T 0991/17 () of 4.12.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T099117.20191204
Datum der Entscheidung: 04 Dezember 2019
Aktenzeichen: T 0991/17
Anmeldenummer: 11787798.5
IPC-Klasse: B60G 17/052
F16K 31/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: DRUCKLUFTVERSORGUNGSANLAGE UND PNEUMATISCHES SYSTEM
Name des Anmelders: WABCO GmbH
Name des Einsprechenden: Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(1)
European Patent Convention Art 54(3)
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 100(a)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Zulassung eines verspätet eingereichten Dokuments - (nein)
Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 2 651 671 in geändertem Umfang aufrechterhalten worden ist, hat die Einsprechende Beschwerde eingelegt.

II. Die Einspruchsabteilung sah einen Einwand unter Artikel 100 b) EPÜ als nicht zur Sache gehörig und den Einwand unter Artikel 100 c) EPÜ als unbegründet an.

Die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 wie erteilt wurde anerkannt, aber nicht dessen erfinderische Tätigkeit. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 war hingegen neu und erfinderisch unter Berücksichtigung des folgenden Standes der Technik:

D2: DE 10 2007 050 151 A1;

D3: EP 1 165 333 B1;

D4: DE 35 42 974 A1;

D9: EP 2 338 754 A1;

D10: DE 10 2007 051 150 B4;

D11: EP 1 386 811 B1;

D12: DE 10 2008 007 877 B3;

D13: DE 10 2006 041 008 A1;

D14: DE 10 2007 008 504 A1;

D15: DE 10 2006 041 010 A1;

D16: DE 10 2007 041 012 A1;

D17: DE 10 2006 036 748 A1.

III. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin weitere Dokumente ein, um die Verwendung des Schaltsymbols der in D10 gezeigten Luftaufbereitungs­anlage 62 im Rahmen eines Lufttrockners bzw. eines Luftfilters bzw. der Kombination als Lufttrockner und Luftfilter als dem Fachmann geläufig und bekannt zu belegen, und zwar:

D18: DE 100 47 470 A1;

D19: DE 10 2007 011 246 A1;

D20: DE 10 2006 023 681 A1;

D21: EP 1 655 500 A1.

Sie wies zudem auf eine Technische Information mit dem Titel "Druckluftaufbereitung" der Firma Festo AG & Co. KG zu Verunreinigungen durch (Luft-)Feuchtigkeit und der schädlichen Wirkung aufgrund von Korrosion hin und reichte diese als D22 ein. Eine Lufttrocknung sei demnach auf einen spezifischen Wert gemäß der Norm ISO 8573-1:2010 (ausgegeben in 04/2010) in jedem Pneumatikkreislauf anwendungsspezifisch einzuhalten.

IV. Mit Schreiben vom 4. November 2019 reichte die Beschwerdeführerin noch folgendes Dokument ein:

D23: Druckluftanlagen für Nutzfahrzeuge 1,

Grundlagen, Systeme und Pläne, mit ABS/ASR und

EBS, Ausgabe 98/99, Technische Unterrichtung,

Bosch - Seiten 1 bis 57.

V. Am 4. Dezember 2019 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die die Zurückweisung der Beschwerde.

VI. Anspruch 1 gemäß vorliegendem Antrag lautet wie folgt (Merkmalsgliederung gemäß angefochtener Entscheidung):

M1.1 Druckluftversorgungsanlage (10B, 10C) zum Betreiben einer Pneumatikanlage (90), nämlich einer Luftfederanlage eines Fahrzeugs, aufweisend:

M1.2 - eine Luftzuführung (0) und einem Luftverdichter (21) zur Versorgung einer Druckluftzuführung (1) mit Druckluft,

M1.3 - eine Entlüftungsleitung (30) mit einer Entlüftungsventilanordnung in Form einer steuerbaren Magnetventilanordnung (40B, 40C) mit einem Magnetteil (43B, 43C) und einem Pneumatikteil (44B, 44C), und mit einem Entlüftungsanschluss (3) zum Ablassen von Luft, und

M1.4 - eine Druckluftversorgungsleitung (20), mit einem Lufttrockner (22) und einem Druckluftanschluss (2) zur Versorgung der Pneumatikanlage (90) mit Druckluft,

wobei

M1.5 in nicht angesteuertem Zustand des Magnetteils (43B, 43C) der Magnetventilanordnung (40B, 40C) der Pneumatikteil (44B, 44C) der Magnetventilanordnung (40B, 40C) geöffnet ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

M1.6 der unmittelbar über den Magnetteil (43B, 43C) aktuierbare Pneumatikteil (44B, 44C) in einer Zweigleitung der Druckluftversorgungsleitung (20) zwischen einem druckseitigen Ventilanschluss (X2) und einem steuerseitigen Ventilanschluss (Y2) der Zweigleitung geöffnet ist.

Der nebengeordnete Verfahrensanspruch 12 hat, wie von der Beschwerdeführerin anerkannt, alle wesentlichen Merkmale mit dem Anspruch 1 gemein, so dass ihre Ausführungen zu Anspruch 1 auch zu Anspruch 12 gelten.

VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Unzulässige Änderung

Die Entscheidung der Einspruchsabteilung zur Streichung eines Kommas in dem aus dem ursprünglichen Anspruch 9 stammenden Merkmal M1.6 in Anspruch 1 sei rechtsfehler­haft, da kein offensichtlicher und nach Regel 139 EPÜ korrigierbarer Fehler im Wortlaut des ursprünglichen Anspruchs 9 vorliege. Die Formulierung mit Komma im ursprünglichen Anspruch 9 ("... aktuierbare Pneumatikteil (44B, 44C) in einer Zweigleitung, der Druckluftversorgungsleitung, insbesondere in einer Steuerzweigleitung (47) oder ersten Zweigleitung (47.1), ...") betreffe eine Druckluft­versorgungs­leitung als Zweigleitung (gestützt durch Absatz [0061] des Streitpatents). Hingegen offenbare der ursprüngliche Anspruch 18 die Formulierung ("... in einer anderen Zweigleitung (47, 47.1) der Druckluft­versorgungsleitung (20)...") . Folglich sei der abweichende Wortlaut der ursprünglichen Ansprüche 9 und 18 der Ausdruck einer explizit und willentlich herbeigeführten Unterscheidung durch die Patentinhaberin. Somit sei die Formulierung im ursprünglichen Anspruch 9 weder als offensichtlicher Fehler erkennbar, noch sei für den Fachmann unmittelbar und eindeutig entnehmbar, dass nichts Anderes als die vorgenommene Korrektur gemeint sei.

Zulassung des Dokuments D23

D23 belege das allgemeine Fachwissen im Hinblick auf Merkmal M1.1, dass eine Druckluft­versorgungs­einrichtung für Nutzfahrzeuge neben der Druckluftversorgung der Bremskreise ebenfalls die Druckluftversorgung für die Luftfederung bereitstelle, d. h. eine Eignung zur Druckluftversorgung sowohl der Bremse als auch der Luftfederung sei dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns seit dem Jahr 1998 zuzuordnen. D23 zeige in Bild 3 auf Seite 38 eine Versorgung von Feststellbremse und Luftfederung von derselben Leitung mit Druckluft, was im Umkehrschluss heiße, dass das Steuerventil 10 aus D10 zum Einsatz in einer Luftfederungsanlage geeignet sei. D23 sei hochrelevant für Merkmal M1.1 und zeige auch Merkmal M1.4. D23 sei als normale Reaktion auf den Ausgang des Einspruchsverfahrens eingereicht worden, da die Einspruchsabteilung dieses allgemeine Fachwissen unter Punkt 5.1 missachtete, und führe zu keiner Verfahrensverzögerung.

Neuheit gegenüber D9

Die in Anspruch 1 aufgenommene Zweckangabe entwickle keine zusätzliche Beschränkung für die strukturellen Merkmale. Zwischen einer Luftfederanlage nach M1.1 und einer Bremsanlage nach D9 (die beide einen statischen Betriebsdruck zur Verfügung stellten) sei kein Unterschied ersichtlich, der eine andere Ausgestaltung der Komponenten innerhalb der Anlage erfordere.

Die D9 zeige auch die Merkmale M1.2 und M1.4, denn:

- Zum ordnungsgemäßen Betrieb einer Pneumatikanlage und für ein zweckmäßig funktionierendes Feststell­bremssystem sei ein Luftverdichter zur Bereit­stellung von Druckluft zwingend notwendig und müsse somit durch D9, zumindest implizit, im Rahmen des fachmännischen Wissens zwingend offenbart sein.

- Der Filter 12 gemäß D9 könne zur Abscheidung von (Luft-)Feuchtigkeit, also zur Trocknung der Luft innerhalb der Pneumatikanlage dienen. Die Funktion eines Filters sei nicht auf die Abtrennung fester Stoffe von flüssigen oder gasförmigen Stoffen zu reduzieren und bestimme sich durch seine konkrete Ausgestaltung (Filtermaterial, Porengröße usw.). Dem Fachmann sei die Ausgestaltung eines Filters im Kontext einer Druckluftversorgungsanlage bewusst, wo er (z. B. um Korrosion vorzubeugen) auf die Filtrierung unerwünschter Luftfeuchtigkeit achte (wie auch im Streitpatent angesprochen). Einen Trockner innerhalb einer Pneumatikanlage vorzusehen sei ihm zwingend geläufig, offensichtlich und notwendig (wie mit D3 oder D20 offenbart/belegt).

Das allgemeine Fachwissen zum Aufbau von Druckluft­aufbereitungsanlagen werde mit D23 belegt. D23 offenbare prima facie die Merkmale M1.2 und M1.4 und lasse im Hinblick auf Merkmal M1.1 erkennen, dass eine Druckluftversorgungseinrichtung für Nutzfahrzeuge geeignet sei zur Druckluftversorgung sowohl der Bremse als auch der Luftfederung.

Neuheit gegenüber D10

D10 offenbare in Figur 1 (mit Absatz [0031]) mit der Verknüpfung aus Luftaufbereitungsanlage und Feststell­bremsmodul auch eine Druckluftversorgungsanlage im Sinne von Merkmal M1.1, da Anspruch 1 auf eine Anlage und nicht auf eine Einheit gerichtet und auch für den speziellen Zweck gemäß Merkmal M1.1 auszulegen sei. Insbesondere sei die aus D10 bekannte Anlage zum Betreiben einer Luftfederanlage geeignet, da D10 explizit (siehe Absatz [0041]) eine Druckbegrenzung des Feststellbremsventils 10 auf 5 bis 7 bar lehre, also auf einen für Luftfederbälge typischen Druckbereich (siehe Streitpatent, Absatz [0040]: 5 bis 10 bar). Der Fachmann wisse, dass noch Anschlüsse vorzusehen seien.

Die Absätze [0032] und [0033] der D10 offenbarten eine Entlüftungsventilanordnung bestehend aus dem stromlos offenen Magnetventil 90 mit eigenem Pneumatikteil und Feststellbremsventil 10 und sowie Magnetventilen 88 und 86 gemäß den Merkmalen M1.3, M1.5 und M1.6.

