T 0410/17 () of 29.5.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T041017.20200529
Datum der Entscheidung: 29 Mai 2020
Aktenzeichen: T 0410/17
Anmeldenummer: 09780113.8
IPC-Klasse: C08F220/06
A61L15/60
A61L15/22
C08F2/01
B01J19/00
C07C51/41
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG WASSERABSORBIERENDER POLYMERPARTIKEL
Name des Anmelders: BASF SE
Name des Einsprechenden: Nippon Shokubai
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden betrifft die am 15. Dezember 2016 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2 300 060 in geädertem Umfang auf Grundlage des während der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2016 eingereichten Hauptantrags.

II. Anspruch 1 des Hauptantrags hatte folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Herstellung wasserabsorbierender Polymerpartikel durch Polymerisation

einer Monomerlösung, enthaltend

a) mindestens ein ethylenisch ungesättigtes, säuregruppentragendes Monomer,

b) mindestens einen Vernetzer,

c) mindestens einen Initiator,

d) optional ein oder mehrere mit den unter a} genannten Monomeren copolymerisierbare ethylenisch ungesättigte Monomere und

e) optional ein oder mehrere wasserlösliche Polymere,

wobei das Monomer a) zumindest teilweise neutralisiert wird und die Neutralisationswärme zumindest teilweise mittels eines indirekten Wärmeaustauschers mittels eines Kühlmediums abgeführt wird, dadurch gekennzeichnet, dass die Temperatur des der Neutralisation zugeführten Monomeren a} von 15 bis 40°C beträgt, das Monomer a} Acrylsäure ist und die spezifische Kühlleistung des Wärmeaustauschers weniger als 5 W/cm**(2) beträgt."

III. Gegen das erteilte Patent wurde Einspruch unter Geltendmachung der Gründe gemäß Artikel 100(a) EPÜ (mangelnde Neuheit, mangelnde erfinderische Tätigkeit) und Artikel 100(b) EPÜ eingelegt.

Es wird in dieser Entscheidung auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D2: WO-A-2007/028751

D19: US-A-2008/114140

Versuchsbericht der Anmelderin von 18. Januar 2012 (eingereicht während des Prüfungsverfahrens mit Brief vom 20. Januar 2012).

IV. Gemäß der Entscheidung erfülle der Gegenstand des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Antrags die Erfordernisse der Artikel 54, 83 und 123(2) und (3) EPÜ. Ebenso wurden die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ als erfüllt angesehen.

V. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung ein.

Die Beschwerde wurde auf den alleinigen Grund der fehlenden erfinderischen Tätigkeit gestützt.

VI. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) erwiderte auf die Beschwerde.

VII. Die Kammer erließ eine Ladung zur mündlichen Verhandlung und einen Bescheid.

VIII. Mit Schreiben vom 20. Mai 2020 teilte die Beschwerdeführerin mit, nicht an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen.

IX. Die mündliche Verhandlung fand am 29. Mai 2020 ohne Beteiligung der Beschwerdeführerin statt.

X. Die Argumente der Beschwerdeführerin bezüglich erfinderischer Tätigkeit lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Nächstliegender Stand der Technik sei D2.

Dieses betreffe das gleiche Problem wie das Patent, nämlich Vermeidung von vorzeitiger Polymerisation, welche als Folge heißer Monomerlösung mit Bildung von Ablagerungen auftreten könne. Ferner verwendeten D2 und das Patent die gleiche Lösung, nämlich Kontrolle des Temperaturverlaufs.

b) Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von D2 dadurch, dass die Kühlleistung des Wärmetauschers spezifiziert wird. Dies sei zwar in D2 nicht angegeben, aber sei als inhärent offenbart anzusehen.

c) D2 enthalte keine detaillierte Beschreibung des Wärmetauschers. Jedoch würden in D2 (Beispiele) als auch im Streitpatent (Absatz 108) sehr ähnliche Temperaturunterschiede (Kühlung) angegeben. Somit liege es auf der Hand, dass die jeweiligen Wärmetauscher sehr ähnlich, wenn nicht identisch sein müssten. Somit könne die Angabe der Kühlleistung, um die gleichen Ergebnisse wie in D2 zu erhalten, keine erfinderische Tätigkeit begründen.

d) Die von der Beschwerdegegnerin während des Prüfungsverfahrens eingereichten Versuche würden lediglich die Relevanz der anspruchsgemäß definierten Kühlleistung unter den spezifischen Bedingungen dieser Versuche zeigen. Diese zeigten jedoch nicht, dass die definierte Leistung von allgemeiner Bedeutung oder Relevanz sei.

e) Ferner erlaube die Angabe lediglich der Kühlleistung keine Rückschlusse auf die erhaltene Kühlgeschwindigkeit. Dies hänge vielmehr von der Konstruktion des Wärmetauschers ab.

