T 2684/16 (Polysilanherstellung/Nagarjuna) of 18.7.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T268416.20190718
Datum der Entscheidung: 18 Juli 2019
Aktenzeichen: T 2684/16
Anmeldenummer: 10793199.0
IPC-Klasse: C01B 33/107
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG VON HALOGENIERTEN POLYSILANEN
Name des Anmelders: Nagarjuna Fertilizers and Chemicals Limited
Name des Einsprechenden: Evonik Degussa GmbH
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0003/90
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent EP 2 507 174 B1 in geänderter Form auf Grundlage des 1. Hilfsantrags vom 7. September 2016 aufrecht zu halten.

II. Das Streitpatent bezieht sich auf ein Verfahren zur Herstellung von halogenierten Polysilanen.

III. Der von der Einspruchsabteilung als patentfähig angesehene Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags lautet wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung eines halogenierten Polysilans SinX2n+2 mit n = 2 und X = F, Cl, Br, I als Einzel-Verbindung oder Gemisch von Verbindungen, aus einem Gemisch das das halogenierte Polysilan enthält oder in dem das halogenierte Polysilan gebildet wird, zusätzlich enthaltend bor-haltige Verunreinigungen, wobei

a) das Gemisch mit mindestens 1 ppbw (parts per billion per weight) eines Siloxan bildenden Oxidationsmittels oder Siloxan versetzt wird, wobei die bor-haltigen Verunreinigungen Verbindungen mit einer von den halogenierten Polysilanen unterschiedlichen Flüchtigkeit und/oder Löslichkeit bilden, und

b) das halogeniertes [sic] Polysilan von diesen Verbindungen abgetrennt wird,

- wobei während des Verfahrens maximal 1 ppmw Wasser und minimal 1 ppb [sic] Siloxane anwesend sind."

IV. In der Entscheidung der Einspruchsabteilung wurden unter anderem folgende Dokumente genannt:

D4|US 2009/0068081 A1 (12. März 2009)|

D8|WO 2009/047238 A1 (16. April 2009) |

V. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung legte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde ein.

VI. Die Beschwerdeführerin erhob Einwände wegen mangelnder Neuheit gegenüber D8 (Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 54(1),(2) EPÜ) und verwies zudem auf D4, um ein Argument bezüglich in D8 implizit offenbarter Merkmale zu stützen. Zudem rügte die Beschwerdeführerin einen Mangel an erfinderischer Tätigkeit gegenüber D8, auch in Kombination mit weiteren Dokumenten (Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ).

VII. In ihrer Erwiderung auf die Beschwerdegründung legte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) ihre Argumente zur Stützung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit dar, legte aber keinen geänderten Anspruchssatz vor.

VIII. In Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Meinung mit, dass der Einwand mangelnder Neuheit nicht überzeugend zu sein schien, der Gegenstand von Anspruch 1 aber ausgehend von D8 als nächstliegendem Stand der Technik keine erfinderische Tätigkeit zu beinhalten schien.

IX. Keine der Parteien hat eine inhaltliche Stellungnahme zur vorläufigen Meinung der Kammer eingereicht.

X. Die Patentinhaberin sagte mit Schreiben vom 27. Juni 2019 ihre Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ab.

XI. Die Kammer hob die Ladung zur mündlichen Verhandlung auf.

XII. Die wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Sämtliche Merkmale des beanspruchten Verfahrens sind in D8 zumindest implizit offenbart. Unabhängig davon würde der Fachmann das aus D8 bekannte Verfahren in naheliegender Weise auf Ausgangsverbindungen anwenden, die Borverunreinigungen enthalten.

XIII. Die wesentlichen Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Das beanspruchte Verfahren unterscheidet sich von der allgemeinen Lehre von D8 sowohl in den Merkmalen betreffend die Anwesenheit von Siloxan bzw. eines Siloxan bildenden Oxidationsmittels, als auch in den Merkmalen betreffend das Vorliegen borhaltiger Verunreinigungen (Merkmale C, D, D1, D2, E, F, und H der untenstehenden Merkmalsgliederung).

Es unterscheidet sich vom spezifischen Beispiel 1 zumindest in den Merkmalen C, E, F, betreffend borhaltige Verunreinigungen.

Die objektive technische Aufgabe liegt im Bereitstellen eines alternativen Verfahrens zur Herstellung von Hexahalodisilanen mit hoher Reinheit.

