T 0910/17 () of 17.2.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T091017.20200217
Datum der Entscheidung: 17 Februar 2020
Aktenzeichen: T 0910/17
Anmeldenummer: 09716999.9
IPC-Klasse: B29C49/78
B29C49/12
B29C49/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Vorrichtung zur Blasformung von Behältern
Name des Anmelders: KHS Corpoplast GmbH
Name des Einsprechenden: Sidel Participations S.A.S.
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(1) (2007)
European Patent Convention Art 54(2) (2007)
European Patent Convention Art 54(3) (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag und erster Hilfsantrag (nein)
Neuheit - zweiter Hilfsantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - zweiter Hilfsantrag (ja)
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus
Änderungen - zweiter Hilfsantrag (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Fassung, in der das europäische Patent Nr. 2 247 429 aufrechterhalten werden kann.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags (Patent wie erteilt) und des ersten Hilfsantrags nicht neu sei, dass aber der Gegenstand von Anspruch 1 nach dem zweiten Hilfsantrags den Erfordernissen des EPÜ genüge.

II. Während des Einspruchsverfahrens hatte die Einsprechende die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 54 und 56 EPÜ, sowie Artikel 100 b) und 100 c) EPÜ geltend gemacht.

III. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 17. Februar 2020 statt.

IV. Die Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise auf Grundlage der mit der Beschwerdebegründung vom 20. Juni 2017 eingereichten Ansprüche (erster Hilfsantrag), sowie die Zurückweisung der Beschwerde der Beschwerdeführerin II (gegen die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage des zweiten Hilfsantrags).

Die Beschwerdeführerin II beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, den Widerruf des Patents sowie die Zurückweisung der Beschwerde der Beschwerdeführerin I.

V. Auf folgende Dokumente wird Bezug genommen:

D1: US 6 576 171 B1

D3: US 2007/0290388 A1

D8: WO 2008/081109 A2

VI. Der Verfahrensanspruch 1 nach dem Hauptantrag (erteilte Fassung des Patents) lautet wie folgt:

"Verfahren zur Blasformung von Behältern (2), bei dem ein Vorformling (1) aus einem thermoplastischem [sic] Material nach einer thermischen Konditionierung entlang eines Transportweges im Bereich einer Heizstrecke (24) innerhalb einer Blasform (4) durch Blasdruckeinwirkung in den Behälter umgeformt wird, dadurch gekennzeichnet, daß während der Umformung des Vorformlings (1) in den Behälter (2) innerhalb der Blasform zur Überwachung der Entwicklung der Behälterblase mindestens ein die Umformung charakterisierender Parameter gemessen und von einer Steuereinrichtung ausgewertet wird und daß in Abhängigkeit von dieser Auswertung der Entwicklung der Behälterblase mindestens eine den Umformungsvorgang beeinflussende Stellgröße innerhalb eines geschlossenen Regelkreises zum Angleichen des gemessenen Parameters an einen zugehörigen Sollwert verändert wird."

Daneben umfasst der Hauptantrag noch einen unabhängigen Vorrichtungsanspruch 21.

VII. Im Vergleich zum Hauptantrag ist der Verfahrensanspruch 1 nach dem ersten Hilfsantrag folgendermaßen geändert (die Änderungen sind durch die Kammer hervorgehoben):

"... dadurch gekennzeichnet, daß während der Umformung des Vorformlings (1) in den Behälter (2) bereits innerhalb der Blasform (4) [deleted: zur Überwachung der] die Entwicklung der Behälterblase überwacht wird, die bei der Umformung des Vorformlings (1) in den Behälter (2) entsteht, wobei dazu mindestens ein diese Umformung charakterisierender Parameter gemessen und von einer Steuereinrichtung ausgewertet wird und daß ..."

Auch der erste Hilfsantrag umfasst einen unabhängigen Vorrichtungsanspruch 21.

