European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T243116.20200528 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 28 Mai 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2431/16 | ||||||||
Anmeldenummer: | 11738202.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | F25D23/06 F25D25/02 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | KÄLTEGERÄT MIT EINER TRAGSCHIENE FÜR EINEN FACHBODEN | ||||||||
Name des Anmelders: | BSH Hausgeräte GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Liebherr-Hausgeräte Ochsenhausen GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Spät eingereichtes Dokument - zugelassen (nein) Neuheit - Hauptantrag (ja) Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent Nr. 2 606 296 (im Folgenden: Patent) betrifft ein Kältegerät, insbesondere Haushaltskältegerät, mit wenigstens einem ausziehbar und einschiebbar gelagerten Fachboden zum Ablegen von Kühlgut.
II. Gegen das Patent wurde Einspruch eingelegt und Widerruf im gesamten Umfang beantragt. Als Einspruchsgründe wurden mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit geltend gemacht (Artikel 100 a) EPÜ).
III. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung hat diese entschieden, den Einspruch gegen das Patent zurückzuweisen.
IV. Die Einsprechende (im Folgenden: Beschwerdeführerin) hat Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt.
V. In der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2007) vom 6. August 2019 hat die Kammer ihre vorläufige Einschätzung der Beschwerde mitgeteilt.
VI. Die mündliche Verhandlung hat am 28. Mai 2020 in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und der Patentinhaberin (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) stattgefunden.
VII. Schlussanträge
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Der Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Patent in eingeschränkter Fassung auf der Grundlage der Hilfsanträge 1 bis 17, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung, oder der Hilfsanträge 18 bis 20, eingereicht mit dem Schreiben vom 31. Oktober 2019, aufrechtzuerhalten.
VIII. Anspruchssätze
a) Hauptantrag
Der unabhängige Sachanspruch 1 in der erteilten Fassung lautet folgendermaßen (die Nummerierung der Merkmale wurde in Anlehnung an die in der angefochtenen Entscheidung und von den Beteiligten verwendete Merkmalsanalyse hinzugefügt):
1A) Kältegerät, insbesondere Haushaltskältegerät (1),
1B) aufweisend einen wärmeisolierten, einen Lagerraum
(3) für Kühlgut auskleidenden Innenbehälter (4) mit
einer Rückwand,
1C) ein zum Öffnen und Schließen einer Öffnungsebene
(O) des Lagerraums (3) am Kältegerät gelagertes
Türblatt (2), sowie
1D) wenigstens einen Fachboden (8) zum Ablegen von
Kühlgut, und
1E) wenigstens zwei Haltemittel (7), die ausgebildet
sind, den Fachboden (8) mit seinen
gegenüberliegenden Seiten an dem Innenbehälter (4)
im Lagerraum (3) ausziehbar und einschiebbar zu
lagern,
1F-a) wobei die Haltemittel (7.1) Tragschienen (9)
aufweisen,
1F-b) die ausgebildet sind, den Fachboden (8) in einem
der Öffnungsebene (O) zugewandten, vorderen
Tiefenbereich derart abzustützen,
1F-c) dass ein der Rückwand (28) des Innenbehälters
(4) zugewandter hinterer Tiefenbereich eines
zumindest dort freitragend ausgebildeten
Fachbodens (8) in einer eingeschobenen Position
in Richtung der Rückwand (28) auskragt,
dadurch gekennzeichnet, dass
1F-d) die Tragschiene (9) einen Befestigungsabschnitt
(12) aufweist,
1F-e) der zum Einsetzen in eine [sic] als Haltenut (7)
am Innenbehälter (4) ausgebildetes Haltemittel
(7.1) ausgestaltet ist,
1G-a) wobei sich die Haltenut (7) lediglich über den
der Öffnungsebene (O) zugewandten, vorderen
Tiefenbereich erstreckt,
1G-b) in dem der Fachboden (8) durch die Tragschiene
(9) abgestützt ist.
b) Hilfsanträge 1 bis 20
Im Lichte des Tenors der vorliegenden Entscheidung ist es nicht notwendig, den Wortlaut der Ansprüche der Hilfsanträge wiederzugeben.