Somit sei die Angabe der Kühlleistung ohne weitere Merkmale bezüglich des Wärmetauschers wenig sinnvoll oder aussagekräftig und eine erfinderische Tätigkeit könne nicht anerkannt werden.

XI. Die Argumente der Beschwerdegegnerin bezüglich erfinderischer Tätigkeit lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Es werde nicht bestritten, dass D2 den nächstliegenden Stand der Technik darstelle.

b) Ebenso werde nicht bestritten, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von der Offenbarung von D2 durch die angegebenen Kühlleistung des Wärmetauschers unterscheide.

c) D2 betreffe lediglich Simulationen. Es seien keine konkreten Beispiele offenbart. Ziel von D2 sei die Vermeidung von Temperaturspitzen bei der Neutralisation von Acrylsäure. Für den Zweck der Simulationen von D2 war es nicht notwendig, den Wärmetauscher zu simulieren.

Deshalb sei das Argument der Beschwerdeführerin, es handle sich bei D2 um einen ähnlichen Wärmetauscher wie den im Anspruch 1 definierten gegenstandslos.

Die Beispiele des Patents und insbesondere die während des Prüfungsverfahrens eingereichten Beispiele würden zeigen, dass die angegebene Kühlleistung die Vermeidung von Ablagerungen erlaube. Somit sei bewiesen, dass die im Absatz 12 des Patents definierte Aufgabe gelöst wurde.

d) D2 lehre, dass die Neutralisationswärme zu einer unerwünschten Polymerisation führen könne und verlange folglich, diese möglichst schnell abzuführen, um eben unerwünschte Polymerisationen zu vermeiden (Seite 3, Zeilen 33 bis 35; Seite 6, Zeilen 20 bis 22). Das schnelle Abführen der Wärme erfordere eine hohe Kühlleistung. Somit würde D2 von der Erfindung mit der definierten niedrigen Kühlleistung wegführen.

Überraschend sei, dass das Problem der Ausfällung des Acrylatsalzes vor Erreichen der Löslichkeitsgrenze auftrete, wie in den eingereichten Beispielen gezeigt und im Absatz 111 des Patents besprochen. Eben dieser Aspekt sei in D2 nicht erkannt.

Die Annahme der Beschwerdeführerin, dass die zu kühlende Flüssigkeit an der Rohrinnenwand kälter sei als im Inneren des Rohres und es somit zu Ablagerungen kommen würde, sei falsch, da Wärmetauscher immer mit turbulenter Strömung betrieben werden, um eben eine optimale Wärmeaustausch zu gewährleisten.

Bei höherer Kühlleistung werde schneller gekühlt. Wichtig hierbei ist jedoch zu verhindern, dass eine gewisse Fläche zuviel Wärme abführe. Falls dies geschehe, träten die angegebenen Probleme auf. Wesentlich dabei sei, dass die jeweiligen Ausgangs- und Endtemperaturen definiert werden. Die benötigte Kühlleistung könne hierbei berechnet werden.

Die Verweilzeit und Innenvolumen des Wärmetauschers hänge mit der Anzahl der Röhre zusammen. Somit würde mit einer höheren Anzahl an Röhren bei gleicher Gesamtkühlleistung die Kühlung länger dauern als mit einer kleineren Anzahl an Röhren.

e) In D19 werde eine übersättigte Lösung von Na-Acrylat hergestellt. In dessen Beispiel 1 sei unter Kühlung neutralisiert worden. Das sich abscheidende Na-Acrylat schwimme auf der Flüssigkeitsoberfläche. Dies wäre nicht möglich, wenn sich diese an der Kühlfläche abscheiden würde. Folglich zeige D19, dass die Abscheidung bei Übersättigung nicht an einer kalten Fläche stattfinde. D19 enthalte ferner keine Angaben zur spezifischen Kühlleistung und betreffe diskontinuierliche Laborversuche.

f) Deshalb sei eine erfinderische Tätigkeit anzuerkennen.

XII. Die Beschwerdeführerin beantragte im schriftlichen Verfahren die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

XIII. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Erfinderische Tätigkeit

1.1 Es ist unbestritten, dass D2 den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.

D2 betrifft ein Neutralisationsverfahren für Acrylsäure (Ansprüche 1 und 11) bei dem es gilt, Temperaturspitzen zu verhindern, damit es nicht zur vorzeitigen Polymerisation kommt (Seite 3, Zeilen 30 bis 38). Die neutralisierte Acrylsäure wird danach polymerisiert, um wasserabsorbierende Polymere herzustellen (Seite 1, Zeile 16 bis Seite 2, Zeile 12; Seite 3, Zeilen 16 bis 23). Es werden aber keine reellen Versuche durchgeführt, sondern Simulationen/Berechnungen vorgenommen. Diese Tatsache wird von den "Beispielen" verdeutlicht. Der erste Satz des Abschnitts "Beispiele 1 bis 6" auf Seite 16, ab Zeile 35 lautet:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIKFORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Bezüglich der einzusetzenden Wärmetauscher heißt es auf Seite 6, Zeile 16 und 17 von D2, dass diese "keiner Beschränkung unterliegen". Folgerichtig wird in D2 nicht weiter auf Einzelheiten des Wärmetauschers eingegangen.