VIII. Im Vergleich zum Hauptantrag ist der Verfahrensanspruch 1 nach dem zweiten Hilfsantrag wie folgt geändert (die Änderungen sind durch die Kammer hervorgehoben):

"... [deleted: dadurch gekennzeichnet, daß] wobei während der Umformung des Vorformlings (1) in den Behälter (2) innerhalb der Blasform zur Überwachung der Entwicklung der Behälterblase mindestens ein die Umformung charakterisierender Parameter gemessen und von einer Steuereinrichtung ausgewertet wird und [deleted: daß] in Abhängigkeit von dieser Auswertung der Entwicklung der Behälterblase mindestens eine den Umformungsvorgang beeinflussende Stellgröße innerhalb eines geschlossenen Regelkreises zum Angleichen des gemessenen Parameters an einen zugehörigen Sollwert verändert wird, dadurch gekennzeichnet, daß ein Anliegen einer sich entwickelnden Behälterblase (23) an eine Innenseite der Blasform (4) mindestens zeitweise und mindestens abschnittweise gemessen wird."

Der unabhängige Vorrichtungsanspruch 20 nach dem zweiten Hilfsantrag hat folgenden Wortlaut:

"Vorrichtung zur Blasformung von Behältern (2) aus einem thermoplastischen Material, die mindestens eine entlang eines Transportweges eines Vorformlings (1) angeordnete Heizstrecke (24) und eine mit einer Blasform (4) versehene Blasstation (3) aufweist, wobei mindestens ein Sensor zur Erfassung mindestens eines die Umformung des Vorformlings (1) in den Behälter (2) charakterisierenden Parameters an eine Steuereinrichtung angeschlossen ist, die eine Auswertungseinheit für diesen Parameter aufweist und die mindestens eine den Umformungsvorgang beeinflussende Stellgröße generiert und die in einem geschlossenen Regelkreis zur Anpassung des gemessenen Parameters an einen zugehörigen Sollwert angeordnet ist, wobei der Sensor angeordnet und ausgebildet ist zur Erfassung der Entwicklung der Behälterblase innerhalb der Blasform und wobei die Steuereinrichtung zur Auswertung der Entwicklung der Behälterblase ausgebildet ist, nämlich dadurch gekennzeichnet, daß der Sensor ein Anliegen einer sich entwickelnden Behälterblase (23) an eine Innenseite der Blasform (4) mindestens zeitweise und mindestens abschnittweise messend ausgebildet ist."

IX. Die Beschwerdeführerin I hat im Wesentlichen das Folgende vorgetragen:

Hauptantrag und erster Hilfsantrag, Neuheit

Der Gegenstand von Anspruch 1 nach dem Hauptantrag sei neu im Hinblick auf das Dokument D1. Dieses Dokument ziele auf den Einsatz eines Servomotors als Ersatz für den ungenauen Pneumatikantrieb der Reckstange ab. Es sei dort nicht offenbart, dass ein Blasformungsprozess anhand der Beobachtung der Entwicklung der Behälterblase, was mittels gemessener Parameterwerte erfolge, gesteuert werde. So erfolge nach dem Dokument D1 auch kein Aufnehmen der Messwerte über die Zeit. Zudem hänge die dortige Steuerung nicht davon ab, ob sich überhaupt ein Vorformling in der Blasstation befinde. Die Figuren 3 bis 5 des Dokuments D1 zeigten Kurvenverläufe für die Steuerung unterschiedlicher Verfahrensparameter. In Figur 3 sei z.B. gezeigt, dass die Reckstangenposition nach einer der dargestellten Kurven gesteuert werden könne. Die Kurven stellten steuerungstechnisch vorgegebene, zeitabhängige Sollwerte für die Reckstangenposition dar. Es werde die aktuelle Reckstangenposition gemessen und mit der Sollposition verglichen, die durch die Kurven S1, S2 oder S3 vorgegeben sei. Selbst wenn während der Reckstangenbewegung kein Vorformling vorhanden sei, erfolge die Bewegung der Reckstange anhand der vorgegebenen Sollwertekurve. Eine Auswertung der Messwerte über die Zeit zum Erkennen einer Entwicklung erfolge nicht, da zu jedem Zeitpunkt lediglich ein Messwert-zu-Sollwert-Vergleich stattfinde. Eine Auswertung bezüglich der Behälterblasenentwicklung werde nicht vorgenommen. Dies gelte in analoger Weise für die Figuren 4 und 5 des Dokuments D1, die die Reckkraft und den Blasdruck beträfen. Nach dem Streitpatent könnten den abhängigen Ansprüchen zufolge die Reckstangenposition und der Blasdruck zwar die gemessenen Parameter in Sinne von Anspruch 1 sein, jedoch nur zusammen mit anderen Parametern; lediglich der Parameter des Anliegens des Behälterblase könne erfindungsgemäß für sich genommen die Entwicklung der Behälterblase charakterisieren. Dementsprechend sei auch der Wortlaut "[z]usätzliche Meßinformationen" im Absatz [0061] des Patents auf den Absatz [0066] zu beziehen. Damit bilde der Parameter der Reckstangen­position nur zusammen mit einem weiteren Parameter die Blasenentwicklung ab. Im Absatz [0067] des Patents werde aus der Reck­geschwindigkeit und der Reckkraft auf die Blasenentwicklung geschlossen. Im Dokument D1 fehle der Zwischenschritt, in dem von einem oder mehreren Parametern zuerst auf die Behälterblasenentwicklung geschlossen werde, bevor auf dieser Grundlage der Blasvorgang geregelt werde. Aus diesen Gründen sei der Gegenstand von Anspruch 1 nach dem Hauptantrag neu. Diese würden auch für den Gegenstand von Anspruch 1 nach dem ersten Hilfsantrag gelten, der den Kern der Erfindung, nämlich die Überwachung der Behälterblase in der Blasform, noch deutlicher herausstelle.