IX. Stand der Technik
a) In der Beschwerdebegründung und in der Beschwerdeerwiderung haben die Beteiligten auf folgende bereits in der angefochtenen Entscheidung genannte Druckschriften Bezug genommen:
D1: JP 2005-300034 A, mit englischer
Maschinenübersetzung (D1a);
D2: DE 10 2004 014 464 A1;
D3: DE 10 2008 040 331 A1;
D4: WO 2005/009173 A1;
D7: JP H08-178518 A, mit englischer
Maschinenübersetzung (D7a).
b) Die Beschwerdeführerin hat folgende Druckschrift zum ersten Mal mit der Beschwerdebegründung eingereicht:
D18: DE 41 03 334 A1.
X. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beteiligten lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:
a) Dokument D18 - Berücksichtigung im Beschwerdeverfahren
Die Beschwerdeführerin macht in ihrer Beschwerdebegründung geltend, dass ausgehend von D18 als nächstliegendem Stand der Technik der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruhe. Das zwar spät eingereichte Dokument D18 sei also hochrelevant.
Die Beschwerdegegnerin hält dem entgegen, dass dieses verspätet eingereichte Beweismittel nicht zugelassen werden dürfe, weil es bereits innerhalb der Einspruchsfrist hätte eingereicht werden können und prima facie nicht relevant sei.
b) Hauptantrag - Neuheit im Hinblick auf D1
Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass - entgegen der angefochtenen Entscheidung - der Gegenstand von Anspruch 1 im Hinblick auf D1 nicht neu sei.
Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass der Gegenstand von Anspruch 1 durch D1 nicht neuheitsschädlich vorweggenommen sei, denn dort seien Merkmale 1D), 1F-c), 1F-e), 1G-a) und 1G-b) nicht offenbart.
c) Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D2
Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass - entgegen der angefochtenen Entscheidung - ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik der Gegenstand von Anspruch 1 auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruhe. Der beanspruchte Gegenstand unterscheide sich von D2 durch Merkmale 1F-b), 1F-c), 1G-a) und 1G-b). Die objektive Aufgabe gegenüber D2 liege darin, das dort offenbarte Auszugssystem für den Fachboden kostengünstig auszuführen. Der mit dieser Aufgabe befasste Fachmann würde aufgrund seiner allgemeinen Fachkenntnisse, wie in D3 oder D7 dokumentiert, in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand gelangen.
Die Beschwerdegegnerin hält dem entgegen, dass die genannten Unterscheidungsmerkmale zwischen dem Gegenstand von Anspruch 1 und D2 das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit begründen würden. Die objektive Aufgabe liege darin, ein kostengünstiges Auszugssystem zu schaffen, das eine weite Ausfahrstrecke bzw. weite Einschiebestrecke für den Fachboden gewährleiste (Absatz 7 der Patentschrift). Der Fachmann könne dem entgegengehalten Stand der Technik keinen Hinweis zur beanspruchten Lösung dieser Aufgabe entnehmen. Falls der Fachmann entsprechend dem Vortrag der Beschwerdeführerin die in D2 offenbarten Tragschienen 5 samt Haltenuten 15 verkürzen möchte, würde er jedenfalls keinen weiten Überstand des Fachbodens in Richtung der Rückwand und mithin keinen freitragenden auskragenden hinteren Tiefenbereich erhalten, wie Merkmal 1F-c) verlangt.
d) Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D1
Sollte die Kammer zum Ergebnis gelangen, dass der Gegenstand von Anspruch 1 sich von D1 durch Merkmale 1D), 1F-c), 1F-e), 1G-a) und 1G-b) unterscheidet, führt die Beschwerdeführerin aus, dass diese Unterschiede das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit dennoch nicht begründen könnten. In Bezug auf Merkmal 1D) liege die damit objektiv gelöste Teilaufgabe darin, eine alternative Innenraumaufteilung aufzufinden. In Bezug auf Merkmale 1F-c), 1F-e), 1G-a) und 1G-b) bestehe die damit objektiv gelöste Teilaufgabe darin, eine vereinfachte bzw. verbesserte Befestigungsmöglichkeit für die Tragschienen 31a an der Behälterinnenwand bereitzustellen. Die beanspruchten Lösungen dieser Aufgaben seien für den Fachmann aufgrund der Lehre von D2 naheliegend.
Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass D1 keinen geeigneten Ausgangspunkt für den Aufgabe-Lösungs-Ansatz darstelle. Die Verwendung eines Fachbodens statt des in D1 offenbarten Schubladenbehälters 32 wäre völlig abwegig, denn beim Öffnen des Lagerraums und Verschieben des Fachbodens könnte Kühlgut vom Fachboden herunterfallen und/oder umkippen. Zudem sei es nicht naheliegend, die Lehre von D1 mit derjenigen von D2 zu kombinieren, da die dort offenbarten Auszugsysteme nicht kompatibel seien. Davon abgesehen seien zumindest Merkmale 1F-c), 1G-a) und 1G-b) weder in D1 noch in D2 offenbart. Eine wie auch immer geartete Kombination der Lehren dieser Dokumente könne also nicht zum beanspruchten Gegenstand führen.
Entscheidungsgründe
1. Anwendbare Verfahrensordnung der Beschwerdekammern
1.1 Die Beschwerde ist vor dem Inkrafttreten der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) am 1. Januar 2020 eingelegt worden. Diese ist für am Tag des Inkrafttretens bereits anhängige Beschwerden ebenso anwendbar wie für danach eingelegte Beschwerden (Artikel 25 (1) VOBK 2020).
1.2 Im vorliegenden Fall wurde die Beschwerdebegründung vor dem 1. Januar 2020 fristgerecht eingereicht. Daher ist Artikel 12 (4) bis (6) VOBK 2020 nicht anzuwenden. Stattdessen ist Artikel 12 (4) VOBK 2007 auf die Beschwerdebegründung anzuwenden (Artikel 25 (2) VOBK 2020).
2. Hauptantrag - Auslegung von Anspruch 1
2.1 Zwischen den Beteiligten ist die Auslegung von Anspruch 1 streitig, insbesondere des Merkmals 1F-c), wonach "ein der Rückwand des Innenbehälters zugewandter hinterer Tiefenbereich eines zumindest dort freitragend ausgebildeten Fachbodens in einer eingeschobenen Position in Richtung der Rückwand auskragt".
2.2 Die Beschwerdeführerin führt aus, dass Anspruch 1 nach seinem Wortlaut verschiedene Ausführungsformen umfasse, darunter auch solche, bei denen der freitragende auskragende hintere Tiefenbereich des Fachbodens klein oder minimal sei.
2.3 Die Kammer teilt jedoch die Ansicht der Beschwerdegegnerin, dass in der technischen Mechanik, insbesondere in der Baustatik, der Begriff "freitragend auskragend" ein weites Überstehen von einseitig gelagerten Bauteilen bezeichnet. Der Fachmann versteht beim Lesen von Merkmal 1F-c) im Gesamtzusammenhang des Anspruchs 1, dass im eingeschobenen Zustand des Fachbodens dieser nur im vorderen Tiefenbereich von den Tragschienen unterstützt ist (Merkmal 1F-b)), während der hintere Tiefenbereich des Fachbodens durch keine Lagermittel unterstützt ist und frei über die Unterstützung des vorderen Tiefenbereichs nach hinten in Richtung der Rückwand des Innenbehälters weit hinausragt (Merkmal 1F-c)). Im Übrigen wird dieses Verständnis durch die Lehre in der Beschreibung bestätigt (in der Patentschrift siehe Absätze 7 und 8 in Verbindung mit Figuren 3 und 5).
2.4 Die Beschwerdegegnerin führt aus, dass in Anspruch 1 implizit ist, dass zur Erzielung eines langen Auszugswegs die Tragschienen verschieblich mit dem Fachboden verbunden sind, wobei im ausgezogenen Zustand des Fachbodens der hintere Tiefenbereich des Fachbodens durch die Tragschienen unterstützt wird, während der vordere Tiefenbereich nach vorne frei über die Unterstützung hinaus nach vorne auskragt (Absatz 7 der Patentschrift in Verbindung mit Figuren 3 bis 6).
2.5 Die Kammer teilt jedoch die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass es für den einschlägigen Fachmann keine Veranlassung gibt, diese Beschränkungen, die dem expliziten Wortlaut des Anspruchs nicht zu entnehmen sind, in Anspruch 1 hineinzulesen. Insbesondere vermittelt der Anspruchswortlaut dem Fachmann eine klare - wenn auch breite - technische Lehre, so dass keine Veranlassung besteht, die Beschreibung und Zeichnungen des Patents zur Auslegung des Anspruchs heranzuziehen. Beispielsweise umfasst Anspruch 1 alternative Ausführungsformen, bei denen die Tragschienen fest mit dem Fachboden befestigt sind und der Auszugsweg des Fachbodens kurz ist.
