European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T017417.20200818 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 18 August 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0174/17 | ||||||||
Anmeldenummer: | 12705129.0 | ||||||||
IPC-Klasse: | E05B11/00 B60R25/02 H01F7/18 H01H47/10 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | SPERRANORDNUNG FÜR MINDESTENS EIN SPERRSTÜCK UND ZUGEHÖRIGES ZÜNDSCHLOSS | ||||||||
Name des Anmelders: | Valeo Schalter und Sensoren GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.08 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - (nein) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 12 705 129.0 zurückgewiesen wurde.
II. Die Prüfungsabteilung hat in ihrer Entscheidung die Auffassung vertreten, dass Anspruch 1 des am 4. Mai 2015 eingereichten Antrags den Erfordernissen des Artikels 52(1) EPÜ aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) ausgehend von der Entgegenhaltung D1 (DE 43 32 478 C2) nicht genüge.
III. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der am 4. Mai 2015 eingereichten Ansprüche 1-7 (Hauptantrag) oder auf der Grundlage eines der mit Schreiben vom 10. Juli 2020 eingereichten Hilfsanträge 1-9 zu erteilen.
IV. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"Zündschloss für ein Fahrzeug mit einer Zündschlüsselsperre, welche ein Abziehen eines Zündschlüssels verhindert, wobei die Zündschlüsselsperre einen Sperrmechanismus und eine mit dem Sperrmechanismus gekoppelte Sperranordnung (1) aufweist, wobei die Sperranordnung eine Auswerte- und Steuereinheit (10), einen Antrieb (20) und mindestens ein Sperrstück (24) umfasst, wobei die Auswerte- und Steuereinheit (10) über den Antrieb (20) eine Positionsänderung des mindestens einen Sperrstücks (24) bewirkt, wobei die Positionsänderung des mindestens einen Sperrstücks (24) mindestens einen Sperrmechanismus aktiviert oder deaktiviert,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Auswerte- und Steuereinheit (10) eine Energiezufuhr des Antriebs (20) reduziert, wenn das mindestens eine Sperrstück (24) eine vorgegebene Endposition erreicht hat, in welcher der Sperrmechanismus aktiviert ist, dass die Auswerte- und Steuereinheit (10) die Energiezufuhr des Antriebs (20) über mindestens einen Vorwiderstand (R) oder mindestens ein Halbleiterbauelement variiert, wobei die Auswerte- und Steuereinheit (10) die Energiezufuhr des Antriebs (20) durch Zuschalten oder Überbrücken des Vorwiderstands (R) bzw. durch Ansteuern des Halbleiterbauelements variiert, dass die Auswerte- und Steuereinheit (10) die Position des Sperrstücks (24) fortlaufend überwacht und eine auftretende Positionsänderung des mindestens einen Sperrstücks (24) erfasst und/oder auswertet und dass die Auswerte- und Steuereinheit (10) die Positionsänderung des mindestens einen Sperrstücks (24) sensorlos über eine detektierte Spannungsänderung an dem mindestens einen Vorwiderstand (R) bzw. dem mindestens einen Halbleiterbauelement erkennt."
V. Soweit entscheidungsrelevant, lässt sich die Argumentation der Beschwerdeführerin wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit
Ausgehend von der Entgegenhaltung D1, die den kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 nicht offenbare, hätte der Fachmann die Entgegenhaltung D2 (DE 197 42 037 A1) nicht berücksichtigt, da diese ein anderes Fachgebiet als die D1 betreffe, nämlich Magnetventile statt Zündschlösser. Im Übrigen wäre der Fachmann selbst bei Berücksichtigung der D2 nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangt, da D2 die Auswerte- und Steuereinheit und das Halbleiterbauelement nicht als zwei getrennte Bauteile offenbare.
Zulassung der Hilfsanträge 1-9
Die Hilfsanträge 1-9 sollten in das Verfahren zugelassen werden, da die Anträge rechtzeitig, und die Beschwerdebegründung noch vor Inkrafttreten der neuen Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) eingereicht worden seien. Im Übrigen sei die Zulassung durch besondere Umstände gerechtfertigt, da die Haltung der Kammer zur Kombinierbarkeit der Dokumente D1 und D2 nicht erwartbar gewesen wäre.
Entscheidungsgründe
1. Folgende Entgegenhaltungen werden in der vorliegenden Entscheidung verwendet:
D1 DE 43 32 478 C2
D2 DE 197 42 037 A1
2. Erfinderische Tätigkeit
2.1 Die Entgegenhaltung D1 stellt unstreitig den nächstliegenden Stand der Technik dar. Sie offenbart, ebenfalls unstreitig, in den Fig. 1, 4, 5 und der Zusammenfassung den Oberbegriff des Anspruchs 1, nämlich ein
Zündschloss (2) für ein Fahrzeug mit einer Zündschlüsselsperre (1), welche ein Abziehen eines Zündschlüssels (20) verhindert, wobei die Zündschlüsselsperre (1) einen Sperrmechanismus und eine mit dem Sperrmechanismus gekoppelte Sperranordnung (3) aufweist, wobei die Sperranordnung (3) eine Auswerte- und Steuereinheit (Fig. 4, 5), einen Antrieb (7) und mindestens ein Sperrstück (5) umfasst, wobei die Auswerte- und Steuereinheit über den Antrieb (7) eine Positionsänderung des mindestens einen Sperrstücks (5) bewirkt, wobei die Positionsänderung des mindestens einen Sperrstücks (5) mindestens einen Sperrmechanismus aktiviert oder deaktiviert.
