European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2023:T115517.20230217 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 17 Februar 2023 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1155/17 | ||||||||
Anmeldenummer: | 09169783.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61B 17/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Occlusionsinstrument und Verfahren zu dessen Herstellung | ||||||||
Name des Anmelders: | Occlutech Holding AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | pfm medical ag | ||||||||
Kammer: | 3.2.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Konkludente Rücknahme von Anträgen | ||||||||
Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) und die Einsprechende legten Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, der zufolge das Streitpatent in geänderter Fassung gemäß Hilfsantrag 3 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt. Nach Erhalt der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern 2020 (VOBK 2020) vom 19. August 2022 nahm die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) ihre Beschwerde zurück.
II. In ihrer Beschwerdebegründung vom 6. Juli 2017 beantragte die Patentinhaberin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung. Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis des Hilfsantrags 1, oder weiterhin hilfsweise auf der Basis des Hilfsantrags 2, beide eingereicht während des Einspruchsverfahrens am 18. November 2016.
III. In ihrer Beschwerdeerwiderung vom 22. November 2017 beantragte die Patentinhaberin als Hauptantrag, dass die Beschwerde der Einsprechenden für unzulässig erklärt werde und das Patent auf der Basis des von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Hilfsantrags 3 aufrechterhalten werde. Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis einer der beigefügten Hilfsanträge 1-6.
IV. Die Parteien wurden zu einer mündlichen Verhandlung geladen.
V. Die Kammer teilte den Beteiligten in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 19. August 2022 ihre vorläufige Meinung mit. Demnach schien es, dass keiner der von der Einsprechenden erhobenen Einwände der Aufrechterhaltung des Patents gemäß dem Hauptantrag der Patentinhaberin entgegenstehe, d.h. in der Fassung, die die Einspruchsabteilung mit der angefochtenen Entscheidung als gewährbar erachtete.
VI. Nachdem die Einsprechende ihre Beschwerde zurückgenommen hatte, hob die Kammer den Termin zur mündlichen Verhandlung auf. In ihrer Mitteilung vom 19. Oktober 2022 wies die Kammer darauf hin, dass die Patentinhaberin mit Schreiben vom 22. November 2017 ihre Antragslage derart geändert hat, dass sie sich nicht mehr über die Entscheidung der Einspruchsabteilung beschwert, denn sie beantrage nun als Hauptantrag die Aufrechterhaltung des Patent in der von der Einspruchsabteilung gebilligten Fassung. Daher beabsichtige die Kammer, die Akte ohne Entscheidung zu schließen. Auf die Möglichkeit einer anteiligen Rückzahlung der Beschwerdegebühr im Fall der Rücknahme der Beschwerde wurde hingewiesen.
VII. Mit ihrer Eingabe vom 7. November 2022 erklärte die Patentinhaberin, dass die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge noch anhängig seien und beantragte eine mündliche Verhandlung.
VIII. Die Kammer lud zu einer mündlichen Verhandlung.
IX. In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 18. November 2022 teilte die Kammer ihre vorläufige Auffassung mit, dass die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge durch die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten neuen Anträge konkludent zurückgenommen wurden. Sollte die Patentinhaberin der Auffassung sein, dass zumindest durch ihre Eingabe vom 7. November 2022 die ursprünglich mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge wieder eingereicht wurden (nachdem sie zurückgenommen wurden), so wies die Kammer darauf hin, dass sie derzeit keine außergewöhnlichen Umstände gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 erkenne, die das späte Einreichen der Anträge rechtfertigen könnten.
X. Mit ihrer Eingabe vom 15. Februar 2023 reagierte die Patentinhaberin auf die Mitteilung der Kammer vom 18. November 2022 und brachte weitere Argumente für ihre Auffassung vor, dass die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge noch anhängig seien.
XI. Am 17. Februar 2023 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Zu diesem Zeitpunkt war die Antragslage wie folgt: Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt, sowie hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis eines der Hilfsanträge 1 und 2, eingereicht am 18. November 2016. Außerdem beantragte sie für den Fall, dass diese Anträge als zurückgenommen gelten, dass sie als mit Schriftsatz vom 7. November 2022 wieder eingereicht gelten und ins Beschwerdeverfahren zugelassen werden. Im Laufe der mündlichen Verhandlung beantragte sie die Berichtigung der Beschwerdeerwiderung vom 22. November 2017 dergestalt, dass die Referenz zu "Main request" in Punkt 1.1. zu "Request" geändert wird. Die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
XII. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer, die Beschwerde zurückzuweisen.
XIII. Die von den Beteiligten vorgetragenen und für die Entscheidung relevanten Argumente werden in den Entscheidungsgründen angeführt.
