T 2532/16 () of 17.7.2019

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2019:T253216.20190717
Datum der Entscheidung: 17 Juli 2019
Aktenzeichen: T 2532/16
Anmeldenummer: 11749177.9
IPC-Klasse: F02B 37/18
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: TOLERANZBEREINIGTER AKTUATOR UND ZUGEHÖRIGES HERSTELLUNGSVERFAHREN
Name des Anmelders: BMTS Technology GmbH & Co. KG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 111
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Neuheit - frühere Offenbarung
Neuheit - implizite Merkmale (nein)
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, zur Post gegeben am 18. Juli 2016, die europäische Patentanmeldung Nr. 11749177.9 nach Artikel 97 (2) EPÜ zurückzuweisen.

II. Gegen diese Entscheidung hat die Patentanmelderin als Beschwerdeführerin am 14. September 2016 Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 18. November 2016 eingereicht.

III. Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des am 23. Mai 2016 eingereichten Anspruchs 1 nicht neu ist, so dass die Anmeldung und die Erfindung, die sie zum Gegenstand hat, nicht den Erfordernissen des EPÜ genügen.

In ihrer Entscheidung hat die Prüfungsabteilung unter anderem die folgende Entgegenhaltung berücksichtigt:

D6: EP 1 256 703 A2

IV. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf Basis der am 23. Mai 2016 vorgelegten Patentansprüche (Hauptantrag), oder die Zurückverweisung der Sache an die Prüfungsabteilung zur erneuten Sachprüfung dieser Patentansprüche (Hilfsantrag).

V. Der unabhängige Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Herstellung und Montage eines toleranzbereinigten Aktuators (1) an einer Ladeeinrichtung (6), insbesondere für einen Abgasturbolader eines Kraftfahrzeugs, wobei der Aktuator (1) eine Regelbauteilgruppe (4), umfassend eine Regelstange (2) und ein an die Regelstange (2) anbindbares Anbindungselement (3), aufweist, bei dem

a) der zu toleranzbereinigende Aktuator (1) in eine vordefinierte Stellung gebracht wird, insbesondere mittels eines definierten Signals,

b) durch relatives Verschieben des Anbindungselementes (3) zur Regelstange (2) eine vorbestimmte Gesamtlänge (L) der Regelbauteilgruppe (4) eingestellt wird,

c) zur Toleranzbereinigung des Aktuators (1) das Anbindungselement (3) mit der Regelstange (2) fest verbunden wird,

d) der auf die vorbestimmte Gesamtlänge (L) toleranzbereinigte Aktuator (1) relativ zu der Ladeeinrichtung (6) positioniert und fixiert wird,

e) eine variable Turbinengeometrie oder ein Wastegateventil der Ladeeinrichtung (6) in eine vordefinierte Stellung gebracht wird,

f) der in den Schritten a) bis c) toleranzbereinigte Aktuator (1) in eine vordefinierte Stellung gebracht wird,

g) und anschließend ein an eine Regelbauteilgruppe (4) des toleranzbereinigten Aktuators (1) rotationsbeweglich angebundener Stellhebel (10) mit einem Betätigungselement (17) der variablen Turbinengeometrie oder des Wastegateventils rotationsstarr verbunden wird."

VI. Die Beschwerdeführerin hat zu den entscheidungs-erheblichen Punkten folgendes vorgetragen:

Der Gegenstand von Anspruch 1 des zurückgewiesenen Anspruchssatzes sei neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments D6. Daher solle die Zurückweisung der Patentanmeldung durch die Prüfungsabteilung aufgehoben werden und ein Patent auf Grundlage des zurückgewiesenen Anspruchssatzes erteilt werden. Hilfsweise solle die Sache zur erneuten Sachprüfung dieser Patentansprüche an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen werden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Anwendungsgebiet der Erfindung

Die Patentanmeldung betrifft ein Verfahren zur Herstellung und Montage eines toleranzbereinigten Aktuators an einer Ladeeinrichtung (z.B. ein Abgasturbolader eines Kraftfahrzeugs), wobei der Aktuator eine Regelbauteilgruppe, umfassend eine Regelstange und ein an die Regelstange anbindbares Anbindungselement, aufweist.