2.2 Die D1 offenbart nicht den kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1.
2.3 Der von den Unterscheidungsmerkmalen bewirkte technische Effekt liegt darin, dass ein Energieverbrauch der Zündschlüsselsperre verringert wird, ohne die Zuverlässigkeit der Sperrfunktion zu beeinträchtigen.
Wie von der Beschwerdeführerin zutreffend festgestellt, liegt die objektive technische Aufgabe folglich in der Verringerung des Energieverbrauchs der aus der D1 bekannten magnetischen Zündschlüsselsperre unter Beibehaltung einer zuverlässigen Sperrfunktion.
2.4 Die Entgegenhaltung D2 bezieht sich auf ein Verfahren zur Abfallerkennung einer magnetbetriebenen Vorrichtung (D2, Titel, Spalte 1, Zeilen 3-4). Zwar beschreibt die D2 im Besonderen die Anwendung des Verfahrens bei einem Magnetventil. Die Lehre der D2 ist jedoch nicht hierauf beschränkt, sondern betrifft magnetisch betriebene Vorrichtungen im Allgemeinen (D2, Titel, Spalte 1, Zeilen 3-4) und ist, außer bei Magnetventilen, auch bei anderen magnetisch betriebenen Vorrichtungen, wie z.B. bei elektrischen Betätigungsmagneten, anwendbar (D2, Spalte 4, Zeilen 12-15). Der Fachmann hätte daher die D2 bei der Suche nach einer Lösung zu obiger Aufgabe nicht nur aufgefunden, sondern auch berücksichtigt.
Die Beschwerdeführerin trug ferner vor, dass der Fachmann die D2 auch deswegen nicht in Betracht gezogen hätte, weil diese eine aufwendige Steuerung beschreibe, die sich mit magnetventiltypischen Problemstellungen wie einer Exaktheit einer Endposition und einer Kompensation einer Fluidbeaufschlagung befasse. Der Fachmann berücksichtigt jedoch ausgehend von D1 auch aufwendige Lösungen, solange keine konkreten Gründe vorliegen, die den Fachmann an einer Übertragung derselben auf die D1 hindern. Dies gilt auch für die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte unterschiedliche Beanspruchung der Bauteile durch Vibrationen und Fluiddruck bei Kfz-Ventilen einerseits und Vibrationen und Federspannung bei Kfz-Zündschlössern andererseits. Es ist nicht erkennbar und wurde auch nicht erläutert, wieso die eine Art der Beanspruchung eine grundlegend andere Herangehensweise erfordern würde als die andere.
Ein fehlender Hinweis in der D2 auf die Anwendbarkeit der Lehre auf Zündschlösser ist unbeachtlich, da dies keine zwingende Voraussetzung für die Kombinierbarkeit von Lehren ist.
2.5 Die D2 lehrt, gemäß der Terminologie des Anspruchs 1, dass
die Auswerte- und Steuereinheit (Microcontroller) eine Energiezufuhr des Antriebs reduziert (Zusammenfassung: "ein verminderter Strom"), wenn das mindestens eine Sperrstück (der Anker) eine vorgegebene Endposition erreicht hat, in welcher der Sperrmechanismus aktiviert ist (der Anker angezogen ist), (Spalte 2, Zeilen 36-59; Fig. 3)
die Auswerte- und Steuereinheit die Energiezufuhr des Antriebs über mindestens ein Halbleiterbauelement (Verstärker V) variiert,
wobei die Auswerte- und Steuereinheit die Energiezufuhr des Antriebs durch Ansteuern des Halbleiterbauelements variiert (Spalte 2, Zeilen 26-28),
die Auswerte- und Steuereinheit die Position des Sperrstücks (des Ankers) fortlaufend überwacht und eine auftretende Positionsänderung des Sperrstücks (des Ankers) erfasst und/oder auswertet (Spalte 2, Zeilen 28-31; Spalte 3, Zeilen 4-11) und
die Auswerte- und Steuereinheit die Positionsänderung des Sperrstücks (des Ankers) sensorlos (Spalte 1, Zeilen 56-57: "ohne Verwendung von besonderen Sensoren") über eine detektierte Spannungsänderung an dem mindestens einen Halbleiterbauelement erkennt (Spalte 2, Zeilen 28-31; Spalte 4, Zeilen 7-11).
