T 0112/17 () of 6.5.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T011217.20210506
Datum der Entscheidung: 06 Mai 2021
Aktenzeichen: T 0112/17
Anmeldenummer: 08858288.7
IPC-Klasse: C23C 16/38
B03C 3/12
B03C 3/51
B03C 3/74
F01N 3/01
F01N 3/022
F01N 9/00
F01N 3/027
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: BESCHICHTETES WERKZEUG
Name des Anmelders: Ceratizit Austria GmbH
Name des Einsprechenden: Sandvik Intellectual Property AB
IHI Ionbond AG
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein)
Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - rückschauende Betrachtungsweise
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1652/06
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent EP 2 209 929 B1 (im Folgenden: das Patent) betrifft ein Werkzeug für die spanabhebende Bearbeitung.

Gegen das erteilte Patent wurden zwei Einsprüche eingelegt, die auf die Gründe der Artikel 100 a), b) und c) EPÜ gestützt waren.

II. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass das Patent in geändertem Umfang gemäß dem während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 6. Oktober 2016 eingereichten Hilfsantrag 2 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.

III. Gegen diese Entscheidung legten sowohl die Patentinhaberin als auch die beiden Einsprechenden jeweils Beschwerde ein. Nachdem alle Verfahrensbeteiligten somit jeweils Beschwerdeführerinnen und Beschwerdegegnerinnen sind, werden sie einfachheitshalber weiter als Patentinhaberin, Einsprechende 1 und Einsprechende 2 adressiert.

IV. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern 2020 (VOBK 2020) teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Einschätzung des der Beschwerde zugrundeliegenden Sachverhalts mit.

V. Eine mündliche Verhandlung fand am 6. Mai 2021 ohne Einwände der Beteiligten in Form einer Videokonferenz statt.

VI. Anträge

Am Schluss der mündlichen Verhandlung bestand folgende Antragslage:

Die Patentinhaberin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Grundlage eines der mit Schriftsatz vom 24. Juli 2017 eingereichten Hilfsanträge I bis V.

Die beiden Einsprechenden beantragten, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

VII. Wortlaut der Ansprüche gemäß Hauptantrag

Anspruch 1 lautet:

"Werkzeug für die spanabhebende Bearbeitung bestehend aus einem Substratmaterial und aus einer ein- oder mehrlagigen Hartstoffschicht,

wobei die Hartstoffschicht mindestens eine durch ein thermisches CVD-Verfahren abgeschiedene,

mindestens 0,1 µm dicke Titandiboridschicht umfasst,

dadurch gekennzeichnet, dass

die Titandiboridschicht ein feinkörniges Gefüge mit einer mittleren Korngröße von maximal 50 nm aufweist und keine borhaltige Diffusionszone im Substratmaterial vorliegt."

Anspruch 9 gemäß Hauptantrag betrifft eine

"Verwendung eines Werkzeuges für die spanabhebende Bearbeitung nach einem der Ansprüche 1 bis 8 zur zerspanenden Bearbeitung von nicht eisenhaltigen Werkstoffen wie Titan, Aluminium und deren Legierungen."

Anspruch 10 inklusive einer von der Einsprechenden 1 vorgeschlagenen Merkmalsgliederung lautet:

"Verfahren zur Herstellung eines Werkzeuges für die spanabhebende Bearbeitung nach einem der Ansprüche 1 bis 8, wobei die Beschichtung durch ein thermisches CVD-Verfahren bei einer Temperatur im Bereich von 700°C bis 950°C hergestellt wird,

dadurch gekennzeichnet, dass

zur Herstellung der Titandiboridschicht ein Gasgemisch verwendet wird, das aus 2,5 bis 50 Vol.% Wasserstoff,

0,1 bis 10 Vol.% TiCl4 und 0,2 bis 20 Vol.% BCl3, Rest Intergas, vorzugsweise Argon, besteht."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 und 11 bis 12 betreffen bevorzugte Ausführungsformen des in Anspruch 1 definierten Werkzeugs bzw. des in Anspruch 10 definierten Verfahrens.

VIII. Stand der Technik

Die folgenden Dokumente des Einspruchsverfahrens werden in dieser Entscheidung erwähnt:

E1: A.J. Caputo et al.: "Chemical Vapor Deposition of

Erosion-Resistant TiB2 Coatings", J. electrochem.

Soc., Bd. 132, Nr. 9, 1985, Seiten 2274 bis 2280;

E2: H. Holzschuh: "Deposition of Ti-B-N (single and

multilayer) and Zr-B-N coatings by chemical vapor

deposition techniques on cutting tools", Thin

Solid Films, Bd. 469-470, 2004, Seiten 92 bis 98;

E7: US 4 237 184 A;

E15: A.J. Caputo et al.: "Chemical vapor deposition of

erosion-resistant TiB2 coatings" in

Proceedings of 9th International Conference on

Chemical Vapor Deposition, Cincinnati 1984,

Electrochemical Society, Pennington, New Jersey,

Seiten 782 bis 799;

E18: DE 103 22 292 A1;

E21: H.O. Pierson et al.: "The coating of metals with

titanium diboride by chemical vapor deposition",

6th International Conference on Chemical Vapor

Deposition 1977, Electrochemical Soc. Princeton,

New Jersey, Seiten 304 bis 317;

E22: F. Zeman et al.: "Abscheidung von TiB2-Schichten

über die Gasphase", Proceedings of the 10th

Plansee-Seminar", 1981, Bd. 1, Seiten 443 bis

457;

E23: DE 25 25 185 A1;

E36: J.G.M. Becht et al.: "Chemical Vapour Deposition

of TiB2 for TiN-TiB2 Laminar Composites"; Surface

Modification Technologies IV, 1991, Seiten 865

bis 874.