Das in D10 gezeigte Schaltsymbol offenbare für den Fachmann unmissverständlich einen Trockner gemäß Merkmal M1.4, was auch durch die D18 bis D21 sowie das allgemeine Fachwissen (D23, Seite 38) belegt werde.

Des Weiteren sei die Auslegung der D10 durch den verständigen Fachmann heranzuziehen, um die Lehre der D10 zu vervollständigen. D10 nehme in Absatz [0031] auf die Luftaufbereitungseinheit 62 in allgemeiner und nicht beschränkender Form in Bezug. Unter einer Luftaufbereitung könnten im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Druckluft sowohl Filter, Speicher, Druckluftregler als auch Trockner verstanden werden. Die D22 weise auf Verunreinigungen durch u. a. (Luft-)Feuchtigkeit und die schädliche Wirkung aufgrund von Korrosion hin und zeige, dass eine Lufttrocknung in jedem Pneumatikkreislauf anwendungsspezifisch einzustellen sei. Die Luftaufbereitungsanlage 62 in D10 müsse sowohl Filter als auch Trockner aufweisen, was für den Fachmann folglich unmissverständlich offenbart sei. Demnach offenbare D10 Merkmal M1.4.

Neuheit gegenüber D11

Die Zweckangabe gemäß Merkmal M1.1 entfalte keine Wirkung auf die strukturellen Merkmale des Anspruchs 1. Die Anwendbarkeit der Druckluftversorgungs­einrichtung aus D11 für eine Anlage im Sinne des Streitpatents sei gegeben. D11 offenbare auch die Merkmale M1.5 und M1.6:

- Merkmal M1.5 sei in Absatz [0031] offenbart, da durch Invertieren des Magnetventils 23 (also Ansteuern oder einem nicht-mehr-Ansteuern) eine schnelle Entlüftung der Steuerleitung 10a über das Schnellentlüftungsventil 40 erfolge. Absatz [0031] bzw. das "Invertieren des Magnetventils 23" sei auf den vorausgehenden Absatz [0029] bezogen. Danach schalte die Steuer­elektronik bei Erreichen eines oberen Druckschwellwertes (durch den Drucksensor 12 gemessen) die Signalleitung 26 derart, dass die Steuerleitung 10a über Anschluss 10 belüftet werde. Mit Magnetventil 23 werde also Steuerleitung 10a gemäß Absatz [0029] "bedruckt", während ein "Invertieren des Magnetventils" das Schnell­entlüftungs­ventil 40 gemäß Absatz [0031] entlüfte. Der Nutring 42 werde nach rechts geschoben und das Schnellentlüftungsventil 40 geöffnet. Der Begriff "im nicht angesteuerten Zustand" bedeute nicht notwendigerweise "stromlos".

- Merkmal M1.6 sei offenbart, da die Steuerleitung 10a als Zweigleitung der Versorgungs­leitung 2 (da strömungstechnisch verbunden, anhand Magnetventil 1 kontrollierbar) anzusehen sei. Das Schnell­entlüftungs­ventil 40 sei mit druckseitigen und steuerseitigen Bereichen in Form der Versorgungs­­­leitung 2 sowie der Steuerleitung 10a verbunden.

Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D10

Die Zweckangabe in Merkmal M1.1 könne keine erfinderische Tätigkeit begründen, da dem Streitpatent und D10 dieselben Problemstellungen zugrunde lägen. Wie zur Neuheit ausgeführt, zeige D10 einen auch für Luftfederbälge passenden Druckbereich. Eine Adaption der Komponenten einer Pneumatikanlage zur anwendungs­spezifischen Ausgestaltung - hier die Auslegung mit entsprechenden Anschlüssen - liege innerhalb der Kenntnisse des Fachmanns aus dem Gebiet Pneumatik/Hydraulik. Ausgehend von D10 stelle sich die Aufgabe, eine zusätzliche Ansteuerung der Luftfederanlage vorzusehen. Der Fachmann würde diese nur am Feststell­bremsmodul vorsehen und auch gesteuerte Drücke. Der Einsatz des Lufttrockners gemäß Merkmal M1.4 sei durch das allgemeine Fachwissen des Fachmanns vorweggenommen (siehe D11, D18 ff.). Dieser würde vorgesehen zur Vermeidung von Ventilschäden durch Flüssigkeitseintrag, was einen sicheren Betrieb der Anlage gewährleiste.

Eine Druckluftversorgungsanlage nach D10 sei auch mit einem Luftfedersystem für ein Kraftfahrzeug nach D3 oder einer Niveauregeleinrichtung für Fahrzeuge mit Luftfeder gemäß D4 kombinierbar, da bei Luftfeder­anlagen ein statischer Luftdruck bereitgestellt werde und eine schnelle, gezielte Veränderung eines Betriebs­drucks (siehe D3, D4) für jede Pneumatikanlage, auch für Bremssysteme erstrebenswert sei. Die D2 weise selber darauf hin, dass das Schaltventil aus D2 sowohl für Federanlagen als auch andere Pneumatikanlagen innerhalb eines Kraft-/Schienenfahrzeuges einsetzbar sei. Die Kombination von D10 mit D2, D3 oder D4 legen den Gegenstand von Anspruch 1 nahe.

Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D11

In D11 sei allenfalls Merkmal M1.1 nicht gezeigt, wobei die Zweckangabe keine erfinderische Tätigkeit begründe. D11 offenbare ein Mehrkreis-/Vierkreis­schutzventil (Absatz [0005] bzw. [0027]). Vor die Aufgabe gestellt, eine Druckluftversorgungsanlage bereitzustellen, die mehrere Kreise mit Druckluft versorge, sei es naheliegend, eine Luftfederanlage an das zur Versorgung der Bremskreise vorgesehene Mehrkreisschutzventil aus D11 anzuschließen. Eine Anregung für weitere Kreise würde der Fachmann auch den Dokumenten D2 bis D4 entnehmen, wobei im Hinblick auf die Anregungsgrundlage für eine Kombination mit D2 bis D4 ausgehend von der D11 die gleichen Argumente wie bei D10 gelten würden.

Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D12 bis D17

D12 offenbare eine Parkbremseinrichtung vergleichbar der Parkbremseinrichtung gemäß der D10 und zeige alle Merkmale des Anspruchs 1 mit Ausnahme des Lufttrockners aus Merkmal M1.4, der aber üblicherweise (siehe D11 oder D3) verwendet werde und für den Fachmann oder auch durch die Kombination mit D3 nahegelegt sei. D12 zeige in Figur 1 eine Druckmittelquelle 5 einer Pneumatik­anlage und folglich die Merkmale M1.1 und M1.2. Die Entlüftungsventilanordnung gemäß Merkmal M1.3 werde durch die Magnetventile 2 und 3 gebildet. Die Merkmale M1.5 und M1.6 seien in D12 gezeigt, denn das Ventil 3 sei bei unbestromten Zustand des Magnetventils 2 in Richtung Entlüftungsausgang des Magnetventils 2 geöffnet und werde unmittelbar über dieses angesteuert (Absatz [0039]). Ventil 3 habe einen druckseitigen Anschluss 15 und einen steuerseitigen Anschluss 16.

Mit gleicher Argumentation lege auch die Kombination der Druckschriften D13 bis D17 (die Parkbremsanlagen offenbarten) mit den Kenntnissen des Fachmanns oder mit der D3 den beanspruchten Gegenstand nahe, da in D13 bis D17 nur das Merkmal M1.4 des Lufttrockners fehle.

Merkmal M1.1 sei beispielsweise in allen Druckschriften durch die dort gezeigten, von einem Kompressor versorgten (siehe D13, Absatz [0024]) Druckluftvorrats­behälter sowie den Bremszylindern gezeigt.

VIII. Die Beschwerdegegnerin entgegnete dem wie folgt:

Zulassung des Dokuments D23

D23 sei verspätet und nicht verfahrensförderlich eingereicht und deshalb nicht ins Beschwerdeverfahren zuzulassen. Es sei weder für die Frage der Neuheit relevant noch geeignet zu belegen, dass an den Ausgang 20 in D10 eine Luftfederanlage anzuschließen sei.

Neuheit

Vor allem D10 (und auch D9 und D11) seien in ihrer Ausrichtung auf eine Feststellbremse strukturell und funktionell völlig unterschiedlich von der schnell entlüftbaren Druckluftversorgungsanlage des Patents. Wie von der Einspruchsabteilung erkannt, offenbare D9 nicht die Merkmale M1.2 und M1.4 des Anspruchs 1, D10 nicht unmittelbar und eindeutig (auch nicht mit der Luftaufbereitungsanlage 62 bzw. dem Symbol der Fig. 1) einen (gemäß Streitpatent regenerativen) Lufttrockner gemäß Merkmal M1.4, D11 nicht die Merkmale M1.5, M1.6.

Bei dem Merkmal M1.1 ("zum Betreiben einer Luftfederanlage") handele es sich um eine echte Beschränkung und nicht um eine Zweckangabe im Sinne einer bloßen Eignung. In D10 (Figur 1) seien nur die mit Bezugszeichen 60 und 62 bezeichneten Merkmale als Schaltungsteile einer Druckluftversorgungsanlage aufzufassen, denn das Feststellbremsmodul 66 sei ebenso wie der Vorratsbehälter 64 nur daran angeschlossen. Das Feststellbremsventil 10 sei nur als integriertes Teil des Feststellbremsmoduls 66 offenbart. Aber selbst wenn man das Modul 66 zur Luftaufbereitungsanlage gehörig betrachte, sei die Funktionsweise des Feststell­bremsventils 10 derart, dass sich der Anschluss einer Luftfederanlage verbiete. D10 zeige aber auch kein Entlüftungsventil in einer erfindungsgemäßen Entlüftungs­­leitung gemäß Merkmal M1.3 (der Entlüftungs­ausgang 22 sei nicht auf eine Entlüftungsleitung zu lesen, da Feststellbremsventil 10 nur zur Verbindung des Arbeitsausgangs 18 zur Versorgung der Bremse diene) und, wie im Einspruchsverfahren ausgeführt, auch nicht die Merkmale M1.5 und M1.6. Denn es werde ein Pneumatikteil im Zustand des Entlüftens beansprucht, und der druckseitige Ventilanschluss sei der mit Entlüftungsdruck beaufschlagte Anschluss (in D10: Anschluss 20). Das Magnetventil 90 aus D10 sei kein Entlüftungsventil im Sinne des Streitpatents und müsse zusammen mit den Ventilen 56 (bei intakter Anlage bestromt), 86 und 88 gelesen werden.

Erfinderische Tätigkeit

Mit Merkmal M1.1 müsse die Eignung gewährleistet sein, womit auch die Struktur und Funktion der Druckluft­versorgungs­anlage eingeschränkt sei. So habe auch die Einspruchsabteilung darauf erkannt, dass bereits die Eignung ausreichen sei, dass D10 und auch D10 oder D11 in Kombination mit einem weiteren Dokument (D4, D3, D2) den Gegenstand der Ansprüche nicht nahelegen könne.

