European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T264616.20201023 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 23 October 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2646/16 | ||||||||
Anmeldenummer: | 12822957.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | H04S7/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Vorrichtung und Verfahren zur Raumklangsimulation | ||||||||
Name des Anmelders: | Shure Europe GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.5.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Entscheidung im schriftlichen Verfahren - (ja): Ankündigung der Nichtteilnahme an der anberaumten mündlichen Verhandlung Unzulässige Erweiterung - alle Anträge (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Anmelderin) richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Patentanmeldung zurückzuweisen. Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass die Patentanmeldung die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt.
II. In Reaktion auf die Mitteilung der Kammer nach Artikel 15(1) VOBK 2020 reichte die Beschwerdeführerin Anspruchssätze gemäß Hauptantrag und drei Hilfsanträgen ein. Somit beantragt die Beschwerdeführerin die Erteilung eines Patents auf der Grundlage eines dieser Anspruchssätze. Hilfsweise wird eine Zurückverweisung der Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung beantragt.
III. Mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2020 teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie nicht an der für 22. Oktober 2020 anberaumten mündlichen Verhandlung teilnehmen wird.
IV. Die mündliche Verhandlung wurde daraufhin abgesagt.
V. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet:
"Raumklangsimulationssystem (1) welches folgendes aufweist:
ein Core-Modul (10) mit einem Raumsimulationsmodul (11), einem Nachhallmodul und einem Schnittstellenmodul (15), wobei in dem Raumsimulationsmodul (11) Klangquellen (34) über das Schnittstellenmodul (15) zur Verfügung gestellt werden,
ein Steuerungsmodul (20),
ein digitales Audio-Delay-Matrix-Modul (21) zum Berechnen räumlicher Nachhallwerte und
ein digitales Audio-/Netzwerksystem (30),
dadurch gekennzeichnet, dass
das Core-Modul (10) und das digitale Audio-Delay Matrix-Modul (21) über ein Schnittstellenmodul (15), das Steuerungsmodul (20) und das digitale
Audio-/Netzwerksystem (30) direkt über einen Switch (36), insbesondere einen Layer-3 Switch (36), zum Übermitteln der Audiodaten des Systems als priorisierte Audio Streams mittels Quality of Service über eine Gigabit Verkabelung verbunden sind, wobei eine dedizierte Bandbreite für jeden Port des Switches (36) zur Verfügung gestellt wird und die Anzahl der Hops, die ein Datenpaket durchläuft, auf maximal 7 Hops begrenzt ist, wodurch eine Systemlatenz kleiner als 2,5 ms erzielbar ist und dadurch ein Nachhall und/oder eine richtungsbezogene Beschallung zur Verfügung steht,
das durch das Steuerungsmodul (20) angesteuerte Core-Modul (10) ein synthetisches Nachhallmodul (12) zur Erzeugung eines synthetischen Nachhalls und ein durch mehrere fest installierte Mikrofone (35) angesteuertes regeneratives Nachhallmodul (13) zur Erzeugung eines regenerativen Nachhalls aufweist und das digitale Audio-/Netzwerksystem (30) des Weiteren ein mit dem Switch (36) verbundenes I/O-Modul (32) aufweist, mit dem über Verstärkermodule (31) bis zu 512 untereinander beabstandete Lautsprecher ansteuerbar sind, wobei das digitale Audio-/Netzwerksystem (30) aufweist:
Wandlautsprecher (33b) und
Deckenlautsprecher (33c),
wobei der Abstand benachbarter Lautsprecher (33b; 33c) im Wesentlichen kleiner oder gleich 1,5 m, insbesondere 0,75 m zueinander beträgt."
VI. Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags umfasst alle Merkmale von Anspruch1 des Hauptantrags, wobei nach dem Ausdruck "Deckenlautsprecher (33c)" folgender Wortlaut hinzugefügt wurde:
"wobei die Wandlautsprecher (33b) ringförmig an der Wand montiert sind und insbesondere im vorderen und mittleren Abschnitt eines Raums (50) auch die Deckenlautsprecher (33c) nebst Mikrophonen (35), die insbesondere den regenerativen Nachhall mit ansteuern, an einer Decke montiert sind".
