T 1184/17 (Handhabung wässriger Methansulfonsäurelösungen/BASF) of 4.9.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T118417.20200904
Datum der Entscheidung: 04 September 2020
Aktenzeichen: T 1184/17
Anmeldenummer: 10768963.0
IPC-Klasse: C22C38/44
C22C38/50
C07C309/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR HANDHABUNG VON WÄSSRIGEN METHANSULFONSÄURELÖSUNGEN
Name des Anmelders: BASF SE
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
RPBA2020 Art 013(2) (2020)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
European Patent Convention R 43(1) (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung EP10768963 zurückzuweisen.

II. Die Patentanmeldung bezieht sich auf ein Verfahren zur Handhabung von wässrigen Methansulfonsäurelösungen.

III. Im Prüfungsverfahren wurde insbesondere auf folgende Entgegenhaltungen Bezug genommen:

D2|US 6 120 619 A (GOUDIAKAS JEAN [FR] ET AL) 19. September 2000 |

D3|Arkema: "Arkema Methanesulfonic Acid - Cleaning and Descaling", Application Information, 17. Januar 2007, Seiten 1-4, XP002627165|

D4|GAUR, ET AL: "Corrosion of metals and alloys in methanesulfonic acid", BRITISH CORROSION JOURNAL, Bd. 34, Nr. 1, 1999, XP009145687, uk ISSN: 0007-0599|

IV. Die Prüfungsabteilung befand in ihrer Entscheidung, dass das Verfahren gemäß Anspruch 1 des damaligen Hauptantrags zwar neu sei, aber ausgehend von D4 keine erfinderische Tätigkeit beinhalte. Aus Sicht der Prüfungsabteilung unterschied sich das beanspruchte Verfahren von dem aus D4 bekannten Verfahren lediglich in der höheren Konzentration der Methansulfonsäure (MSA) (50-99 Gew.-% im Gegensatz zu 44% bzw. 38.8 Gew.-% in D4). Aus ihrer Sicht war es naheliegend, die Stähle, die sich bereits bei niedrigeren Konzentrationen an MSA bewährt haben, auch bei höheren Konzentrationen einzusetzen.

V. Gegen diese Entscheidung legte die Patentanmelderin (Beschwerdeführerin) Beschwerde ein. Zunächst hielt sie den damaligen Hauptantrag aufrecht und reichte mit der Beschwerdebegründung (21. März 2017) fünf Hilfsanträge ein. Nach Erhalt der vorläufigen Meinung der Kammer ersetzte sie den Hilfsantrag 1 durch eine geänderte Fassung und reichte einen zusätzlichen Hilfsantrag 6 ein (17. Juli 2020). Nach einer telefonischen Rücksprache legte sie mit ihrer Eingabe vom 26. August 2020 einen neuen Hauptantrag vor. Neben diesem neuen Hauptantrag behielt sie lediglich die Hilfsanträge 2-6 bei, welche entsprechend umnummeriert wurden.

VI. Anspruch 1 des Hauptantrags vom 26. August 2020 lautet wie folgt:

"Verfahren zur Handhabung von wässrigen Lösungen von Methansulfonsäure (MSA) mit einer Konzentration von 50 bis 99 Gew. % MSA in Vorrichtungen, bei denen die wässrige MSA-Lösung mit Stahloberflächen in Kontakt ist, wobei es sich bei dem Stahl um austenitische Stähle mit einem Chromgehalt von 15 bis 22 Gew. % und einem Nickelgehalt von 9 bis 15 Gew. % handelt, und wobei die Temperatur der MSA im Zuge der Handhabung weniger als 40 °C beträgt, dadurch gekennzeichnet, dass der Gesamtgehalt an Chlor in der wässrigen MSA-Lösung weniger als 25 mg/kg beträgt."

Die abhängigen Ansprüche 2-5 beziehen sich auf bevorzugte Ausführungsformen.

VII. Die Beschwerdeführerin hat zur erfinderischen Tätigkeit im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Die Dokumente D2-D4 beschreiben den Einsatz von MSA-Lösungen an austenitischen Stählen und deren Einfluss auf Korrosion und beziehen sich damit auf dasselbe technische Gebiet wie die vorliegende Patentanmeldung.

Das unterscheidende Merkmal gegenüber diesen Dokumenten ist jedoch nicht nur in der MSA-Konzentration zu sehen. Eine wässrige MSA-Lösung enthält in der Regel Chlor, wobei der Chlorgehalt abhängig vom Herstellungsverfahren ist. In den Dokumenten D2-D4 wurde der Chlorgehalt nicht angegeben. Daher ist der in Anspruch 1 definierte Gesamtchlorgehalt als weiteres unterscheidendes Merkmal anzusehen.

D2 kommt der beanspruchten MSA-Konzentration am nächsten und ist somit als nächstliegender Stand der Technik anzusehen.