IX. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Patentinhaberin in Bezug auf den Hauptantrag lässt sich wie folgt zusammenfassen:

a) Artikel 100 c) EPÜ

Die ursprünglich eingereichte Anmeldung beschreibe allgemein auf Seite 7, wie eine borhaltige Diffusionszone im Substratmaterial bei direkter Abscheidung des Titandiborids auf ein Substrat vermieden werden könne. Bei dem gemäß der Anmeldung weiterhin möglichen Einsatz einer unstreitig fachüblichen Zwischenschicht werde eine borhaltige Diffusionszone im Substratmaterial ohnehin inhärent vermieden. Die Vermeidung einer borhaltigen Diffusionszone im Substratmaterial trage dazu bei, die in Bezug auf den in der ursprünglich eingereichten Anmeldung zitierten Stand der Technik dargelegten Nachteile, nämlich eine Versprödung des Bereichs und damit eine verschlechterte Haft- und Verschleissfestigkeit, auszuräumen. Die allgemeine Lehre auf Seite 7 werde zudem durch die konkreten Beispiele der Anmeldung bestätigt. Die Änderung des Anspruchs 1 gehe daher nicht über die Lehre der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus.

Anspruch 10 entspreche unverändert Anspruch 11 der Anmeldung. Die Änderung in Anspruch 1, auf die sich Anspruch 10 rückbeziehe, ändere nicht die technische Lehre in Bezug auf das ursprünglich offenbarte Verfahren. Eine Einschränkung auf ein Verfahren zur direkten Abscheidung des Titandiborids auf dem Substrat gemäß der Lehre auf Seite 7 der Anmeldung sei nicht erforderlich, da die Ausbildung einer borhaltigen Diffusionszone im Substratmaterial gemäß der Lehre der Anmeldung nicht nur durch das auf Seite 7 der Anmeldung beschrieben Verfahren vermieden werden könne, sondern auch durch die Ausbildung einer Zwischenschicht, vgl. diesbezüglich die Werkzeuge gemäß Anspruch 6, die ebenfalls gemäß dem in Anspruch 10 definierten Verfahren hergestellt würden, und für die eine verzögerte Einleitung des BCl3 Anteils in den Reaktionsraum nicht erforderlich sei.

b) Artikel 100 b) EPÜ

Der Fachmann sei aufgrund seines allgemeinen Fachwissen und der technischen Lehre im Patent in der Lage, ein Werkzeug nach Anspruch 1 herzustellen:

i) Die Bestimmung der mittleren Korngröße einer

Titandiboridschicht könne mittels

Standardverfahren erfolgen.

ii) Die Wahl einer geeigneten Schichtdicke für die

Titandiboridschicht erfolge im Rahmen

routinemäßigen Handelns.

iii) Die Vermeidung einer Diffusion von Bor könne

mittels Standardverfahren wie Mikroskopie

verifiziert werden.

iv) Die Vermeidung einer borhaltigen Diffusionszone

könne entweder fachüblich durch den Einsatz einer

Zwischenschicht oder aber mittels des in Absatz

[0027] beschriebenen Verfahrens realisiert

werden.

c) Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ

E1 zeige in Figur 9, dass die Korngrößenverteilung innerhalb einer gemäß E1 abgeschiedenen Titandiboridschicht variiere. Auch könne aus der Offenbarung der E1 nicht abgeleitet werden, dass keine borhaltige Diffusionszone im Substratmaterial vorliege. E15 habe einen zu E1 identischen Offenbarungsgehalt. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich daher von der Offenbarung in E1 und E15 durch die beiden kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1.

d) Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ

Ein Schneidwerkzeug, insbesondere ein Schneidrädchen für Glas, sei kein Werkzeug für die spanabhebende Bearbeitung. E18 stelle daher keinen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dar. Selbst wenn ein Fachmann von den Schneidwerkzeugen der E18 ausgehe, enthalte E18 keinen Hinweis darauf, dass sich diese Schneidwerkzeuge auch für die spanabhebende Bearbeitung eignen könnten. Weiterhin offenbare E18 kein thermisches CVD-Verfahren für die Abscheidung der Titandiboridschicht, sondern ausschließlich Plasma-gestützte CVD-Verfahren, die zu unterschiedlichen Schichteigenschaften - z.B. zur Anwesenheit amorpher Phasen - führen würden. Für einen Wechsel des Abscheidungsverfahrens unter Beibehaltung der Schichteigenschaften wie der mittleren Korngröße liefere E18 keinen Anreiz. Zudem gebe es keinerlei Veranlassung, die Lehre der E18 mit der Offenbarung der E21 zu kombinieren. E21 stelle ebenfalls nicht auf Werkzeuge für die spanabhebende Bearbeitung ab und liefere daher auch keinerlei Anregung dazu, E18 zu modifizieren, um Werkzeuge für diese Bearbeitungsform zu erhalten.

E1 beschreibe zwar allgemein, dass mit Titandiborid (TiB2) beschichtete Werkzeuge für die spanabhebende Bearbeitung geeignet sein könnten. Allerdings offenbare E1 in Bezug zu Tabelle III, dass die in E1 beschriebenen beschichteten Werkzeuge gerade keine gute Eignung für einen Einsatz einer spanabhebenden Bearbeitung besitzen. Die mittlere Korngröße der Titandiboridschicht der E1 liege zudem weit über 50 nm. E1 liefere auch keinerlei Anreiz, den in E1 beschriebenen Beschichtungsprozess früher zu beenden, um gegebenenfalls eine Titandiboridschicht mit einer mittleren Korngröße von maximal 50 nm zu erhalten. Insbesondere sei aus E1 nicht ableitbar, dass mit einer Titandiboridschicht mit kleinerer mittlerer Korngröße eine in den Beispielen des Patents gezeigte verbesserte Standzeit für die Werkzeuge erzielt werden könne.

