European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2021:T253916.20210225 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 25 Februar 2021 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2539/16 | ||||||||
Anmeldenummer: | 10754493.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | H02G 1/08 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Einziehfederspitze mit Fußstück | ||||||||
Name des Anmelders: | Haslacher & Haslacher Immobilien GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Katimex Cielker GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.5.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderungen (Hauptantrag) Änderungen - Offenbarung durch Zeichnung (nein) Änderungen - Zwischenverallgemeinerung Zulassung von Änderung des Beschwerdevorbringens (nein) - Präzisierung der Argumente einer Partei in der Ladung sind keine außergewöhnlichen Umstände |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die vorliegende Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2478603 in geändertem Umfang, zur Post gegeben am 27. September 2016.
II. Mit ihrer Beschwerde hat die Einsprechende Einwände gegen die von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachtete Fassung des Streitpatents auf der Grundlage des seinerzeitigen Hilfsantrags 6 vom 6. Juli 2016 unter Artikel 123 (2), 54 und 56 EPÜ erhoben. Dem ist die Beschwerdeführerin in ihrer Erwiderung entgegengetreten und hat die Zurückweisung der Beschwerde beantragt.
III. Am 28. April 2020 hat die Kammer die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung geladen. Sie hat zudem in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 ihre vorläufige Ansicht zu den von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwänden unter Artikel 123 (2) EPÜ mitgeteilt und darauf hingewiesen, dass diese der Gewährbarkeit des Hauptantrags entgegenstehen dürften.
IV. Die Beschwerdeführerin hat mit Schreiben vom 21. Januar 2020 zu der Mitteilung der Kammer Stellung genommen.
V. Mit Schriftsatz vom 14. Januar 2021 hat die Beschwerdegegnerin die Hilfsanträge B1, B2, B3a, B3b, B4a und B4b eingereicht.
VI. Am 25. Februar 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Die Schlussanträge der Parteien waren wie folgt:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte,
die angefochtenen Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte,
die Beschwerde zurückzuweisen und die Entscheidung der Einspruchsabteilung zu bestätigen (Hauptantrag), hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der mit Schreiben vom 14. Januar 2021 eingereichten Hilfsanträge B1, B2, B3a, B3b, B4a und B4b aufrechtzuerhalten.
VII. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"Einziehfederspitze (1) für Einziehfedern (12) zum Einziehen von Leitungen in Rohre und Hohlräume oder dgl., mit einem Fußstück (2) zur Befestigung an der Einziehfeder, einem flexiblen Teil (3) und einem Kopfstück (4), wobei der flexible Teil (3) einen Zuganker (13) mit konstantem Durchmesser (d3) aufweist, der an seinem einen Ende mit dem Fußstück (2) und an seinem anderen Ende mit dem Kopfstück (4) verbunden ist, und eine Hülle (16) aus Kunststoff aufweist, die den Zuganker (13) umgibt, dadurch gekennzeichnet, dass die Flexibilität des flexiblen Teils (3) vom Fußstück (2) in Richtung des Kopfstückes (4) zunimmt, wobei der Zuganker (13) mit der Hülle (16) aus Kunststoff umspritzt ist, deren Schichtdicke sich auf zumindest einem Abschnitt des flexiblen Teils (3) vom Fußstück (2) in Richtung des Kopfstückes (4) verjüngt."
Der Wortlaut der Ansprüche gemäß der Hilfsanträge war nicht entscheidungswesentlich und wird daher nicht wiedergegeben.