Bei dem Verfahren wird insbesondere

- der zu toleranzbereinigende Aktuator in eine vordefinierte Stellung gebracht,

- durch relatives Verschieben des Anbindungselementes zur Regelstange eine vorbestimmte Gesamtlänge der Regelbauteilgruppe eingestellt,

- zur Toleranzbereinigung des Aktuators das Anbindungselement mit der Regelstange fest verbunden.

Durch dieses Verfahren werden die Positionstoleranzen des Aktuators kompensiert, so dass jeder Aktuator des gleichen Bautyps positionsbedingt vernachlässigbare Toleranzen aufweist. Im Falle eines Austausches des Aktuators muss daher keine Toleranzbereinigung mehr vorgenommen werden (Anmeldung, Seite 3, Zeilen 15-20).

3. Neuheit

Die Patentanmelderin bestreitet den Befund der Entscheidung, wonach das Verfahren zur Herstellung und Montage eines toleranzbereinigten Aktuators nach Anspruch 1 nicht neu gegenüber D6 sei.

3.1 Das Dokument D6 offenbart im Zusammenhang mit den Absätzen 0008, 0020 bis 0025 und Figur 2 unbestritten ein Verfahren zur Herstellung und Montage eines Aktuators (15) an einer Ladeeinrichtung (4, 10) für einen Abgasturbolader eines Kraftfahrzeugs, wobei der Aktuator eine Regelbauteilgruppe (16, 17), umfassend eine Regelstange (16) und ein an die Regelstange anbindbares Anbindungselement (17) aufweist, bei dem

- der Aktuator in eine Stellung gebracht wird,

- eine Gesamtlänge der Regelbauteilgruppe eingestellt wird,

- das Anbindungselement mit der Regelstange verbunden wird,

- der Aktuator relativ zu der Ladeeinrichtung positioniert und fixiert wird,

- ein Wastegateventil (13) der Ladeeinrichtung in eine vordefinierte Stellung (Absatz 0008: Punkt des "lift off") gebracht wird,

- der Aktuator in eine vordefinierte Stellung gebracht wird,

- und anschließend der Aktuator mit einem Betätigungselement (14) des Wastegateventils rotationsstarr verbunden wird (Bezugsziffern beziehen sich auf die in Figur 2 offenbarte Vorrichtung).

Die Beschwerdeführerin-Patentanmelderin bestreitet jedoch, dass D6 eine Toleranzbereinigung durch Verschiebung eines Anbindungselementes zur Regelstange gemäß der Verfahrensschritte a) bis c) von Anspruch 1 offenbare.

3.2 Die Kammer muss daher prüfen, wie genau die in D6 offenbarte Verbindung zwischen der Regelstange und dem Anbindungselement beschaffen ist, und ob sie die beanspruchte relative Verschiebung ermöglicht.

3.2.1 Bei einer zum Verständnis bereiten Leseweise des Merkmals b) bezieht sich die Einstellung der Gesamtlänge auf die Länge der Regelbauteilgruppe in Längsrichtung der Regelstange. Die Kammer verweist auf das fachmännische Verständnis des Begriffs "Stange" als ein länglicher Gegenstand. Folglich muss im Merkmal b) das gesamte Anbindungselement relativ in Längsrichtung der Regelstange verschoben werden, damit sich diese Verschiebung auf die Gesamtlänge der Regelbauteilgruppe auswirkt.

3.2.2 Das Dokument D6 offenbart eine Regelbauteilgruppe mit einer Regelstange 16 und einem Anbindungselement 17, welche über ein Drehgelenk 20 miteinander verbunden sind (Figur 2; Absatz 0008: "pivotable joint"; Absatz 0023: "pivotal connection 20"). Eine Drehung des Anbindungselements um den Drehpunkt des Drehgelenks bewirkt keine relative Verschiebung des gesamten Anbindungselements, da lediglich der Bewegungsvektor des vom Drehgelenk beabstandeten Endes des Anbindungselements eine Komponente in Längsrichtung der Regelstange aufweist. Das am Drehgelenk befestigte Ende des Anbindungselements dagegen kann wegen seiner Befestigung an der Regelstange nicht relativ zur Regelstange verschoben werden. Folglich ist wegen des Drehgelenks keine relative Verschiebung des gesamten Anbindungselements in Längsrichtung der Regalstange mehr möglich, sobald die beiden Bauteile miteinander verbunden sind.