X. Das entsprechende Vorbringen der Einsprechenden in Bezug auf den Hauptantrag lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

a) Artikel 100 c) EPÜ

Die ursprünglich eingereichte Anmeldung offenbare das Merkmal wonach "keine borhaltige Diffusionszone im Substratmaterial vorliegt" nur in Zusammenhang mit dem zitierten Stand der Technik, oder in Kombination mit bestimmten Verfahrensschritten ohne Angabe eines nachvollziehbaren Reaktionsmechanismus, oder im Kontext mit konkreten Beispielen. Die Aufnahme dieses Merkmals in den Wortlaut des Anspruchs 1 stelle daher eine nicht gewährbare Zwischenverallgemeinerung der Lehre der ursprünglichen Anmeldung dar. Durch die Änderung in Anspruch 1 werde auch die technische Lehre des auf Anspruch 1 rückbezogenen Verfahrensanspruchs 10 unzulässig geändert, da Anspruch 10 die speziellen für die Vermeidung einer Diffusion von Bor erforderlichen Verfahrensschritte nicht enthalte.

b) Artikel 100 b) EPÜ

Die beanspruchte Erfindung sei für den Fachmann nicht ausführbar, weil

(i) das Patent keine Methode zur Bestimmung der

mittleren Korngröße der Titandiboridschicht

offenbare,

(ii) Anspruch 1 gemäß Hauptantrag keine Obergrenze der

Schichtdicke definiere;

(iii) das Patent nicht beschreibe, wie man die

Abwesenheit einer borhaltigen Diffusionszone

bestimmen könne und

(iv) wie man die Diffusion von Bor beim Einsatz eines

beliebigen Substrats vermeiden könne.

c) Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei in Hinblick auf E1 und E15, das einen zu E1 identischen Offenbarungsgehalt habe, nicht neu. Insbesondere die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs seien implizit durch die Offenbarung in der Legende zu Figur 9 und zur chemischen Homogenität der Titandiboridschicht in E1 offenbart.

d) Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ

Ein Schneidwerkzeug, wie das in E18 offenbarte Schneidrädchen für Glas, stelle ein Werkzeug für die spanabhebende Bearbeitung dar. Zudem offenbare E18 eine Titandiboridschicht, die ein nanoskaliges Gefüge mit einer mittleren Korngröße im Bereich von 2nm aufweist. Durch die Ausbildung von TiN Zwischenschichten weise das Substrat auch keine borhaltige Diffusionszone auf. E18 stelle daher einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dar. Der Einsatz eines thermischen CVD-Verfahrens anstelle eines Plasma-gestützten CVD-Verfahrens aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten sei ausgehend von E18 naheliegend, insbesondere unter Berücksichtigung von E21 oder des allgemeinen Fachwissens, das beispielsweise durch die Lehre der Dokumente E2, E7, E22 oder E36 bestätigt werde. Gerade E21 belege, dass eine nanoskalige Titandiboridschicht auch mit einem thermischen CVD-Verfahren erzielt werden könne.

E1 - wie auch E15 - beschreibe, dass mit Titandiborid beschichtete Werkzeuge für die spanabhebende Bearbeitung geeignet sein könnten. Die mittlere Korngröße der Titandiboridschicht der E1 liege im substratnahen Bereich bereits unter 50 nm. Um glattere Oberflächen zu erzielen, liege es für den Fachmann auf der Hand, das Abscheidungsverfahren der E1 früher zu beenden und so eine Titandiboridschicht mit geringerer Schichtdicke und damit kleinerer mittlerer Korngröße zu erhalten. Die derart feinkörnige Ausbildung der Titandiboridschicht sei für den Fachmann zudem angesichts der Lehre von E21 naheliegend.

Es könne dahingestellt bleiben, ob der Gegenstand des Anspruchs 10 neu gegenüber E36 sei, da der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents auf jeden Fall gegenüber diesem Dokument in Kombination mit E1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Zudem sei der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von E21 unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens naheliegend.

Entscheidungsgründe

1. Artikel 100 c) EPÜ - Hauptantrag

1.1 Im Rahmen des Prüfungsverfahren wurde in Anspruch 1 unter anderem das Merkmal hinzugefügt, wonach "keine borhaltige Diffusionszone im Substratmaterial vorliegt".

1.2 Diese Änderung entspricht der technischen Lehre in der ursprünglich eingereichten Anmeldung (Bezug genommen wird auf die internationale Veröffentlichung WO 2009/070820 A1, im Folgenden: die Anmeldung).

1.2.1 Die Anmeldung offenbart bereits im Rahmen der Diskussion des Standes der Technik auf Seite 2, Zeilen 6 bis 13 und Seite 3, Zeilen 6 bis 10, dass eine borhaltige Diffusionszone zu einer Versprödung des Bereichs und damit zu einer verschlechterten Haftfestigkeit und Verschleißfestigkeit führt.

Gemäß gängiger Rechtsprechung, wie beispielsweise der von den Einsprechenden zitierten Entscheidung T 1652/06, sind Merkmale, die lediglich in Bezug auf den Stand der Technik in einer Anmeldung genannt werden, nicht Gegenstand der Erfindung und können daher nicht als Basis für Änderungen dienen.

