European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2019:T071217.20190207 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 07 Februar 2019 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0712/17 | ||||||||
Anmeldenummer: | 10723027.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | B01J 2/16 C07C 227/00 C11D 3/33 C11D 7/32 C11D 11/02 C11D 17/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG EINES SPRÜHPULVERS ENTHALTEND EIN ODER MEHRERE GLYCIN-N,N-DIESSIGSÄURE-DERIVATE UND VERWENDUNG DES SPRÜHPULVERS ZUR HERSTELLUNG VON PRESSAGGLOMERATEN | ||||||||
Name des Anmelders: | BASF SE | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Akzo Nobel Chemicals International BV PQ Corporation / PQ Silicas UK Limited |
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Kammer: | 3.3.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - (nein) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die vorliegenden Beschwerden richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die Einsprüche gegen das Europäische Patent EP 2 432 582 zurückzuweisen.
II. Das Streitpatent bezieht sich insbesondere auf ein Verfahren zur Herstellung eines Sprühpulvers enthaltend ein oder mehrere Glycin-N,N-diessigsäure-Derivate (GDA).
III. Der erteilte Anspruch 1 lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung eines Sprühpulvers enthaltend ein oder mehrere Glycin-N,N-diessigsäure-Derivate der allgemeinen Formel (I)
MOOC-CHR-N(CH2COOM)2 (I),
mit der Bedeutung
R für C1-12 -Alkyl und
M für Alkalimetall,
ausgehend von einer wässrigen Lösung enthaltend das eine oder die mehreren Glycin-N,N-diessigsäure-Derivate, die unter Zuführung von Luft sprühgetrocknet wird, dadurch gekennzeichnet, dass
- die wässrige Lösung das eine oder die mehreren Glycin-N,N-diessigsäure-Derivate in einem Anteil von >= 84% Gew.-%, bezogen auf das Gesamtgewicht der Trockenmasse, enthält, und dass
- die Sprühtrocknung in einem Trocknungsapparat erfolgt,
dem die wässrige Lösung und die Luft im Gleichstrom, mit einem Temperaturgefälle zwischen der wässrigen Lösung und der Luft im Bereich von 70 bis 350 °C zugeführt werden, und dass
- im Trocknungsapparat die wässrige Lösung in feine Flüssigkeitströpfchen zerstäubt wird, indem
sie auf eine oder mehrere Scheiben geleitet wird, die mit einer Umfangsgeschwindigkeit von >= 100 m/s rotieren, oder indem
sie mittels einer Pumpe auf einen Druck >= 20 bar absolut komprimiert wird und bei diesem Druck über eine oder mehrere Düsen in den Trocknungsapparat eingeleitet wird."
IV. In der Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde u.a. auf folgende Dokumente Bezug genommen:
E2 |Handbook of Industrial Drying, 3**(rd) ed. 2006, Kapitel 10 |
E3 |EP 0 845 456 A2 |
E8 |US 2008/0045430 A1 |
E20|Experimental Data Annex, eingereicht von der Einsprechenden II am 9. Februar 2015|
V. Die Einspruchsabteilung betrachtete in ihrer Entscheidung E3 als nächstliegenden Stand der Technik. Die technische Aufgabe wurde darin gesehen, ein Verfahren zur Herstellung eines GDA-Sprühpulvers bereitzustellen, welches nach Verpressen zu Tabletten mit verbesserter Festigkeit führt.
VI. Die Einsprechende 1 und die Einsprechende 2 (in der Folge als Beschwerdeführerin I und II bezeichnet) legten beide gegen diese Entscheidung Beschwerde ein.
VII. Die Patentinhaberin (in der Folge als Beschwerdegegnerin bezeichnet) hielt mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründungen die erteilten Ansprüche als Hauptantrag aufrecht und reichte einen Hilfsantrag 1, ursprünglich eingereicht mit Schreiben vom 19. Oktober 2015, in Reinschrift eingereicht am 23. Oktober 2015, ein. Sowohl der Hauptantrag als auch der 1. Hilfsantrag enthalten den identisch lautenden Anspruch 1.