Der Fachmann würde ausgehend von D8 nicht zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangen, da es in D8 keinen Hinweis auf borhaltige Verunreinigungen gibt und dessen Lehre, die Anwesenheit von Siloxanen zu vermeiden, von der vorliegenden Erfindung wegführt.

XIV. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

XV. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung

1.1 Die Erklärung der Beschwerdeführerin, nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen zu werden, ist als Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung zu werten (T 3/90, Abl. 1992, 737, Leitsatz).

1.2 Die Beschwerdegegnerin hat eine mündliche Verhandlung nur hilfsweise beantragt.

1.3 Daher bestand keine Notwendigkeit für eine mündliche Verhandlung.

2. Merkmalsgliederung

2.1 Es wird auf folgende von der Beschwerdeführerin vorgenommene und von beiden Parteien verwendete Merkmalsgliederung von Anspruch 1 Bezug genommen (Seite 2, Abschnitt 3 der Beschwerdebegründung):

A |Verfahren zur Herstellung eines halogenierten Polysilans SinX2n+2 mit n = 2 und X = F, Cl, Br, I als Einzel-Verbindung oder Gemisch von Verbindungen |

| |

B1|aus einem Gemisch, das das halogenierte Polysilan enthält oder |

B2|in dem das halogenierte Polysilan gebildet wird, |

| |

C |zusätzlich enthaltend borhaltige Verunreinigungen, wobei |

| |

D |das Gemisch mit mindestens 1 ppbw (parts per billion per weight) eines |

D1|Siloxan bildenden Oxidationsmittels, oder |

D2|Siloxan versetzt wird, wobei |

| |

E |die borhaltigen Verunreinigungen Verbindungen mit einer von den halogenierten Polysilanen unterschiedlichen Flüchtigkeit und/oder Löslichkeit bilden, und|

| |

F |das halogenierte Polysilan von diesen Verbindungen abgetrennt wird, |

| |

G |wobei während des Verfahrens maximal 1 ppmw Wasser und |

| |

H |minimal 1 ppb Siloxane anwesend sind. |

| |

3. Neuheit

3.1 D8 beschreibt ein Verfahren zur Herstellung von hochreinem Hexachlordisilan. Es ist unstreitig, dass D8 die Merkmale A, B1, und G offenbart.

3.2 Ferner ist unstreitig, dass D8 borhaltige Verunreinigungen (Merkmal C) nicht explizit erwähnt.

3.3 Gemäß einer Ausführungsform wird ein aus der Reaktion von Chlor mit Silizium gewonnenes, Hexachlordisilan-haltiges Chlorsilangemisch verwendet (D8, Seite 2, Zeile 1-4).

3.4 Es ist jedoch nicht erwiesen, dass bei dieser Ausführungsform unweigerlich borhaltige Verunreinigungen vorhanden sind. Aus dem Erwähnen von "Silizum" lässt sich nicht auf dessen Ursprung oder das zwingende Vorliegen von Verunreinigungen schließen. Es ist kein Grund zu erkennen, warum "Silizium" in D8 zwangsläufig als Bor-Verunreinigungen enthaltendes, metallurgisches Silizium im Sinn von D4 (Absätze [0005]-[0007]) zu verstehen sein sollte. Ferner bleibt es in D8 völlig offen, wie das "Hexachlordisilan-haltige Chlorsilangemisch" aus der Reaktion von Chlor mit Silizium erhalten wird; insbesondere können beliebige Reinigungsschritte durchgeführt werden.

3.5 Daher wird der Gegenstand von Anspruch 1 in D8 nicht direkt und unmittelbar offenbart und ist somit neu gegenüber D8 (Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Art. 54 EPÜ).

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von halogenierten Polysilanen mit hoher Reinheit (Absätze [0001] und [0003] des Streitpatents).

4.2 D8 (bereits in der ursprünglich eingereichten Anmeldung gewürdigt, siehe Seite 1, 2. Absatz) bezieht sich auf die Herstellung von hochreinem Hexachlordisilan durch Destillation (Seite 1, Zeile 3-4) und damit auf dieselbe Aufgabe wie das Streitpatent (Absatz [0001]). Die Beispiele des Dokuments D8 veranschaulichen dessen allgemeine Lehre und sind ein geeigneter Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.

