T 1270/17 () of 1.4.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T127017.20200401
Datum der Entscheidung: 01 April 2020
Aktenzeichen: T 1270/17
Anmeldenummer: 06806005.2
IPC-Klasse: B05B 15/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VORRICHTUNG UND VERFAHREN ZUM ABTRENNEN VON NASSLACK-OVERSPRAY
Name des Anmelders: Dürr Systems AG
Name des Einsprechenden: Eisenmann SE
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(8)
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention Art 116(1)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 1 931 480 widerrufen wurde, form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.

II. Im Einspruchsverfahren hatte die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) als Einspruchsgrund angeführt.

III. Die Einspruchsabteilung entschied, dass es dem Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrages an einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber der Lehre der E1 (WO97/14508 Al) als nächstliegendem Stand der Technik in Verbindung mit der Lehre von E2 (DE 44 46 089 Al) oder von E5 (WO96/00131 Al) fehlt. Den einzigen im Einspruchsverfahren zur Entscheidung gestellten Hilfsantrag befand die Einspruchsabteilung als unzulässig erweitert.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragt

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung

und

die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Basis des mit der Beschwerdeschrift als Hauptsantrag eingereichten Anspruchssatzes oder auf der Basis eines der mit der Beschwerdebegründung als Hilfsanträge 1 bis 4 eingereichten Anspruchsätze,

sowie

die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung für den Fall der Nichtgewährung des Hauptantrages.

V. Die Beschwerdegegnerin beantragt

die Zurückweisung der Beschwerde.

VI. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 39 des Hauptantrags lauten:

Anspruch 1: "Vorrichtung zum Abtrennen von Nasslack-Overspray aus einem Overspray-Partikel enthaltenden Abluftstrom (120), wobei die Overspray-Partikel in einem Applikationsbereich (108) einer Lackieranlage (100) in den Abluftstrom (120) gelangen,

wobei die Vorrichtung (126) mindestens eine Abtrennvorrichtung (168) zum Abtrennen des Oversprays aus zumindest einem Teil des Abluftstroms (120) umfasst,

wobei die Vorrichtung (126) eine unterhalb des Applikationsbereichs (108) angeordnete Strömungskammer (128) umfasst, die durch mindestens ein Strömungsleitelement (132) in mehrere Abschnitte (136, 138) unterteilt ist, wobei in einem der Abschnitte (138) mindestens eine Abtrennvorrichtung (168) vorgesehen ist, und

wobei die Vorrichtung (126) mindestens eine Luftschleiererzeugungsvorrichtung (200) zum Erzeugen eines Luftschleiers an einer den Strömungsweg des Abluftstroms (120) begrenzenden Wandfläche, die an dem mindestens einen Strömungsleitelement (132) angeordnet ist, umfasst,

dadurch gekennzeichnet,

dass die Vorrichtung (126) mindestens eine Verschließvorrichtung (224) umfasst, mittels welcher der Strömungsweg des Abluftstroms (120) von dem Applikationsbereich (108) zu der Abtrennvorrichtung (168) zeitweise zumindest teilweise verschließbar ist."

Anspruch 39: "Verfahren zum Abtrennen von Nasslack-Overspray aus einem Overspray-Partikel enthaltenden Abluftstrom (120), wobei die Overspray-Partikel in einem Applikationsbereich (108) einer Lackieranlage (100) in den Abluftstrom (120) gelangen, umfassend folgende Verfahrensschritte:

- Abtrennen des Oversprays aus zumindest einem Teil des Abluftstroms (120) mittels einer Abtrennvorrichtung (168), die in einem Abschnitt (138) einer unterhalb des Applikationsbereichs (108) angeordneten Strömungskammer (128), welche durch mindestens ein Strömungsleitelement (132) in mehrere Abschnitte (136, 138) unterteilt ist, angeordnet ist;

- Erzeugen eines Luftschleiers an einer den Strömungsweg des Abluftstroms (120) begrenzenden Wandfläche, die an dem mindestens einen Strömungsleitelement (132) angeordnet ist;

- zeitweises, zumindest teilweises Verschließen des Strömungswegs des Abluftstroms (120) von dem Applikationsbereich (108) zu der Abtrennvorrichtung (168) mittels mindestens einer Verschließvorrichtung (224)."