VIII. Die Beschwerdeführerinnen argumentierten u.a., dass ausgehend von E8 als nächstliegendem Stand der Technik die technische Aufgabe lediglich das Bereitstellen einer Alternative sei, wie auch aus den Versuchen der Beschwerdeführerin II (E20) hervorgehe. Da Anspruch 1 lediglich übliche Verfahrensbedingungen von Sprühtrocknungsverfahren angebe, beinhalte das beanspruchte Verfahren keine erfinderische Tätigkeit.
IX. Die Beschwerdegegnerin hat zur erfinderischen Tätigkeit gegenüber E8 im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Die technische Aufgabe sei das Bereitstellen eines verbesserten Sprühtrocknungsverfahrens, da Sprühpulver mit guter Rieselfähigkeit erhalten werden, die gut kompaktierbar seien. Dies gehe aus den Beispielen des Streitpatents hervor. Dabei sei es ohne Belang, ob Verfahren außerhalb des beanspruchten Bereichs die gestellte Aufgabe ebenfalls lösen. Auch Beispiel 5 des Versuchsberichts E20 entkräfte die Beispiele des Streitpatents nicht, sondern scheine ein Ausreißer zu sein, z.B. aufgrund eines technischen Defekts.
Ausgehend von E8 würde der Fachmann nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen, da E8 einen höheren Gehalt an Polyethylenglykol (PEG) und damit einen niedrigeren GDA-Gehalt in der Trockenmasse lehre, nämlich mindestens 25 Gew.%, wie aus der Tabelle des Dokuments E8 ersichtlich. Der Fachmann, der ein weiter verbessertes Verfahren anstrebt, würde von einer bereits guten, d.h. gemäß E8 bevorzugten, Ausführungsform ausgehen. Ferner werde in E8 die Reinheit des verwendeten GDA nicht erwähnt.
Zudem seien zwar Bedingungen für Sprühtrocknungs-verfahren z.B. aus E2 bekannt, dessen Lehre sei jedoch so allgemein, dass ein Forschungsprogramm notwendig sei, um zu den anspruchsgemäßen Bedingungen zu gelangen.
X. Die Beschwerdeführerinnen beantragten, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerden zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das Patent in geänderter Form auf Grundlage des 1. Hilfsantrags vom 19. Oktober 2015, in Reinschrift eingereicht am 23. Oktober 2015, aufrecht zu erhalten.
Entscheidungsgründe
Hauptantrag
1. Artikel 100 a) in Verbindung mit 56 EPÜ
1.1 Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines Sprühpulvers enthaltend ein oder mehrere Glycin-N,N-diessigsäurederivate (siehe erteiltes Streitpatent, Absatz [0001]).
1.2 Das Dokument E8 kann als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden. E8 befasst sich mit dem Bereitstellen von GDA als Feststoff in einer Form, die sich für die Verwendung in Wasch- und Reinigungsmitteln eignet (vgl. Absatz [0013]), z.B. durch Sprühtrocknen (Absatz [0051]), und bezieht sich damit auf die gleiche allgemeine Aufgabe wie das Streitpatent (siehe Absatz [0001]).
So offenbart E8 ein Verfahren zur Herstellung eines GDA-haltigen Pulvers oder Granulats durch Sprühtrocknen bzw. Sprühtrocknen und anschließendes Granulieren (Absatz [0051] und Anspruch 19), wobei bevorzugt eine wässrige Lösung eingesetzt wird (Absatz [0051]). Ein Sprühtrocknungsverfahren beinhaltet unweigerlich das Zerstäuben in feine Flüssigkeitströpfchen; dieses Merkmal wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht als zusätzliches unabhängiges Merkmal angeführt.
Aus E8 ist ferner bekannt, dass das Pulver oder Granulat aus 5-95 Gew.-% GDA und 5-95 Gew.-% PEG besteht (Anspruch 19 durch Rückbezug auf Anspruch 13), d.h. das Vorliegen von 95 Gew.-% GDA wird spezifisch genannt. Dieser Wert bedeutet einen Anteil an GDA in der eingesetzten Lösung im Bereich von >= 84 Gew.-% bezogen auf das Gesamtgewicht der Trockenmasse, gemäß Anspruch 1 des Streitpatents.