VII. Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags umfasst alle Merkmale von Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags, wobei der Ausdruck "ein digitales Audio-/Netzwerksystem (30)" in der Präambel gestrichen und der Satz "das Raumklangsystem ferner ein digitales Audio-/Netzwerksystem (30), aufweist, wobei" am Anfang des kennzeichnenden Teils hinzugefügt wurde. Des Weiteren ist am Ende folgender Satz angefügt:
"und wobei jeder Lautsprecher mit einem auf der Wellenfeldsynthese basierenden Algorithmus individuell in Amplitude und Zeit ansteuerbar ist".
VIII. Anspruch 1 des dritten Hilfsantrags lautet (die mit Bezug auf Anspruch 1 des Hauptantrags vorgenommenen Änderungen sind unterstrichen):
"Raumklangsimulationssystem (1) welches folgendes aufweist:
ein Core-Modul (10) mit einem Raumsimulationsmodul (11), einem Nachhallmodul und einem Schnittstellenmodul (15), wobei in dem Raumsimulationsmodul (11) Klangquellen (34) über das Schnittstellenmodul (15) zur Verfügung gestellt werden,
ein Steuerungsmodul (20),
ein digitales Audio-Delay-Matrix-Modul (21) zum Berechnen räumlicher Nachhallwerte, dadurch gekennzeichnet, dass
das Raumklangsystem ferner ein digitales
Audio-/Netzwerksystem (30), aufweist,
wobei das Core-Modul (10) und das digitale Audio-Delay Matrix-Modul (21) über ein Schnittstellenmodul (15), das Steuerungsmodul (20) und das digitale Audio-/Netzwerksystem (30) direkt über einen Layer-3 Switch (36), zum Übermitteln der Audiodaten des Systems als priorisierte Audio Streams mittels Quality of Service über eine Gigabit Verkabelung verbunden sind, wobei eine dedizierte Bandbreite für jeden Port des Switches (36) zur Verfügung gestellt wird und die Anzahl der Hops, die ein Datenpaket durchläuft, auf maximal 7 Hops begrenzt ist, wodurch ein Nachhall zur Verfügung steht,
das durch das Steuerungsmodul (20) angesteuerte Core-Modul (10) ein synthetisches Nachhallmodul (12) zur Erzeugung eines synthetischen Nachhalls und ein durch mehrere fest installierte Mikrofone (35) angesteuertes regeneratives Nachhallmodul (13) zur Erzeugung eines regenerativen Nachhalls aufweist und
das digitale Audio-/Netzwerksystem (30) des Weiteren ein mit dem Switch (36) verbundenes I/O-Modul (32) aufweist, mit dem über Verstärkermodule (31) bis zu 512 untereinander beabstandete Lautsprecher ansteuerbar sind, wobei das digitale
Audio-/Netzwerksystem (30) aufweist:
Wandlautsprecher (33b) und
Deckenlautsprecher (33c), wobei der Abstand benachbarter Lautsprecher im Wesentlichen kleiner oder gleich 1,5 m beträgt und die Wandlautsprecher (33b) ringförmig an der Wand montiert sind und insbesondere im vorderen und mittleren Abschnitt eines Raums (50) auch die Deckenlautsprecher (33c) nebst Mikrophonen (35), die insbesondere den regenerativen Nachhall mit ansteuern, an einer Decke montiert sind".
Entscheidungsgründe
1. Entscheidung im schriftlichen Verfahren
Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist die Ankündigung eines Verfahrensbeteiligten, an einer anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilzunehmen, mit der Rücknahme des Antrags auf eine solche mündliche Verhandlung gleichzusetzen (siehe z.B. T 3/90, OJ 1992, 737, Gründe, Punkt 1).
Folglich konnte im vorliegenden Fall die mündliche Verhandlung abgesetzt werden (vgl. auch T 166/17, Gründe, Punkt 1) und eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren ergehen (Artikel 12(8) VOBK 2020).
2. Hintergrund der Anmeldung
Die Anmeldung betrifft ein System und ein Verfahren zum Simulieren eines Raumklangs, wobei eine Nachhallzeitverlängerung und/oder eine richtungsbezogene Beschallung ermöglicht wird. Es können insbesondere bis zu 512 Lautsprecher mittels Wellenfeldsynthese angesteuert werden.