D10 enthalte keinen Hinweis, wo eine Luftfederanlage anzuschließen sei. Ein Anschluss an den Ausgang 20 des Relaisventils 10 verbiete sich sogar aufgrund des Backup-Ventils 56. D11 sei kein nächstliegender Stand der Technik, da die Merkmale M1.5 und M1.6 fehlten. Magnetventil 23 sei Teil des Druckreglers und wirke auf das Stellglied 1a zur Druckregelung des Kompressors, und der Begriff "Invertieren" bedeute nicht "in nicht angesteuertem Zustand". Außerdem gelange man nicht zum Gegenstand von Anspruch 1, da D2 bis D4 kein stromlos offenes Magnetventil zeigten.

Auch die in D12 bis D17 offenbarten Parkbremsen eigneten sich bereits nicht zur Kombination mit D10 oder D11. D12 bis D17 offenbarten nicht die Merkmale M1.4, M1.5 und M1.6 und seien (siehe angefochtene Entscheidung, 4.3.2 bis 4.3.8) weder allein noch in Kombination mit D3 (oder D11) in der Lage, eine solche Merkmalskombination nahezulegen. Ein Fachmann würde bereits nicht die Lehre eines Luftfedersystems der D3 für eine Parkbremse der D12 bis D17 zu Rate ziehen.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit der Änderungen

1.1 Die Kammer sieht die Änderungen in Anspruch 1 als zulässig an (Artikel 100 c) EPÜ, Artikel 123 (2) EPÜ).

1.2 Der Einwand der Beschwerdeführerin richtet sich gegen die Streichung eines Kommas in Anspruch 1 in dem aus dem ursprünglichen Anspruch 9 stammenden Merkmal M1.6, welches schon im erteilten Anspruch 1 fehlte und die Einsprechende zu einem Einwand unter Artikel 100 c) EPÜ veranlasste. Die Einspruchsabteilung sah darin die bloße Berichtigung eines offensichtlichen Fehlers im Sinne von Regel 139 EPÜ, was von der Beschwerdeführerin als rechtsfehlerhaft gerügt wird.

Selbst wenn man der Beschwerdeführerin darin zustimmt, dass im ursprünglichen Anspruch 9 bewusst ein Komma gesetzt wurde und somit zumindest für Anspruch 9 die Kriterien zur Anwendung der Regel 139 EPÜ nicht zutreffen mögen, so teilt die Kammer die Auffassung der Einspruchsabteilung, dass nirgendwo sonst in den Unterlagen angegeben wird, dass die Druckluft­versorgungs­leitung selbst eine Zweigleitung einer (undefinierten) anderen Druckluftleitung ist. Der ursprüngliche Anspruch 9 spezifiziert die in den Figuren 8 und 9 dargestellten Ausführungsformen, welche in Absatz [0061] des Streitpatents bzw. im dritten Absatz auf Seite 24 der ursprünglichen Anmeldung beschrieben sind. Dort wird allein anhand der verwendeten Bezugszeichen eindeutig zwischen Zweigleitungen (als von der Druckversorgungsleitung abzweigende Leitungen) und der Druckluftversorgungs­leitung unterschieden. In der Beschreibung auf Seite 24 der ursprünglichen Anmeldung wird zudem direkt nach einer Formulierung mit Komma ("... Pneumatikteil ... in einer Zweigleitung ,der Druckluftversorgungsleitung 20 ...") im folgenden Satz Bezug genommen auf die zuvor beschriebene Zweigleitung ("... Pneumatikteil 44B, 44C in Form eines 3/2-Wegeventils in der Magnetventil­-anordnung 40B, 40C gebildet und in der Zweigleitung der Druckluftversorgungsleitung 20 ..."), und zwar ohne Komma. Im Gesamtzusammenhang von Beschreibung und Figuren ist klar, dass hier das Komma fehlerhaft ist. In jedem Fall findet sich dort eine Grundlage für die von der Beschwerdeführerin beanstandete Änderung.

Die Kammer kann deshalb in der beanstandeten Änderung im vorliegenden Anspruch 1 (wie bereits im erteilten Anspruch 1) keine neue Lehre und also keine unzulässige Änderung erkennen. Somit sind die Erfordernisse des Artikels 100 c) i.V.m. Artikel 123 (2) EPÜ erfüllt.

2. Zulassung verspätet vorgebrachter Dokumente

2.1 Die erst mit der Beschwerdebegründung eingereichten Unterlagen D18 bis D22 sollten nur belegen, dass das in D10 gezeigte Symbol für den Fachmann einen Lufttrockner darstelle, wie in Merkmal M1.4 gefordert. Dies war (siehe im Folgenden) aufgrund des weiteren Unterschieds in Merkmal M1.1 aber nicht entscheidungsrelevant, so dass über die Frage der Zulassung von D18 bis D22 ins Beschwerdeverfahren nicht zu entscheiden war.

2.2 Das von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 4. November 2019 etwa einen Monat vor dem Termin der mündlichen Verhandlung Verhandlung eingereichte Dokument D23 wird von der Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammer (VOBK, ABl. EPA 2007, 536) nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen.

2.2.1 D23 soll das allgemeine Fachwissen des Fachmanns hinsichtlich des Merkmals M1.1 sowie des Merkmals M1.4 belegen und laut Beschwerdeführerin in Reaktion auf den Ausgang des Einspruchsverfahrens (Punkt 5.1 der angefochtenen Entscheidung) eingereicht worden sein.