E8 nennt keine Verfahrensparameter der Sprühtrocknung und beschreibt auch kein konkretes Beispiel dafür.
1.3 Gemäß Streitpatent (Absätze [0005] bis [0010]) ist die Aufgabe des beanspruchten Verfahrens die Herstellung von gut rieselfähigen und gut kompaktierbaren Pulvern.
1.4 Entgegen den Argumenten der Beschwerdegegnerin wird diese Aufgabe nicht gelöst.
So wird die Rieselfähigkeit im Streitpatent lediglich allgemein erwähnt (z.B. in Absatz [0012]), in den Beispielen jedoch nicht betrachtet.
Die Beispiele des Streitpatents haben zwar zum Ziel,
eine verbesserte Festigkeit der Pressagglomerate zu belegen (Absatz [0045]). Im Einklang damit werden in den erfindungsgemäßen Beispielen 2 und 3 höhere Festigkeiten erhalten, als im Vergleichsbeispiel 1.
Jedoch stellt das Vergleichsbeispiel 1 nicht den nächstliegenden Stand der Technik gemäß E8 dar, da es sich beispielsweise in der Reinheit der GDA unterscheidet und zudem sind die Beispiele 2 und 3 nicht direkt mit dem Vergleichsbeispiel 1 vergleichbar, da sie sich in gleich mehreren Merkmalen unterscheiden.
Beispiel 2 bezieht sich auf einen anderen Sprühtrocknungstyp (rotierende Scheiben) als Vergleichsbeispiel 1 und Beispiel 3 (Düsenturm). Vergleichsbeispiel 1 und Beispiel 3 wiederum unterscheiden sich voneinander nicht nur im Druck (18,5 bar in Vergleichsbeispiel, 42 bar in Beispiel 3, gemäß den Angaben der Beschwerdegegnerin), sondern auch in der Zusammensetzung der Ausgangslösung (Gehalt an Trinatriumsalz der Methylglycin-N,N-diessigsäure (MGDA) und Reinheit davon). Angaben zum Temperaturgefälle fehlen gänzlich. Vergleichsbeispiel 1 und Beispiel 3 unterscheiden sich ferner in der Vorgehensweise beim Schritt des Verpressens selbst. So wird im Vergleichsbeispiel PEG zugegeben, in Beispiel 3 wird jedoch kein PEG erwähnt.
Die Beispiele des Streitpatents belegen somit nicht, dass durch die im Anspruch definierten Verfahrensbedingungen der Sprühtrocknung Sprühpulver erhalten werden, die zu Pressagglomeraten verbesserter Festigkeit führen.
Zudem zeigen die von der Beschwerdeführerin II eingereichten zusätzlichen Versuche (E20), dass die Wahl der Bedingungen des Sprühtrocknungsverfahrens keinen Effekt auf die Verpressbarkeit des Sprühpulvers hat. Wie in Tabelle 1 des Versuchsberichts E20 dargestellt, werden in den Beispielen 1-5 ("Experiment No. 1-5") Bedingungen der Sprühtrocknung variiert (Umfangsgeschwindigkeit der rotierenden Scheiben, Reinheit von MGDA, Temperaturgefälle). Die so erhaltenen Sprühpulver werden auf verschiedene Arten verpresst und die jeweilige Festigkeit ermittelt (Tabellen 5 und 6). Beispielsweise unterscheidet sich das Vergleichsbeispiel 2 vom erfindungsgemäßen Beispiel 5 nur in der Umfangsgeschwindigkeit der rotierenden Scheibe (90 gegenüber 110 m/s). Aus Tabelle 5 ist ersichtlich, dass die Bruchfestigkeit der daraus hergestellten erfindungsgemäßen Kompaktate schlechter, als beim Vergleichsversuch war (durchschnittlich 1,3 gegenüber 1,0 MPa). Bei Zugabe von PEG 2000 war das Sprühpulver nicht kompaktierbar, da das Pulver stark an der Pressform klebte ("capping", siehe Tabelle 6). Somit kann die im Punkt 1.3 definierte Aufgabe nicht als über den gesamten beanspruchten Bereich gelöst angesehen werden. Die Beschwerdegegnerin konnte diese Ergebnisse weder erklären, noch entkräften. Für die Glaubhaftmachung eines "technischen Defekts" wurden keinerlei Beweise oder überzeugende Argumente vorgebracht.
