T 0665/17 () of 12.7.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T066517.20190712
Datum der Entscheidung: 12 Juli 2019
Aktenzeichen: T 0665/17
Anmeldenummer: 05701144.7
IPC-Klasse: B42D 15/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Gitterbild mit mehreren variierten Gitterfeldern
Name des Anmelders: Giesecke+Devrient Currency Technology GmbH
Name des Einsprechenden: Bundesdruckerei GmbH
Leonhard Kurz Stiftung & Co. KG
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 100(b)
European Patent Convention 1973 Art 100(c)
European Patent Convention 1973 Art 111
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
Änderung der Beschreibung - zulässig (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0919/19
T 1743/21

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 1 713 645 mit Bezug auf den Einspruchsgrund unter Artikel 100 b) EPÜ 1973 wider­rufen worden ist.

II. Der Einspruch stützte sich auf die in Artikel 100 a) und b) EPÜ genannten Einspruchs­gründe der fehlenden Neuheit (Artikel 54 EPÜ 1973) der mangelnden erfin­derischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973) und der unzureichenden Offenbarung (Artikel 83 EPÜ 1973).

III. Am 12. Juli 2019 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben, das Patent auf der Grundlage der mit Schreiben vom 29. November 2018 eingereichten Haupt- und Hilfsanträge 1 bis 3 und des mit Schreiben vom 10. November 2016 eingereichten Absatzes [0016a] der Beschreibung aufrechtzerhalten und die Angelegenheit zur Entscheidung über die Einspruchs­gründe nach Artikel 100 a) EPÜ 1973 an die Einspruchs­abteilung zurückzuverweisen.

V. Die Beschwerdegegnerinnen I und II (Einsprechende 1 und 2) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.

VI. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 12 des Hauptantrags lauten wie folgt:

"1. Sicherheitselement mit einem Gitterbild mit mehre­ren Gitterfeldern, die jeweils ein elektromagne­tische Strahlung beeinflussendes Gittermuster aus einer Vielzahl von Strichgitterlinien enthalten, wobei die Strichgitterlinien durch die Parameter Orientierung, Krümmung, Beabstandung und Profilierung charakterisiert sind, wobei

- ein mit bloßem Auge separat erkennbares Gitterfeld des Gitterbilds ein elektromagnetische Strahlung beeinflussendes Gittermuster mit Strichgitterlinien enthält,

dadurch gekennzeichnet, dass

für die Strichgitterlinien zumindest einer der charakteristischen Parameter Orientierung und Krümmung über der Fläche des Gitterfelds variiert,

- das genannte Gitterfeld eine Mattstruktur bildet, die bei Betrachtung keine diffraktiven Effekte zeigt, und

- der oder die variierenden charakteristischen Parameter über die Fläche des genannten Gitterfelds eine zufällige und sprunghafte Variation aufweisen."

"12. Verfahren zum Herstellen eines Sicherheitselements mit einem Gitterbilds [sic], bei dem in einem Substrat mehrere Gitterfelder erzeugt werden, die jeweils mit einem elektromagnetische Strahlung beeinflussenden Gittermuster aus einer Vielzahl von Strichgitterlinien gefüllt werden, wobei die Strichgitterlinien durch die Parameter Orientierung, Krümmung, Beabstandung und Profilierung charakterisiert sind, wobei

- ein mit bloßem Auge separat erkennbares Gitterfeld des Gitterbilds mit einem elektromagnetische Strahlung beeinflussenden Gittermuster mit Strichgitterlinien gefüllt wird,

dadurch gekennzeichnet, dass

für die Strichgitterlinien zumindest einer der charakteristischen Parameter Orientierung und Krümmung über der Fläche des Gitterfelds variiert wird,

- das genannte Gitterfeld eine Mattstruktur bildet, die bei Betrachtung keine diffraktiven Effekte zeigt, und

- der oder die variierenden charakteristischen Parameter über die Fläche des Gitterfelds eine zufällige und sprunghafte Variation aufweisen."