Die genannten Unterschiede führen zu einer geringeren korrosiven Wirkung der MSA-Lösung, so dass die objektive technische Aufgabe im Bereitstellen eines verbesserten Verfahrens zu sehen ist.

Der Fachmann findet im Stand der Technik insbesondere keinen Hinweis darauf, dass ein Gesamtgehalt an Chlor unter 25 mg/kg besonders vorteilhaft im Sinn einer geringeren korrosiven Wirkung ist, so dass eine erfinderische Tätigkeit anerkannt werden sollte.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf Basis des Hauptantrags (Ansprüche 1-5) vom 26. August 2020 zu erteilen, oder hilfsweise auf Basis eines der Hilfsanträge 1-4 (eingereicht als Hilfsanträge 2-5 mit Schreiben vom 21. März 2017) bzw. Hilfsantrag 5 (eingereicht als Hilfsantrag 6 mit Schreiben vom 17. Juli 2020).

Entscheidungsgründe

Hauptantrag

1. Artikel 13(2) VOBK 2020

Im vorliegenden Fall erfolgte die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 19. März 2020, d.h. nach Inkrafttreten der VOBK 2020. Dementsprechend ist Artikel 13(2) VOBK 2020 anzuwenden (siehe Artikel 25(3) VOBK 2020).

Die Einreichung des geänderten Hauptantrags erfolgte als Reaktion auf die erstmals in der Mitteilung der Kammer sowie die in der telefonischen Rücksprache mit der Berichterstatterin aufgeworfenen Beanstandungen. Dies wurde von der Beschwerdeführerin ausreichend begründet. Zudem räumt die vorgeschlagene Änderung sämtliche erhobenen Beanstandungen aus, wirft keine neuen Fragen auf und unterstützt die Verfahrensökonomie. Somit kommt die Kammer zu dem Schluss, dass außergewöhnliche Umstände im Sinne des Artikels 13(2) VOBK 2020 vorliegen.

2. Änderungen

2.1 Anspruch 1 wurde dahingehend eingeschränkt, dass der Gesamtgehalt an Chlor weniger als 25 mg/kg beträgt und die Temperatur im Zuge der Handhabung weniger als 40 °C beträgt.

2.2 Diese Änderungen basieren auf der ursprünglich eingereichten Anmeldung (Seite 2, Zeile 39, sowie Anspruch 4) und erfüllen somit die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.

3. Regel 43(1) EPÜ

3.1 Die zweiteilige Form des Anspruchs 1 wurde dahingehend angepasst, dass die zum Stand der Technik gehörenden Merkmale in den Oberbegriff aufgenommen wurden und der kennzeichnende Teil den Unterschied zum Stand der Technik angibt (vgl. die Ausführungen zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit, Punkte 4.1 und 5.), so dass auch die Erfordernisse der Regel 43(1) EPÜ erfüllt werden.

4. Neuheit

4.1 Das beanspruchte Verfahren ist neu, da keine der angeführten Entgegenhaltungen D2-D4 Verfahren unter Verwendung von MSA einer Konzentration von 50 bis 99 Gew.-% mit einem Gesamtgehalt an Chlor von weniger als 25 mg/kg offenbart.

Die Beispiele der vorliegenden Anmeldung zeigen, dass der Gesamtgehalt an Chlor herstellungsbedingt verschieden sein kann und nicht unweigerlich im beanspruchten Bereich liegt. Daher kann im vorliegenden Fall ohne Nennung des Gesamtgehalts an Chlor oder Kenntnis des konkreten, im Stand der Technik verwendeten Herstellungsverfahrens nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesamtgehalt an Chlor inhärent im beanspruchten Bereich liegt.

Zwar beschreibt D4 den Effekt der Zugabe von Chlorid auf die Korrosionsgeschwindigkeit (Abbildung 1, unterer Graph) und zeigt einen Datenpunkt bei "0 ppm Cl**(-)", jedoch bezieht sich dies auf die als HCl zugegebene Menge an Cl**(-). D4 macht hingegen keine Angaben zum Gesamtgehalt an Chlor der eingesetzten MSA. Insbesondere ist nicht bekannt, ob die eingesetzte MSA, die lediglich als "technical grade MSA" beschrieben wird (Seite 63, rechte Spalte, erster vollständiger Absatz, letzte Zeile), gebundenes Chlor enthält (Tabelle 2 der vorliegenden Anmeldung zusammen mit Seite 2, Zeilen 40-41).

4.2 Die Erfordernisse des Artikels 54(1),(2) EPÜ sind somit erfüllt.

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1 Die vorliegende Anmeldung betrifft ein Verfahren zur Handhabung von konzentrierten wässrigen Lösungen von MSA in Vorrichtungen aus Stahl bei guter Korrosionsbeständigkeit (Seite 1, Zeilen 3-5; Seite 2, Zeilen 13-15 und 26-33).