1.5 Aus diesen Gründen ist die objektive technische Aufgabe weniger anspruchsvoll zu formulieren und liegt lediglich im Bereitstellen einer Alternative.
1.6 Der Fachmann, der ausgehend von E8 mit der technischen Aufgabe befasst ist, ein alternatives Sprühtrocknungsverfahren bereitzustellen, würde unweigerlich geeignete Verfahrensbedingungen für die Sprühtrocknung wählen und damit die entsprechende Lücke in der Offenbarung des Dokuments E8 schließen, das keine Verfahrensbedingungen angibt. Hierzu würde der Fachmann allgemeines Fachwissen bezüglich Sprühtrocknungsverfahren heranziehen, wie es z.B. in E2 beschrieben wird.
1.7 Aus E2 ist bekannt, dass die beiden in Anspruch 1 gewählten Sprühtrocknungsarten (rotierende Scheiben und Druckdüsen) allgemein üblich sind (vgl. E2, Absätze 10.2.2.2. und 10.2.2.3, sowie Tabelle 10.1), wobei Anspruch 1 lediglich übliche Umfangsgeschwindigkeiten bzw. Drücke dieser Verfahren nennt (E2, genannte Textstellen). Auch die Verfahrensführung im Gleichstrom ist üblich (Tabelle 10.1). Das Temperaturgefälle liegt ebenfalls in üblichen Bereichen (Tabelle 10.1), wobei der Fachmann die Temperaturbedingungen ohnehin so wählen würde, dass sich der Einsatzstoff nicht zersetzt.
Auch das Argument der Beschwerdegegnerin, dass E8 vom beanspruchten Gegenstand wegführen würde, da E8 zwingend die Zugabe hoher Anteile an PEG notwendig machen würde, ist nicht überzeugend. Es ist nicht zu erkennen, warum der Fachmann einen höheren PEG-Gehalt, z.B. 25 Gew.-%, als wesentlich für die Lehre von E8 erachten sollte. Zwar würde der Fachmann dem Dokument E8 die Lehre entnehmen, dass ein hoher PEG-Gehalt günstig für die Rieselfähigkeit ist (vgl. die Tabelle). Dennoch würde der Fachmann erwarten, dass entsprechend der Lehre des Dokuments E8 ein PEG-Gehalt von 5-95 Gew.-% zu einer verbesserten Rieselfähigkeit gegenüber 100 Gew.-% GDA führt. Der Fachmann würde die Wahl eines geeigneten PEG-Gehalts für eine beabsichtigte Anwendung auch unter anderen Gesichtspunkten treffen. So führt beispielsweise ein höherer Anteil an PEG zu einem, bezogen auf die Gesamtmenge, geringen Gehalt an aktiver Komponente, was für entsprechende Problemstellungen ungünstig sein kann. Der Fachmann würde die Zusammensetzung der jeweiligen Fragestellung anpassen.
Es gibt somit keinen Grund, weshalb der Fachmann die explizite Lehre in E8 bezüglich eines PEG-Gehalts von 5 Gew.?% (entsprechend 95 Gew.-% GDA) außer Acht lassen würde.
Dabei wird GDA in E8 anhand seiner chemischen Formel definiert, d.h. die Mengenangabe in Anspruch 13 des Dokuments E8 bezieht sich auf GDA im Sinn der chemischen Verbindungen und nicht auf eine GDA-haltige technische Zusammensetzung mit beliebigen sonstigen Bestandteilen und Verunreinigungen. Sinngemäße Überlegungen würden ansonsten auch für den vorliegenden Anspruch 1 gelten.
1.8 Der Fachmann würde somit in naheliegender Weise zu Verfahrensbedingungen gemäß Anspruch 1 gelangen. Folglich beinhaltet das Verfahren des Anspruchs 1 keine erfinderische Tätigkeit im Sinn des Artikels 56 EPÜ.
1. Hilfsantrag
2. Da Anspruch 1 im 1. Hilfsantrags in unveränderter Form beibehalten wird, ist dieser aus den gleichen Gründen nicht gewährbar.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.