Entscheidungsgründe
Konkludente Rücknahme der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge
1. Die Patentinhaberin argumentiert, dass es nie ihre Absicht gewesen sei, die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge zurückzunehmen oder zu ersetzen. Sie habe in ihrer Beschwerdeerwiderung weder eine "Rücknahme" noch ein "Ersetzen" dieser Anträge erwähnt. Vielmehr gehe aus der Tatsache, dass es sich im Verfahren um zwei Beschwerden handele, klar hervor, dass alle Anträge, die in der Beschwerdebegründung und in der Beschwerdeerwiderung gestellt wurden, anhängig seien. Auch wäre die Abfolge der Anträge leicht zu erkennen, da gemäß T 911/06 immer zuerst die Beschwerde der Patentinhaberin und danach die der Einsprechenden behandelt wird.
2. Die Kammer weist darauf hin, dass die Rücknahme von Anträgen nicht notwendigerweise ausdrücklich erfolgen muss. Vielmehr liegt eine konkludente Antragsrücknahme dann vor, wenn sich aus den Umständen zweifelsfrei ergibt, dass bestimmte Anträge nicht weiterverfolgt werden sollen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, ("Rechtsprechung"), III.I.5.).
3. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gemäß Artikel 10 (1) VOBK 2020 mehrere Beschwerden gegen dieselbe Entscheidung in demselben Verfahren behandelt werden. Bis zum Zeitpunkt der Rücknahme der Beschwerde seitens der Einsprechenden war dies auch im vorliegenden Verfahren der Fall. Allerdings handelt es sich, wie von der Einsprechenden betont, in diesem Verfahren mit zwei Beschwerden dennoch um nur einen einzigen Gegenstand: ob das Patent, bzw. in welcher Fassung das Patent aufrechterhalten werden kann. Das Verfahren endet mit der Entscheidung der Kammer über diesen einen Gegenstand. Dass, wie von der Patentinhaberin betont, beide Beschwerden während des Verfahrens bestehen bleiben (es sei denn sie werden zurückgenommen) ist dabei unerheblich.
4. Grundsätzlich ist es im Einspruchsbeschwerdeverfahren Aufgabe der Patentinhaberin, die Fassung festzulegen, auf deren Grundlage das Patent aufrechterhalten werden soll. Dabei ist vorgesehen, dass bei Einreichung mehrerer Anspruchssätze (also Haupt- und Hilfsanträgen) die Rangfolge der Anträge anzugeben ist (siehe Rechtsprechung III.I.2, sowie R 14/10, Gründe 5.2). Gleichrangige Anträge können als unzulässig zurückgewiesen werden (siehe Rechtsprechung III.I.3.2).
5. Im vorliegenden Fall hat die Patentinhaberin mit der Beschwerdeerwiderung einen Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1-6 eingereicht und die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge nicht erwähnt. Die Kammer kann dieses Einreichen nur so verstehen, dass der mit der Beschwerdebegründung eingereichte Hauptantrag sowie die ebenfalls mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 nicht weiterverfolgt werden sollten. Eine andere Interpretation würde dazu führen, dass es mehrere Hauptanträge und auch mehrere Hilfsanträge 1 und 2, also mehrere gleichrangige Anträge, im Verfahren gäbe.
6. Darüber hinaus fasste die Patentinhaberin in ihrer Beschwerdeerwiderung ihre Antragslage wie folgt zusammen: "We look forward to the Boards acknowledgment that the decision by the Opposition Division is maintained" (siehe Punkt 8, "Conclusion"; "Wir freuen uns auf die Bestätigung seitens der Kammer, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufrechterhalten wird"). Da das Verfahren immer mit einer Entscheidung endet, ist für die Kammer eindeutig, dass dieser Satz dem Hauptantrag der Patentinhaberin über den Verfahrensgegenstand, in welcher Fassung das Patent aufrechtzuerhalten ist, entspricht.
7. Die Patentinhaberin hat mit Schreiben vom 7. November 2022 angegeben, in welcher Rangfolge die mit der Beschwerdebegründung sowie Erwiderung eingereichten Anträge zu verstehen seien. Allerdings kann diese subjektive Auffassung die Schlussfolgerung der Kammer nicht in Frage stellen, denn die Frage, ob eine konkludente Antragsrücknahme vorliegt, muss nach objektiven Kriterien beurteilt werden. Außer der zuerst in ihrer Eingabe vom 7. November 2022 geäußerten Sicht der Antragslage gibt es in der Akte keinen Hinweis darauf, dass es nicht ihre Intention gewesen war, die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anträge zurückzunehmen oder zu ersetzen.
8. Die Patentinhaberin macht geltend, dass ihre Antragslage eindeutig war, denn gemäß der Entscheidung T 911/06 muss dem Prinzip gefolgt werden, dass zunächst die Beschwerde der Patentinhaberin und danach die der Einsprechenden von der Kammer abgehandelt wird. Die Kammer ist von dieser Sichtweise nicht überzeugt. Zum einen macht die Entscheidung T 911/06 keine Aussage zur Zulässigkeit von gleichrangigen Anträgen; es ging in dieser Entscheidung lediglich um die Frage, ob die Kammer die Reihenfolge der Anträge ändern sollte und musste. Darüber hinaus und wie im Laufe der mündlichen Verhandlung erörtert, würde das Zulassen von mehreren gleichrangigen Anträgen, wie von der Patentinhaberin gefordert, Einspruchsbeschwerdeverfahren äußerst schwierig, und sicherlich nicht verfahrensökonomisch gestalten. Dies wird vor allem mit Blick auf Verfahren deutlich, in denen es mehrere Einsprechende gibt und die Patentinhaberin mit jeweils einem kompletten gleichrangigen Anspruchssatz auf jede Einsprechende reagiert.