Zweiter Hilfsantrag, Änderung von Anspruch 20

Das kennzeichnende Merkmal von Anspruch 20 sei ursprünglich offenbart in den Ansprüchen 2 und 22 sowie auf Seite 5, dritter Absatz der eingereichten Anmeldung. Ein Verstoß gegen die Bestimmungen von Artikel 123 (2) EPÜ liege nicht vor.

Zweiter Hilfsantrag, Neuheit

Die Figur 4 im Dokument D8 zeige den gemessenen Blasdruck. Wenn dieser beginne linear anzusteigen, wie im Punkt C, erfolge keine Volumenzunahme mehr. Dies bedeute, dass die Entwicklung der Behälterblase zum Zeitpunkt tc abgeschlossen sei. Dementsprechend sei dieser Zeitpunkt im Dokument D8 explizit definiert als "fin d'expansion" (vgl. D8, Seite 20, vorletzte Zeile). Danach könne man nicht mehr von einer sich entwickelnden Behälterblase sprechen. Es erfolge dann nur mehr ein Ausprägen der Behälteraußenoberfläche unter Hochdruck. Auch die Materialverteilung ändere sich dann nicht mehr. Im Übrigen erfolge im Dokument D8 nur eine Messung des Blasdrucks zur Festlegung des Zeitpunkts für das Umschalten vom niedrigeren Vorblasdruck auf Hochdruck, aber keine Blasdruck­regelung. Eine Regelung im Sinne von Anspruch 1 sei im Dokument D8 deshalb nicht offenbart. Dies gelte auch für die Vorrichtung nach Anspruch 20

Zweiter Hilfsantrag, erfinderische Tätigkeit

Das Dokument D3 könne die im Anspruch 1 vorgeschlagene Lösung nicht nahelegen. So fänden dort zwar Messungen innerhalb der Blasform statt, diese erfolgten jedoch an einer fertig ausgeformten Flasche. Eine Messung mache im Dokument D3 erst dann Sinn, wenn der Behälter vollständig ausgeformt sei (vgl. D3, Absätze [0012] und [0049]). Es sei dort sogar explizit ausgesagt, dass die Messung der Wandstärke erst erfolgen solle, wenn der Umformprozess abgeschlossen sei, aber bevor die Blasform geöffnet werde, da in diesem Zeitfenster die Behälterwand in engem Kontakt mit der Blasforminnenwand stehe. Es sei auch nicht offenbart, dass die Messwerte der Sensoren miteinander verglichen würden oder eine Messung nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfinde, sondern zu mehreren Zeitpunkten (innerhalb eines Produktionszyklus), was aber erforderlich wäre, um die Entwicklung der Behälterblase überwachen zu können. Vielmehr gehe aus den oben angesprochenen Absätzen [0012] und [0049] des Dokuments D3 hervor, dass dort eine Messung erst dann erfolge, wenn der Behälter fertig ausgeformt sei; ein früheres Messen widerspreche also der Lehre des Dokuments D3. Weil anspruchsgemäß aber das Messen des Anliegens einer sich entwickelnden Behälterblase verlangt sei und auch die im Dokument D1 genannten Parameter die Steuerung des Blasformens einer sich entwickelnden Behälterblase beträfen, könne das Dokument D3, das auf die Wanddickenmessung am fertigen Behälter vor dem Entformen abziele, den Gegenstand der Ansprüche 1 und 20 nicht nahelegen.