VII. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ 1973

Die Merkmale des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 würden zusammen wirken, so dass die unregelmäßig aufge­brachte Linienstruktur diffraktive Effekte verhindere: "der Spiegel sei zerkratzt". Der Effekt sei unabhängig vom Material der Linien. Der Fachmann würde für die Linien kein glänzendes Material wählen, wenn er eine Matt­struktur herstellen wolle. Die Mattstruktur sei matt, d.h. nicht glänzend. Eine aufgebrachte Metall­schicht sei dagegen eigentlich glänzend. Der Fachmann sei ein Experte für holographische Sicherheitselemente z.B. ein Physiker. Die regelmäßig angeordneten Linien eines Beugungs­gitters erzeugten Farben durch Diffrak­tion, wegen einer konstruktiven Überlagerung des gebeugten Lichts. Wenn dagegen die Linien nicht geord­net angeord­net seien, gebe es keine diffraktive Farb­erzeugung, sofern die Unordnung ein Mindestmaß über­schreite. Herstellungs­toleranzen einer Elektronen­strahl­litho­graphie­maschine reichten dazu nicht aus. Derartige Mattstrukturen erscheinen je nach metalli­schem Hintergrund silbrig glänzend und mussten bisher durch nachträgliches Zerstören der Beugungs­gitter­struk­turen hergestellt werden. Die Erfindung nutze somit den Zufall als Werkzeug, um ungeordnete Linienstrukturen - die ansonsten ein Beugungsgitter bilden würden - zu erzeugen, um direkt zu einer Mattstruktur zu gelangen. Es handele sich bei der Erfindung um eine Vielzahl an Linien in einer Fläche über die, der oder die Parameter zufalls­gesteuert variiert/variieren. Dies gelte für alle Zufallsver­tei­lungen.

Ein entsprechendes Sicherheitselement sei hergestellt worden und als Farbfoto in der Beschwerde eingereicht worden:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Das Foto belege die Ausführbarkeit. Das Original des abgebildeten Sicherheitselements könne bei Bedarf vorgelegt werden. Die Beweislast liege daher bei den Einsprechenden.

Die von der Ein­sprechenden in die Figur 8a einge­zeich­neten Rechteckbe­reiche wider­sprä­chen nicht den Aus­führungen der Beschwerdeführerin: durch die zufällige Orientierung der Gitterlinien unter­schei­de sich natür­lich mikroskopisch lokal das Aussehen des Gittermus­ters.

Die Erfindung sei ausreichend offenbart.

Artikel 123(3) EPÜ

Der erste Satz des neu einzuführenden Absatzes [0016a] entspreche dem ursprünglich eingereichten Text und sei daher nicht zu beanstanden. Der zweite Satz sei lediglich an die beanspruchte Erfindung angepasst worden und und sei daher ebenfalls nicht zu beanstanden.

VIII. Die Beschwerdegegnerinnen I und II haben im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ 1973

Die Merkmale des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 könnten entweder:

- als von einander unabhängig angesehen werden, oder

- so, dass die Mattstruktur durch das Linienbild gebildet werden; oder

- als eine Kombination der Merkmale.

Der Fachmann sei ein Herstellungsingenieur für den Bereich der Sicherheitselemente (Beschwerdegegnerin I), bzw. ein Physiker für optische Effekte (Beschwerde­gegnerin II).

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Gemäß Figur 8a des Streitpatents gäbe es örtlich keine Gitterlinien. Die Zufallsvariationen unbekannter Sta­tistik (z.B. gleichmäßige Verteilung, Gaußsche Vertei­lung, ...) würde nicht zwangsläufig zur Abwesend­heit diffraktiver Effekte führen. Je nach gewählter Vertei­lung seien die Resultate unterschiedlich. Das Streit­patent enthalte hierzu keine Angaben. Es sei nicht belegt, dass jegliche diffraktive Effekte durch den Zufall beseitigt werden. Der Fachmann müsse in den Zufall eingreifen, um eine ausreichende Variation zu erzielen. Zur entsprechenden Nacharbeitung der Erfindung fehle es insbesondere bei den Parametern Orientierung und Krümmung an Angaben im Streitpatent.