3. Dokument D18 - Berücksichtigung im Beschwerdeverfahren
3.1 Die Beschwerdeführerin hat das Dokument D18 erstmals mit ihrer Beschwerdebegründung vorgelegt und für neue, weitere Einwände der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gegen Anspruch 1 in der erteilten Fassung verwendet.
3.2 Die Beschwerdeführerin hat keine triftigen Gründe genannt, warum dieses neue Beweismittel nicht früher im Einspruchsverfahren eingereicht wurde und ob und inwiefern die Einreichung dieses Beweismittels und das darauf gestützte Vorbringen für die Überprüfung der von der Einspruchsabteilung angeführten Entscheidungsgründe relevant sind. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern das Wesen des Einspruchsbeschwerdeverfahrens darin liegt, in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu überprüfen, und nicht ein zweites Einspruchsverfahren mit neuem Tatsachenvorbringen durchzuführen.
3.3 Die Beschwerdeführerin macht geltend, D18 sei im Rahmen einer zusätzlichen Recherche ermittelt worden, die nach dem für sie unerfreulichen Ausgang des erstinstanzlichen Verfahrens eingeleitet worden sei.
3.4 Die Kammer teilt jedoch die Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass dieses neue Beweismittel schon im Einspruchsverfahren eingereicht hätte werden können.
3.5 So bestand nach der negativen vorläufigen Meinung der Einspruchsabteilung betreffend der Vorwegnahme des beanspruchten Gegenstands durch D1 im Ladungsbescheid vom 5. Januar 2016 bereits Veranlassung, weiteres Beweismaterial vorzulegen. Dies hat die Beschwerdeführerin auch so verstanden, denn sie hat mit Schriftsatz von 3. Juni 2016 drei zusätzliche Beweismittel eingereicht (D15 bis D17). Es scheint, dass das nunmehr im Beschwerdeverfahren neu eingereichte Beweismittel ebenfalls schon in diesem Verfahrensstadium hätte vorgelegt werden können.
3.6 Die Kammer teilt außerdem die Ansicht der Beschwerdegegnerin, dass der Informationsgehalt von D18 nicht über jenen von D1 oder D2 hinausgeht. Insbesondere offenbart D18 keinen Fachboden (Merkmal 1D)) mit einem freitragenden auskragenden hinteren Tiefenbereich im eingeschobenen Zustand (Merkmal 1F-c)).
3.7 Die Kammer kommt daher unter Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 zu dem Schluss, D18 sowie die darauf gestützten Einwände der mangelnden erfinderischen Tätigkeit unberücksichtigt zu lassen.
4. Hauptantrag - Neuheit im Hinblick auf D1
4.1 D1 offenbart, in Figuren 1 bis 6, ein Haushaltskältegerät mit einem Kühlfach 24, das ein Türblatt und mehrere Fachböden zum Ablegen von Kühlgut aufweist. Unterhalb davon befindet sich ein separates schubladenartiges Gemüsefach 27 mit einer Blende 28, einem Behälter 32 und einem Auszugsystem 31, welches beidseitig eine in einer Vertiefung 34 des Innenbehälters fest montierte Tragschiene 31a, eine ausziehbare Tragschiene 31b und eine Zwischenschiene 31 umfasst.
4.2 Die Beschwerdeführerin führt aus, dass dieses Kältegerät sämtliche Merkmale von Anspruch 1 ihrem Wortlaut nach verwirklicht. Insbesondere argumentiert sie,
- dass die Schublade 32 den mit Merkmalen 1D), 1E), 1F-b), 1F-c) und 1G-b) definierten Fachboden vorwegnehme,
- dass die Tragschienen 31a die mit Merkmalen 1F-a), 1F-b), 1F-d), 1F-e) und 1G-b) definierten Tragschienen verwirklichen würden, und
- dass die Vertiefung 34 die mit Merkmalen 1F-e),
1G-a) und 1G-b) definierte Haltenut vorwegnehme.
4.3 Die Kammer teilt jedoch aus folgenden Gründen die Meinung der Beschwerdegegnerin, dass die Schublade 32 weder einen Fachboden darstellt (Merkmal 1D)) noch einen freitragenden auskragenden hinteren Tiefenbereich im eingeschobenen Zustand aufweist (Merkmal 1F-c)), und dass die Vertiefung 34 keine anspruchsgemäße Haltenut darstellt (Merkmale 1F-e), 1G-a) und 1G-b)).