X. Der Vortrag der Beschwerdeführerin II war im Wesentlichen wie folgt:

Hauptantrag und erster Hilfsantrag, Neuheit

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags sei im Hinblick auf das Dokument D1 nicht neu. Nach dieser Entgegenhaltung werde in einem Blasformverfahren während des Umformens des Vorformlings in den Behälter (vgl. D1, Spalte 5, Zeile 26 bis Spalte 6, Zeile 4) die Entwicklung der Behälterblase mittels der Positionsänderung der Reckstange (vgl. D1, Figur 3) oder der Entwicklung der Reckkraft (vgl. D1, Figur 4) gemessen und in Abhängigkeit davon der Blasdruck als den Umformvorgang beeinflussende Stellgröße geregelt (vgl. D1, Spalte 5, Zeile 26 bis Spalte 6, Zeile 4). Dies diene dem Ziel, die Produktqualität und die Gleichmäßigkeit der Behälterwandstärke sicherzustellen (vgl. D1, Spalte 5, Zeilen 51 bis 53). Dabei hänge die Reckkraft vom Vorhandensein eines Vorformlings ab. Die Entwicklung der Behälterblase (vgl. D1, Spalte 2, Zeilen 7 bis 13 "transformation of a preform into a receptacle or bottle") fließe über die Reckkraft und die Reckstangenposition in die Regelung des Blasdrucks ein (vgl. D1, Spalte 2, Zeilen 31 bis 36). Angesichts des Rückbezuges auf Anspruch 1 oder 2 im Anspruch 3 des Streitpatents sei es nicht zutreffend, dass erfindungs­gemäß für die Abbildung der Blasenentwicklung der Parameter der Reckkraft nur zusammen mit einem anderen Parameter eingesetzt werde. Dies gehe auch aus dem Absatz [0066] des Patents nicht hervor. Tatsächlich entspreche der Absatz [0067] des Patents der Lehre des Absatzes, der im Dokument D1 die Spalten 5 und 6 verbinde. Aus diesen Gründen fehle dem Gegenstand von Anspruch 1 nach dem Hauptantrag die Neuheit. Da auch im Dokument D1 die Überwachung der Behälterblase in der Blasform erfolge, gelte diese Schlussfolgerung auch für den Gegenstand von Anspruch 1 nach dem ersten Hilfsantrag.

Zweiter Hilfsantrag, Änderung von Anspruch 20

Das dem Anspruch 20 hinzugefügte kennzeichnende Merkmal ("... daß der Sensor ein Anliegen einer sich entwickelnden Behälterblase (23) an eine Innenseite der Blasform (4) mindestens zeitweise und mindestens abschnittweise messend ausgebildet ist.") sei nicht ursprünglich offenbart gewesen. Insbesondere werde nun im Anspruch 20 auf einen Sensor (Singular) Bezug genommen, während in der ursprünglichen Anmeldung auf Seite 13, zweiter Absatz von mehreren Sensoren die Rede sei. Auch aus dem ursprünglichen Anspruch 2 gehe nicht hervor, dass es sich um einen (einzigen) Sensor handle. Im ursprünglichen Anspruch 22 werde zwar ein Sensor im Singular genannt, allerdings nur in Zusammenhang mit einer Behälterblase und nicht mit einer sich entwickelnden Behälterblase, wie sie im geänderten Anspruch 20 definiert sei.

