T 0445/17 () of 24.10.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T044517.20181024
Datum der Entscheidung: 24 October 2018
Aktenzeichen: T 0445/17
Anmeldenummer: 11003757.9
IPC-Klasse: B61K 9/08
B61L 23/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Schienenprüfvorrichtung
Name des Anmelders: Eurailscout Inspection & Analysis b.v.
Name des Einsprechenden: Deutsche Bahn AG
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(1)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechende hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 2 386 455 in geändertem Umfang aufrechterhalten worden ist, Beschwerde eingelegt.

II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 in der mit Schreiben vom 10. Dezember 2015 eingereichten Fassung neu und erfinderisch sei gegenüber den folgenden Druckschriften:

D1: DE 10 2006 025 717 A1;

D2: DE 25 17 948 A1;

D3: DE 41 36 904 A1.

III. Die Beschwerdeführerin stützt ihren Einwand der mangelnden Neuheit sowie der fehlenden erfinderischen Tätigkeit lediglich auf die folgenden, erstmalig mit der Beschwerdebegründung vom 10. April 2017 eingereichten Druckschriften:

D6: DE 28 55 877 C2;

D7: CH 432 049 A.

IV. Am 24. Oktober 2018 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

V. Anspruch 1 in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung lautet wie folgt:

"Vorrichtung zur Prüfung von Schienen (4), insbesondere Eisenbahnschienen, auf verdeckte Fehler wie Risse, welche an einem Schienenfahrzeug angeordnet und längs der Schiene (4) verfahrbar ist,

dadurch g e k e n n z e i c h n e t,

dass die Prüfvorrichtung (8) zumindest im Wesentlichen starr mit mindestens einer Achse (2) eines Laufdrehgestells (1) des Schienenfahrzeugs verbunden und von dieser oder diesen Achsen (2) getragen ist."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung ist neu gegenüber dem vorliegenden Stand der Technik (Artikel 54(1) EPÜ).

2.1 Die Neuheit gegenüber den Dokumenten D1 und D2 wurde von der Einspruchsabteilung anerkannt und von der Beschwerdeführerin nicht mehr in Frage gestellt. Auch nach Meinung der Kammer ist die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber D1 und D2 gegeben.

2.2 Die Beschwerdeführerin erhob einen Einwand mangelnder Neuheit gegenüber D6, nachdem sie in der Zweckangabe "zur Prüfung von Schienen auf verdeckte Fehler wie Risse" in Anspruch 1 den einzigen Unterschied gegenüber D6 sah. Diese Zweckangabe sei nur insofern als ein strukturelles Merkmal zu verstehen, als sie eine Realisierung der Vorrichtung mit solchen Prüfköpfen, die nicht zur Detektion verdeckter Fehler in Eisenbahnschienen geeignet sei, ausschließe. Die D6 offenbare eine Ausführungsform der gattungsgemäßen Prüfvorrichtung mit Röntgenstrahlung oder Ultraschall (Spalte 3, Zeile 41), also mit Prüftechnologien, die zur Detektion verdeckter Fehler in Eisenbahnschienen geeignet seien.

2.2.1 Dem kann sich die Kammer jedoch nicht anschließen, da auch das kennzeichnende Merkmal von Anspruch 1, dass "die Prüfvorrichtung zumindest im Wesentlichen starr mit mindestens einer Achse eines Laufdrehgestells des Schienenfahrzeugs verbunden und von dieser oder diesen Achsen getragen ist", nicht zweifelsfrei aus D6 hervorgeht.

Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern muss sich der beanspruchte Gegenstand "unmittelbar und eindeutig aus dem Stand der Technik ergeben", damit auf fehlende Neuheit geschlossen werden kann, d. h. es muss "außer Zweifel stehen - und nicht nur wahrscheinlich sein -, dass der beanspruchte Gegenstand in einem Patentdokument unmittelbar und eindeutig offenbart wurde" (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 8. Auflage 2016, I.C.4.1). Ein nur in einer Zeichnung offenbartes Merkmal muss dabei für den Fachmann hinsichtlich seiner Struktur und Funktion unmittelbar und eindeutig aus der Zeichnung ersichtlich sein. Dies ist nach Auffassung der Kammer vorliegend nicht gegeben.