3. Hauptantrag: Anspruch 1 - Artikel 123(2) EPÜ
3.1 Anspruch 1 des Hauptantrags basiert zwar im Wesentlichen auf den ursprünglichen Ansprüchen 1, 4 und 7, führt jedoch auf unzulässige Weise einen Sachverhalt in die Patentanmeldung ein, der ursprünglich nicht offenbart war:
So wurde das in dem ursprünglichen Anspruch 4 enthaltene Merkmal
a) wobei der Abstand der Lautsprecher (33b; 33c) im Wesentlichen kleiner oder gleich 1,5 m, insbesondere 0,75 m zueinander beträgt
durch das Merkmal
b) "wobei der Abstand benachbarter Lautsprecher (33b; 33c) im Wesentlichen kleiner oder gleich 1,5 m, insbesondere 0,75 m zueinander beträgt"
ersetzt (Hervorhebungen durch die Kammer).
3.2 Merkmal b) findet aus den nachfolgenden Gründen in der ursprünglichen Offenbarung keine unmittelbare und eindeutige Grundlage.
3.2.1 Erstens stehen die benachbarten Lautsprecher von Merkmal b) nicht notwendigerweise mit den zuvor in dem Anspruch 1 genannten Lautsprechern, insbesondere mit den 512 Lautsprechern, den Wandlautsprechern und den Deckenlautsprechern, in Zusammenhang. Die Fachperson würde sofort verstehen, dass sich die Lautsprecher von Merkmal a) auf die zuvor in dem ursprünglichen Anspruch 4 genannten "Wandlautsprecher" und "Deckenlautsprecher" beziehen.
3.2.2 Auch wenn Merkmal b) derart ausgelegt wird, dass sich die dort genannten Lautsprecher auf die zuvor in Anspruch 1 genannten "Wandlautsprecher" und "Deckenlautsprecher" beziehen, so geht dieses Merkmal weder aus dem ursprünglichen Anspruch 4, worin das Wort "benachbarter" nicht enthalten ist, noch aus den von der Beschwerdeführerin als Basis herangezogenen ursprünglichen Figuren 3 und 4 auf eindeutige und unmittelbare Weise hervor:
Zunächst ist dabei festzuhalten, dass diese Figuren nicht maßstabsgetreu sind. Entsprechend kann die Fachperson den Figuren keine genauen Abstände zwischen benachbarten Lautsprechern entnehmen.
Darüber hinaus geht aus den Zeilen 5 und 6 der Seite 13 der ursprünglichen Beschreibung hervor, dass die dargestellten Räumlichkeiten teilweise nur akustisch simuliert werden und noch nicht existieren. Die Lautsprecher des beanspruchten Raumklangsimulationssystems sind jedoch nicht Teil einer Simulation, sondern sind als physikalische Komponenten dieses Systems zu werten.
Des Weiteren lässt die ursprüngliche Beschreibung keinerlei Rückschlüsse bezüglich des Abstands im allgemeinen Sinne zwischen zwei benachbarten Lautsprechern zu. Auf den Seiten 4 und 5 wird zwar ein horizontaler Abstand zwischen den Lautsprechern von kleiner oder gleich 1,5 m erwähnt, dies trifft jedoch lediglich auf eine bandförmige und horizontale Anordnung der Lautsprecher zu. Auch wenn die Fachperson dies aufgrund der Figuren 3 und 4 als Indiz für einen Abstand zwischen einigen benachbarten Lautsprechern von kleiner oder gleich 1,5 m verstehen würde, so sind in diesen Figuren verschiedene benachbarte Lautsprecher zu erkennen, die weiter als 1,5 m voneinander entfernt sind, z.B. die zwei in Figur 3 unten links und rechts in Strichlinie gezeigten Lautsprecher oder die drei in Figur 4 mit Bezugszeichen "33b" angegebenen Lautsprecher. Daran würde die Fachperson sofort erkennen, dass der untere Lautsprecher 33b weiter als 1,5 m von den beiden oben angeordneten Lautsprechern 33b entfernt sein soll. Es wäre für die Fachperson unmittelbar ersichtlich, dass die Höhe des in Figur 4 dargestellten Raums 51 weit größer als 1,5 m sein soll, damit dieser Raum - wie in den ersten Absätzen der ursprünglichen Seite 13 ausgeführt - als Auditorium, oder wie im ersten Absatz der Seite 14 angegeben, als Planetarium, Kino oder in einem Themenpark benutzt werden kann.