Zweiter Hilfsantrag, Neuheit

Das Dokument D8 stelle in der Figur 4 die Entwicklung des Blasdrucks über die Zeit dar. Der Zeitpunkt tc markiere das Ende der Vorblasphase. Jedoch sei zu diesem Zeitpunkt die Entwicklung der Behälterblase noch nicht ganz beendet, weil diese noch nicht vollständig an der Werkzeugwand anliege (vgl. D8, Seite 10, Zeilen 11 bis 19; Seite 20, Zeilen 20 bis 26) und auch Wanddickenunterschiede noch ausgeglichen werden könnten. In der folgenden Phase werde der Druck gemessen, um den Zeitpunkt zu ermitteln, wann die Behälterblase vollständig an der Werkzeugwand anliege; über das Blasventil werde der Blasdruck entsprechend angepasst (vgl. D8, Seite 11, Zeile 27 bis Seite 12, Zeile 26, Figuren 7 und 9; Seite 21, ab Zeile 12, Figuren 2 und 10). Auch im Streitpatent (vgl. Absätze [0026] und [0028]) diene der Blasdruck als Hinweis auf die Entwicklung der Behälterblase und als Stellgröße (vgl. Absätze [0035] und [0038]). Deshalb sei der Gegenstand von Anspruch 1 und 20 nach dem zweiten Hilfsantrag nicht neu.

Zweiter Hilfsantrag, erfinderische Tätigkeit

Das Dokument D1 sei der nächstliegende Stand der Technik, von dem sich der Gegenstand von Anspruch 1 in dem Merkmal des kennzeichnenden Teils unterscheide. Im Dokument D1 sei von der Möglichkeit der Berücksichtigung einer Vielzahl von Parametern für die Steuerung des Reckvorgangs die Rede (vgl. D1, Spalte 6, ab Zeile 54). Die zu lösende technische Aufgabe liege in der Auswahl aus einer der Möglichkeiten zur Messung der Entwicklung der Behälterblase in der Blasform. Zur Lösung dieser Aufgabe wäre der Fachmann auf das Dokument D3 gestoßen, wo ein Blasformwerkzeug an verschiedenen Stellen mit kapazitiven Sensoren ausgestattet sei, um die Wanddicke des hergestellten Behälters und ihre Variation über mehrere Produktionszyklen hin online zu messen (vgl. D3, Absätze [0062] und [0064]), wodurch laufend in Echtzeit die Konformität der Behälter und ihrer Wanddicke bzw. Dichte geprüft würden (vgl. D3, Absätze [0008] und [0011]). Daraus hätte der Fachmann geschlossen, dass sich kapazitive Sensoren zur Lösung der gestellten Aufgabe eigneten. Da die Abkühlung und Schrumpfung des fertigen Behälters zur Entwicklung der Behälterblase zu zählen seien, falle auch ein Messen nach dem eigentlichen Blasvorgang unter den vorliegenden Anspruch 1. Die Sensoren von Dokument D3 seien auch geeignet, die An- bzw. Abwesenheit der Behälterblase und damit den Zeitpunkt des Anliegens an der Blasforminnenwand zu messen (vgl. D3, Absätze [0029] und [0030]). Die Messung der Wanddicke im Dokument D3 sei in den Regelkreis eingebunden und werde zur Steuerung des Blasvorgangs eingesetzt (vgl. D3, Absatz [0063]). Bereits im Dokument D1 finde sich in der Spalte 2, Zeile 40 ein Hinweis auf die Bedeutung der Wanddicke des Behälters. Aus diesen Gründen sei nicht nur der Gegenstand von Anspruch 1, sondern auch jener von Anspruch 20 im Hinblick auf eine Kombination der Dokumente D1 und D3 naheliegend.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag und erster Hilfsantrag, Neuheit

1.1 Die Beschwerdeführerin II sieht das Dokument D1 als neuheitsschädlich hinsichtlich des Anspruchs 1 nach dem Hauptantrag an. Insbesondere ist zwischen den Beteiligten streitig, ob das Dokument D1 die Merkmale von Anspruch 1 offenbart, dass während der Umformung des Vorformlings in den Behälter innerhalb der Blasform zur Überwachung der Entwicklung der Behälterblase mindestens ein die Umformung charakterisierender Parameter gemessen und von einer Steuereinrichtung ausgewertet wird und dass in Abhängigkeit von dieser Auswertung der Entwicklung der Behälterblase mindestens eine den Umformungsvorgang beeinflussende Stellgröße innerhalb eines geschlossenen Regelkreises zum Angleichen des gemessenen Parameters an einen zugehörigen Sollwert verändert wird.