VIII. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Anspruch 1 in der aufrechterhaltenen Fassung verstoße gegen Artikel 123 (2) EPÜ. In den ursprünglichen Ansprüchen seien nämlich weder das Merkmal (b3), wonach der Zuganker (13) einen konstanten Durchmesser (d3) aufweise, noch das Merkmal (f), wonach sich die Schichtdicke der Hülle auf zumindest einem Abschnitt des flexiblen Teils vom Fußstück in Richtung des Kopfstückes verjünge, offenbart. Die ursprüngliche Beschreibung, insbesondere die Seite 5 der WO-Veröffentlichung (WO 2011/032953 A1) enthalte keine Offenbarung des Merkmals (b3). Allenfalls sei der Seite 5 zu entnehmen, dass der Zuganker einen Durchmesser aufweise. Es sei daher zwingend notwendig auf die Figur 3 als Ursprungsoffenbarung zurückzugreifen. Allerdings gehe auch aus dieser Figur das Merkmal (b3) nicht hervor. Der Zuganker sei nämlich nur als Schnitt gezeigt. Sein Durchmesser könne sich in anderen als der Schnittebene ändern.
Weiterhin sei auch das Merkmal (f) den ursprünglichen Unterlagen nicht zu entnehmen. Weder die ursprünglichen Ansprüche 1 bis 19, noch die Beschreibung offenbarten dieses Merkmal. Der Ausdruck "auf zumindest einem Abschnitt" lasse sich ebenso wenig in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen finden wie der Ausdruck "Schichtdicke". Die Figur 3 zeige eine Hülle 16, die ausgehend vom Fußstück eine Erweiterung ihres Durchmessers und damit auch eine Erweiterung ihrer Schichtdicke im Bereich des in das Fußstück eingesetzten Abschnitts zeige. Von diesem Punkt an ändere sich die Schichtdicke der Hülle über die gesamte Länge bis zum Kopfstück. Der Ausdruck "auf zumindest einem Abschnitt" drücke aber diesen Sachverhalt nicht aus. Vielmehr umfasse er eine Vielzahl nicht ursprünglich offenbarter Formen der Hülle, wie Sägezahnformen oder Einschnürungen, welche nicht ursprünglich offenbart waren.
Die Beschwerdegegnerin habe mit den Merkmalen (b3) und (f) lediglich zwei Merkmale isoliert aus der in Figur 3 offenbarten Merkmalskombination herausgegriffen, so dass eine Zwischenverallgemeinerung vorliege.
Die Hilfsanträge B1 bis B4b seien wegen Verspätung nicht in das Verfahren zuzulassen. Sie stellten eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin dar und lagen erst circa zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung, aber fast ein Jahr nach der Ladung und circa vier Jahre nach der Beschwerdebegründung vor. Die Kammer habe in ihrem Ladungszusatz keine neuen Fragestellungen aufgeworfen, die über den Inhalt der Beschwerdebegründung hinausgingen.
IX. Das entscheidungsrelevante Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Eine Offenbarung in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen des konstanten Durchmessers des Zugankers finde sich nicht nur in den Darstellungen der Figuren 3 und 4, sondern auch im ursprünglichen Patentanspruch 10 zumindest implizit. Dieser Anspruch stelle nämlich einen Bezug zu dem Durchmesser des Zugankers her. Des Weiteren offenbare die ursprüngliche Beschreibung, dass es ein Nachteil der aus US 6,182,432 B vorbekannten Lösung sei, dass durch den verringerten Querschnitt im Spitzenbereich eine Schwachstelle gegeben sei. Darüber hinaus werde angegeben, dass die Herstellung einer solchen Einziehfeder aufwändig sei. Hieraus sei für den Fachmann ersichtlich, dass der konstante Durchmesser des Zugankers ein inhärentes Merkmal der Erfindung sei.
Bezüglich Merkmal (f) offenbare der ursprüngliche Patentanspruch 5, dass sich die Einziehfederspitze insgesamt auf zumindest einem Abschnitt verjünge. Im Zusammenhang mit dem konstanten Durchmesser des Zugankers folge unmittelbar, dass die Schichtdicke der Hülle sich auf dem besagten Abschnitt verjünge.
