T 0806/17 () of 29.4.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T080617.20200429
Datum der Entscheidung: 29 April 2020
Aktenzeichen: T 0806/17
Anmeldenummer: 06026770.5
IPC-Klasse: A62B33/00
A62B99/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Lawinenrettungsgerät
Name des Anmelders: Aschauer, Peter
Name des Einsprechenden: Snowpulse S.A.
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Änderung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Streitpatent zu widerrufen.

In dieser befand die Einspruchsabteilung, der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

II. In Vorbereitung einer für den 4. Mai 2020 anberaumten mündlichen Verhandlung erließ die Kammer eine Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2007. Darin äußerte sie die vorläufige Auffassung, der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag 1 der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit, hingegen erfülle Hilfsantrag 2 die Erfordernisse der Artikel 123(2) und 56 EPÜ.

Mit Schreiben vom 2. März 2020 kündigte die Beschwerdegegnerin-Einsprechende an, nicht an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen.

Mit Schreiben vom 1. April 2020 nahm die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin ihren Hauptantrag und Hilfsantrag 1 zurück und ergänzte Hilfsantrag 2 durch dem Schreiben beigefügte angepasste Beschreibungsseiten 2, 2a und 3, die die entsprechenden Beschreibungsseiten der Patentschrift ersetzen sollen.

Daraufhin wurde die mündliche Verhandlung abgesagt.

III. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin beantragt, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent in geänderter Form auf Grundlage des mit Beschwerdebegründung vom 24. Juli 2017 eingereichten Hilfsantrags 2 aufrechtzuerhalten,

hilfsweise die mündlichen Verhandlung durchzuführen oder neu anzuberaumen.

Die Beschwerdegegnerin-Einsprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

IV. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 hat folgenden Wortlaut:

"Lawinenrettungsgerät, das als funktionelle Teile mindestens einen körpernah mit dem Benutzer verbindbaren aufblasbaren Auftriebskörper (22), eine Befülleinheit für den Auftriebskörper (22), eine Druckgaseinheit mit Druckgasbehälter (10) und eine Auslöseeinheit besitzt und mit einem Tragesystem (2) zum Tragen der funktionellen Teile auf dem Rücken des Benutzers ausgestattet ist

dadurch gekennzeichnet, dass

das Tragesystem (2) aus mindestens einem flexiblen Gewebeelement (4, 7) aufgebaut ist und mit einer ersten Verbindungseinrichtung (28,29) ausgestattet ist, die mit einer zweiten Verbindungseinrichtung (34,35) eines separaten Behältnisses (3) derart zusammen wirkt, dass das Tragesystem (2) mit dem Behältnis (3) unter Bildung eines gemeinsam handhabbaren Rucksacks lösbar vereinigt werden kann und im vereinigten Zustand sandwichartig zwischen dem Rücken des Benutzers und dem Behältnis (3) angeordnet ist und

die Vorderfront (37) des Behältnisses (3) die Rückenfront des Tragesystems (2) abdeckt und/oder abschließt."

V. In dieser Entscheidung wird auf folgende Dokumente des Standes der Technik Bezug genommen:

D7: WO 96/35479

D3: Transkript vom 20. Oktober 2006 eines von Peter Aschauer als Geschäftsführerder ABS Peter Aschauer GmbH am 13. Oktober 2006auf der IKAR Konferenz in Kranjska GoraSlowenien) gehaltenen Vortrags

VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Der Gegenstand der Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 ist nicht durch den zitierten Stand der Technik nahegelegt.

Die Argumente der Beschwerdegegnerin-Einsprechenden lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Für den Hilfsantrag 2 liegt keine angepasste Beschreibung, mithin keine erteilungsfähige Fassung vor.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Gegenstand des Patents ist ein am Rücken tragbares Lawinenrettungsgerät mit einem Tragesystem für dessen "funktionelle" Teile (Druckgasbehälter, Auftriebskörper, Auslöseeinheit).