Allerdings kann daraus nicht abgeleitet werden, dass die Ausführungen zu den Nachteilen des Standes der Technik in einer Anmeldung zu ignorieren sind und daher nicht zu dessen technischer Gesamtlehre beitragen.

Im Gegensatz zu T 1652/06 ist im vorliegenden Fall die technische Lehre des streitigen Merkmals gerade nicht auf die Ausführungen zum Stand der Technik beschränkt. Die Schlussfolgerungen in T 1652/06 sind daher für den vorliegenden Fall nicht relevant.

1.2.2 Stimmig mit den identifizierten Nachteilen in Hinblick auf bekannte Werkzeuge des Standes der Technik offenbart die Anmeldung auf Seite 7, Zeilen 3 bis 8, in Bezug auf Ausführungsformen der Erfindung, bei denen die Titandiboridschicht unmittelbar auf das Substrat aufgetragen wird, dass gemäß einer vorteilhaften Variante des Beschichtungsverfahrens auch die geringste Diffusion von Bor vermieden werden kann. Wenn keine Diffusion von Bor stattfindet, entsteht auch keine borhaltige Diffusionszone im Substratmaterial.

1.2.3 Diese Offenbarung auf Seite 7 der Anmeldung wird durch die Beispiele 1 und 7 gestützt. Diese beschreiben ein Werkzeug mit einer Titandiboridschicht, bei dem die Randzone des Hartmetallsubstrats zur Titandiborid-schicht hin völlig frei von einer eta-Phase und einer borhaltigen Diffusionszone ist. Da eine eta-Phase und eine borhaltige Diffusionszone zwei Strukturen sind, die jeweils unabhängig voneinander auftreten können und in keinerlei kausalem Zusammenhang zueinander stehen, vermitteln die Beispiele diesbezüglich auch eine jeweils voneinander unabhängige technische Lehre.

Aus dem Umstand, dass die Beispiele lediglich anhand von lichtmikroskopischen Untersuchungen belegen, dass die Ausbildung einer borhaltigen Diffusionszone vermieden wird, kann nicht geschlossen werden, dass die diesbezüglichen Ausführungen nicht Teil der Lehre der ursprünglichen Anmeldung sind. Vielmehr bestätigen die Angaben in den Beispielen, dass eine borhaltige Diffusionszone dem üblichen Wortsinn entsprechend nicht schon dann vorliegt, wenn einzelne Boratome im Substrat nachgewiesen werden können, sondern dass es sich um einen entsprechend großen, als "Zone" bezeichneten Bereich des Substrats handeln muss, der mit üblichen Untersuchungsmethoden wie mit einem Lichtmikroskop detektiert werden kann.

1.2.4 Das Thema der Vermeidung eine borhaltigen Diffusionszone im Substrat zieht sich daher wie ein roter Faden durch die Anmeldung, auch wenn weitere Problemstellungen in der Anmeldung genannt werden.

1.2.5 Die technische Lehre auf Seite 7 der Anmeldung zur Vermeidung einer borhaltigen Diffusionszone in Bezug auf Ausführungsformen, bei denen die Titandiboridschicht unmittelbar auf dem Substrat abgeschieden wird, wird auch nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass die Anmeldung keinen Reaktionsmechanismus für den vorteilhaften Abscheidungsprozess angibt. Die Grundlage für Änderungen bildet die unmittelbare technische Lehre der Anmeldung unabhängig davon, ob der dieser Lehre zugrundeliegende Reaktionsablauf komplett analysiert und beschrieben wird bzw. ob diese Lehre für einen Fachmann für alle möglichen und vorstellbaren Ausführungsformen auf Anhieb nachvollziehbar ist.

1.2.6 Es ist ferner unstreitig, dass beim Einsatz von Zwischenschichten zwischen Substrat und Titandiboridschicht gemäß den Anforderungen des Anspruchs 6 oder den Ausführungen in Absatz [0017] des Patents, die der Lehre der Anmeldung auf Seite 5, Zeilen 25 bis 30 und Anspruch 7 entsprechen, inhärent keine borhaltige Diffusionszone im Substratmaterial ausgebildet wird. Dies ist ebenfalls unstreitig seit Jahrzehnten bekannt und derartige Zwischenschichten werden genau zu diesem Zweck eingesetzt.

Das eingefügte Merkmal, wonach "keine borhaltige Diffusionszone im Substratmaterial vorliegt", entspricht daher auch der impliziten Lehre der Anmeldung in Hinblick auf die Ausführungsformen, bei denen Zwischenschichten zwischen Substrat und Titandiboridschicht vorliegen.

1.3 Die ursprünglich eingereichte Anmeldung vermittelt dem Fachmann somit unmittelbar und eindeutig, dass eine borhaltige Diffusionsschicht im Substrat Nachteile aufweist und dementsprechend die Werkzeuge der Anmeldung in einer vorteilhaften Ausgestaltung keine derartige Diffusionsschicht aufweisen.

Die Änderung in Anspruch 1 geht daher nicht über die technische Lehre der Anmeldung hinaus.