Zum eindeutigen Festlegen der Lage einer Gitterlinie relativ zu einer benachbarten Gitter­linie des Gitterfelds sei ein Winkel bzw. ein Winkel­abstand alleine nicht ausreichend. Hierzu müsse noch ein weiterer Parameter festgelegt werden, um die Lage der Linie in der Ebene zu bestim­men. Hierzu fände der Fachmann keine Informationen im Streitpatent, um mit vertretbarem Aufwand zu einer erfolgreichen Ausführung der Erfindung zu gelangen.

Der Anspruch 1 richte sich auf ein Sicherheitselement, bei dem nach der Herstellung die Lage aller Linien fest gelegt sei. Bei einem derartigen "product-by-process" Anspruch könne am Sicherheitselement nicht mehr festgestellt werden, ob die Linien per Zufall oder durch einen deterministischen Algorithmus angeordnet wurden.

Die Toleranzen bei der Herstellung würden weitere zufällige Variationen hinzufügen, so dass der diffrak­tive Effekt bleibe und nicht in jedem Fall zu einer Mattstruktur führe. So würden Regelmäßigkeiten bei den Schnittpunk­ten zu diffraktiven Effekten führen. Wie hoch dabei der Aufwand für den Fachmann sei, sei nicht nachweisbar.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

In Bezug auf eine um zwei rechteckige Bereiche ergänzte Figur 8a der Patent­schrift: Wie häufig und wo derartige Bereiche mit stark unter­schiedlichen Flächendichten der Strichgitterlinien 82 in dem Gitterfeld 80 auftreten würden und welche "lokalen" optischen Eigenschaften das Gitterfeld 80 somit auf­weise, hänge jeweils maßgeblich von dem für ein jewei­liges Gitterfeld 80 verwendeten "Zufall" ab. In den Bereichen ohne Linien könne es keine Mattstruktur - wie im Anspruch definiert - geben. Die Flächen zwischen den Linien würden weiterhin das Licht reflektieren. Es gäbe auch keinen Effekt, der glänzende Linien auf einer glänzenden Oberfläche matt erscheinen ließe.

Bei einer durch den Zufall gesteuerten Herstellung seien auch Lösungen enthalten, die diffraktive Effekte zeigten. Ein Hologramm wirke auf mikroskopischer Ebene chaotisch. Es könne aber deshalb nicht davon ausge­gangen werden, dass es deshalb keine diffraktiven Effekte zeige. Der Herstellungsprozess sei teuer. Es sei daher ein unzumutbarer Aufwand, etwas zufallge­steuert auszuprobieren und dann zu verwerfen, wenn es nicht den gewünschten Effekt zeige.

Das Farbfoto eines Sicherheitselements sei kein Beleg für die Ausführbarkeit der Erfindung und sei nicht in das Verfahren zuzulassen.

Die Erfindung sei nicht ausreichend offenbart.

Artikel 123(3) EPÜ

Durch die Wiedereinführung des in der Patentschrift gestrichenen, ursprünglich offenbarten Absatzes [0016a] in die Beschreibung werde Artikel 123(3) EPÜ insofern verletzt, als sein Inhalt zu einer Sachverhaltsänderung führe, welche den Schutzbereich der erteilten Ansprüche erweitere. Die Entscheidung über die Erteilung habe hierbei eine Zäsurwirkung, welche die Wiedereinführung des gelösch­ten Absatzes [0016a] in die Beschreibung ver­biete. Das Anspruchsmerkmal "keine diffraktiven Effekte" werde durch Absatz [0016a] breiter aus­zu­legen, so dass was "gewöhnlich mit Streu­vor­gängen beschrieben" werde, mit umfasst werde.