4.3.1 Fachboden
Der Begriff "Fachboden" bezeichnet nach dem allgemeinen Sprachverständnis den Boden eines Ablagefachs eines Regals oder Schranks, wobei das Lagergut direkt auf den Fachboden abgelegt und wieder entnommen werden kann. Dies stellt einen Unterschied zu Schubladen dar, deren Innenraum nur dann zugänglich ist, wenn sie herausgezogen sind, wie die Beschwerdegegnerin zutreffend dargelegt hat. Dieses Verständnis entspricht dem im einschlägigen Gebiet der Haushaltskältegeräte. Beispielsweise wird in D2, D3 und D4 zwischen ausziehbaren Böden und Schubladen unterschieden. Soweit die Einspruchsabteilung argumentiert hat, der Boden der in D1 offenbarten Schublade 32 könne als Fachboden betrachtet werden, überzeugt dies nicht, weil es die etablierte begriffliche Differenzierung zwischen "Fachboden" und "Schublade" außer Acht lässt. Selbst wenn der erfindungsgemäße Fachboden ausziehbar und einschiebbar gelagert ist (Merkmal 1E)) und tablettförmig ausgebildet sein kann (Absatz 27 der Patentschrift), impliziert dies nicht, dass die in D1 offenbarte tiefe Schublade 32 - oder ihr Boden - als Fachboden angesehen werden kann.
4.3.2 Freitragender auskragender Tiefenbereich
Die beweglichen Tragschienen 31b unterstützen stets die Schublade 32 über ihre gesamte Tiefe, d. h. sowohl im vorderen als auch im hinteren Tiefenbereich der Schublade. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin offenbart D1 also nicht, dass im eingeschobenen Zustand der hintere Tiefenbereich frei über die Unterstützung des vorderen Tiefenbereichs nach hinten hinausragt.
4.3.3 Haltenut
Die in Figuren 2 und 3 von D1 dargestellte konkave Vertiefung 34 in der Seitenwand des Innenbehälters 20 stellt kein als Haltenut ausgebildetes Haltemittel dar (Merkmal 1F-e)). Diese Vertiefung hat keinerlei Haltefunktion; sie dient lediglich dazu, die Tragschiene 31a aufzunehmen, die mittels Schrauben auf der Seitenwand befestigt ist. Davon abgesehen kann D1 nicht entnommen werden, dass sich die Vertiefung 34 lediglich über den vorderen Tiefenbereich erstreckt, in dem der Fachboden durch die Tragschiene 31a abgestützt ist (Merkmale 1G-a) und 1G-b)). Vielmehr ist in Figur 3 ersichtlich, dass die Vertiefung 34 in Tiefenrichtung länger ist als die Trageschiene 31a.
4.4 Zusammenfassend ist der Gegenstand von Anspruch 1 im Hinblick auf D1 neu im Sinne von Artikel 54(1),(2) EPÜ.
5. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D2
5.1 Die Kammer teilt die Auffassung der Beteiligten, dass D2 einen realistischen Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit bildet.
5.2 Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass das dort offenbarte Kühl- und/oder Gefriergerät mit einem Ausziehboden (Absatz 23) und einer in der Innenverkleidung (1) ausgebildeten Nut (15) zur formschlüssigen Halterung einer Auszugschiene (5) die in Anspruch 1 aufgeführten Merkmale 1A) bis 1E), 1F-a), 1F-d) und 1F-e) ihrem Wortlaut nach verwirklicht, und dass Merkmale 1F-b), 1F-c), 1G-a) und 1G-b) dem Dokument D2 nicht entnommen werden können.
5.3 Es ist zwischen den Beteiligten hingegen streitig, welche sinnvolle objektive technische Aufgabe sich der Fachmann ohne Kenntnis der Erfindung ausgehend von D2 stellen würde.
5.4 In der Regel ist bei der Formulierung der zu lösenden technischen Aufgabe zunächst von der im Patent formulierten Aufgabe auszugehen. Auf die in Absatz 5 der Patentschrift formulierte Aufgabe kann jedoch nicht zurückgegriffen werden, weil sie in D2 bereits gelöst ist. Die dort offenbarten Auszugsschienen dienen nämlich dazu, mehrere Trageböden ausziehbar zu lagern. Die technische Aufgabe muss also neu formuliert werden.