3.2.3 Das Merkmal b) ist nicht darauf beschränkt, dass die Regelstange und das Anbindungselement bereits miteinander verbunden sind, wenn die relative Verschiebung stattfindet. Daher muss die Kammer nun untersuchen, ob D6 eine relative Verschiebung dieser Bauteile in Längsrichtung der Regelstange offenbart, bevor oder während sie miteinander verbunden werden.

Nach ständiger Rechtsprechung ist eine spezielle Offenbarung für ein generisches Merkmal neuheitsschädlich, wohingegen eine generische Offenbarung für ein spezielles Merkmal nicht neuheitsschädlich ist (RdBK, 8. Auflage 2016, I.C.5.2.6). Im vorliegenden Fall offenbart D6 im Hinblick auf die Verbindung zwischen Regelstange und Anbindungselement lediglich, dass sie vormontiert werden und durch ein Drehgelenk miteinander verbunden sind (Absatz 0008: "actuator can, actuating rod and actuator lever are pre-assembled"; Absatz 0023: "end of the actuator rod 16 is connected to the actuator lever

17 via a pivotal connection 20", Hervorhebungen durch die Kammer). Diese generische Offenbarungen enthalten keinen Hinweis auf die Art und Weise, wie genau die Vormontage erfolgt, oder wie die Verbindung zwischen Regelstange und Anbindungselement hergestellt wird. Daher können diese Offenbarungen unter Anwendung der obigen Rechtsprechung nicht neuheitsschädlich für das spezielle Merkmal "relatives Verschieben des Anbindungselementes zur Regelstange sein".

Die angegriffene Entscheidung gelangt unter Verweis auf Absatz 0008 und Figur 2 zu dem Ergebnis, dass auch eine Verbindung von Regelstange und Anbindungselement durch Aufstecken "eine Verschiebung zwangsläufig beinhaltet"

(Punkt 14 der Entscheidungsgründe). Selbst wenn D6 eine solche Verbindung durch Aufstecken offenbaren würde, was aus den im vorherigen Absatz genannten Gründen wegen der generischen Offenbarungen nicht der Fall ist, erfolgt ein Aufstecken des Anbindungselements in Richtung des Drehgelenks. Das Drehgelenk 20 ist in D6 quer zur Längsrichtung der Regelstange 16 angeordnet (siehe Figur 2). Da folglich die im Aufstecken enthaltene Verschiebung quer zur Längsrichtung der Regelstange erfolgen würde, stellt sie gerade keine relative Verschiebung des Anbindungselements in Längsrichtung der Regelstange im Sinne von Merkmal b) dar (siehe Absatz 3.2.1 der Entscheidung).

Aus diesen Gründen gelangt die Kammer zum Zwischenfazit, dass Merkmal b) nicht im Dokument D6 offenbart wird.

3.3 Das Merkmal c) ist auf ein fest mit der Regelstange verbundenes Anbindungselement gerichtet.

Eine normale Definition des Begriffs "fest verbunden" ist unbeweglich miteinander verbunden, da eine nur die Beweglichkeit zweier Bauteile einschränkende Verbindung als Gelenk bezeichnet wird. Diese schon aus dem Wortlaut von Anspruch 1 ableitbare Auslegung wird durch den Inhalt der Patentanmeldung bestätigt. In der Beschreibung wird die Verbindung zwischen der Regelstange und dem Anbindungselement als endgültiges Fixieren bezeichnet, und beispielhaft werden unbewegliche Verbindungen wie Verschrauben, Verkleben, Verschweißen, Vernieten oder Verpressen genannt (Seite 6, Zeilen 20 und 21).

Das in D6 offenbarte Drehgelenk soll ausdrücklich eine Relativbewegung zwischen dem Anbindungselement 17 und der Regelstange 16 erlauben (Absatz 0023: "to allow relative movement between the two"). Bei einer Auslegung des Merkmals "fest verbunden" im Sinne einer unbeweglichen Verbindung offenbart D6 folglich auch nicht das Merkmal c).