1.4 Anspruch 10 ist auf ein Verfahren zur Herstellung eines Werkzeugs gemäß Anspruch 1 gerichtet und entspricht dem Wortlaut nach dem Anspruch 11 wie ursprünglich eingereicht. Die Vermeidung einer borhaltigen Diffusionsschicht kann gemäß der Lehre auf Seite 7 der Anmeldung durch bestimmte Verfahrensschritte beim direkten Abscheiden der Titandiboridschicht auf das Substrat erfolgen. Diese Verfahrensschritte werden auch im abhängigen Anspruch 12 des Patents (= Anspruch 13 der Anmeldung) definiert. Die Lehre der Anmeldung ist allerdings nicht auf diese Verfahren zur Vermeidung einer borhaltigen Diffusionszone beschränkt. Vielmehr ist es wie oben dargelegt zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig, dass die Ausbildung einer borhaltigen Diffusionszone gemäß der Lehre der Anmeldung auch implizit durch den Einsatz von Zwischenschichten verhindert werden kann. Derartige Ausführungsformen werden durch den Rückbezug des Anspruchs 10 auf die Ansprüche 5 und 6 des Patents entsprechend der Lehre in den Ansprüchen 6 und 7 der ursprünglichen Anmeldung - auch nach Änderung des Anspruchs 1 - weiter umfasst.

Die Änderung in Anspruch 1 führt daher nicht dazu, dass der Gegenstand des im Wortlaut unveränderten Anspruchs 10 aufgrund seines Rückbezugs auf Anspruch 1 indirekt so geändert wird, dass dieser über die technische Lehre der Anmeldung hinausginge.

1.5 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ einer Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegensteht.

2. Artikel 100 b) EPÜ - Hauptantrag

2.1 Gemäß Artikel 83 EPÜ und ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern muss die Patentschrift als Ganzes und nicht der Anspruch 1 als solches eine nacharbeitbare Lehre für den Fachmann vermitteln (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, Kapitel II.C.3.1).

Ein Einwand bezüglich mangelnder Offenbarung kann ferner nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn ernsthafte, durch nachprüfbare Fakten erhärtbare Zweifel an der Ausführbarkeit glaubhaft gemacht werden können (a.a.O. Kapitel II.C.9.). Die bloße Tatsache, dass ein Anspruch weit gefasst ist und wie im vorliegenden Fall das zu verwendende Substrat nicht näher definiert, stellt noch keinen Grund zu der Annahme dar, dass das Patent das Erfordernis einer ausreichenden Offenbarung nicht erfüllt.

2.2 Die Einsprechenden haben abgesehen von bloßen Behauptungen nicht im Detail dargelegt, warum ein Fachmann vor unüberwindbaren Problemen stehen sollte, die mit Titandiborid beschichteten Werkzeuge gemäß Anspruch 1 bereitzustellen.

2.2.1 Die Bestimmung einer mittleren Korngröße kann anhand routinemäßiger Analysemethoden erfolgen, die einem Fachmann zur Verfügung stehen. Das Patent selbst beschreibt dazu beispielsweise den Einsatz von Schliffaufnahmen mit einem Lichtmikroskop oder den Einsatz von Transmissionselektronenmikroskopie (TEM), siehe Beispiel 1, Figuren 1 und 4 und Paragraph [0029]. Die Ausführbarkeit der Erfindung wird durch eine etwaige messbedingte Unschärfe bei der Bestimmung der mittleren Korngröße nicht in Frage gestellt.

2.2.2 Einem Fachmann ist zudem bewusst, dass eine verschleißhemmende Schicht üblicherweise nicht beliebig dick ausgestaltet wird. Selbst wenn der Fachmann nicht unmittelbar erkennen sollte, dass eine beliebige Steigerung der Schichtdicke für eine verschleißhemmende Schicht nicht technisch sinnvoll ist, so ist trotzdem nicht erkennbar, warum das Fehlen einer Obergrenze den Fachmann vor unüberwindbare Schwierigkeiten bei der Nacharbeitung stellen sollte. Die Wahl einer geeigneten Dicke erfolgt vielmehr im Rahmen von Routineversuchen.

2.2.3 Neben Messmethoden zur Bestimmung der Korngröße gehören auch Messmethoden zur Bestimmung der Zusammensetzung einer Beschichtung oder des darunterliegenden Substrats zum gängigen Handwerkszeug eines Fachmanns auf dem Gebiet der Oberflächenbeschichtungen.

Zur Überprüfung, ob eine borhaltige Diffusionszone vorliegt, kann beispielsweise eine einfache lichtmikroskopische Untersuchung dienen, wie sie das Patent in den Beispielen 1 und 7 mit Verweis auf die Figuren 1 und 13 verwendet (Spalte 7, Zeilen 7-10 und Paragraph [0039]).

2.2.4 Weiterhin stellt auch die Unbestimmtheit des Substrats den Fachmann nicht vor unüberwindbare Probleme.

Das Patent offenbart in Absatz [0027], dass durch eine zeitverzögerte Zudosierung von Bortrichlorid die Ausbildung einer borhaltigen Diffusionszone vermieden werden kann.

Die Einsprechenden haben keinerlei Beleg vorgelegt, dass der in Absatz [0027] des Patents beschriebene Verfahrensablauf nicht mit üblichen Hartmetallsubstraten realisierbar wäre bzw. die Beispiele des Patents nicht nachgearbeitet werden können. Selbst wenn ein Fachmann für einen bestimmten Substrattyp feststellen sollte, dass das in Absatz [0027] beschriebene Verfahren nicht die Ausbildung einer borhaltigen Diffusionszone unterbindet, so ist es einem Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens möglich, ein Werkzeug gemäß Anspruch 1 durch Abscheiden von Zwischenschichten zu realisieren.

2.3 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ einer Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegensteht.

3. Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ - Hauptantrag

3.1 Anspruch 1 in Hinblick auf E1/E15

3.1.1 E1 und E15 haben einen im Wesentlichen identischen Offenbarungsgehalt. Die folgenden Argumente in Bezug auf E1 gelten daher gleichermaßen für E15. Diese Einschätzung wurde von den Verfahrensbeteiligten geteilt.