1.2 Diesbezüglich ist festzustellen, dass das Dokument D1 ein Blasformverfahren betrifft, bei dem während der Entwicklung der Behälterblase (vgl. D1, Spalte 2, Zeilen 7 bis 9: "By these characteristics it is possible to be able to control in a precise manner the process of transformation of a preform into a receptacle or bottle."; Spalte 5, Zeilen 27 und 28: "... program and control the process of transformation of a preform into a bottle.") ein die Umformung charakterisierender Parameter (im Dokument D1 die Reckstangenposition oder die Reckkraft) gemessen (vgl. D1, Figuren 3 und 4) und in Abhängig davon in einem geschlossenen Regelkreis (vgl. D1, Figur 2, Bezugszeichen 75 und 76) der Blasdruck als den Umformungsvorgang beeinflussende Stellgröße verändert wird (D1, Spalte 6, Zeilen 1 bis 4), um den gemessenen Parameter an einen zugehörigen Sollwert anzupassen. Damit nimmt die Offenbarung im Dokument D1 den Gegenstand von Anspruch 1 neuheitsschädlich vorweg.

1.3 Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin I merkt die Kammer an, dass bei dem (Vor-)Blasverfahren nach dem Dokument D1 zwingend ein Vorformling vorhanden ist, was sich in der gemessenen Reckkraft und im Blasdruck widerspiegelt. Zudem ist festzustellen, dass auch nach dem Streitpatent die Position der Reckstange, der Reckkraft oder der Blasdruck als gemessene Parameter in Frage kommen (vgl. Ansprüche 3, 5 und 6). Dass patentgemäß insbesondere die Reckstangenposition nicht für sich genommen, sondern nur zusammen mit anderen gemessenen Parametern für das Verfahren nach Anspruch 1 herangezogen werden kann, wie von der Beschwerde­führerin I behauptet, ergibt sich weder aus dem Wortlaut von Anspruch 1 noch aus den Absätzen [0061] ("Es können wahlweise ein oder mehrere der oben aufgeführten Parameter ausgewertet werden.") oder [0066] der Beschreibung des Streitpatents. Vielmehr ist der abhängige Anspruch 3 des Patents so formuliert, dass er nach einer der beiden Alternativen direkt auf den Anspruch 1 rückbezogen ist und damit die Reckstangenposition allein als der die Umformung der Behälterblase charakterisierende Parameter herangezogen werden kann. Auf diese anspruchsgemäße Möglichkeit stellt auch der Beschreibungsabsatz [0066] des Patents ab, demzufolge die Position der Reckstange als die Umformung der Behälterblase charakterisierender Parameter gemessen und der (Vor-)Blasdruck entsprechend gesteuert wird. Dieses anspruchsgemäße Ausführungsbeispiel im Streitpatent entspricht der bereits oben genannten Offenbarung im Dokument D1, Spalte 6, Zeilen 1 bis 3 ("There can thus be controlled the pre-blowing pressure as a function of the path of stretching S [...].").

1.4 Aus den genannten Gründen fehlt es dem Gegenstand des Verfahrensanspruchs 1 nach dem Hauptantrag im Hinblick auf das Dokument D1 im Sinne von Artikel 54 (1) und (2) EPÜ an Neuheit.

1.5 Von der Beschwerdeführerin I wurde nicht bestritten, dass nach dem bekannten Verfahren von Dokument D1 die Überwachung der Entwicklung der Behälterblase bereits innerhalb der Blasform erfolgt (vgl. D1, Figur 2 und zugehörige Beschreibung). Dieser Aspekt kann daher die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 nach dem ersten Hilfsantrag nicht herstellen. Somit gelten die oben für den Verfahrensanspruch 1 nach dem Hauptantrag dargelegten Gründe auch für den Gegenstand von Anspruch 1 nach dem ersten Hilfsantrag. Dieser ist daher ebenso nicht neu (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ).