5.5 Die Beschwerdegegnerin führt aus, dank der vorgenannten Unterscheidungsmerkmale könne unter Verwendung besonders kurzer Haltemittel bzw. Tragschienen eine weite Ausfahrstrecke bzw. weite Einschiebestrecke für den Fachboden geschaffen werden, wie in Absatz 7 der Patentschrift dargelegt. Sie folgert daraus, dass ausgehend von D2 die objektive technische Aufgabe darin liege, ein kostengünstiges Auszugssystem zu schaffen, das eine weite Ausfahr- bzw. Einschiebestrecke für den Fachboden gewährleiste.
5.6 Die Kammer teilt jedoch die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass es nicht glaubhaft ist, dass die behaupteten Wirkungen der Unterscheidungsmerkmale im gesamten Umfang von Anspruch 1 erzielt werden. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass diese Merkmale zwangsläufig dazu führen, dass im ausgezogenen Zustand des Fachbodens der hintere Tiefenbereich des Fachbodens durch die Tragschienen unterstützt wird, während der vordere Tiefenbereich nach vorne frei über die Unterstützung hinaus nach vorne auskragt (Punkt 2.5 vorstehend).
5.7 Unter Berücksichtigung der Lehre in Absatz 7 der Patentschrift kann die objektive Aufgabe gegenüber D2 allenfalls darin gesehen werden, das Auszugssystem für den Fachboden kostengünstig auszuführen.
5.8 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass der Fachmann zur Lösung dieser Aufgabe aufgrund seiner allgemeinen Fachkenntnisse, die in D3 oder D7 dokumentiert seien, in naheliegender Weise sowohl die Tragschienen 5 als auch die Haltenuten 15 verkürzen und mithin zum beanspruchten Gegenstand gelangen würde. Diese Argumenten überzeugen jedoch nicht.
5.9 Die Kammer kann der Beschwerdeführerin insoweit folgen, dass in der Praxis aufgrund der Geometrie des Innenbehälters, insbesondere wenn er tiefgezogen wurde, und/oder aus kältetechnischen Gründen die Haltenuten 15 und die Tragschienen 5 nach hinten verkürzt werden könnten, wobei der hintere Tiefenbereich des Fachbodens zumindest geringfügig überstehen würde. Beispielweise ist in D3 gezeigt, dass aufgrund von Abschrägungen an den Hinterkanten eines tiefgezogenen Innenbehälters sich die Tragschienen (15, 16) nicht bis ganz an die Rückwand (9) erstrecken, während sich der Fachboden (14) jedoch bis ganz nach hinten erstreckt. Eine derartige Verkürzung der Tragschienen und Haltenuten würde jedoch nicht zwangsläufig zu einem freitragenden auskragenden hinteren Tiefenbereich des Fachbodens führen, wie es Merkmal 1F-c) verlangt (Punkt 2.3 vorstehend).
5.10 In D2 wird betont, dass dank dem formschlüssigen Kontakt der langgestreckten Tragschienen 5 in den Haltenuten 15 eine sichere Halterung der Tragschienen in der dünnwandigen, wenig stabilen und flexiblen Innenverkleidung trotz der oftmals großen Lagerkräfte gewährleistet ist, ohne zusätzliche Verschraubungen oder Befestigungselemente in Form von Befestigungsplatten (siehe insbesondere Absätze 2, 3, 5 und 17). Bei einer Verkürzung der Tragschienen 5 samt Haltenuten 15 dahingehend, dass ein freitragender auskragender hinterer Tiefenbereich des Fachbodens entstehen würde, müssten unweigerlich zusätzliche Verschraubungen oder Befestigungselemente verwendet werden, um den auf den gekürzten Tragschienen einwirkenden hohen Kippmoment aufzunehmen und an die Innenverkleidung abzugeben. Die Kammer teilt diesbezüglich die Auffassung der Beschwerdegegnerin, dass eine solche Weiterentwicklung der in D2 offenbarten Befestigungsanordnung nicht naheliegend ist, insbesondere da sie den Herstellungsaufwand erhöhen würde und D2 solche Maßnahmen als nachteilig darstellt (Absätze 2 und 3).
