European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T038317.20201109 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 09 November 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0383/17 | ||||||||
Anmeldenummer: | 08860626.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | H02G5/06 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Schottisolator | ||||||||
Name des Anmelders: | Kuvag Gmbh & Co Kg | ||||||||
Name des Einsprechenden: | ABB Power Grids Switzerland AG | ||||||||
Kammer: | 3.5.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderungen Hauptantrag und Hilfsantrag Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2 208 270 in geänderter Fassung gemäß dem in der mündlichen Verhandlung vom 28. September 2016 überreichten Hauptantrag, eingereicht als "erster Hilfsantrag".
II. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) beantragte zu Beginn des Beschwerdeverfahrens schriftlich die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie den Widerruf des Patents. Hilfsweise hat sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz sowie eine mündliche Verhandlung beantragt.
Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde oder, hilfsweise, die Aufrechterhaltung des angefochtenen Patents gemäß Hilfsantrag, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung am 26. Juli 2017. Die Beschwerdegegnerin beantragte außerdem hilfsweise eine mündliche Verhandlung.
III. In einer der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Meinung mit, wonach der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents in der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Fassung gemäß Hauptantrag nicht dem Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ zu erfüllen scheine, und dass Entsprechendes auch für den Hilfsantrag gelten dürfte.
IV. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2020 hat die Beschwerdegegnerin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgezogen. In der Sache hat sie sich nicht geäußert.
V. Anspruch 1 gemäß der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Fassung des Patents (Hauptantrag) hat den folgenden Wortlaut:
"Schottisolator, bestehend aus einem im wesentlichen scheibenförmigen Isolierkörper (4), allenfalls mit einem vorzugsweise metallischen Befestigungsflansch (5), und mit zumindest einer axial durch diesen Isolierkörper (4) hindurchführenden, rotationssymmetrischen Elektrode (6), deren Querschnitt in der Mittelebene des Isolierkörpers (4) größer ist als im Bereich der einander gegenüberliegenden Oberflächen des Isolierkörpers (4), wobei jede Elektrode (6) in ihrem zentralen Abschnitt, der im Bereich der Mittelebene des Isolierkörpers (4) zu liegen kommt, den größten Querschnitt aufweist und ihr Querschnitt an keiner Stelle geringer ist als an den Elektrodenenden, wobei sich an die Elektrodenenden zur Mitte hin ein oder mehrere Segmente anschließen, dadurch gekennzeichnet, dass
die Dicke des Isolierkörpers (4) von dessen Mitte in allen Richtungen nach außen hin abnimmt, dass die Mantelfläche der sich an die beiden Elektrodenenden anschließenden Segmente sich nach außen hin öffnend konisch ausgeführt sind, und dass der Übergang zum zentralen Segment (c) der Elektrode (6), ausgehend vom jeweils benachbarten Segment, mit einer im Querschnitt annähernd halbkreisförmigen Nutfräsung (d) und einem im Querschnitt annähernd halbkreisförmigen konvexen Wulst (e) ausgeführt ist, wobei dieser Wulst (e) die Höhe dieses Segments (c) axial überragt, so dass eine ausgeprägte ,,Ohren- oder Ankerform" (7) gebildet wird."
VI. Anspruch 1 des Hilfsantrags weist gegenüber dem Hauptantrag die nachfolgend hervorgehobenen Änderungen auf:
"...dass die Mantelfläche der sich an die beiden freiliegenden Elektrodenenden anschließenden, innerhalb des Isolierkörper (4) befindlichen und von Gießharz umhüllten bzw. umspritzen [sic] Segmente sich nach außen hin öffnend konisch ausgeführt sind,..."
VII. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Aufnahme des Merkmals in den Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, wonach die Mantelflächen der sich an die beiden Elektrodenenden anschließenden Segmente sich nach außen hin öffnend konisch ausgeführt sind, stelle eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar. Die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen lieferten keine wörtliche Offenbarung des vorgenannten Merkmals. Allein die ursprünglichen Figuren 6 und 7 zeigten unterschiedliche Ausführungsformen einer Elektroden-Mantelfläche, bei welcher ein konkretes Beispiel eines sich nach außen hin öffnend konischen Segments illustriert sei. Da die in Figur 6 gezeigte Ausführungsform einige Merkmale des Anspruchs 1 nicht aufweise, könne sie jedoch nicht als Grundlage für das in Rede stehende Merkmal herangezogen werden. Höchstens die Ausführungsform nach Figur 7 könne somit die Offenbarungsgrundlage für das erst nachträglich in den Anspruch 1 aufgenommene Merkmal bilden. Die dort gezeigte Elektrode weise jedoch spezifische Merkmale auf, die von Anspruch 1 nicht umfasst seien. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag erfasse daher auch andere mögliche Elektrodengeometrien, die über die in Figur 7 gezeigte konkrete Ausführungsform hinausgingen, sodass Anspruch 1 mangels Aufnahme der weiteren in Figur 7 gezeigten spezifischen Merkmale Gegenstand einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung sei und somit nicht das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ erfülle.