2. Zweiter Hilfsantrag

2.1 Änderung von Anspruch 20

2.1.1 Die Beschwerdeführerin II erachtet das dem Anspruch 20 hinzugefügte kennzeichnende Merkmal ("... daß der Sensor ein Anliegen einer sich entwickelnden Behälterblase (23) an eine Innenseite der Blasform (4) mindestens zeitweise und mindestens abschnittweise messend ausgebildet ist.") aufgrund der Bezugnahme auf den Sensor im Singular als nicht als ursprünglich offenbart. Im ursprünglichen Anspruch 22 werde zwar ein Sensor im Singular genannt, allerdings nur in Zusammenhang mit einer Behälterblase und nicht mit einer sich entwickelnden Behälterblase.

2.1.2 Die Kammer stellt dazu fest, dass der ursprüngliche Anspruch 22 auf "de[n] Sensor zur Erfassung einer Anlage der Behälterblase (23) an der Blasform (4)" im Singular gerichtet ist. Dass es sich bei der zu erfassenden Anlage der Behälterblase an der Blasform notwendigerweise um die Anlage der sich entwickelnden Behälterblase handelt, erschließt sich dem Fachmann von selbst und geht auch aus dem ursprünglichen Anspruch 2 hervor. Es ist folglich nicht ersichtlich, dass der Gegenstand von Anspruch 20 des zweiten Hilfsantrags diesbezüglich über den Inhalt der eingereichten Fassung der Anmeldung hinausgeht.

Die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ sind somit erfüllt.

2.2 Neuheit

2.2.1 In Bezug auf die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 nach dem zweiten Hilfsantrag wird das Dokument D8, das nach Artikel 54 (3) EPÜ i.V.m. Artikel 153 (5) EPÜ als Stand der Technik gilt, angeführt. Nach diesem Dokument wird der Blasdruck während des Umformungsvorgangs gemessen (vgl. D8, Drucksensor 32 in der Figur 2). Auf Grundlage der gemessenen Blasdruckentwicklung über die Zeit (vgl. D8, Figuren 4 und 10) wird der Zeitpunkt tc ermittelt, an dem die Behälterblase (fast vollständig) an der Forminnenwand anliegt und die Umformung des Vorformlings in den Behälter im Wesentlichen abgeschlossen ist (vgl. D8, Seite 20, Zeilen 20 bis 26), um dann vom niedrigen Vorblasdruck auf den Hockdruck umzuschalten (vgl. D8, Seite 20, Zeilen 27 bis 37). Zwischen den Parteien ist insbesondere streitig, ob das nach dem Zeitpunkt tc erfolgende Ausprägen der Behälteroberfläche unter Hochdruck noch als Teil der Entwicklung der Behälterblase bei der Umformung des Vorformlings in den Behälter anzusehen ist oder nicht. Diesbezüglich stellt die Kammer fest, dass das Dokument D8 den Zeitpunkt tc ausdrücklich als den Zeitpunkt definiert, an dem die Expansion der Behälterblase, und damit deren Entwicklung im Sinne des Streitpatents, in der Vorblasphase abgeschlossen ist (vgl. D8, Seite 20, Zeilen 21 und 22 ("Rappellons que le point C correspond à la fin de l'expansion de la préforme 3 ...") und Zeile 27 ("... l'expansion de la préforme 3 terminée ...")). Weil die Entwicklung der Behälterblase bei der Umformung des Vorformlings in den Behälter nach dem Dokument D8 zum Zeitpunkt tc per Definition abgeschlossen ist, kann diese durch eine spätere Veränderung einer Stellgröße, beispielsweise das Umschalten vom Vorblasdruck auf den Hochdruck, nicht mehr beeinflusst werden. Damit offenbart das Dokument D8 nicht, dass in Abhängigkeit von der Auswertung der Entwicklung der Behälterblase mindestens eine den Umformungsvorgang beeinflussende Stellgröße innerhalb eines geschlossenen Regelkreises zum Angleichen des gemessenen Parameters an einen zugehörigen Sollwert verändert wird. Folglich kann das Dokument D8 das Verfahren nach Anspruch 1 nicht neuheitsschädlich vorwegnehmen. Diese Gründe gelten entsprechend auch für den Vorrichtungsanspruch 20.