Insbesondere sei die spezi­fi­sche Zuordnung der "Effekte, die gewöhnlich mit Streu­vor­gängen beschrieben werden" zu den "Gitter­mus­tern, die eine zufällige sprunghafte Variation aufwei­sen" im zweiten Satz des neuen Absatzes [0016a] nicht von den ursprünglich eingereichten Anmel­deunterlagen gestützt.

Entscheidungsgründe

1. Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ 1973

1.1 Auslegung des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1

1.1.1 Der kennzeichnende Teil des Anspruchs 1 (Hauptantrag) lautet wie folgt:

"... dadurch gekennzeichnet, dass

für die Strichgitterlinien zumindest einer der charakteristischen Parameter Orientierung und Krümmung über der Fläche des Gitterfelds variiert,

- das genannte Gitterfeld eine Mattstruktur bildet, die bei Betrachtung keine diffraktiven Effekte zeigt, und

- der oder die variierenden charakteristischen Parameter über die Fläche des genannten Gitterfelds eine zufällige und sprunghafte Variation aufweisen."

1.1.2 Es war zwischen den Parteien strittig in welchem Zusammenhang die Merkmale, die die Strichgitterlinien betreffen (zumindest einer der charakteristischen Parameter Orientierung und Krümmung der Strichgitter­linien weist/weisen über der Fläche des Gitterfelds eine zufällige und sprunghafte Variation auf) und die Merkmale des Gitterfelds (das Gitterfeld bildet eine Mattstruktur, die bei Betrachtung keine diffraktiven Effekte zeigt) zueinander stehen.

1.1.3 Im Anspruchstext sind diese Merkmale nur nebeneinander aufgezählt. Eine explizite Verknüpfung zwischen diesen Merkmalen wird nicht angegeben. Der Anspruch umfasst somit eine Palette unterschiedlicher Möglichkeiten nämlich, dass die Merkmale bezüglich der Strichgitter­linien und der Mattstruktur von einander völlig unab­hängig sind, bis hin dazu, dass die Strichgitterlinien kausal für die Entstehung der Mattstruktur verantwort­lich sind.

1.2 Zur Ausführbarkeit des Gegenstands des Anspruchs 1, in der Auslegung, dass die Merkmale bezüglich der Strichgit­terlinien und der Mattstruktur von einander völlig unabhängig sind

Die Kammer bezweifelt nicht, dass sich Strichgitter­linien herstellen lassen, die sichtbare diffraktive Effekte bewirken, wenn sie mittels Elektronenstrahl­lithographie ausreichend regel­mäßig in einer Lack­schicht hergestellt werden. Dies wurde von den Parteien auch nicht in Frage gestellt. Ein solches Elektronen­strahllithographie­gerät kann auch Strich­gitter­linien, deren Orientierung oder Krümmung über der Fläche des Gitterfelds zufällig und sprung­haft variiert, her­stellen. Es bedarf dazu lediglich der fachüblichen Bedienung dieses Elektronenstrahllithographiegeräts: der Fachmann muss dem Gerät nur geeignete Linienkoor­dinaten zuführen.

Die Kammer geht davon aus, dass der Fachmann weiß, wie er eine Mattstruktur in einem Gitterfeld auf bekannte Weise erzeugen kann. Dies wurde von der Beschwerde­führerin in der mündlichen Verhandlung nochmals bestätigt und von den Beschwerdegegnerinnen nicht in Frage gestellt.

Deshalb kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass der Gegenstands des Anspruchs 1 in der Auslegung, dass die Merkmale bezüglich der Strichgitterlinien und der Mattstruktur von einander völlig unabhängig sind, ausführbar ist.