2.2.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass der aus D6 bekannte Messkopf gemäß der Seitenansicht der Figur 1 auf einem Querträger (bzw. Traverse) gelagert sei, der mittels Achsbuchsen von den Achsen des Drehgestells getragen werde und unmittelbar auf den Achsen des Laufdrehgestells abgestützt sei. Auch wenn in Figur 1 in D6 die Anbringung eines Messkopfes am Drehgestell gezeigt sei (wie von der Beschwerdegegnerin unter Verweis auf Spalte 4, Zeilen 3 und 4 vorgetragen), so spreche dies nicht gegen eine starre Verbindung mit einer Achse des Drehgestells, denn es gebe zwei Arten der Lagerung von Drehgestellen, also der rahmenförmigen Struktur zur Aufnahme der Achsen. Das Drehgestell könne gegenüber der Achse federnd gelagert sein, es könne aber auch eine federnde Lagerung zwischen Drehgestell und Wagenkasten vorgesehen sein. Eine starre Lagerung des Drehgestells gegenüber der Achse schließe dabei nicht aus, dass sich der Abstand zwischen Messkopf und Schiene verändere (wie angedeutet in Spalte 4, Zeilen 29-31 der D6), da sich der Durchmesser der Räder im Betrieb verändere. Zudem sei dieser Abstand auch beim erstmaligen Justieren der Prüfvorrichtung zu berücksichtigen. Das in D6 erwähnte unerwünschte Auswandern der Messeinrichtung (Spalte 3, Zeilen 61-64) senkrecht zur Fortbewegungsrichtung beziehe sich auf ein Auswandern in horizontaler Richtung bei Kurvenfahrt.

2.2.3 Die Kammer stimmt jedoch mit der Beschwerdegegnerin überein, dass die schematische Darstellung in Figur 1 in D6 so unspezifisch ist, dass daraus die Aufhängung des die beiden Achsen verbindenden und den Messkopf tragenden Querträgers nicht eindeutig abzuleiten ist, d.h. ob dieser starr oder federnd an den Radachsen befestigt ist. Auch in der Beschreibung findet sich diesbezüglich keine Offenbarung. Die Beschreibung zu Figur 1 spricht nur von einer Anbringung eines Messkopfes am Drehgestell eines Eisenbahnfahrzeugs (Spalte 4, Zeilen 3-4), ohne dass die Art der Lagerung des Drehgestells - federnd gegenüber dem Wagenkasten oder gegenüber der Achse - näher spezifiziert wird. Eine starre Verbindung zwischen Drehgestell und Achse mag zwar möglich sein, aber durchaus auch eine federnde Lagerung der Achse am Drehgestell, wie von der Beschwerdeführerin selbst ausgeführt. Damit ist das Merkmal einer im Wesentlichen starren Verbindung zwischen Prüfvorrichtung und Achse nicht eindeutig aus D6 abzuleiten.

Strittig zwischen beiden Parteien war, ob in der Darstellung in Figur 1 in D6 auf beiden Seiten der Radachse etwa Federn oder aber eine Verschraubung des Lagerdeckels zu erkennen sei. Auch die Kammer kann der Figur 1 nicht unmittelbar und eindeutig entnehmen, ob der Messkopf über die Achslager mittels Verschraubung starr mit den Achsen verbunden ist.

Zudem werden die bestehenden Zweifel durch Textstellen in der Beschreibung der D6 weiter verstärkt, die von der Beschwerdegegnerin angeführt und durch die Erklärungsversuche der Beschwerdeführerin nicht eindeutig ausgeräumt wurden. Die in Spalte 3 und 4 der D6 diskutierten Passagen lassen durchaus eine vertikale Variation des Abstandes zwischen Messkopf und Schiene im täglichen Betrieb und nicht nur im Rahmen des allmählichen Verschleißes der Räder vermuten, schließen eine solche jedenfalls nicht klar und eindeutig aus:

Wenn D6 von einem unerwünschten Auswandern (der Messeinrichtung) senkrecht zur Fortbewegungsrichtung spricht (Spalte 3, Zeilen 61-64), das bei der Bildauswertung eliminiert wird und somit keine präzise Führung der Messeinrichtung erforderlich macht, so scheint aufgrund der in Figur 1 dargestellten Anordnung des Messkopfes im Bereich des Laufrades (und nicht etwa mittig zwischen beiden Radachsen) der Einfluss von Kurvenfahrten und damit ein horizontales Auswandern weniger wahrscheinlich, wie von der Beschwerdeführerin argumentiert.