Erfindungsgemäß weist das Tragesystem eine erste Verbindungseinrichtung auf, die mit einer zweiten Verbindungseinrichtung eines separaten Behältnisses derart lösbar verbindbar ist, dass die Vorderfront des Behältnisses die Rückenfront des Tragesystems abdeckt und/oder abschließt.

3. Hilfsantrag 2 - Ursprüngliche Offenbarung

Der Gegenstand des Anspruchs 1 weist unstrittig die Merkmale der ursprünglichen Ansprüche 1 und 7 auf und geht somit nicht über den Inhalt der Anmeldung in ihrer ursprünglichen Fassung hinaus, Artikel 123(2) EPÜ.

4. Hilfsantrag 2 - Erfinderische Tätigkeit

4.1 In der angegriffenen Entscheidung wurde das Vorliegen einer erfinderische Tätigkeit für den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ausgehend von der D7 in Zusammenschau mit der D3 verneint.

4.2 Unstreitig offenbart die in den Absätzen [0004] - [0007] der Patentschrift ausführlich gewürdigte D7 als nächsten Stand der Technik ein Lawinenrettungsgerät nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1, das als "funktionelle Teile" einen Auftriebskörper (8), eine Befülleinheit (6) für den Auftriebskörper (8), eine Druckgaseinheit mit Druckgasbehälter (7) und eine Auslöseeinheit (11, 12) besitzt, Brückenabsatz der Seiten 11, 12, Fig. 1 - 4, 8.

Ein Tragesystem (2, 3, 16) zum Tragen dieser funktionellen Teile weist wie üblich Gurte (2, 3, 4), also flexible Gewebeelemente im Sinne des Anspruchs 1 auf (siehe auch Anspruch 3 der Patentschrift).

Ein Rückentraggestell 56 für einen lösbar befestigbaren Rucksack ist in Fig. 8 als Variante der Fig. 3 gezeigt (Brückenabsatz Seiten 17/18). Dabei steht lediglich "im mittleren Bereich des Rückens ... Platz zum Anbringen eines Rucksacks zur Verfügung". Ob dieser freie mittlere Bereich sandwichartig zwischen dem Rücken eines Benutzers und dem Rucksack angeordnet ist oder eine Aussparung aufweist, geht aus Fig. 8 nicht eindeutig hervor.

4.3 Im Zusammenhang mit den zueinander in Relation gesetzten Vorder- und Rückenfronten von Behältnis und Tragesystem versteht die Kammer den in Anspruch 1 verwendeten Begriff "abdecken" aber als "im wesentlichen vollständig be- oder überdecken".

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich deshalb vom Lawinenrettungsgerät der D7 dadurch, dass das Tragesystem mit einer ersten Verbindungseinrichtung ausgestattet ist, die mit einer zweiten Verbindungseinrichtung eines separaten Behältnisses derart lösbar zusammenwirkt, dass

- das das Tragesystem im vereinigten Zustand sandwichartig zwischen dem Rücken des Benutzers und dem Behältnis angeordnet ist und

- die Vorderfront des Behältnisses die Rückenfront des Tragesystems abdeckt und/oder abschließt.

4.4 Durch diese Unterschiedsmerkmale kann eine große Bandbreite von für verschiedenste Einsätze geeigneten Behältnissen mit demselben Tragesystem verwendet werden, insbesondere auch großvolumige und schwere Behältnisse, die trotzdem in ergonomisch günstiger, möglichst körpernaher Weise am Tragesystem platziert sind. Als Präzisierung der in Absatz [0011] der Patentschrift genannten Aufgabe ("universeller einsetzbar") lässt sich somit ausgehend von D7 (insbesondere Ende des ersten Absatzes auf Seite 6) die folgende objektiv zu lösende Aufgabe ableiten: Bereitstellung eines gattungsgemäßen Lawinenrettungsgeräts, das flexibel an ein breites Spektrum von Einsätzen bzw. "Unternehmungen" anpassbar ist.