1.3 Zur Ausführbarkeit des Gegenstands des Anspruchs 1, in der Auslegung, dass die Strichgitterlinien kausal für die Entstehung der Mattstruktur verantwortlich sind

1.3.1 Beweislast

Nach ständiger Rechtsprechung tragen die Einsprechen­den, hier Beschwerdegegner­innen die Beweislast für den Nachweis einer behaupteten mangelnden Ausführbarkeit.

In der Patentschrift ist kein Ausfüh­rungs­beispiel eines Sicherheitselements mit Strichgitter­linien beschrieben, bei denen zumindest einer der charakteristischen Para­me­ter Orientierung und Krümmung über der Fläche des Gitterfelds eine zufällige und sprunghafte Variation aufweist/aufweisen, um eine Mattstruktur zu bilden, die bei Betrachtung keine diffraktiven Effekte zeigt. Somit konnten die Beschwerdegegnerinnen den Nachweis der mangelnden Ausführbarkeit nicht anhand eines beschrie­benen Ausführungsbeispiels führen. Es ist zudem im vorliegenden Fall für die Beschwerdegegnerinnen unver­hältnismäßig aufwendig, über eine Vielzahl von Möglich­keiten eine negative Tatsache zu belegen. Die Beschwer­degegnerinnen haben ihre Beweislast in soweit Rechnung getragen, als sie sie auf Plausibilitätsüberlegungen gestützt haben. Die Beweislast zum Nachweis des Gegenteils liegt daher auf der Patentinhaberin, hier Beschwerdeführerin.

In diesem Zusammenhang hat die Beschwerdeführerin auf ihr Angebot in der Beschwerdebegründung (Seite 12) hingewiesen, das Original eines Sicherheitselements, welches als Farbfotographie mit Schreiben vom 16. Mai 2018 vorgelegt wurde, z.B. in einer mündlichen Verhandlung vorzulegen. Nach Angaben der Beschwerde­führerin enthalte dieses Sicherheitselement sowohl diffraktive Gitterfelder als auch matte Gitterfelder nach Anspruch 1 des Streitpatents. Die matten Gitter­felder enthielten eine Vielzahl von Gitterlinien, bei denen der Parameter Orientierung zufällig und sprung­haft über die Fläche des Gitterfelds variiert. Sie bilden jeweils eine Matt­struktur, die bei der Betrachtung keine diffrak­tiven Effekte zeige. Die Beweislast zum Nachweis des Gegenteils liegt daher auf der Seite der Beschwerdegegnerinnen.

Die Beschwerdegegnerinnen sind auf die Tat­sache einge­gangen, dass eine Farbfotographie eines er­fin­dungs­gemäßen Sicherheitselements nicht ausreiche, um die Ausführbarkeit zu belegen. Sie haben aber nicht das Angebot der Vorlage des Originals des Sicher­heits­elements aufgegriffen, welches ihnen die notwendige Größen-, Mengen- und Anordnungsverhältnisse der entsprechenden Strichgitterlinien für eine eventuelle Nacharbeitung gegeben hätte. In diesem Zusammenhang hat die Beschwerdeführerin in der münd­lichen Verhandlung auf Nachfrage der Kammer bestä­tigt, dass die einzelnen Strichgitter­linien bei entsprechender Ver­größerung sichtbar sind. Diese Aussage wurde von den Beschwer­degegnerinnen nicht in Frage gestellt.

Die Beschwerdegegnerinnen hätten das Angebot aufgreifen können, um somit eine konkrete Grundlage zur Nachar­beitung zu bekommen. Da sie diese Gelegenheit aber nicht genutzt haben, sind sie Ihrer Beweislast nicht nachgekommen.

Die Beschwerdegegnerinnen haben somit die Kammer nicht davon überzeugt, dass das beanspruchte Sicherheits­element nach Anspruch 1 des Hauptantrags, in der Auslegung, dass die Strichgitterlinien kausal für die Entstehung der Mattstruktur verantwortlich sind, nicht ausführ­bar ist.