Die Hilfsanträge B1 bis B4b seien zulässig, denn sie stellten eine Reaktion auf die vorläufige Meinung der Kammer und des Schreibens der Beschwerdegegnerin vom 14. Januar 2021 dar. In der Beschwerdebegründung habe die Beschwerdeführerin lediglich vorgetragen, dass die Merkmale (b3) und (f) jeweils für sich genommen nicht ursprünglich offenbart seien. Die Kammer hingegen habe darauf abgestellt, dass die Kombination der besagten Merkmale gegenüber der Figur 3 eine Zwischenverallgemeinerung darstelle. Insbesondere bestehe gemäß der vorläufigen Meinung der Kammer die Zwischenverallgemeinerung darin, dass in Figur 3 lediglich offenbart werde, dass sich die Schichtdicke der Hülle auf der gesamten Länge des flexiblen Teils verjünge und nicht nur auf einem Abschnitt. Die Hilfsanträge seien alle mit dem Ziel eingereicht worden, diesem Einwand zu begegnen. Auf die vorliegende Erwiderung sei der Artikel 12 (2) VOBK in der Fassung von 2007 anzuwenden, der nicht vorschreibe, dass geänderte Ansprüche mit der Erwiderung einzureichen seien.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Beschwerde
Die Beschwerde wurde form- und fristgerecht eingereicht. Sie ist daher zulässig.
2. Hauptantrag - Artikel 123 (2) EPÜ
2.1 Anspruch 1 gemäß Hauptantrag enthält Änderungen, welche Gegenstände einbringen, die über die ursprünglichen Anmeldeunterlagen hinausgehen (Artikel 123 (2) EPÜ).
2.2 Der geänderte Anspruch 1 gemäß Hauptantrag enthält unter anderem die Merkmale
(b3) Zuganker mit konstantem Durchmesser
(f) Hülle, deren Schichtdicke sich auf zumindest einem Abschnitt des flexiblen Teils vom Fußstück in Richtung des Kopfstückes verjüngt.
Die Bezeichnung dieser Merkmale entspricht der Merkmalsanalyse der Beschwerdeführerin.
2.3 Die ursprüngliche Beschreibung enthält keine Offenbarung der Kombination der Merkmale (b3) und (f). Der Beschwerdeführerin ist insofern zuzustimmen, dass aus den letzten Absätzen der Seite 5 der Beschreibung der WO-Veröffentlichung lediglich hervorgeht, dass der Zuganker in zylindrischen Einhöhlungen (14, 15) im Kopf- und Fußstück (2,4) steckt. Hieraus folgt für sich genommen nicht, dass auch der Zuganker selbst zylindrisch ist. Des Weiteren wird auf Seite 5 und in Anspruch 10 nur das Verhältnis des Außendurchmessers des Mantels (synonym zur Hülle) zum Durchmesser des Zugankers angegeben. Aus der Angabe des Verhältnisses folgt nicht, dass der Durchmesser des Zugankers konstant ist. Ebenso stellt der Stand der Technik, der in der ursprünglichen Beschreibung genannt ist und auf den die Beschwerdegegnerin Bezug nimmt, keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung eines konstanten Durchmessers des Zugankers bei einer anspruchsgemäßen Einzugfederspitze dar. Es ist zutreffend, dass der in der Einleitung genannte Stand der Technik eine Einzugfeder mit einem sich verjüngenden Zuganker betrifft und dass diese Lösung als nachteilig beschrieben ist. Offensichtlich gibt es aber eine Vielzahl an Möglichkeiten, den genannten Nachteil zu vermeiden. Daher stellt der genannte Stand der Technik keine eindeutige Offenbarung eines Zugankers mit konstantem Durchmesser dar.
2.4 Daher ist eine etwaige ursprüngliche Offenbarung der Merkmalskombination (b3) und (f) allenfalls unter Hinzunahme der Figur 3 zuzuerkennen, welche im Folgenden reproduziert wird.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Figur 3 der WO-Veröffentlichung der Anmeldung
2.5 Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin zwar dahingehend zu, dass ein Zuganker mit konstantem Durchmesser ursprünglich offenbart ist. Figur 3 ist nämlich nicht rein schematisch. Die Abbildung enthält vielmehr Elemente technischer Zeichnungen, wie Schraffierungen der Schnittflächen. Im vorletzten Absatz von Seite 5 wird offenbart, dass der Zuganker einen Durchmesser hat. Diese Information in Verbindung mit der Figur 3 ist eine Offenbarung eines Zugankers mit einem konstanten Durchmesser.