1.2 Ebenso unbestritten ist, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 sich von dieser Lehre nur durch die angegebene Kühlleistung des Wärmetauschers unterscheidet.

1.3 Ein technischer Effekt ausgehend von diesem Merkmal ist nicht nachgewiesen worden.

Das Patent enthält keine geeigneten Beispiele.

Die während des Prüfungsverfahrens eingereichten Versuchsdaten (Versuchbericht unter Punkt III., oben) sind ebenso ungeeignet, einen technischen Effekt zu belegen:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Bei diesen Versuchen wird nicht nur das unterscheidende Merkmal (Kühlleistung), sondern auch das Temperaturgefälle DeltaT variiert.

Diese Versuche zeigen höchstens, dass bei zu starker Abkühlung (auf zu niedrige Temperatur) Ausfällung vorkommt.

Entgegen der Aussage der Beschwerdegegnerin im ersten Absatz von Seite 2 der Beschwerdeerwiderung:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

wird ein Effekt ausgehend von der Leistung des Wärmetauschers nicht belegt.

1.4 Objektiv zu lösende Aufgabe

Somit kann die objektiv zu lösende Aufgabe lediglich als die Umsetzung des theoretischen Verfahrens gemäß D2 in die Praxis formuliert werden.

1.5 Die Lösung

Dieses Problem wurde dadurch gelöst, dass eine Kühlleistung für den Wärmetauscher festgelegt wurde.

1.6 Naheliegend

Um die unter 1.4 definierte Aufgabe zu lösen ist es unvermeidbar, einen reellen Wärmetauscher zu verwenden. Dieser muss wiederum zwangsläufig eine Kühlleistung aufweisen, bzw. mit einer Kühlleistung betrieben werden. Die Angabe dieses Parameters mit einem beliebigen Wert ist somit eine naheliegende - sogar notwendige - Lösung der obenstehenden objektiven Aufgabe.

Hierbei ist das Argument der Beschwerdegegnerin, es sei überraschend, dass das Problem der Ausfällung des Acrylatsalzes bereits vor Erreichen der Löslichkeitsgrenze stattfinde für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit unerheblich, da der Anspruch kein Merkmal enthält, wofür nachgewiesen wurde, diesen Umstand zu berücksichtigen oder diesem entgegen zu wirken.

1.7 Weitere Aspekte

1.7.1 D19

Bezüglich D19 wurde von der Beschwerdegegnerin argumentiert, dies würde zeigen, dass bei Übersättigung keine Ablagerungen an kalten Flächen stattfinde. Somit sei das Problem des Patents bzw. dessen Lösung D19 nicht zu entnehmen.

Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass der Versuchsaufbau bei D19 völlig anderes als bei dem Verfahren gemäß dem Streitpatent oder D2 ist.

So betrifft D19 einen Versuch auf Labormaßstab, welcher gemäß dessen Beispiel 1 in einem Laborreaktor unter starkem Rühren durchgeführt wird. Eine kontinuierliche Anlage mit Fluss einer Lösung durch Rohrleitungen wie im Patent beschrieben (vgl. Absatz 41 und Figur 1 des Patents) kommt in D19 nicht vor.

Somit ist D19 für das anspruchsgemäße Verfahren nicht von Relevanz.

1.7.2 Beschaffenheit des Wärmetauschers

In Anbetracht der Argumente der Parteien könnte sich zusätzlich die Frage stellen, ob die Kühlleistung, mit der der Wärmetauscher betrieben wird, das einzig wesentliche Merkmal des Wärmetauschers ist. Es wurde sowohl von der Beschwerdeführerin (Beschwerdebegründung 2.11) als auch von der Beschwerdegegnerin (Beschwerdeerwiderung, Seite 2, 6. Absatz) und während der mündlichen Verhandlung angegeben, dass Probleme auftreten würden, wenn zu viel Wärme durch eine bestimmte Fläche abgeführt werde.

Es stellt sich somit die Frage, ob nicht auch die Konstruktionsmerkmale des Wärmetauschers (Konfiguration, Anzahl und Größe der Röhre, usw.) von Relevanz sind für das Erreichen des behaupteten Effekts, insbesondere der Vermeidung von Ablagerungen.

Angesichts des Vorhergehenden braucht dieser Aspekt aber nicht abschließend behandelt zu werden.

1.8 Aus diesen Gründen beruht das Verfahren des Anspruchs 1 des einzigen Antrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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