Auch einige der benachbarten Deckenlautsprecher 33c sind weiter als 1,5 m voneinander entfernt. Wie dem die ursprünglichen Seiten 10 und 11 überbrückenden Absatz zu entnehmen ist, sollte das in den ursprünglichen Figuren 3 und 4 gezeigte Raster "R1" für die Deckenlautsprecher 33c logarithmisch ausgeführt werden. Somit wird der Abstand zwischen zwei benachbarten Deckenlautsprechern unterschiedlicher "R1"-Bänder irgendwann einen Abstand von 1,5 m überschreiten, wie in Figur 3 für die unteren zwei "R1"-Bänder ersichtlich. Gleiches kann ebenfalls auf die in Figur 3 gezeigten "R2"-Bänder zutreffen, wie Seite 15, Zeilen 4 bis 6 der ursprünglichen Beschreibung zu entnehmen ist.
3.3 Mithin erfüllt Anspruch 1 des Hauptantrags nicht die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
4. Hilfsanträge: Anspruch 1 - Artikel 123(2) EPÜ
4.1 Die gegenüber dem Hauptantrag erhobenen Einwände im Hinblick auf Artikel 123(2) EPÜ gelten ebenfalls für Anspruch 1 des ersten bis dritten Hilfsantrags, da Merkmal b) auch dort enthalten ist, für den dritten Hilfsantrag allerdings ohne die fakultative Angabe "insbesondere 0,75 m".
4.2 Somit erfüllt Anspruch 1 des ersten bis dritten Hilfsantrags ebenfalls nicht die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
5. Hauptantrag, erster und zweiter Hilfsantrag: Artikel 83 EPÜ
5.1 In Anbetracht der obigen Ausführungen kann es dahingestellt bleiben, ob die Patentanmeldung die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ erfüllt. Dennoch ist Folgendes festzuhalten:
5.2 Es wird zwar nicht in Abrede gestellt, dass die Ausführung einzelner Komponenten des der Patentanmeldung zugrunde liegenden Raumklangsimulationssystems der Fachperson bekannt ist, um bei dessen Ausführung eine Systemlatenz von weniger als 2,5 ms zu erreichen; es spielen jedoch sehr viele Faktoren, wie z.B. die interne Struktur der einzelnen Module, d.h. die Algorithmen und die Art der Programmierung, die benutzten Filter und die Kommunikation der einzelnen Module untereinander, hierbei eine grundlegende Rolle. Die vorliegende Patentanmeldung nennt für die meisten der beanspruchten Komponenten keine konkrete Ausführung. So schweigt die Patenanmeldung z.B. grundsätzlich zur für eine Systemlatenz unterhalb von 2,5 ms unentbehrlichen, jedoch auf dem Fachgebiet unüblichen Abtastrate von mindestens 96 kHz und macht keinerlei Angaben über die - durch den mit einer solchen erhöhten Abtastrate einhergehenden Speicher- und Rechenmehraufwand bedingte - Auswahl einzelner Systemteile sowie die zur Berechnung des synthetischen und regenerativen Nachhalls heranzuziehenden Algorithmen.
5.3 Demnach ist die Komplexität des der Patentanmeldung zugrunde liegenden Raumklangsimulationssystems dermaßen hoch, dass die Fachperson geradezu aufgefordert werden würde, ein Forschungsprogramm durchzuführen, da sie lediglich aufgrund von "Versuch und Irrtum" feststellen könnte, ob die beanspruchte Erfindung überhaupt ausgeführt werden kann. Nach der ständigen Rechtsprechung stellt ein solches Forschungsprogramm einen für die Fachperson unzumutbaren Aufwand dar (siehe z.B. T 1996/11, Gründe, Punkt 2.2; T 590/12, Gründe, Punkt 4.6).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.