2.6 Des Weiteren ist, da die Figur 3 nicht rein schematisch ist, auch offenbart, dass sich die Schichtdicke der Hülle entlang der Längsachse vom Fußstück zum Kopfstück verjüngt (Merkmal (f)).
2.7 Allerdings werden in der Figur 3 eine Vielzahl weiterer Merkmale im Zusammenhang mit den herausgegriffenen Merkmalen (b3) und (f) gezeigt, wie z.B. bestimmte Formen der Fuß- und Kopfstücke (2, 4), Überlappungen des Fußstücks (2) und des Kopfstücks (4) mit der Hülle (16), eine Öse im Kopfstück (4), zylindrische Aufnahmen für den Zuganker mit konstantem Durchmesser etc.
Für die Kammer ist keinerlei Hinweis in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen dafür enthalten, dass gerade die gewählte Kombination der Merkmale (b3) und (f) gemäß Anspruch 1 des Hauptantrages für sich genommen ursprünglich eindeutig und unzweifelhaft offenbart wäre.
2.8 Des Weiteren ist in der Figur 3 keine Hülle dargestellt, deren Schichtdicke sich nur in einem Abschnitt verjüngt, wie es Anspruch 1 gemäß Hauptantrag fordert. Die in Figur 3 dargestellte Schichtdicke der Hülle verjüngt sich vielmehr in linearer Weise entlang der gesamten Länge des flexiblen Teils. Anspruch 1 des Hauptantrages ist darauf aber nicht eingeschränkt.
Es ist zwar im ursprünglichen Anspruch 5 offenbart, dass sich der gesamte flexible Teil - und nicht lediglich die Schichtdicke der Hülle - zumindest in einem Abschnitt verjüngt. Die Kammer kann hingegen den ursprünglichen Anmeldeunterlagen keine eindeutige Verbindung zwischen Anspruch 5 und der Figur 3 entnehmen. Vielmehr könnte Anspruch 5 auf ein anderes Ausführungsbeispiel gerichtet gewesen sein, bei dem sich sowohl der Zuganker als auch der Mantel verjüngt. Die Beschwerdegegnerin trug zwar während der mündlichen Verhandlung vor, Anspruch 5 in Zusammenhang mit einem konstanten Durchmesser des Zugankers offenbare zwingend eine abschnittsweise Verjüngung der Schichtdicke der Hülle. Dieses Argument lässt aber den voranstehenden Einwand der Kammer unbeantwortet, dass es keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Anspruch 5 und Figur 3 gibt.
2.9 Die Beschwerdegegnerin entgegnete weiterhin, dass in Figur 3 eine erste Variante für die Verjüngung der Schichtdicke über die gesamte Länge des flexiblen Teils und in Figur 4 eine zweite Variante mit einer stufenförmigen Verjüngung der Schichtdicke der Hülle offenbart sei. Daher sei es auch ursprünglich offenbart, dass die Schichtdicke sich nur auf zumindest einem Abschnitt verjünge.
Dies überzeugt die Kammer nicht. Die Figur 4 in der Fassung der WO-Veröffentlichung ist im Gegensatz zu den Figuren 1 bis 3 nicht eindeutig mehr als eine schematische Darstellung. Zum Beispiel ist die Öse am Kopfstück im Vergleich zu den Figuren 1 bis 3 klar schematisch dargestellt. Die Figur 4 enthält keine Schnittzeichnung. Der Zuganker und damit seine Form sind in Figur 4 nicht direkt dargestellt. Die Kammer konzediert, dass in Figur 4 gestrichelt ein Zuganker im Inneren angedeutet ist. Der schematischen Darstellung der Figur 4 lässt sich jedoch nicht unmittelbar und eindeutig entnehmen, dass auch dieser Zuganker einen konstanten Durchmesser hat. Die Beschwerdegegnerin verwies auch auf den letzten Satz der Beschreibung: "Der Zuganker 13 ist wie bisher zentrisch eingebettet". Hieraus geht nur hervor, dass der Zuganker wie bei anderen Ausführungsbeispielen zentrisch eingebettet ist, nicht jedoch, dass er auch einen konstanten Durchmesser aufweist.