Die Beschwerdeführerin argumentierte diesbezüglich, dass es der Anspruchswortlaut erfordere, dass die Auswerte- und Steuereinheit einerseits und das Halbleiterbauelement andererseits zwei getrennte Bauteile sein müssten, da anspruchsgemäß das Halbleiterbauelement durch die Auswerte- und Steuereinheit angesteuert werde. In der D2 hingegen handle es sich um ein einziges Bauteil, da hier die Auswerte- und Steuereinheit (der Microcontroller) selbst die Energiezufuhr des Antriebs variiere.
Dieses Argument überzeugt nicht, da die D2 ausdrücklich lehrt, dass das Magnetventil vom Microcontroller über einen Verstärker V angesteuert wird (Spalte 2, Zeilen 26-28). In Fig. 2 der D2 ist der Verstärker V als separates Bauteil, zwischengeschaltet zwischen Microcontroller, Energieversorgung und Magnetventil, dargestellt.
Bei besagtem Verstärker handelt es sich nach fachmännischem Verständnis um eine elektronische Baugruppe mit mindestens einem aktiven Bauelement welche ein eingehendes Signal so verarbeitet, dass die Ausgangsgröße größer wird als die Eingangsgröße. Als aktives Bauelement dient im Allgemeinen ein Transistor, also ein Halbleiterbauelement. Die D2 lehrt also ausdrücklich, dass die Auswerte- und Steuereinheit (der Controller) einerseits und das Halbleiterbauelement (der Verstärker) andererseits zwei getrennte Bauteile sind, und das Halbleiterbauelement durch die Auswerte- und Steuereinheit angesteuert wird.
Die Beschwerdeführerin argumentierte weiter, dass der in der D2 beschriebene Verstärker keine eigene Logik beinhalte, sondern lediglich eine simple Verstärkung eines eingehenden Signals bewirke. Daher zeige D2 nicht das Anspruchsmerkmal, dass die Auswerte- und Steuereinheit die Energiezufuhr des Antriebs über mindestens ein Halbleiterbauelement und durch Ansteuern des Halbleiterbauelements variiert.
Der Begriff "Halbleiterbauelement", wie in der Patentanmeldung verwendet, erfordert jedoch weder nach fachmännischem Verständnis noch im Lichte der Beschreibung eine solche inhärente Logik. So kann als besagtes Halbleiterbauelement ausweislich der Beschreibung, Seite 10, Zeilen 23-31, ein einfacher Feldeffekttransistor verwendet werden. Folglich kann der Verstärker der D2 sehr wohl als Halbleiterbauelement im Sinne des Anspruchs gesehen werden.
2.6 Die anspruchsgemäße Lösung obiger Aufgabe bezüglich der Variante mit Halbleiterbauelement wird folglich durch die Lehre der D2 nahegelegt.
3. Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 9
3.1 Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass die Anträge rechtzeitig und die Beschwerdebegründung noch vor Inkrafttreten der neuen Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) eingereicht worden seien. Ferner sei die Zulassung der Anträge durch besondere Umstände gerechtfertigt, da die Haltung der Kammer zur Kombinierbarkeit der Dokumente D1 und D2 nicht vorherzusehen gewesen sei. Deswegen seien die Hilfsanträge 1 bis 9 in das Verfahren zuzulassen.
3.2 Die Hilfsanträge 1 bis 9 sind am 10. Juli 2020 und damit nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung und der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 am 27. April 2020 eingereicht worden. Sie stellen somit Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten dar, und ihre Zulassung in das Verfahren unterliegt deswegen den Vorschriften des Artikels 13 VOBK.
3.3 Gemäß Artikel 25 (1) VOBK 2020 ist "die revidierte Fassung vorbehaltlich der nachstehenden Absätze auf alle Beschwerden anzuwenden, die am Tag des Inkrafttretens anhängig sind oder nach diesem Tag eingelegt werden". Die revidierte Fassung ist deswegen auf das vorliegende Verfahren anzuwenden. Artikel 25 (3) VOBK 2020 sieht ferner vor, dass Artikel 13 (2) der revidierten Fassung nicht anzuwenden ist, "wenn vor Inkrafttreten der revidierten Fassung die Ladung zur mündlichen Verhandlung oder eine Mitteilung der Kammer nach Regel 100 Absatz 2 EPÜ zugestellt wurde." Dies ist im vorliegenden Verfahren nicht der Fall.
Die Zulassung der Hilfsanträge unterliegt deswegen dem Artikel 13 (2) VOBK 2020, wonach Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt bleiben, es sei denn, außergewöhnliche Umstände liegen vor.
3.4 Die Kombinierbarkeit der Dokumente D1 und D2 wurde bereits in der angefochtenen Entscheidung thematisiert und wurde von der Prüfungsabteilung bejaht. Die Beschwerdeführerin konnte hiervon also nicht überrascht sein, sondern hätte bereits im Vorfeld darauf vorbereitet sein müssen, dass sich die Kammer möglicherweise der Sicht der Prüfungsabteilung anschließt. Folglich liegen im vorliegenden Fall keine besondere Umstände vor, die eine Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 9 begründen können.
3.5 Deswegen werden die Hilfsanträge 1 bis 9 nicht in das Verfahren zugelassen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwere wird zurückgewiesen.