9. Mit Hinweis auf die Entscheidungen R 14/10 und T 52/15 argumentiert die Patentinhaberin, dass es die Aufgabe der Kammer gewesen wäre, eine Klarstellung der Antragslage zu bewirken. Schließlich sei es völlig unlogisch, wenn eine Beschwerdeführerin als Hauptantrag die Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung verfolge, da dies nicht ihrer Rolle als Beschwerdeführerin entspreche.
10. Die Kammer stimmt der Patentinhaberin im Grundsatz zu, dass Beschwerdekammern eine Klarstellung der Antragslage fordern sollen, wenn diese nicht eindeutig ist. Allerdings geht aus keiner der von der Patentinhaberin zitierten Entscheidungen hervor, dass eine Klarstellung auch dann erforderlich ist, wenn die Antragslage eindeutig ist. Wie bereits unter den Punkten 5-7 oben dargelegt, erachtet die Kammer die Antragslage nach Eingang der Beschwerdeerwiderung für eindeutig. Auch ist es nicht unüblich, dass eine Beschwerdeführerin ihre Antragslage im Laufe des Verfahrens dergestalt ändert, dass sie als Hauptantrag lediglich die Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung verfolgt. Somit gab es keine Veranlassung für die Kammer, die Patentinhaberin um eine Klarstellung der Antragslage zu bitten.
11. Auch argumentiert die Patentinhaberin, dass die Einsprechende in ihrer Beschwerdebegründung zwar den Widerruf des Patents beantragt habe, in ihrer Beschwerdeerwiderung allerdings lediglich die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin. In diesem Fall war die Kammer auch nicht zu dem Ergebnis gekommen, dass es keinen Antrag auf Widerruf des Patents mehr gäbe. Die Kammer stimmt der Einsprechenden zu, dass der Antrag auf Widerruf des Patents auch den Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin beinhaltet. Somit gibt es keinen Widerspruch zwischen den Anträgen. Dadurch stellt sich auch nicht die Frage, ob der eine Antrag den anderen ersetzt oder nicht.
Zulassung der Anträge in das Verfahren - Artikel 13 (2) VOBK 2020
12. Die Patentinhaberin beantragt die Zulassung der mit der Eingabe vom 7. November 2022 gestellten Anträge für den Fall, dass diese als zurückgenommen gelten. Die Zulassung der Anträge ist nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 zu beurteilen, da sie nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2022 erfolgte. Demnach bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
13. Die Patentinhaberin macht geltend, dass ein außergewöhnlicher Umstand darin bestand, dass es sich hier eindeutig um ein Missverständnis zwischen der Patentinhaberin und der Kammer in Bezug auf die Antragslage handele.
14. Die Kammer kann der Patentinhaberin nicht zustimmen, da sie die Antragslage aus den oben genannten Gründen (Punkte 5-7) als eindeutig erachtet. Somit liegt auch kein Missverständnis vor, welches die Kammer als einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Artikels 13 (2) VOBK 2020 anerkennen kann. Allein schon aus diesem Grund sind die Anträge nicht in das Verfahren zuzulassen. Außerdem erfüllt Anspruch 1 aller Anträge prima facie nicht die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ, wie bereits in der Mitteilung der Kammer vom 18. November 2022, letzter Absatz, zum Ausdruck gebracht. Die am 7. November 2022 eingereichten Anträge werden daher nicht in das Verfahren zugelassen.
Berichtigung
15. Im Laufe der mündlichen Verhandlung beantragte die Patentinhaberin die Berichtigung ihrer Beschwerdeerwiderung dergestalt, dass die Referenz zu "Main request" in Punkt 1.1. zu "Request" geändert wird.
16. Gemäß Regel 139 EPÜ können Fehler, Schreibfehler und Unrichtigkeiten in den beim Europäischen Patentamt eingereichten Unterlagen auf Antrag berichtigt werden. Allerdings ist eine Voraussetzung für eine Berichtigung, dass ein Fehler oder eine Unrichtigkeit vorliegt. Die Kammer kann nicht erkennen, dass die Benennung eines Antrags in der Beschwerdeerwiderung als Hauptantrag ein Fehler oder eine Unrichtigkeit ist. Nichts, außer der nachträglichen Aussage der Patentinhaberin, deutet darauf hin, dass die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Anträge entgegen ihrer ausdrücklichen Benennung als Haupt- und Hilfsanträge die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Haupt- und Hilfsanträge lediglich ergänzen sollten. Aus diesem Grund weist die Kammer den Antrag auf Berichtigung zurück.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.