3.1.2 E1 offenbart auf Seite 2275, linke Spalte, Zeilen 15 bis 16 ein Werkzeug für die spanabhebende Bearbeitung ("machining tool insert"). Die darauf mittels CVD-Verfahren abgeschiedene Titandiboridschicht hat eine Dicke von 4 mym bis 46 mym, siehe Tabellen I und II.

Unter Bezugnahme auf die beiden in Figur 7 abgebildeten Lichtmikroskopieaufnahmen (Polarisationsmikroskop) beschreibt E1 auf Seite 2276, rechte Spalte, 3. Absatz, dass die Titandiboridschicht kolumnare Körner mit einer Korngröße von < 2 µm aufweist, wobei feiner gekörntes Material eine Korngröße von 2 bis 300 nm aufweist. Gemäß dem die Seite 2276 und 2278 überbrückenden Satz variiert die Körnung mit dem Abstand vom Substrat. Dies wird durch die in Figur 9 abgebildeten Elektronenmikroskopieaufnahmen bestätigt, die eine Korngröße von 2 bis 20 nm bei einem Substratabstand von 0.2 µm (Figur 9(a)) und eine Korngröße von 20 bis 300 nm bei einem Substratabstand von 3 µm (Figur 9(b)) zeigen.

Aus diesen Angaben wird deutlich, dass eine gemäß dem in E1 beschriebenen Verfahren hergestellte Titandi-boridschicht als Ganzes kein feinkörniges Gefüge mit einer mittleren Korngröße von < 50 nm aufweist.

Eine Transmissionselektronenmikroskopieaufnahme, die auf einen bestimmten Bereich einer Beschichtung fokussiert ist, ist ferner kein Beleg dafür, dass ein Zwischenprodukt isoliert wurde, das eine Titandiboridschicht mit ausschließlich der in der Figur 9(a) dargestellten Gefügestruktur aufweist. Vielmehr zeigt die Aufnahme in Figur 9(a) einen bestimmten Ausschnitt der kompletten Schicht, die insgesamt gesehen kein feinkörniges Gefüge nach Anspruch 1 aufweist.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich daher zumindest dadurch von der Offenbarung in E1, dass die Titandiboridschicht ein feinkörniges Gefüge mit einer mittleren Korngröße von < 50 nm aufweist.

Daher kann dahingestellt bleiben, ob in dem Werkzeug der E1 wie vorgebracht aufgrund einer chemischen Homogenität der Titandiboridschicht keine borhaltige Diffusionszone im Substrat vorliegt.

3.2 Anspruch 10 in Hinblick auf E36

In ihrer Beschwerdebegründung argumentierte die Einsprechende 2 auf Seite 14, erster Absatz, dass die Frage der Neuheit in Hinblick auf E36 dahingestellt bleiben kann, da es dem Anspruch 1 ohnehin an der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit fehle.

Sofern dies in Kombination mit dem Verweis auf das schriftliche Verfahren im Rahmen der Neuheitsdiskussion während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer einen inhärenten Neuheitseinwand seitens der Einsprechenden 2 darstellen sollte, stimmt die Kammer der Begründung in der angefochtenen Entscheidung in Abschnitt II.3.3.5 zu, wonach der Gegenstand von Anspruch 10 neu gegenüber der Offenbarung in E36 ist.

E36 offenbart weder, dass das Molybdänsubstrat zumindest für ein spanabhebendes Werkzeug geeignet ist, noch, dass mit dem in E36 durchgeführten Verfahren ein feinkörniges Gefüge mit einer mittleren Korngröße von maximal 50 nm erzielt wird.

3.3 Die Kammer kommt mithin zu dem Schluss, dass der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ einer Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegensteht.

4. Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ - Hauptantrag

4.1 E1 als Ausgangspunkt

4.1.1 E1 offenbart auf Seite 2275, linke Spalte, Zeilen 15 bis 16 ein Werkzeug für die spanabhebende Bearbeitung ("machining tool insert"), wie es auch in Anspruch 1 des Patents beansprucht wird.

E1 betrifft daher die gleiche allgemeine technische Aufgabenstellung wie das Patent und stellt einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dar.

4.1.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von der Offenbarung in E1 zumindest dadurch, dass die Titandiboridschicht ein feinkörniges Gefüge mit einer mittleren Korngröße von < 50 nm aufweist.

4.1.3 Gemäß den Absätzen [0014] und [0015] des Patents wird aufgrund der feinkörnigen Gefügestruktur mit einer mittleren Korngröße von < 50 nm eine höhere Härte und eine sprunghaft gesteigerte Verschleißfestigkeit erzielt. Zudem ist aufgrund der Feinkörnigkeit die Oberfläche des Werkzeugs sehr glatt, so dass bei der Zerspanung weniger Verklebungen durch ablaufende Späne auftreten.

Diese in der Beschreibung genannten Effekte werden durch die Beispiele des Patents bestätigt, in denen die Fräszeiten von erfindungsgemäß hergestellten Werkzeugen gemäß den Beispielen 1 und 7 mit denen von Vergleichswerkzeugen gemäß den Beispielen 2,3 und 8 verglichen werden. Das erfindungsgemäße Werkzeug gemäß Beispiel 1 (siehe Absatz [0030]) weist ein feinkörniges Gefüge mit einer mittleren Korngröße von < 50 nm auf, nämlich von 10 bis 30 nm. Das Werkzeug des Vergleichsbeispiels 8 (siehe Absatz [0040]) weist ein grobkörniges Gefüge mit einer mittleren Korngröße von 0,5 bis 1 µm auf. Figur 17 zeigt graphisch, dass die Standzeit des erfindungsgemäßen Werkzeugs deutlich höher ist als die des Vergleichsbeispiels.