VIII. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Beschwerdeführerin gebe in Absatz 21 der Beschwerdebegründung zu, dass das betreffende Merkmal des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag, wonach die Mantelflächen der sich an die beiden Elektrodenenden anschließenden Segmente sich nach außen hin öffnend konisch ausgeführt sind, in den Figuren 6 und 7 dargestellt sei. Die weiteren Einwände der Beschwerdeführerin beträfen allenfalls die Klarheit des Anspruchs 1, die von ihr in unzulässiger Weise zum Beleg einer unzulässigen Erweiterung herangezogen würden.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Entscheidung im schriftlichen Verfahren
Da die Beschwerdeführerin mündliche Verhandlung nur für dem Fall beantragt hat, dass ihrem Hauptantrag im schriftlichen Verfahren nicht stattgegeben wird, die Kammer der Beschwerde stattgibt und die Beschwerdegegnerin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgezogen hat, kann die vorliegende Entscheidung im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK 2020 ergehen. Darüber hinaus basiert diese Entscheidung nur auf Argumenten und Beweismitteln, die den Parteien mit der Beschwerdebegründung und der Beschwerdeerwiderung zugestellt worden sind und die in der Mitteilung der Kammer nach Artikel 15(1) VOBK 2020 berücksichtigt worden sind. Die Parteien hatten daher Gelegenheit, sich diesbezüglich zu äußern (Artikel 113 EPÜ).
3. Hauptantrag - Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)
3.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und erfüllt somit nicht das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ.
Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist es in der Regel nicht zulässig, bei der Änderung eines Anspruchs isolierte Merkmale aus einer Reihe von Merkmalen herauszugreifen, die ursprünglich nur in Kombination miteinander, zum Beispiel in einer bestimmten Ausführungsform, offenbart waren (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, II.E.1.9.). Für die Offenbarung von Merkmalen in einer Abbildung sind dieselben Maßstäbe anzulegen, wie für die Beschreibung. Entscheidend ist somit, was der Fachmann der Abbildung und unter Heranziehung seines allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig entnimmt (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, II.E.1.13.).
3.2 Anspruch 1 weist gegenüber dem ursprünglichen Anspruch 1 das zusätzliche Merkmal auf, wonach die Mantelflächen der sich an die beiden Elektrodenenden anschließenden Segmente sich nach außen hin öffnend konisch ausgeführt sind.
Die Einspruchsabteilung hatte das Merkmal unter Verweis auf das Bezugszeichen "b" in Figur 6 der ursprünglichen Anmeldung in Verbindung mit dem Merkmal einer rotationssymmetrischen Elektrode als ausreichend offenbart angesehen (siehe Seite 10, Punkt 4.3.2 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung).
3.3 Die Kammer vermag sich der Einspruchsabteilung in diesem Punkt nicht anzuschließen. Vielmehr stimmt sie mit der Beschwerdeführerin darin überein, dass zum einen allenfalls die nachfolgend widergegebene ursprüngliche Figur 7 als Grundlage für das betreffende Merkmal im Kontext des Anspruchs 1 infrage kommt, und dass zum anderen das betreffende Merkmal in Figur 7 ausschließlich in Verbindung mit weiteren damit untrennbar verbundenen strukturellen Merkmalen offenbart ist, wobei die weiteren spezifischen Merkmale der dort gezeigten Elektrode keinen Eingang in den Anspruch 1 gefunden haben. Der Anspruch 1 erstreckt sich damit auf technische Sachverhalte, die keine Offenbarungsgrundlage in den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen haben.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
3.4 Zwar scheint auch die Figur 6 Mantelflächen zu zeigen, die als sich an die beiden Elektrodenenden anschließende sich nach außen hin öffnend konische Segmente ausgeführt sind. Jedoch offenbart die Figur 6 keine im Querschnitt annähernd halbkreisförmige Nutfräsung (Bezugszeichen "d") und keinen im Querschnitt annähernd halbkreisförmigen konvexen Wulst (Bezugszeichen "e"), wie von Anspruch 1 gefordert (siehe auch die ursprüngliche Beschreibung auf Seite 3, dritter Absatz sowie den ursprünglichen Anspruch 11). Sowohl die Nutfräsung als auch ein halbkreisförmiger konvexer Wulst sind ausschließlich in der Ausführungsform nach Figur 7 vorhanden.
3.5 Die ursprüngliche Beschreibung nimmt an mehreren Stellen Bezug auf konisch ausgeführte Mantelflächen der Elektrode (siehe zum Beispiel Seite 3, Zeile 2 sowie Seite 5, erster und zweiter Absatz). Wie die Beschwerdeführerin jedoch zutreffend dargelegt hat, steht keine dieser allgemeinen Offenbarungsstellen in Zusammenhang mit der spezifischen Ausführungsform nach Figur 7, welche die konkret beanspruchte ausgeprägte "Ohren- oder Ankerform" sowie sich nach außen hin öffnend konische Segmente aufweist. Insbesondere kann der Fachmann diesen Offenbarungsstellen nicht unmittelbar und eindeutig eine sich nach außen hin öffnend konische Ausführung der sich an die beiden Elektrodenenden anschließenden Segmente entnehmen.