4.2.1 Wie aus Tabelle 1 des Dokuments D8 ersichtlich, ist Hexachlordisiloxan vorhanden (Beispiel 1: 0.023% in der Hexachlordisilan-Fraktion), entsprechend den Merkmalen D2 und H von Anspruch 1. Damit offenbart D8 die Merkmale A, B1, D2, G, und H in Kombination (siehe auch Punkt 3.1).

4.2.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von dem Beispiel 1 des Dokuments D8 somit in der Nennung der Merkmale C, E, und F. Dabei sind die Bildung von Verbindungen aus borhaltigen Verunreinigungen, welche eine im Vergleich zu Hexachlordisilan unterschiedliche Flüchtigkeit und/oder Löslichkeit haben (Merkmal E), sowie die Abtrennung des Hexachlordisilan von diesen Verbindungen (Merkmal F) die unmittelbare Folge des Vorliegens von borhaltigen Verunreinigungen (Merkmal C).

4.2.3 Diese Schlussfolgerung wird insbesondere dadurch gestützt, dass Hexachlordisiloxan im Streitpatent als geeignetes Siloxan spezifisch genannt wird (siehe Absatz [0009]).

4.3 Die Beschwerdegegnerin formuliert die zu lösende technische Aufgabe als das Bereitstellen eines alternativen Verfahrens zur Herstellung von Hexahalodisilanen mit hoher Reinheit (siehe die Beschwerdeerwiderung, Seite 4, fünfter Absatz).

4.4 Diese Aufgabe kann als durch den Gegenstand von Anspruch 1 gelöst betrachtet werden.

4.5 In der Folge muss untersucht werden, ob die vorgeschlagene Lösung naheliegend war.

Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass D8 nicht die obligatorische Anwesenheit von Borverbindungen offenbare, so dass der Fachmann keine Veranlassung habe, ausgehend von D8 ein Verfahren zu entwickeln, bei welchem borhaltige Verunreinigungen entfernt werden.

4.5.1 D8 nennt jedoch explizit die Möglichkeit, das Chlorsilangemisch aus der Reaktion von Chlor mit Silizium, ohne weitere Angabe oder Einschränkungen, zu bilden (siehe D8, Seite 2, 1. Absatz).

4.5.2 Zwar würde der Fachmann, wie im Hinblick auf die Neuheit angeführt, nicht darauf schließen, dass borhaltige Verunreinigungen unweigerlich vorhanden sein müssen. Jedoch würde der Fachmann zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass borhaltige Verunreinigungen vorhanden sein können. Dieses allgemeine Fachwissen wird beispielsweise in D4 im Hinblick auf die Verwendung von metallurgischem Silizium wiedergegeben (Absätze [0005]-[0007]). Der vorliegende Anspruch 1 umfasst bereits geringste Mengen dieser Verunreinigung. Dies würde auch der Zielsetzung von D8, hochreines Hexachlordisilan herzustellen (Seite 1, Zeile 3-4), z.B. in einer Reinheit von über 99,5% (Seite 5, Zeile 8-9), nicht entgegenstehen. Wie zuvor erwähnt, ist die Lehre der D8 nicht auf die Verwendung von Ausgangsstoffen mit bestimmter Reinheit beschränkt.

4.5.3 Daher würde der Fachmann, der ausgehend von D8 mit der technischen Aufgabe befasst ist, ein alternatives Verfahren bereitzustellen, es in Erwägung ziehen, auch ein Chlorsilangemisch einzusetzen, das geringe Mengen borhaltiger Verunreinigungen enthält. Die Merkmale E und F würden sich, wie dargelegt, dann als unmittelbare Folge ergeben. Der Fachmann würde somit in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangen.

4.6 Dieser Schlussfolgerung steht auch nicht entgegen, dass D8 allgemein lehrt, die Bildung von Hexachlordisiloxan zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren (Seite 2, Zeile 19-26 sowie Seite 5, Zeile 14-16). Wie erwähnt ist das Vorliegen von Hexachlordisiloxan im Beispiel bereits spezifisch offenbart. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Lehre von D8 ist dieses Beispiel vielmehr als Illustration eines im Sinn von D8 sehr geringen Hexachlordisiloxan-Gehalts zu verstehen.

4.7 Aus diesen Gründen beinhaltet der Gegenstand von Anspruch 1 keine erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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