Auch die Textstelle in D6 (Spalte 4, Zeilen 29-31), die von einer Verkleinerung des Abstandes der beiden Linien 4 und 5 auf der Schienenoberfläche bei Vergrößerung des Abstandes des Messkopfes von der Schiene spricht, scheint gerade nicht von einer Veränderung des Durchmessers der Räder im Laufe eines längeren Betriebs auszugehen, wie von der Beschwerdeführerin argumentiert. Im Betrieb der Messeinrichtung werden sich die Räder durch Verschleiß abnutzen, was zu einem geringeren Durchmesser der Räder und damit zu einer Verringerung, nicht aber zu einer Vergrößerung des Abstandes zwischen Messkopf und Schiene führen wird.

2.2.4 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass D6 dem fachkundigen Leser keine Lehre vermittelt, die unmittelbar und eindeutig das kennzeichnende Merkmal von Anspruch 1 offenbart. Die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 ist somit gegeben.

2.2.5 Da wie vorstehend aufgeführt die in Anspruch 1 formulierte Zweckangabe nicht den einzigen Unterschied gegenüber Dokument D6 darstellt, erübrigt es sich, auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin zur Anwendung der Grundsätze aus G 2/88 einzugehen, wonach "eine alte (nicht: neue) Verwendung eines alten Gegenstands für einen neuen Zweck" keinesfalls als neu gelten könne.

3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

3.1 Die Argumentation der Beschwerdeführerin zur fehlenden erfinderischen Tätigkeit beruhte allein darauf, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 ausschließlich in der Art des vorgesehenen Verwendungszwecks von D6 unterscheide. D6 offenbare eine Vorrichtung zur Prüfung der Schienen auf verdeckte Fehler an Eisenbahnschienen, während Anspruch 1 als Zweckangabe die Verwendbarkeit der Vorrichtung zur Prüfung der Schienen auf verdeckte Fehler in Eisenbahnschienen nenne. Wie vorstehend zur Neuheit ausgeführt, unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 aber auch im kennzeichnenden Merkmal von der Offenbarung der Druckschrift D6.

3.2 In der angefochtenen Entscheidung wurde die Neuheit des Gegenstands des vorliegenden Anspruchs 1 gegenüber den Druckschriften D1 und D2 anerkannt, da darin das Merkmal einer Prüfvorrichtung, die mit einer Achse eines Laufdrehgestells des Schienenfahrzeugs verbunden ist, nicht gezeigt ist. Ein Einwand fehlender erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D1 oder D2 wurde daraufhin in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht mehr geltend gemacht.

3.3 Da wie vorstehend zur Neuheit ausgeführt auch in D6 dieses Merkmal einer Prüfvorrichtung, die (im Wesentlichen starr) mit einer Achse eines Laufdrehgestells des Schienenfahrzeugs verbunden ist, nicht gezeigt ist, sieht die Kammer keinen Grund, das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D6 als nächstliegendem Stand der Technik in Frage zu stellen.

Die Beschwerdeführerin hat im Übrigen in der mündlichen Verhandlung diesbezüglich keine weiteren Argumente vorgebracht.

4. Da die Druckschriften D6 und D7 (D7 lediglich als Nachweis des Fachwissens, dass bekannte Ultraschall-Prüfvorrichtungen zur Prüfung auf verdeckte Fehler in Eisenbahnschienen vorgesehen sind) die Neuheit und erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 nicht in Frage stellen, kann die Frage der Zulassung dieser erstmalig mit der Beschwerdebegründung neu eingereichten Druckschriften dahingestellt bleiben.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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