Die Kammer hat überdies Zweifel, dass zwei konkrete Ausführungsvarianten der Verjüngung der Schichtdicke - linear über die gesamte Länge oder in drei Stufen - eine ausreichende Basis für das verallgemeinerte Merkmal "zumindest in einem Abschnitt" darstellen.
2.10 Entgegen der Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ wurden daher durch die Änderungen des Hauptantrags neue Gegenstände hinzugefügt, die über die ursprünglichen Offenbarung hinausgehen. Der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin ist daher nicht gewährbar.
3. Zulässigkeit der Hilfsanträge
3.1 Die Kammer übt ihr Ermessen gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020, dahingehend aus, die Hilfsanträge B1 bis B4b nicht in das Verfahren zuzulassen.
3.2 Artikel 13 (2) VOBK 2020 ist gemäß Artikel 25 (1) VOBK 2020 anzuwenden, da die Ladung zur mündlichen Verhandlung nach dem Inkrafttreten der neuen Verfahrensordnung erfolgte (vgl. Artikel 25 (3) VOBK 2020). Gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
3.3 Die Hilfsanträge B1 bis B4b sind eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin, da sie nicht mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung vorgelegt wurden. Stattdessen wurden sie erst nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereicht.
Die Beschwerdegegnerin vertrat die Ansicht, die Änderungen ihres Beschwerdevorbringens stellten eine gerechtfertigte Reaktion auf die Anmerkungen der Beschwerdekammer vom 28. April 2020 und der Beschwerdeführerin vom 21. Dezember 2021 dar. Die Kammer habe in ihrer vorläufigen Meinung als Grund für eine Verletzung des Artikels 123 (2) EPÜ angegeben, dass die Kombination der Merkmale (b3) und (f) eine Zwischenverallgemeinerung gegenüber der Figur 3 darstelle. Die Beschwerdebegründung stelle hingegen darauf ab, dass diese Merkmale für sich alleine genommen nicht in Figur 3 offenbart seien.
Dem kann die Kammer nicht zustimmen. Die Beschwerdeführerin hat bereits in ihrer Beschwerdebegründung den Einwand erhoben, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrages nicht im Einklang mit den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ steht und diesen Einwand auf die Tatsachen-behauptungen gestützt, dass die Figur 3 zwingend die einzig mögliche Ursprungsoffenbarung darstellt, aber die Merkmale (b3) und (f) für sich genommen nicht aus ihr hervorgingen. Die Beschwerdegegnerin musste ernsthaft in Betracht ziehen, dass die Kammer den Argumenten der Beschwerdeführerin möglicherweise folgt, und die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben könnte. Sie hätte daher bereits mit der Beschwerdeerwiderung entsprechende Hilfsanträge vorlegen können und müssen.
Die Kammer kam im Ladungszusatz zu dem vorläufigen Ergebnis, dass der Beschwerdeführerin zumindest insofern zuzustimmen sei, dass die Kombination der Merkmale (b3) und (f) nicht in Figur 3 offenbart sein dürfte. Mit dieser Betrachtung hat sie erkennbar den Rahmen des durch die Beschwerdeführerin erhobenen Einwandes und der Tatsachenbehauptungen nicht verlassen. Die Kammer hat somit keine völlig neuen Fragestellungen aufgeworfen, sondern allenfalls die Argumente der Beschwerdeführerin im Rahmen der bereits vorgetragenen Tatsachenbehauptungen präzisiert. Die Kammer bemerkt überdies, dass Artikel 13 (2) VOBK 2020 außergewöhnliche Umstände für die Berücksichtigung von Änderungen des Beschwerdevorbringens nach der Ladung voraussetzt. Dass eine Kammer im Rahmen eines Einwandes und des entsprechenden Tatsachenvorbringens eines Verfahrensbeteiligten Argumente präzisiert anstelle davon, sich dessen Vorbringen gänzlich und unverändert zu eigen zu machen, ist kein außergewöhnlicher, sondern ein häufig auftretender Hergang des Verfahrens.
