European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T241516.20200820 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 20 August 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2415/16 | ||||||||
Anmeldenummer: | 13158294.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | B25B27/10 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | PRESSWERKZEUG SOWIE AUFSATZ FÜR EIN PRESSWERKZEUG | ||||||||
Name des Anmelders: | Viega Technology GmbH & Co. KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | REMS GmbH & Co KG | ||||||||
Kammer: | 3.2.07 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Patentansprüche - Klarheit Patentansprüche - Hauptantrag (nein) Spät eingereichte Hilfsanträge - Änderungen nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein) Rückzahlung der Beschwerdegebühr - Rücknahme der Beschwerde während der mündlichen Verhandlung vor Verkündung der Entscheidung Rückzahlung der Beschwerdegebühr - anteilig (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Patentinhaberin und die Einsprechende haben je form- und fristgerecht gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Patent Nr. 2 602 062 in geändertem Umfang gemäß dem damaligen Hilfsantrag 4 aufrechterhalten wurde, Beschwerde eingelegt.
II. Mit dem Einspruch war das Patent in vollem Umfang unter Geltendmachung der Einspruchsgründe mangelnder erfinderischer Tätigkeit nach Artikel 100 a) EPÜ sowie mangelnder Offenbarung nach Artikel 100 b) EPÜ und unzulässiger Erweiterung nach Artikel 100 c) EPÜ angegriffen worden.
III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass
- der Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 des Patents in erteilter Fassung nicht den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ entspreche,
- der damalige Hilfsantrag 1 nicht den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ genüge, und
- der Gegenstand des Anspruchs 1 der damaligen Hilfsanträge 2 und 3 nicht erfinderisch sei.
IV. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Patentinhaberin einen Haupt- und einen Hilfsantrag ein, die auf den Hilfsanträgen 3 und 4 der angefochtenen Entscheidung basieren.
V. Mit ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 vom 30. April 2020 teilte die Kammer den Parteien das vorläufige Ergebnis der Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die Beschwerde der Pateninhaberin zurückzuweisen, die Beschwerde der Einsprechende hingegen begründet sein dürften.
VI. Die Patentinhaberin reichte mit Schriftsatz vom 9. Juli 2020 neue Hilfsanträge 2 und 3 ein.
VII. Mit Schriftsatz vom 17. Juli 2020 nahm die Einsprechende Stellung dazu.
VIII. Am 20. August 2020 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, in der die Sach- und Rechtslage mit den Parteien erörtert wurde. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
Die Entscheidung wurde am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet.
IX. Verfahrensabschließend beantragte die Einsprechende
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
und
den Widerruf des Streitpatents.
Das Begehren der Patentinhaberin beschränkte sich nach der Rücknahme ihrer Beschwerde im Termin zur mündlichen Verhandlung auf
die Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden,
hilfsweise, bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung,
die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Basis eines der Anspruchssätze,
eingereicht mit ihrer Beschwerdebegründung als Hilfsantrag 1 und mit Schriftsatz vom 9. Juli 2020 als Hilfsanträge 2 und 3.
X. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt (Änderungen gegenüber Anspruch 1 der erteilte Fassung wurden von der Kammer durch Fettschrift hervorgehoben):
"Presswerkzeug (2) zum unlösbaren Verbinden von Werkstücken durch Umwandlung einer radial einwärts ausgeführten Bewegung zumindest teilweise in eine in axiale Richtung verlaufende Presskraft zum Erzeugen einer Relativbewegung zwischen zwei zu verpressenden Werkstücken in axialer Richtung,
- mit zwei je eine Pressbacke (10) aufweisenden Schwenkelementen (4) und
- mit mindestens einer Drehachse (6), an welcher die Schwenkelemente (4) angelenkt sind,
- wobei die Innenkonturen der einander gegenüberliegenden Pressbacken (10) einen Aufnahmebereich (12) mit einer Aufnahmebereichsachse (20) bilden und
- wobei die Innenkonturen jeweils zwei gegen die Aufnahmebereichsachse (20) geneigte, einander zugewandte Flächen (22) aufweisen, die als Kegelsegment ausgebildet sind,
dadurch gekennzeichnet,
- dass die Flächen (22) als Gleitflächen ausgebildet sind,
- dass die Gleitflächen (22) für eine Anlage an den an den zu verpressenden Werkstücken angeordneten Flächen vorgesehen sind und ein übereinander Hinweggleiten der Gleitflächen an den Werkstücken ermöglichen und
- dass der Neigungswinkel der Gleitflächen (22) relativ zur Aufnahmebereichsachse (20) zwischen 35° und 55°, insbesondere bei 45° liegt."