Anspruch 38 betreffend eine Anlage ist rückbezogen auf die Vorrichtungsansprüche 1 bis 37.

Im Hinblick darauf, dass der Entscheidungsausspruch zum Hauptantrag ergeht, wird von der Wiedergabe der unanhängigen Ansprüche gemäß den Hilfsanträge abgesehen.

VII. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Feststellung der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit der mit dem Hauptantrag begehrten Anspruchsgegenstände.

Die Beschwerdegegnerin erhebt Einwände der mangelnden erfinderischen Tätigkeit der Anspruchsgegenstände beruhend auf der Lehre von E1 in Kombination mit der Lehre von E2 oder von E5.

Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Übrigen im Detail in den Gründen diskutiert.

Entscheidungsgründe

1. Die vorliegende Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung.

1.1 Gemäß Artikel 12 (8) VOBK 2020 kann die Kammer vorbehaltlich der Artikel 113 (1) und 116 (1) EPÜ jederzeit nach Einreichung der Beschwerdebegründung über die Sache entscheiden.

1.2 Die Beschwerdegegnerin hat keinen Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gestellt.

Die Beschwerdeführerin hat hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung für den Fall beantragt, dass die Kammer nicht auf die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis des Hauptantrages erkennte. Da die Kammer bereits in diesem Sinne der Beschwerde auf der Basis des Hauptantrages stattgibt, entfaltet der dazu nachrangige Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung keine prozessuale Wirkung (Artikel 116 (1) EPÜ).

1.3 Die Beschwerdesache ist auf der Grundlage des schriftsätzlichen Vorbringens der Parteien und der von der Kammer geprüften Feststellungen der angefochtenen Entscheidung unter Wahrung des rechtlichen Gehör der Parteien (Artikel 113 (1) EPÜ) entscheidungsreif.

2. Entscheidungserheblich ist allein die Frage der erfinderischen Tätigkeit der Anspruchsgegenstände des Hauptantrages (Artikel 56 EPÜ).

2.1 Nächstliegender Stand der Technik und unterscheidende Merkmale

Das Dokument E1 ist unstreitig nächstliegender Stand der Technik. Unstreitig offenbart E1 alle Merkmale des Oberbegriffes von Anspruch 1, nicht aber die Merkmale des kennzeichnenden Teil, nämlich dass die Vorrichtung mindestens eine Verschließvorrichtung umfasst, mittels welcher der Strömungsweg des Abluftstroms von dem Applikationsbereich zu der Abtrennvorrichtung zeitweise zumindest teilweise verschließbar ist.

2.2 Objektive technische Aufgabe

Gemäß Absatz [0018] des Streitpatents ermöglicht die Verschließvorrichtung, dass die Menge von Overspray, der vom Applikationsbereich zu der Abtrennvorrichtung transportiert wird, sowie die Menge von Precoat- Material, das vom Bereich der Abtrennvorrichtung zum Applikationsbereich gelangt, während der Abreinigung und/oder des Einbringens von Precoat-Material zumindest verringert wird.

Im Absatz [0019] wird es weiterhin beschrieben, dass die Verschließvorrichtung auch in einem Störfall betätigt werden kann, um eine Verunreinigung der zu lackierenden Gegenstände im Applikationsbereich zu verhindern. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin (siehe Punkt 2.2 der Beschwerdebegründung) ist dies die einzige mögliche Aufgabe, die ausgehend von E1 betrachtet werden kann, da dort alle darin offenbarten Abtrennvorrichtungen für Nasslack-Overspray entweder keiner Abreinigung bedürfen oder im Betrieb der Vorrichtung kontinuierlich abgereinigt werden, und weil bei keiner der in Dokument El offenbarten Ausführungsformen einer solchen Vorrichtung ein Precoat-Material in den Abluftstrom oder auf die Oberflächen der Abtrennvorrichtungen aufgebracht wird.