Des Weiteren hat die Beschwerdeführerin auf Seite 8 ihrer Beschwerdebegründung vorgetragen, dass die Figur 3 eine Hülle zeige, die ausgehend vom Fußstück eine Erweiterung ihres Durchmessers und damit auch eine Erweiterung ihrer Schichtdicke im Bereich des in das Fußstück eingesetzten Abschnitts zeige und sich die Schichtdicke von da an über die gesamte Länge bis zum Kopfstück verändere. Die Kammer hat in Absatz 2.3 ihrer Ladung dargelegt, dass die Figur 3 keine Offenbarung einer Hülle darstellen dürfte, deren Schichtdicke sich nur in einem Abschnitt verjüngt. Auch hier hat sich die Kammer erkennbar ein Argument der Beschwerdeführerin zu eigen gemacht. Die Darstellung der Beschwerdegegnerin, dass die Kammer eine Verjüngung der Schichtdicke als dasjenige Merkmal der Figur 3 gesehen habe, von dem die Merkmale (b3) und (f) isoliert worden seien, ist nicht zutreffend. Aus dem ersten Absatz in Punkt 2.3 des Ladungszusatzes geht hervor, dass die Kammer vorläufig in Anspruch 1 gemäß Hauptantrag eine Zwischenverallgemeinerung sah. Aus dem zweiten Absatz ging hingegen hervor, dass die Kammer das Merkmal (f) in seiner im Anspruch aufgenommen Form unabhängig von Merkmal (b3) weder in Figur 3 noch Anspruch 5 ursprünglich offenbart sah.
Damit wurde insbesondere bezüglich Merkmal (f) keine neue oder gar überraschende Fragestellung durch die Kammer aufgeworfen.
Rein vorsorglich ist anzumerken, dass im vorliegenden Fall die Einreichung neuer Anträge mehr als acht Monate nach der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 und nur wenige Wochen vor der mündlichen Verhandlung auch dann nicht unter Artikel 13 (2) VOBK 2020 zu rechtfertigen sein dürfte, wenn die Mitteilung ein unerwartetes neues Vorbringen enthalten hätte.
3.4 Der Hinweis der Beschwerdegegnerin darauf, dass nicht die Bestimmungen der neuen Verfahrensordnung, sondern Artikel 12 (1) und (2) VOBK in der Fassung von 2007 auf die vorliegende Erwiderung anzuwenden seien und Anträge daher nicht bereits mit der Beschwerdebegründung bzw. -erwiderung einzureichen seien, trifft in der Schlussfolgerung ebenfalls nicht zu. Grundsätzlich sind in der vorliegenden Fallkonstellation ohnehin die Bestimmungen des Artikels 13 (2) VOBK 2020 anzuwenden und nicht diejenigen des Artikels 12 VOBK. Aber sowohl Artikel 12 (2) VOBK 2007 als auch Artikel 12 (3) VOBK 2020 bestimmen dass das gesamte Vorbringen, einschließlich der geltend gemachten Anträge mit der Beschwerdebegründung bzw. -erwiderung zu erfolgen hat. Artikel 12 (3) VOBK 2020 nennt hierbei explizit auch die Anträge. Nichts anderes gilt gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern für den Artikel 12 (2) VOBK 2007 (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, V.A.4.1.2 und 4.4.1 mit weiteren Nachweisen).
4. Insgesamt ist der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin nicht gewährbar und ihre Hilfsanträge nicht zulässig. Daher gewährt die Kammer den Hauptantrag der Beschwerdeführerin.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.