4.1.4 Daher kann die objektive technische Aufgabe darin gesehen werden, die Standzeit von Werkzeugen für die spanabhebende Bearbeitung zu erhöhen.

Diese Aufgabe ist auch in Hinblick auf die Lehre der E1 plausibel, denn E1 selbst offenbart in dem letzten Absatz auf Seite 2276, dass sich beim Einsatz der Werkzeuge gemäß E1 in einer spanabhebenden Anwendung die Titandiboridschicht manchmal löst.

4.1.5 E1 enthält keinerlei Hinweis, dass die Korngröße der Titandiboridschicht einen Einfluss auf die Standzeit bei der spanabhebenden Bearbeitung haben könnte.

Folglich liefert E1 dem Fachmann auch keinerlei Motivation das zugrundeliegende Problem durch eine Verkürzung der Abscheidungszeit und damit durch die Ausbildung einer dünneren Titandiboridschicht zu lösen, um so eine Titandiboridschicht mit einer mittleren Korngröße gemäß Anspruch 1 zu erhalten.

Auch die Lehre der E21 leistet dazu keinen Beitrag.

E21 offenbart zwar allgemein die Möglichkeit, eine Titandiboridschicht mit einer mittleren Korngröße

< 50 nm herzustellen (siehe Seite 308, fünfter Absatz). E21 enthält aber keinerlei Hinweis darauf, dass sich eine derartige Beschichtung beim Einsatz in spanabhebenden Werkzeugen positiv auf deren Standzeit auswirkt.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher ausgehend von E1 also solches und auch unter Berücksichtigung von E21 nicht naheliegend.

4.2 E15 als Ausgangspunkt

E15 weist unstreitig den gleichen Offenbarungsgehalt wie E1 auf. Daher gilt die obige Argumentation zu E1 in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Verfahrensbeteiligten gleichermaßen in Hinblick auf E15.

4.3 E18 als Ausgangspunkt

4.3.1 E18 beschreibt in den Absätzen [0001], [0008], [0015] und Ansprüchen 27 bis 29 allgemein ein beschichtetes Werkzeug, das ein Schneidwerkzeug, insbesondere ein Schneidrädchen zum Schneiden von Glas sein kann. Dieses Werkzeug kann gemäß Anspruch 32 bzw. Absatz [0016] der E18 folgenden Schichtaufbau aufweisen:

Hartmetallsubstrat/TiN/Ti(B,N)/TiB2.

Aufgrund der Titannitridschicht weist das Substrat bei einem derartigen Schichtaufbau unstreitig keine borhaltige Diffusionszone auf.

E18 offenbart zudem in den Absätzen [0017] und [0018], dass die Titandiboridschicht ein nanoskaliges Gefüge mit einer mittleren Korngröße im Bereich von 2 nm aufweist.

4.4 Während E18 allgemein Werkzeuge und insbesondere Schneidwerkzeuge wie Glasschneiderädchen offenbart, ist Anspruch 1 des Patents speziell auf ein Werkzeug für die spanabhebende Bearbeitung gerichtet.

Als spanabhebende Bearbeitung versteht der Fachmann ein Verfahren, bei dem Material unter Ausbildung von Spänen abgetragen wird. Beispiele für spanende Bearbeitungsschritte sind Bohren, Fräsen, Schleifen und Hobeln.

Allgemein haben Werkzeuge je nach Einsatzzweck unterschiedliche Anforderungsprofile. Dementsprechend stellt eine spanende Bearbeitung auch andere Anforderungen an das Werkzeug als eine einfache schneidende Bearbeitung, da sowohl die Art der Belastung, als auch die belasteten Flächen unterschiedlich sind.

Bei einer spanenden Bearbeitung sind beispielsweise die Spanfläche und die Freifläche des Werkzeugs Abrasion, Oberflächenzerrüttung und Adhäsion ausgesetzt. Insbesondere die Spanfläche muss auch dem Abrieb durch den Span widerstehen. Ferner muss die Schneide selbst dem seitlichen Abrieb widerstehen. Zudem ist die thermische Belastung bei einem spanenden Bearbeitungsschritt sehr hoch.

Bei einem Schneidevorgang wie beispielsweise einem Glasschneidevorgang ist dagegen nur die Kante selbst dem Verschleiß ausgesetzt. Seitlicher Abrieb und eine thermische Belastung treten beim Glasschneiden in der Regel nicht auf.

Ein einfacher Schneidvorgang wie beispielsweise ein Scheiden mit einem Messer oder ein Ritzen im Falle eines Glasschneiders sind daher keine spanabhebenden Bearbeitungsschritte im fachüblichen Sinne.

Auch versteht ein Fachmann unter einem Werkzeug für die spanende Bearbeitung kein Werkzeug, mit dem mittels unsachgemäßem Einsatz möglicherweise ein einzelner Span von einem bestimmten Material abgespalten werden kann, beispielsweise durch ein Einrammen des Glasschneiderädchens in einen weichen Werkstoff wie Holz.

Dementsprechend sind Scheidwerkzeuge im Allgemeinen, und insbesondere auch Glasschneidrädchen im Speziellen, nicht ohne weiteres für eine spanabhebende Bearbeitung geeignet.