4.5 Die Kammer stimmt mit der Einspruchsabteilung darin überein, dass der Fachmann ausgehend von D7 durch den Hinweis auf Seite 6 veranlasst würde, zur Lösung dieser Aufgabe auf D3 zurückzugreifen. Dort wird auf Seite 11 ein Tragesystem vorgeschlagen, an das je nach Art des Einsatzes - Bergrettung, Tour, Variantenfahren - Packsäcke oder Rucksäcke verschiedener Größe "wahlweise angedockt" werden können. Die Auswahloption für den Benutzer impliziert, dass die Packsäcke oder Rucksäcke lösbar an demselben Tragesystem befestigbar sein müssen. Dem Begriff "andocken" kann zwar ein Zusammenwirken einer ersten mit einer zweiten Verbindungseinrichtung entnommen werden, nicht jedoch, dass die miteinander kompatiblen Andockflächen jeweils die (gesamte) Vorderfront des Behältnisses und die (gesamte) Rückenfront des Tragesystems ausmachen müssen.

Ausgehend von D7 lässt sich eine die Rückenfront des Tragesystems abdeckende und/oder abschließende Vorderfront des Behältnisses auch nicht ohne weiteres verwirklichen. Wie in Fig. 1 und 3 zu erkennen ist, sind die Ballone 8 nämlich derart angeordnet und befestigt, dass sie im aufgeblasenen Zustand zumindest einen erheblichen Teil der Rückenfront des Tragesystems überdecken (siehe auch Seite 5 oben: hinter den Schultern). Daher ist gar nicht genug Platz für die Anbringung eines Rucksacks vorhanden, der die (gesamte) Rückenfront abdecken könnte. Wie dies zur Realisierung des Merkmalskomplexes "abdecken / abschließen" geändert werden könnte, ist weder aus D7 allein heraus offensichtlich, noch findet sich im angezogenen Stand der Technik, insbesondere D3, ein Hinweis darauf.

Ebenso ist eine umlaufende Verbindung der Vorderfront des Behältnisses mit der Rückenfront des Tragesystem, die ein Abschließen sicherstellen könnte, weder aus D7, noch einem anderen von der Beschwerdegegnerin-Einsprechenden angezogenen Stand der Technik bekannt oder durch diese angeregt.

Ob das Tragegestell eines aus der Kombination von D7 mit D3 erhaltenen Lawinenrettungsgeräts zudem in konventioneller Weise "sandwichartig" zwischen Benutzerrücken und Behältnis angeordnet wäre, kann letztendlich dahingestellt bleiben.

4.6 Somit beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von der Offenbarung der D7 in Kombination mit der D3 und unter Berücksichtigung von Fachwissen auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.

Im übrigen hat die Beschwerdegegnerin-Einsprechende zu Hilfsantrag 2 und der Frage seiner erfinderischen Tätigkeit sachlich nicht Stellung genommen.

5. Die Beschreibung wurde an den Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 angepasst. Mit dieser Anpassung der Beschreibung wurde somit der diesbezüglich von der Beschwerdegegnerin-Einsprechenden erhobene Einwand ausgeräumt.

Da unter Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin gemäß Hilfsantrag 2 vorgenommenen Änderungen das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen, kann es in der geänderten Fassung des Hilfsantrags 2 aufrecht erhalten werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Europäische Patent Nr. 1 935 457 in geänderter Form wie folgt aufrechtzuerhalten:

Ansprüche:

1-10 des Hilfsantrags 2, wie eingereicht mit Beschwerdebegründung vom 24. Juli 2017;

Beschreibung:

Seiten 1, 4-6 der Patentschrift,

Seiten 2, 2a und 3, wie eingereicht mit Schreiben vom 1. April 2020;

Zeichnungen:

Figuren 1-5 der Patentschrift.

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