5.11 Wie von der Beschwerdegegnerin zutreffend festgestellt, würde der Fachmann zur Lösung der gestellten Aufgabe eher eine Änderung an der Außenkontur der Tragschienen 5, an den Auszugsschienen 7, an den Wälzlagern 11 und/oder am Herstellvorgang der Haltenuten 15 in Erwägung ziehen. Auf diese Weise würde er aber nicht zur beanspruchten Lösung gelangen.
6. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D1
6.1 Die Kammer teilt die Meinung der Beschwerdegegnerin, dass die alternative Angriffslinie ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik weniger erfolgversprechend als die Angriffslinie ausgehend von D2 ist.
6.2 Insbesondere ist die Wahl des Gemüsefachs des in D1 offenbarten Kältegeräts für eine Entwicklung, die zur beanspruchten Erfindung führt, wenig nachvollziehbar und eher unrealistisch. In diesem Gemüsefach ist entgegen der beanspruchten Erfindung kein Fachboden vorgesehen, sondern lediglich der tiefe Behälter der Schublade 32. Soweit die Beschwerdeführerin behauptet, es gehöre zum allgemeinen Fachwissen, dass dieser Behälter im Bedarfsfalle durch einen Fachboden zur Aufnahme von handelsüblichen Getränkeflaschen ausgetauscht werden könnte, fehlt dafür der Nachweis. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin zeigen Figuren 7 bis 9 von D1 auch keinen Ausziehmechanismus für einen Fachboden, sondern ein herkömmliches Schubladensystem mit einer Frontblende und einem daran befestigten Ausziehmechanismus. Demnach hat der Fachmann keinerlei Veranlassung, das in D1 gezeigte schubladenartige Gemüsefach für die Entwicklung einer Halterung für ausziehbare Fachböden für Kältegeräte in Erwägung zu ziehen.
6.3 Selbst wenn man dies anders sehen wollte, fehlte es ausgehend von D1 nicht an der erfinderischen Tätigkeit.
6.4 Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von D1 durch Merkmale 1D), 1F-c), 1F-e), 1G-a) und 1G-b) (Punkt 4 vorstehend).
6.5 Die Beschwerdeführerin macht geltend, ausgehend von D1 könne die objektiv gelöste technische Aufgabe als Aneinanderreihung zweier "Teilaufgaben" gesehen werden, nämlich eine alternative Innenraumaufteilung aufzufinden (Merkmal 1D)) bzw. eine vereinfachte bzw. verbesserte Befestigungsmöglichkeit für die Tragschienen 31a an der Behälterinnenwand bereitzustellen (Merkmale 1F-c), 1F-e), 1G-a) und 1G-b)).
6.6 Sollte der mit diesen Teilaufgaben befasste Fachmann dem Vortrag der Beschwerdeführerin entsprechend - aus welchem Grund auch immer - die Lehre von D2 heranziehen, könnte sie ihn allenfalls dazu anregen, die festen Tragschienen 31a der Schublade 32 formschlüssig in Haltenuten der Seitenwandungen zu befestigen, ohne zusätzliche Verschraubungen und Befestigungsplatten. Damit erhielte er jedenfalls nicht die beanspruchte Lösung, wonach im eingeschobenen Zustand des Fachbodens dieser nur im vorderen Tiefenbereich von den Tragschienen unterstützt ist (Merkmal 1F-b)), während der hintere Tiefenbereich durch keine Lagermittel unterstützt ist und frei über die Unterstützung des vorderen Tiefenbereichs nach hinten in Richtung der Rückwand des Innenbehälters weit hinausragt (Merkmal 1F-c)). Diese Maßnahme ist nämlich nicht in D2 offenbart, und die Lehre von D2 führt davon weg (Punkt 5.10 vorstehend). Bei dieser Sachlage kann die Frage dahingestellt bleiben, ob das Austauschen des tiefen Behälters der Schublade 32 durch einen Fachboden naheliegend ist (Merkmal 1D)), wie die Beschwerdeführerin argumentiert.
7. Zusammenfassend kann die Kammer also nicht feststellen, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von D2 oder D1 als nächstliegendem Stand der Technik entgegen Artikel 56 EPÜ in naheliegender Weise aus dem entgegengehaltenen Stand der Technik ergibt.
8. Die Kammer kommt also zu dem Schluss, dass die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Einspruchsgründe der mangelnden Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) nicht entgegenstehen. Daher ist die Beschwerde unbegründet.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.