2.2.2 Im Übrigen wird angemerkt, dass das obige Verständnis des Ausdrucks "Entwicklung der Behälterblase" als die Vorblasphase betreffend auch der Darstellung der beanspruchten Erfindung in der Beschreibung des Streitpatents, beispielsweise zur Figur 7, entspricht.

2.2.3 Aus diesen Gründen erfüllt der Gegenstand der unab­hängigen Ansprüche 1 und 20 des zweiten Hilfsantrags die Erfordernisse der Neuheit nach Artikel 54 (1) und (3) EPÜ.

2.3 Erfinderische Tätigkeit

2.3.1 Die Beschwerdeführerin II geht wie die Einspruchs­abteilung in der angefochtenen Entscheidung vom Dokument D1 als nächstliegendem Stand der Technik aus, von dem sich der Gegenstand von Anspruch 1 in dem Merkmal des kennzeichnenden Teils unterscheidet.

2.3.2 Die zu lösende objektive technische Aufgabe sieht die Beschwerdeführerin II in der Auswahl aus einer der Möglichkeiten zur Messung der Entwicklung der Behälterblase in der Blasform.

2.3.3 Hinsichtlich des Naheliegens der im Anspruch 1 nach dem zweiten Hilfsantrag vorgeschlagenen Lösung verweist die Beschwerdeführerin II auf das Dokument D3, wo ein Blasformwerkzeug an verschiedenen Stellen mit kapazitiven Sensoren ausgestattet ist, um die Wanddicke des hergestellten Behälters und ihre Variation über mehrere Produktionszyklen hin zu messen (vgl. D3, Absätze [0062] und [0064]), wodurch laufend in Echtzeit die Konformität der Behälter und ihrer Wanddicke geprüft wird (vgl. D3, Absatz [0008]). Jedoch erfolgt die Messung im Dokument D3 ausdrücklich erst an dem fertig ausgeformten Behälter vor dem Öffnen der Blasform, da in diesem Zeitfenster die Behälterwand in engem Kontakt mit der Blasforminnenwand steht (vgl. D3, Absätze [0012] und [0049]). Wie von der Beschwerde­führerin I vorgetragen, findet sich im Dokument D3 kein Hinweis darauf, dass die Sensoren für die Erfassung des Umformprozesses des Vorformlings in den Behälter verwendet werden könnten. Insbesondere ist beispielsweise nicht offenbart, dass die Messwerte der Sensoren miteinander verglichen würden oder eine Messung nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfindet, sondern zu mehreren Zeitpunkten (innerhalb eines Produktionszyklus), was erforderlich wäre, um die Entwicklung der Behälterblase überwachen zu können. Da das Dokument D3 also nicht die Messung der Entwicklung der Behälterblase in der Blasform betrifft, bleibt es für die Kammer fraglich, ob der Fachmann diese Entgegenhaltung auf der Suche nach einer Lösung für die von der Beschwerde­führerin II formulierte objektive technische Aufgabe überhaupt in Betracht ziehen würde. Sogar wenn er dies täte, könnte eine Zusammenschau der Dokumente D1 und D3 zwar möglicherweise nahelegen, in dem Blasformwerkzeug nach dem Dokument D1 Sensoren vorzusehen, um vor dem Entformen die Wanddicke des hergestellten Behälters und ihre Variation über mehrere Produktionszyklen hin zu messen, nicht jedoch, dass einer dieser Sensoren während des Umformens des Vorformlings in den Behälter für das zumindest zeit- und abschnittsweise Erfassen des Anliegens einer sich entwickelnden Behälterblase an der Blasforminnenwand eingesetzt wird bzw. er dafür ausgebildet ist, wie es anspruchsgemäß vorgesehen ist.

2.3.4 Aus diesen Gründen kann die Kombination der Dokumente D1 und D3 den Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 20 nach dem zweiten Hilfsantrag nicht nahelegen. Er beruht folglich auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

3. Schlussfolgerung

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen kommt die Kammer zum Schluss, dass die angefochtene Entscheidung im Ergebnis korrekt ist.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

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