Die Kammer teilt jedoch im Wesentlichen die Ansicht der Beschwerdegegnerin. Danach liegt der Verschließvorrichtung die objektive technische Aufgabe zugrunde, die Menge von Material, das aus dem Applikationsbereich zur Abtrennvorrichtung gelangt, oder von Material, das aus dem Bereich der Abtrennvorrichtung zum Applikationsbereich zurückgelangt, über bestimmte Zeiträume zu verringern.

2.3 E1 in Kombination mit der Lehre von E2

E2 offenbart eine Lackieranlage mit zwei getrennten Luftkanälen 21 und 22. Durch eine Klappe 20 kann die Abluftführung wahlweise auf den einen oder den anderen Luftkanal geschaltet werden.

Die Einspruchsabteilung (siehe Entscheidungsgründe, Punkte 2.8 bis 2.13) und die Beschwerdegegnerin (siehe Beschwerdeerwiderung, Punkt IV) sind der Ansicht, dass der Fachmann ausgehend von E1, das Konzept der Klappe wie in E2 betrachtete, um das objektive Problem zu lösen, und dadurch in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags gelangte.

Die Kammer ist von diesen Argumenten nicht überzeugt. In der Tat ist, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, die Umsetzung einer Schaltklappe wie in E2 in der Vorrichtung der E1 nicht naheliegend.

Unabhängig davon, dass sich E1 mit Nasslack, E2 jedoch mit Pulverlack befasst, ist vorliegend entscheidend, dass das allgemeine Konzept beider Offenbarungen völlig unterschiedlich ist. Während in E1 eine einzige Abluftführung vorgesehen ist (siehe Figuren 12, 18 und 19), zeigt E2 ausschließlich zwei parallelen Abluftführungen (siehe Figuren 2 und 3), die je nach den Betriebsbedingungen mittels der Schaltklappenbetätigung alternativ verwendet werden. Darüber hinaus ist es keineswegs trivial, wie von der Beschwerdeführerin zutreffend argumentiert (siehe Seite 8, dritter Absatz der Beschwerdebegründung), die schwenkbare Klappe 20, welche bei der Vorrichtung der E2 zum wahlweise Verschließen der Abluftkanäle 21 und 22 dient (siehe Fig. 2 und Spalte 3, Zeilen 41 bis 55 von E2), mit einer Luftzufuhr und einer Luftschleierzeugungsvorrichtung gemäß E1 zu versehen.

Bereits aus diesen Gründen ist die Kammer der Ansicht, dass der Fachmann die Lehren von E1 und E2 nicht miteinander kombinierte.

Für den Fall, dass der Fachmann dennoch eine funktionierende Schaltklappe wie in E2 in die Vorrichtung von E1 umsetzen wollte, sähe er sich mit mehreren Fragen konfrontiert, wie zum Beispiel dem Ort und der Dimension der Schaltklappe, für die er in E2 keine Antwort, nicht einmal einen Hinweis fände.

Die Kammer ist darüber hinaus davon überzeugt, dass der Fachmann vielmehr dazu gezwungen wäre, umfangreiche strukturelle Änderungen an der Vorrichtung von E1 vorzunehmen, um überhaupt eine betriebsfähige Schaltklappe umsetzen zu können.

Aus diesen Gründen erachtet die Kammer den Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrag erfinderisch gegenüber einer Kombination von E1 und E2.

2.4 E1 in Kombination mit der Lehre von E5

E5 befasst sich mit einer Filtervorrichtung für eine Pulverlackierkabine, die ein Einlassventil ("inlet valve") 12 offenbart. Wenn das Einlassventil geschlossen ist, werden Abreinigungsvorgänge an den Filtern 18, 19, in zwei verschiedenen Rückspül-Konfigurationen durchgeführt.