3.4 Im Wege der Amtsermittlung untersucht die Kammer auch das Merkmal g). Das Merkmal g) verlangt, dass ein rotationsbeweglich an den Aktuator angebundener Stellhebel vorhanden ist, welcher rotationsstarr mit einem Betätigungselement des Wastegateventils verbunden wird.

In D6 wird das Wastegateventil 13 durch ein Betätigungselement 14 betätigt (Absatz 0020: "wastegate valve 13 which is operated by rotation of a valve stem 14 which extends through a bush 14a in the turbine housing 5"). Bei dieser Anordnung fehlt ein weiterer Stellhebel, da das Anbindungselement 17 der Regelbauteilgruppe bereits die Form eines Hebels aufweist. Zudem ist das Anbindungselement direkt und rotationsstarr mit dem Betätigungselement 14 verbunden (Absatz 0008: "end of the actuator lever welded to the valve stem"; Absatz 0023: "the lever 17 is fixed to the valve stem 14, typically by welding"). Folglich offenbart D6 auch nicht das Merkmal g).

3.5 Aus diesen Gründen offenbart D6 nicht die Merkmale b), c) und g) von Anspruch 1, so dass sein Gegenstand neu ist, Artikel 54 EPÜ.

Eine vordefinierte Stellung im Sinne von Merkmal a) wird dagegen in D6 offenbart. Die Kammer sieht die "lift off" Stellung wegen der Ausrichtung der Regelstange und des Anbindungselements zwischen der druckbeaufschlagten Aktuatormembran und dem geschlossenen Wastegateventil als eine vordefinierte Stellung des zu toleranzbereinigenden Aktuators an (Absatz 0008: "wastegate valve is then clamped shut ... actuator can is pressurised to the desired lift off pressure").

Wenn sich die Regelbauteilgruppe in der "lift off" Stellung befindet, haben die Aktuatormembran und das Wastegateventil relativ zueinander eine bestimmte Stellung eingenommen. Diese Stellung legt die Gesamtlänge dieser einzelnen Regelbauteilgruppe fest, so dass die Gesamtlänge durch die Relativpositionen von Aktuatormembran und Wastegateventil vorbestimmt wird. Folglich handelt es sich um die Einstellung einer vorbestimmten Gesamtlänge im Sinne von Merkmal b).

4. Zurückverweisung

Die Beschwerdeführerin hat beantragt, dass die Beschwerdekammer ein Patent auf Grundlage des zurückgewiesenen Anspruchssatzes erteilen solle, oder dass sie hilfsweise die Sache zur erneuten Sachprüfung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen solle.

4.1 Die Beschwerdekammer wird gemäß Artikel 111 (1) EPÜ entweder im Rahmen der Zuständigkeit des Organs tätig, das die Entscheidung erlassen hat, oder sie verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an dieses Organ zurück. Es steht somit im pflichtgemäßen Ermessen der Kammer, unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls darüber zu befinden, ob eine Sache zurückzuverweisen oder sachlich zu entscheiden ist.

4.2 Die vermeintlich mangelnde Neuheit des von der Prüfungsabteilung zurückgewiesenen Antrags wurde in der angegriffenen Entscheidung lediglich mit dem Dokument D6 belegt. Der Recherchenbericht enthält jedoch weitere Dokumente der Kategorie X, die bereits im Prüfungsverfahren diskutiert wurden (siehe neben dem Recherchenbericht auch Punkt 2 der angegriffenen Entscheidung oder das Protokoll der telefonischen Rücksprache vom 3. September 2015). Zudem wurden im Prüfungsverfahren Klarheitseinwände erhoben (siehe Punkt 4 der angegriffenen Entscheidung). Außerdem ist noch die erfinderische Tätigkeit von Anspruch 1 im Hinblick auf die in der vorliegenden Entscheidung identifizierten Unterschiedsmerkmale zu prüfen.

4.3 Um die Möglichkeit einer Prüfung durch zwei Instanzen zu wahren, und da auch die Patentanmelderin hilfsweise eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung beantragt hat, hält die Kammer es daher für angebracht, die Sache an die Prüfungs-abteilung zurückzuverweisen, Artikel 111(1) EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.

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