1.4 Bei keiner der Auslegungen (siehe voranstehende Punkte 1.2 und 1.3) kam die Kammer zum Schluss, dass das beanspruchte Sicherheits­element nach Anspruch 1 des Hauptantrags nicht ausführ­bar ist. Die im Streitpatent beanspruchte Erfindung erfüllt somit die Anforderungen des Artikels 100 b) EPÜ 1973.

2. Artikel 123 (3) EPÜ

Zwischen den Parteien war strittig, ob der in die Beschreibung neu einzuführende Absatz [0016a], einge­reicht mit Schreiben vom 10. November 2016, die Erfor­dernisse von Artikel 123 (3) EPÜ erfüllt.

2.1 Der erste Absatz auf Seite 5 der als WO-Schrift ver­öf­fentlichten Anmeldung lautet: "Da die charak­tis­ti­schen [sic] Parameter der erfindungsgemäßen Gitter­muster, wie nach­fol­gend im Detail erläutert, sowohl eine regel­mä­ßige, kon­ti­nuier­liche, als auch eine zufällige, sprung­hafte Variation auf­weisen können, lassen sich sowohl Ef­fekte, die gewöhnlich mit Beu­gungs­vorgängen, als auch Effekte, die gewöhnlich mit Streu­vor­gängen beschrieben werden, erzeugen. Im Rahmen dieser Be­schreibung werden derar­tige Gittermuster daher allgemein als elektro­mag­netische Strahlung beein­flus­sende Gittermuster be­zeich­net". Dieser Absatz ist im Streitpatent nicht mehr enthal­ten.

Der in die Beschreibung neu einzuführende Absatz [0016a] lautet: "Da die charakteristischen Parameter von Gittermustern grundsätzlich sowohl eine regelmä­ßi­ge, kontinuierliche, als auch eine zufällige, sprung­hafte Variation aufweisen können, lassen sich sowohl Effekte, die gewöhnlich mit Beugungsvorgängen, als auch Effekte, die gewöhnlich mit Streuvorgängen beschrieben werden, erzeugen. Die elektromagnetische Strahlung beein­flussenden Gittermuster der vorliegenden Erfin­dung sind Gittermuster, die eine zufällige, sprunghafte Variation aufweisen, die Effekte erzeugen, die ge­wöhn­lich mit Streuvorgängen beschrieben werden".

Der erste Satz des neuen Ab­sat­zes [0016a] stimmt mit dem ersten Satz der ursprünglichen Offenbarung überein und ist demnach auch nicht unter Arti­kel 123 (2) EPÜ zu beanstanden.

Der zweite Satz prä­zisiert den vorange­henden Satz mit der spezifischen Zu­ordnung der Effekte zu den "zufäl­ligen, sprung­haften Variationen".

Dies entspricht jedoch einer der im Anspruch 1 mit umfassten Auslegungen (siehe Punkt 1.1.3), insbesondere der Auslegung, bei der die Strichgitterlinien kausal für die Entstehung der Mattstruktur verantwortlich sind: Die Mattstruktur erscheint deshalb matt, weil die Oberfläche das Licht streut und nicht spiegelt. Demnach ist auch der zweite Satz nicht unter Arti­kel 123 (2) EPÜ zu beanstanden.

2.2 Die Beschwer­de­gegnerinnen haben nicht aus­geführt, wel­cher Gegenstand neu unter den Schutz­be­reich des An­spruchs 1 fallen würde. In der Einführung des Absatzes [0016a] in die Beschreibung kann die Beschwerdekammer auch keine Erweiterung des Schutz­be­reichs des Anspruchs 1 (Hauptantrags) erkennen. Das auf Artikel 123 (3) EPÜ bestützte Argu­ment bezüglich der "Zäsurwir­kung" (T 1149/97, ABl. EPA 2000, 259) greift aus diesem Grund nicht.

3. Die im Kontext des Anspruchs 1 (Hauptantrag) vorge­tragenen Argumente gelten aus den selben Gründen auch für den dazu parallelen Verfahrensanspruch 12.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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