Die Einspruchsabteilung (siehe Entscheidungsgründe, Punkte 2.13) befand, dass der Fachmann ausgehend von E1, das Konzept eines Einlassventils wie in E5 betrachtete, um das objektive Problem zu lösen, und dadurch auf naheliegende Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags gelangte. Die Beschwerdegegnerin argumentiert im Punkt V der Beschwerdeerwiderung, dass Anspruch 18 der E1 einen Filter umfasse, und dass es naheliegend sei, eine Verschließeinrichtung in Form eines Einlassventils gemäß E5 für diese Alternative vorzusehen, um das objektive Problem zu lösen.

Die Kammer ist von diesen Argumenten nicht überzeugt. Wie von der Beschwerdeführerin zutreffend in ihrer Replik vom 22. Juni 2018, Seite 6, dargelegt, ist es der E1 nicht unmittelbar zu entnehmen, dass es sich beim Filter nach Anspruch 18 und Figur 11 der E1 um einen rückspülbaren regenerierbaren Filter 21 handelt, der eventuell ein Einlassventil für Rückspülvorgänge wie in E5 brauchen könnte.

Darüber hinaus, selbst wenn der Fachmann ein Einlassventil in der Vorrichtung der E1 umsetzen wollte, ist die Kammer davon überzeugt, dass der Fachmann immer noch nicht zum Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrages gelangte.

E1 offenbart nämlich im ersten vollständigen Absatz auf Seite 6 unter Hinweis auf die Figur 11, dass die den Filter 21 umfassende Abschneidevorrichtung 18 am Ende der Transportstrecke angeordnet ist. Dies bedeutet, dass sich der Filter stromabwärts der Abrennvorrichtung 31-34 befindet, die der Abtrennvorrichtung nach Anspruch 1 des Hauptantrages entspricht.

Daraus folgt, dass, wenn das Einlassventil überhaupt installiert werden sollte, um eine Rückspülung des Filters 18 zu ermöglichen, wäre diese Anordnung nicht in der Lage, zeitweise zumindest teilweise den Strömungsweg des Abluftstroms von dem Applikationsbereich zu der Abtrennvorrichtung 31-34 zu schließen, wie es vom Anspruch 1 des Hauptantrages gefordert wird.

Aus diesen Gründen ist die Kammer der Überzeugung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags auch im Hinblick auf eine Kombination von E1 und E5 erfinderisch ist, und dies ist im Übrigen unabhängig davon, dass sich E1 mit Nasslack und E5 mit Pulverlack befasst.

3. Die gleiche Begründung gilt entsprechend für den korrespondierenden Verfahrensanspruch 39, dessen Gegenstand auch als erfinderisch angesehen wird. Entsprechendes gilt für den Anlagenanspruch 38, der auf die Vorrichtungsansprüche rückbezogen ist.

4. Die Kammer gelangt mithin zu dem Ergebnis, dass unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegnerin die die angefochtene Entscheidung tragenden Gründe für den Widerruf des Patents auf der Basis des Hauptantrages einer Überprüfung durch die Kammer nicht standhalten.

5. Die von der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 26. Mai 2017 vorgelegte Änderungen der Beschreibung ist seitens der Beschwerdegegnerin nicht beanstandet worden und genügt zur Überzeugung der Kammer zur Anpassung an die geänderten Patentansprüche gemäß dem Hauptantrag.

6. Da weder die angefochtene Entscheidung noch die Beschwerdegegnerin weitere Einwände gegen den Hauptantrag erhoben haben und solche auch nicht für die Kammer erkennbar sind, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückzuverweisen, das Patent auf Grundlage des Hauptantrages aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

Beschreibung:

Absätze: [0001], [0003], [0005]-[0016], [0018]-[0056],

[0058] und [0060]-[0203] der Patentschrift,

Absätze: [0002], [0004], [0017], [0057] und [0059]

eingereicht mit Schriftsatz vom 26. Mai 2017

Ansprüche:

Nr.: 1-39

eingereicht mit Schriftsatz vom 26. Mai 2017

Zeichnungen:

Figuren: 1-17 der Patentschrift

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