beschwerdebegründung vorgetragene Sichtweise, wonach das Verfahren je nach Regelstrategie zwei verschiedene Bremsleistungen erreichen könne. Darin kann die Kammer aber kein Problem der ausreichenden Offenbarung der Erfindung sehen, da die letzten beiden Merkmale im Kennzeichen von Anspruch 1 nicht verlangen, dass die beiden alternative Regelstrategien zur selben Erhöhung der Bremsleistung führen müssen.

4.4 Aus diesen Gründen kann keines der Argumente der Beschwerdegegnerin die Kammer davon überzeugen, dass die in Anspruch 1 des Hauptantrags beanspruchte Erfindung nicht ausführbar wäre. Die obigen Überlegungen zur Ausführbarkeit gelten analog für die in Anspruch 22 des Hauptantrags beanspruchte Vorrichtung. Somit offenbart die Patentschrift die in Anspruch 1 und 22 des Hauptantrags definierte Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann, Artikel 100 (b) i.V.m. 83 EPÜ.

5. Zurückverweisung

5.1 Die Beschwerdegegnerin hat unter der Bedingung, dass die Kammer die Ausführbarkeit bejaht, beantragt, dass die Sache zur weiteren Prüfung der Einspruchsgründe nach Artikel 100(a) EPÜ an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen werden solle. Wie die Kammer in Abschnitt 5 ihrer Mitteilung festgehalten hat, hat die angegriffene Entscheidung den weiteren Einspruchsgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100(a) mit Artikel 56 EPÜ), der im Einspruch gegen die erteilten Ansprüche 1 und 22 erhoben worden ist, nicht geprüft.

5.2 Es ist mit dem vorrangigen Ziel des Beschwerde-verfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (Artikel 12(2) VOBK 2020), nicht zu vereinbaren, diesen nicht von der Einspruchsabteilung geprüften Einspruchsgrund zum ersten Mal während des Beschwerdeverfahrens zu prüfen, siehe hierzu auch die geltende Rechtsprechung, RdBK 9. Auflage 2019, V.A.7.4. Nach Auffassung der Kammer stellt das im vorliegenden Fall besondere Gründe dar, die eine Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung nach Artikel 11 VOBK 2020 rechtfertigen. Zudem sind beide Parteien mit der Zurückverweisung einverstanden, wie sie in der mündlichen Verhandlung erklärt haben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

Quick Navigation