2.2.2 In der angefochtenen Entscheidung wird unter Punkt 5.1 die Eignung der in D10 gezeigten Druckluftversorgungs­anlage zum Einsatz in einer Luftfederanlage verneint, wie mit Merkmal M1.1 gefordert. Darauf hätte die Beschwerdeführerin bereits mit der Beschwerdebegründung reagieren können und müssen, wie in Artikel 12 (2) VOBK gefordert, wonach insbesondere alle Beweismittel mit der Beschwerdebegründung anzuführen sind. Die Beschwerdeführerin hat Dokument D23 aber erst mit Schreiben vom 4. November 2019 und damit einen Monat vor der mündlichen Verhandlung im Beschwerdeverfahren eingereicht. Zudem wird in diesem Schreiben erstmalig eine Argumentationslinie zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D10 in Kombination mit D23 vorgetragen. Damit wird der Sachvortrag gegenüber dem Vortrag in der Beschwerdebegründung ergänzt, was wiederum den Erfordernissen des Artikels 12 (2) VOBK widerspricht, wonach die Beschwerdebegründung den vollständigen Sachvortrag der Beschwerdeführerin enthalten muss.

Außerdem wäre in diesem Verfahrensstadium erstmalig eine Diskussion zu führen, ob die in D10 und D23 gezeigten Druckluftversorgungsanlagen kombinierbar sind und ob die Lehre der D23 eine Modifikation der Anlage aus D10 nahelegen würde, die zum Gegenstand von Anspruch 1 führt. Dazu hat die Beschwerdeführerin zwar ausgeführt, dass D23 die Versorgung von Feststellbremse und Luftfederung von derselben Leitung mit Druckluft zeige und dass im Umkehrschluss das Steuerventil 10 aus D10 geeignet sei, in einer Luftfederungsanlage eingesetzt zu werden. Die Eignung des Arbeitsausgangs 20 des Relaisventils 10 aus D10 hat die Kammer nach Diskussion der erfinderischen Tätigkeit in der mündlichen Verhandlung gegenüber D10 und dem allgemeinen Fachwissen aber verneint (siehe Punkt 4.2).

2.2.3 Vor diesem Hintergrund gab es keinen Grund, der die späte Vorlage von Dokument D23 rechtfertigen könnte, und - nach Diskussion der erfinderischen Tätigkeit gegenüber D10 in der mündlichen Verhandlung - auch keinen Hinweis, der D23 als höchst relevant für die Frage der Patentfähigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 erscheinen ließ.

Die Kammer hat deshalb in Ausübung ihres Ermessens nach nach Artikel 13 (1) VOBK unter Berücksichtigung des Verfahrensstands und der gebotenen Verfahrens­ökonomie Dokument D23 nicht ins Beschwerdeverfahren zugelassen.

3. Neuheit (Artikel 54 (1) EPÜ)

3.1 Der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 sowie des korrespondierenden Verfahrensanspruchs 12 ist neu gegenüber der Offenbarung der Druckschriften D9, D10 oder D11 (Artikel 54 (1) EPÜ).

3.2 Nach gefestigter Rechtsprechung der Beschwerdekammern müssen sich alle Merkmale des beanspruchten Gegenstands klar, eindeutig und unmittelbar aus dem Stand der Technik ergeben, um auf fehlende Neuheit erkennen zu können. Eine implizite Offenbarung ist dann gegeben, wenn sich diese für den Fachmann aus dem expliziten Inhalt zwangsläufig ergibt, jedoch nicht durch etwas, was möglicherweise nahegelegt wird. Die Verwendung einer bekannten Vorrichtung in einer bisher nicht beschriebenen Weise kann keine Neuheit begründen, wenn keine Änderung in der technischen Realisierung der bekannten Vorrichtung erforderlich ist.

3.3 Neuheit gegenüber D9:

Die als Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ eingereichte Druckschrift D9 zeigt in Figur 1 ein Schaltungsdiagramm eines elektrisch betätigbaren Feststellbremssystems, welches gemäß Absatz [0019] "über ein Rückschlagventil 10 mit einer nicht dargestellten Druckluftaufbereitungsanlage verbunden" ist und eine Filtereinheit 12 aufweist.

Merkmal M1.1 definiert eine Druckluftversorgungsanlage zum Betreiben einer Luftfederanlage, erfordert strukturell also zumindest eine Anschlussmöglichkeit zum Betreiben einer Luftfederanlage bzw. deren Aktuatoren, was über die bloße Eignung für einen anderen Einsatzzweck hinausgeht. Die Kammer war nicht überzeugt, dass das in Figur 1 in D9 gezeigte Feststellbremssystem mit Ansteuerleitungen für die Betriebsbremse und die Feststellbremse ohne weitere Modifikation für das Betreiben einer Luftfederanlage genutzt werden kann.

Zudem ist in D9 die Funktion der Filtereinheit 12 nicht näher beschrieben. Wie von der Beschwerdeführerin selbst festgestellt, kann ein Filter feste Stoffe abtrennen, aber auch Feuchtigkeit abscheiden, was eine Frage der Ausgestaltung des Filters ist, d. h. mit "Filter" wird die spezifische Funktion des Filters nicht charakterisiert. Aus der allgemeinen Offenbarung einer Filterfunktion (des Filters 12 in D9) folgt somit nicht die spezifische Offenbarung einer Funktion als Trockner und damit eines Lufttrockners. Die Kammer ist nicht die Auffassung der Beschwerdeführerin, dass der Fachmann beim Lesen der D9 zwingend einen Lufttrockner mitliest und Merkmal M1.4 in D9 zumindest implizit offenbart sein muss.