Auch den ursprünglichen Ansprüchen lässt sich das aus dem Gesamtzusammenhang der ursprünglichen Figur 7 herausgegriffene Merkmal nicht unmittelbar und eindeutig in isolierter Weise entnehmen. Lediglich der ursprüngliche Anspruch 9 nimmt Bezug auf eine konisch ausgeführte Mantelfläche der Elektrodenenden, nicht jedoch auf eine nach außen hin öffnend konische Ausführung von sich an die beiden Elektrodenenden anschließenden Segmenten.
3.6 Die Kammer stimmt daher mit der Beschwerdeführerin überein, dass der Anspruch 1 nur die Ausführungsform nach Figur 7 betreffen kann und das Merkmal der sich nach außen hin öffnend konisch ausgeführten Segmente, die sich an die Elektrodenenden anschließen, der in Figur 7 dargestellten Ausführungsform einer Elektrode entnommen ist.
3.7 Aus der Figur 7 ergibt sich jedoch unmittelbar und eindeutig, dass sich die nach außen hin öffnend konischen Segmente nicht unmittelbar an die Elektrodenenden anschließen, sondern zunächst zylindrische Mantelflächen vorgesehen sind, die erst anschließend in die sich nach außen hin öffnend konischen Segmente übergehen. Weiterhin geht nach der Ausführungsform gemäß Figur 7 eindeutig hervor, dass sich an die beiden Elektrodenenden anschließende nach außen hin öffnend konisch ausgeführte Segmente unmittelbar in die im Querschnitt annähernd halbkreisförmige Nutfräsung, also ohne Zwischenschaltung weiterer Segmente, übergehen. Nach dem Wortlaut des Anspruchs 1 kann hingegen jeweils ein oder auch mehrere weitere Segmente zu beiden Seiten des zentralen Segments "c" zwischengeschaltet sein. Ferner ist aus Figur 7 ersichtlich, dass die Elektrode nicht nur entlang ihrer Längsachse rotationssymmetrisch ausgebildet ist, sondern auch entlang ihrer Mittel- bzw. Querachse, sodass die sich zu den Elektrodenenden jeweils anschließenden Segmente identisch ausgebildet sind.
3.8 Insgesamt ist somit eindeutig ersichtlich, dass sich das in Anspruch 1 vorhandene Merkmal der nach außen hin öffnend konisch ausgeführten sich an die beiden Elektrodenenden anschließenden Segmente ausschließlich in Figur 7 und nur in einem engen strukturellen Zusammenhang mit weiteren Merkmalen der Elektroden-Mantelfläche offenbart ist. Das Fehlen dieser weiteren spezifischen Merkmale in Anspruch 1 bringt vorliegend neue technische Sachverhalte ein, die der Fachmann den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht unmittelbar und eindeutig entnehmen kann.
3.9 Die Kammer ist daher zu dem Schluss gelangt, dass der Fachmann der Figur 7 das Merkmal der sich nach außen hin öffnend konisch ausgeführten Segmente im Anschluss an die beiden Elektrodenenden nur in Zusammenhang mit den weiteren in der konkreten Ausführungsform nach Figur 7 dargestellten Ausgestaltung der Elektroden-Mantelfläche unmittelbar und eindeutig entnehmen kann, sodass das isolierte Herausgreifen dieses Merkmals keine Grundlage in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hat und folglich eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung darstellt.
Der Anspruch 1 gemäß Hauptantrag erfüllt somit nicht das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ.
4. Hilfsantrag - Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)
4.1 Gegenüber dem Hauptantrag weist der Anspruch 1 des Hilfsantrags im Wesentlichen die zusätzlichen Merkmale auf, dass die sich nach außen hin öffnend konisch ausgeführten Segmente sich an freiliegende Elektrodenenden anschließen, und sich die Segmente innerhalb des Isolierkörpers befindlich und von Giesharz umhüllt sind. Die Änderungen betreffen somit nicht die spezifische Kontur der Elektroden-Mantelfläche, wie sie in Figur 7 dargestellt ist, sondern vielmehr nehmen sie Bezug auf die Anordnung der Elektrode im Isolierkörper.
4.2 Die Änderungen sind somit nicht geeignet, die in Bezug auf den Hauptantrag bestehenden Einwände unter Artikel 123 (2) EPÜ auszuräumen. Somit gelten die zum Hauptantrag dargelegten Feststellungen der Kammer unter Punkt 3 entsprechend für den Hilfsantrag.
4.3 Der Anspruch 1 des Hilfsantrags erfüllt daher nicht das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ.
5. Ergebnis
Da sowohl der Hauptantrag als auch der Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin das Erfordernis von Artikel 123 (2) EPÜ nicht erfüllt, war dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin stattzugeben.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
6. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
7. Das Patent wird widerrufen.