4.5 Darüber hinaus wird gemäß den Absätzen [0010] bis [0014] und den Beispielen in E18 für die Beschichtung ein Plasma-gestütztes CVD-Verfahren verwendet, das die in Absatz [0002] von E18 beschriebenen Probleme in Bezug auf ein "thermisches CVD-Verfahren" bei Temperaturen von über 900°C gemäß dem Stand der Technik vermeiden soll. Die Beschichtung erfolgt daher unmittelbar erkennbar mit einem anderen Verfahren als von Anspruch 1 des Patents gefordert. Die Wahl des Beschichtungsverfahrens hat einen Einfluss auf die Eigenschaften der damit erzeugten Beschichtung und führt daher zu erkennbaren technischen Unterschieden am fertigen Produkt. Bei Verwendung eines Plasma-gestützten CVD-Verfahrens verbleiben in der Beschichtung beispielsweise amorphe Phasen, die mittels eines thermischen CVD-Verfahrens vermieden werden können.

4.6 Ausgehend von der Offenbarung in E18 unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents mithin dadurch, dass

- das Werkzeug für die spanabhebende Bearbeitung

geeignet ist,

- die TiB2-Schicht mit einem thermischen CVD-Verfahren

erzielt wird und

- die Schichtdicke der TiB2-Schicht größer 0,1 µm

beträgt.

4.7 Die objektive technische Aufgabe ausgehend von E18 kann darin gesehen werden, ein Werkzeug bereitzustellen, das für die spanabhebende Bearbeitung geeignet ist und dessen Beschichtung dementsprechend auch eine ausreichende Härte und Haftung aufweist, um dem Anforderungsprofil an ein Werkzeug für die spanabhebende Bearbeitung gerecht zu werden.

4.8 E18 enthält keinerlei Hinweis darauf, dass die spezielle Ausführungsform für ein Schneidrädchen zum Schneiden von Glas dahingehend modifiziert werden kann, dass es sich auch für eine spanabhebende Bearbeitung im fachüblichen Sinne eignet.

Ausgehend von E18 besteht daher keine Motivation, das allgemein beschriebene Werkzeug bzw. das spezielle Schneidrädchen umzugestalten, um ein Werkzeug für die spanabhebende Bearbeitung zu erhalten.

Zudem enthält Dokument E18 als solches auch keinen Hinweis darauf, anstelle des in E18 beschriebenen Plasma-gestützten Beschichtungsprozess ein thermischen CVD-Beschichtungsverfahren in Erwägung zu ziehen, und dies insbesondere unter Beibehaltung der nanoskaligen Gefügestruktur der Titandiboridbeschichtung. E18 führt den Fachmann in Anbetracht der in Absatz [0002] von E18 beschriebenen Nachteile in Bezug auf thermische CVD-Verfahren vielmehr gerade davon weg, derartige Überlegungen anzustellen.

Der Gegenstand von Anspruch 1 des Patents ist daher in Hinblick auf E18 als solches nicht naheliegend.

Die ausgehend von E18 mangelnde Motivation zur Ausgestaltung des darin beschriebenen Werkzeugs für die spanabhebende Bearbeitung wird auch durch den weiteren zitierten Stand der Technik nicht geliefert.

E21 offenbart die Möglichkeit nanoskaliges Titandiborid mittels eines thermischen CVD-Verfahrens auf Substraten abzuscheiden. E21 könnte einem Fachmann daher allgemein bekannt sein, da sich der Artikel zumindest allgemein mit Titandiboridbeschichtungen beschäftigt.

Allerdings werden in E21 keine spanabhebenden Werkzeuge adressiert. E21 liefert daher keinen Anreiz dazu, die Werkzeuge gemäß E18 derart auszugestalten, dass sie für die spanabhebende Bearbeitung geeignet sind.

Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass E21 ebenfalls ein Verfahren zur Herstellung einer nanoskaligen Titandiboridschicht offenbart, ist in Anbetracht der in Absatz [0002] von E18 beschriebenen Nachteile in Bezug auf CVD-Verfahren kein Grund erkennbar, warum ein Fachmann in Unkenntnis der Erfindung des Patents überhaupt das in E21 beschriebene Verfahren ausgehend von E18 in Erwägung ziehen sollte.

Das Argument, wonach ein Fachmann die Lehre von E18 unter Zuhilfenahme von E21 modifizieren würde und die Umgestaltung des in E18 beschriebenen Schneidwerkzeugs zu einem Werkzeug für die spanabhebende Bearbeitung in Erwägung ziehen würde, beruht daher auf einer rückschauenden Betrachtungsweise, die bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu vermeiden ist.

Auch die weiteren Dokumente E2, E7, E22 oder E36 offenbaren keine spanabhebenden Werkzeuge und liefern dementsprechend auch keinen Anreiz dafür, ein Werkzeug von E18 für die spanabhebende Bearbeitung umzugestalten.

4.9 Im Anhang zur Ladung hatte die Kammer den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt, dass sie die alternativen Angriffslinien ausgehend von E21 und E36 nicht als erfolgsversprechend ansieht, da beide Dokumente keinen Hinweis darauf geben, dass die darin beschriebene Beschichtung in einem Werkzeug für spanabhebende Bearbeitungsschritte eingesetzt werden soll, und dass dazu vorteilhaft ein feinkörniges Gefüge mit einer Korngröße < 50 nm eingesetzt werden kann.

Diese Ansicht wurde seitens der Einsprechenden im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht in Frage gestellt.

Die Kammer bleibt daher bei der in der Ladung geäußerten Beurteilung, wonach das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit auch ausgehend von E21 oder E36 nicht in Frage gestellt ist.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.

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