Die Kammer sieht also zumindest einen Unterschied in den Merkmalen M1.1 und M1.4 gegenüber D9, so dass D9 den Gegenstand von Anspruch 1 nicht neuheitsschädlich treffen kann.

3.4 Neuheit gegenüber D10:

3.4.1 Die Kammer folgt der Beschwerdeführerin insoweit, dass die beanspruchte Druckversorgungsanlage mangels näherer Definition der Systemgrenzen durchaus auch das in D10 gezeigte Feststellbremsmodul umfassen kann. Allerdings ist mit gleicher Begründung wie zu D9 ausgeführt Merkmal M1.1 nicht direkt und unmittelbar in D10 gezeigt. D10 mag zwar durch das die Feststellbremse ansteuernde Feststellbremsventil 10 an dessen Arbeitsausgang 20 (siehe Figur 1) einen auch für die Funktion einer Luftfederanlage passenden Luftdruck bereitstellen, aber die Kammer war nicht überzeugt, dass der Arbeitsausgang dieses Ventils ohne weitere Modifikation für das Betreiben einer Luftfederanlage geeignet ist. In Hinblick auf die spätere Diskussion der erfinderischen Tätigkeit möchte die Kammer dazu bereits folgendes anmerken:

Die Absätze [0032] und [0033] der D10 offenbaren laut Beschwerdeführerin eine Entlüftungsventilanordnung bestehend aus Feststellbremsventil 10 und Magnetventil 90 sowie den Magnetventilen 88 und 86. Dort wird auch gezeigt, dass die Federspeicherzylinder durch Belüften oder Entlüften des Steuereingangs 12 des Feststell­bremsventils 10 über dessen Arbeitsausgang 20 belüftet oder entlüftet werden, also das Lösen oder Zuspannen der Feststellbremse. Die Beschwerdegegnerin hat aber auf die in D10 realisierte Backupfunktion im stromlosen Zustand hingewiesen, in dem durch invertierte pneumatische Ansteuerung des Feststellbremsventils 10 vom Fußbremsventil 58 über das Backup-Ventil 56 eine Unterstützung der Betriebsbremse durch die Feststellbremse ermöglicht wird. Das Druckniveau am Arbeitsausgang 20 ist also sowohl durch die Betätigung der Feststellbremse als auch (im stromlosen Zustand) durch Betätigung der Betriebsbremse bestimmt, was trotz des vergleichbaren maximalen Druckniveaus gegen eine Eignung des Arbeitsausgangs 20 zum Betreiben einer Luftfederanlage spricht, wie mit Merkmal M1.1 gefordert. Strukturelle Merkmale, die das Betreiben einer Luftfederanlage ohne weitere Anpassung ermöglichen, sind in D10 nicht ersichtlich.

Zudem ist weder mit dem in Figur 1 gezeigten Symbol der Luftaufbereitungsanlage 62 noch in der allgemeinen Beschreibung in Absatz [0031] in D10 eine eindeutige Offenbarung für eine spezifische Filterfunktion gegeben. Wenn die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang auf weitere Dokumente verweist oder auf die Vervollständigung der Lehre von D10 durch den Fachmann, so ist dies keine Frage der Neuheit sondern betrifft allenfalls die Frage der erfinderischen Tätigkeit, wie bereits zu D9 ausgeführt. Somit sieht die Kammer auch Merkmal M1.4 nicht in D10 offenbart.

Der Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber D10 ist damit anzuerkennen.

3.5 Neuheit gegenüber D11:

3.5.1 Dokument D11 zeigt eine Druckluftversorgungseinrichtung mit Luftverdichter und Lufttrockner (Figur 1). In Übereinstimmung mit der angefochtenen Entscheidung sieht die Kammer aber die Merkmale M1.5 und M1.6 als nicht in D11 offenbart an.

Die Offenbarung der D11 in Bezug auf Magnetventil 23 ist äußerst vage. Zum einen ist nicht gesagt, wie dessen Magnetteil aufgebaut ist, z. B. ob aus dem Begriff "Invertieren" unmittelbar und eindeutig ein "nicht angesteuerter Zustand des Magnetteils" folgt, wie mit Merkmal M1.5 gefordert. Selbst wenn man der Beschwerdeführerin folgt, dass "nicht angesteuert" nicht notwendigerweise "stromlos" bedeuten muss, so kann unter "Invertieren" sowohl ein Ansteuern wie auch ein nicht-mehr-Ansteuern verstanden werden, wie von der Beschwerdeführerin selbst vorgetragen (Schriftsatz vom 3. November 2019, Seite 5). Zum anderen ist nicht gezeigt, wie der Pneumatikteil des Magnetventils 23 (von dem eine pneumatische Steuerleitung zur Ansteuerung des Schnellentlüftungsventils 40 ausgeht, siehe Figur 1), der dem unmittelbar über den Magnetteil aktuierbaren Pneumatikteil aus Merkmal M1.6 entsprechen würde, innerhalb des Druckreglers 4 aufgebaut ist. Es mag sich z. B. um ein Ventil handeln, dass in einer Ruhestellung sperrt und durch Ansteuerung (invertiert bzw. nicht-invertiert) in eine Belüftungs- bzw. Entlüftungs­stellung gebracht werden kann, also nicht notwendigerweise geöffnet ist, wie mit den Merkmalen M1.5 und M1.6 gefordert, selbst wenn der Ausgang des Magnetventils 23 als steuerseitiger Ventilanschluss angesehen werden kann (steuert das Schnellentlüftungs­ventil 40) und auch ein druckseitiger Ventilanschluss als implizit vorhanden angenommen wird.

4. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

4.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht ebenso wie der des korrespondierenden Verfahrensanspruchs 12 auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) gegenüber dem vorliegenden Stand der Technik. Die Beschwerdeführerin hat diesbezüglich Angriffslinien ausgehend von den Druckschriften D10, D11 sowie D12 bis D17 vorgetragen.

4.2 Ausgehend von D10 mit Fachwissen oder D2, D3 oder D4:

In der Luftaufbereitungsanlage aus D10 einen Lufttrockner vorzusehen, mag zwar keine erfinderische Tätigkeit begründen. Die Kammer war aber nicht überzeugt, dass der Arbeitsausgang 20 des in D10 gezeigten Feststellbremsmoduls 66 geeignet ist, eine Luftfederanlage eines Fahrzeugs anzuschließen. Wie bereits zur Neuheit diskutiert, ist der Anschluss einer Luftfederanlage an den Arbeitsausgang 20 des Relaisventils 10 aufgrund des Backup-Ventils 56 fernliegend, da das Druckniveau am Arbeitsausgang 20 sowohl durch die Betätigung der Feststellbremse als auch - im stromlosen Zustand (bei einem Ausfall des elektrischen Betriebsbremskreises) - durch Betätigung der Betriebsbremse bestimmt wird, was trotz des vergleichbaren maximalen Druckniveaus gegen eine Eignung des Arbeitsausgangs 20 zum Betreiben einer Luftfederanlage spricht. Wie in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, wäre am Arbeitsausgang 20 die gute Funktionalität einer Luftfederanlage nicht gewährleistet. Die Kammer folgt damit auch dem entsprechenden Argument der Beschwerdegegnerin und sieht den Gegenstand von Anspruch 1 als erfinderisch an gegenüber D10 und dem Fachwissen des Fachmanns.

Mit gleicher Begründung kann die Kammer nicht erkennen, dass der Fachmann bei Berücksichtigung der Lehre der Dokumente D2, D3 und D4 in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangen würde. Die Beschwerdeführerin hat letztlich nur argumentiert, dass der Fachmann eine Kombination der D10 mit D2, D3 oder D4 in Betracht ziehen würde, ohne darauf einzugehen, wie eine naheliegende Modifikation der D10 zum Betreiben einer Luftfederanlage eines Fahrzeugs bei Berücksichtigung dieser Dokumente aussehen könnte. Die bloße Tatsache, dass diese Dokumente Merkmal M1.1 bzw. eine Druckmittelversorgung mittels Kompressor und/oder Druckluftvorratsbehälter für Luftfederanlagen bzw. Niveauregelungseinrichtungen zeigen mögen, kann noch nicht begründen, wie eine Kombination von D10 mit D2, D3 oder D4 zu einer Druckluftversorgungseinrichtung wie mit Anspruch 1 definiert führen kann, welche also auch im nicht angesteuerten Zustand eine Entlüftungsventil­anordnung mit einem geöffneten Pneumatikteil (was in D2, D3 oder D4 nicht gezeigt ist) besitzt.

4.3 Ausgehend von D11:

Unabhängig davon, ob die Druckluftversorgungsanlage aus D11 auch Merkmal M1.1 zeigt, fehlen auf jeden Fall die Merkmale M1.5 und M1.6, wie zur Neuheit ausgeführt. Die Beschwerdeführerin hat nicht vorgetragen, wie diese Merkmale für den Fachmann oder in Kombination mit einer der Druckschriften D2, D3 oder D4 (die wie bereits ausgeführt gerade keinen im nicht angesteuerten Zustand geöffneten Pneumatikteil einer Entlüftungsventil­anordnung besitzen) nahegelegt sein sollen. Auch die Kammer sieht ausgehend von D11 als nächstliegendem Stand der Technik keinen Grund, warum der Gegenstand von Anspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen sollte.

4.4 Ausgehend von einer der Druckschriften D12 bis D17:

Die Beschwerdeführerin sieht als einzigen Unterschied gegenüber dem Gegenstand von Anspruch 1, dass kein Lufttrockner in den Druckschriften D12 bis D17 gezeigt sei, wie mit Merkmal M1.4 gefordert. Die Kammer sieht aber, wie bereits bei Diskussion der Neuheit in Bezug auf D10, keine eindeutige und unmittelbare Offenbarung für Merkmal M1.1 in den Druckschriften D12 bis D17. Denn die in D12 bis D17 betriebenen Pneumatikanlagen sind Parkbremsanlagen zur Steuerung der Federspeicher­bremszylinder einer Feststellbremse und keine Luftfederanlagen. Die Beschwerdeführerin verweist zu Merkmal M1.1 lediglich auf die in diesen Dokumenten gezeigte Druckluftversorgung der Bremszylinder.

Das Vorsehen eines Lufttrockners mag zwar für den Fachmann oder angesichts von D3 keine erfinderische Tätigkeit begründen und Merkmal M1.4 naheliegend sein. Die Beschwerdeführerin hat aber nicht vorgetragen, wie eine Luftfederanlage an den in D12 bis D17 gezeigten Parkbremsanlagen in naheliegender Weise anzuschließen bzw. zu betreiben ist, wie mit Merkmal M1.1 gefordert. Wie auch bereits zu D10 ausgeführt, kann die Kammer nicht erkennen, dass an den in D12 bis D17 gezeigten Arbeitsausgängen zur Ansteuerung der Feststellbremse die gute Funktionalität einer Luftfederanlage gewährleistet ist. Ausgehend von einer der Druckschriften D12 bis D17 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns oder auch der Lehre von D3 ist die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 gegeben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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