5.2 D2 bezieht sich ebenfalls auf die Vermeidung der Korrosion von Stählen in Gegenwart von Organosulfonsäuren, z.B. MSA (Spalte 1, Zeilen 6-22 und 56-62) und wird somit als nächstliegender Stand der Technik angesehen.

5.3 D2 beschreibt, dass die Korrosionsgeschwindigkeit zugleich von der MSA-Konzentration, der Temperatur und der Art des Stahls abhängt, und ein Stahl vom Typ 304L bereits bei Raumtemperatur in Gegenwart von MSA-Konzentration über 10**(-2) mol/L korrodieren kann (Spalte 1, Zeilen 15-21). In einer Testreihe werden unterschiedlich verdünnte, wässrige Lösungen von MSA bei 45 °C in Kontakt mit einem solchen Stahl vom Typ 304L sowie Stahl vom Typ 316L gebracht (Beispiel 5; Tabellen VII und VIII),d.h. mit austenitischen Stählen einer Zusammensetzung innerhalb des beanspruchten Bereichs. In einem Versuch wird 70%ige MSA ohne weitere Verdünnung eingesetzt (die jeweils letzte Zeile der genannten Tabellen).

5.4 Das beanspruchte Verfahren unterscheidet sich von D2 somit darin, dass der Gesamtgehalt an Chlor der wässrigen MSA-Lösung weniger als 25 mg/kg beträgt (siehe Punkt 4.1).

5.5 Aus den Beispielen der vorliegenden Anmeldung geht hervor, dass gegenüber MSA mit einem höheren Gesamtgehalt an Chlor die Korrosionsgeschwindigkeit der anspruchsgemäß verwendeten Stähle (Stähle Nr. 1-3 in Tabelle 3) herabgesetzt wird.

5.6 In D2 wird hingegen die Korrosionsbeständigkeit dadurch verbessert, dass oxidierende Additive zugesetzt werden (D2, Beispiel 5 und Anspruch 1).

5.7 Die objektive zu lösende Aufgabe kann somit darin gesehen werden, ein alternatives Verfahren zur Handhabung von wässrigen Lösungen von MSA in Gegenwart von niedrig legierten austenitischen Stählen bereitzustellen, bei welchem eine gute Korrosionsbeständigkeit erzielt wird.

5.8 Zur Lösung dieser Aufgabe wird das beanspruchte Verfahren vorgeschlagen, gemäß welchem MSA mit einem Gesamtgehalt an Chlor von weniger als 25 mg/kg verwendet wird.

5.9 Aus den Beispielen der vorliegenden Anmeldung, insbesondere dem Vergleich der Proben MSA1 und MSA2 (erfindungsgemäß) mit MSA5 (Vergleich), geht hervor, dass die gestellte Aufgabe erfolgreich gelöst wird, wobei die Beispiele als illustrativ für den beanspruchten Temperaturbereich von weniger als 40 °C gesehen werden. Zwar unterscheiden sich die genannten Proben nicht nur im Chlorgehalt, sondern auch im Sulfatgehalt, jedoch weist die Vergleichsprobe MSA5 einen Sulfatgehalt (56 mg/kg) zwischen dem der beiden erfindungsgemäßen Proben auf (8 mg/kg und 155 mg/kg), so dass sich die niedrigere Korrosionsgeschwindigkeit auf den geringeren Chlorgehalt zurückführen lässt.

5.10 Der Fachmann findet im genannten Stand der Technik keinen Hinweis darauf, dass die Korrosionsgeschwindigkeit dadurch herabgesetzt werden kann, dass MSA mit einem Gesamtgehalt an Chlor von weniger als 25 mg/kg verwendet wird.

Aus D4 ist zwar der Effekt einer Zugabe von 1000 ppm, 2000 ppm und 5000 ppm an Chloridionen in Form von HCl zu 25%iger MSA bei 95 °C auf die Korrosionsrate von Stahl des Typs 316L bekannt (Abbildung 1, unterer Graph), wobei sich die Chloridzugabe nachteilig auf die Korrosionsbeständigkeit auswirkt. Jedoch wird der Chloridgehalt der verwendeten MSA selbst nicht angegeben, und es ist nicht bekannt, welchem Gesamtgehalt an Chlor der Datenpunkt ohne HCl-Zugabe entspricht.

5.11 Daher beinhaltet das beanspruchte Verfahren im Lichte des vorliegenden Standes der Technik eine erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

5.12 Dieselbe Schlussfolgerung gilt für die in den abhängigen Ansprüchen definierten, bevorzugten Ausführungsformen.

Hilfsanträge

6. Aufgrund der genannten Schlussfolgerung erübrigen sich Ausführungen zu den Hilfsanträgen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent auf Grundlage des Hauptantrags (Ansprüche 1-5) vom 26. August 2020 sowie einer noch anzupassenden Beschreibung zu erteilen.

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