Das in den kennzeichnenden Teil hinzugefügte Merkmal findet sich auch im ebenfalls unabhängigen Anspruch 2 des Hauptantrages.
XI. Im Hilfsantrag 1 wurde im kennzeichnenden Teil des unabhängigen Anspruchs 1 gegenüber dem Anspruch 1 nach dem Hauptantrag folgende Änderung vorgenommen (Unterstreichung durch die Kammer):
"dass die Gleitflächen (22) für eine Anlage an den an den zu verpressenden Werkstücken angeordneten Flächen vorgesehen sind und ein übereinander Hinweggleiten der Gleitflächen an den Werkstücken ermöglichen, wobei die Gleitfläche (22) gleitfördernd ausgebildet sind, und ...".
Das vorgenannte Merkmal findet sich auch im unabhängigen Anspruch 2 des Hilfsantrages 1.
XII. Die Hilfsanträge 2 und 3 sind auf eine Verwendung eines Presswerkzeugs bzw. eines Aufsatzes für ein Presswerkzeug gerichtet, wobei die jeweils weiteren Merkmale der Ansprüche 1 und 2 des Hilfsantrags 2 bzw. 3 den Merkmalen der Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags bzw. des Hilfsantrags 1 entsprechen.
XIII. Das entscheidungswesentliche Vorbringen der Parteien wird in den Gründen im Detail diskutiert.
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag
1.1 Artikel 84 EPÜ
Die Einsprechende argumentiert (Beschwerdebegründung, Punkte I, und Beschwerdeerwiderung, Punkte 3 bis 5), dass der Schutzbereich des Anspruchs 1 (und des Anspruchs 2) gemäß Hauptantrag aufgrund des neu hinzugefügten Merkmals sich nicht bestimmen lasse. Daher sei der Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags nicht klar und die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ seien nicht erfüllt. Sie bringt vor, dass dieses Merkmal lediglich eine Aufgabe formuliere. Der Fachmann könne nicht erkennen, welche Struktur das Presswerkzeug haben soll.
1.1.1 Zäsurwirkung der Erteilung
Die Patentinhaberin argumentiert mit Schriftsatz vom 9. Juli 2020 (Punkt 1.), dass der Begriff "Gleitflächen" bereits im erteilten Anspruch enthalten gewesen wäre, und deswegen ebenfalls die Funktion der Fläche, nämlich auf einer Fläche eines Werkstückes abzugleiten. Das neu hinzugefügte Merkmal stelle lediglich eine Konkretisierung eines vorhandenes Merkmal dar und dürfe deshalb nicht auf Klarheit geprüft werden.
Die Kammer folgt jedoch der Argumentation der Einsprechenden (Schriftsatz vom 17. Juli 2020 Punkt 3.), dass das eingeführte Merkmal nicht ein immanentes Merkmal der Gleitflächen sein kann. Es dient vielmehr als Unterscheidungsmerkmal zum Stand der Technik. Das Merkmal, dass die Gleitflächen "ein übereinander Hinweggleiten der Gleitflächen und der Flächen an den Werkstücken ermöglichen", ist nämlich als ein weiteres Merkmal zu verstehen, das das Merkmal der Gleitflächen einschränkt. Daher ist diese Änderung nach Maßgabe der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 3/14 (Amtsblatt EPA 2015, A102) auf die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ zu prüfen.
1.1.2 Klarheit des neu hinzugefügten Merkmals
Die Patentinhaberin (Beschwerdebegründung, Seite 5, vierter Absatz bis Seite 6, erster Absatz) bringt vor, dass ein übereinander Hinweggleiten der Gleitflächen und der Flächen an dem Werkstück ein strukturelles Merkmal darstelle, das sich aus der spezifischen Geometrie des Presswerkzeugs und aus der Anpassung des Presswerkzeugs an bestimmte Werkstücke ergebe.
Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern sind Patentansprüche entgegen den Anforderungen von Artikel 84 EPÜ dann nicht deutlich gefasst, wenn sie den Schutzbereich nicht genau erkennen lassen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, II.A.3.1).
Artikel 84 EPÜ in Verbindung mit Regel 43 (1) EPÜ sieht vor, dass die Patentansprüche den Gegenstand, für den Schutz begehrt wird, durch Angabe der technischen Merkmale der Erfindung anzugeben haben. Diese Erfordernisse sollen gewährleisten, dass die Öffentlichkeit nicht im Unklaren darüber bleibt, welcher Gegenstand unter einen bestimmten Anspruch fällt.
Im vorliegenden Fall ist nicht klar, wie festgestellt werden kann, ob die Gleitflächen "ein übereinander Hinweggleiten" ermöglichen. Ob die beiden Flächen übereinander hinweggleiten, hängt nicht nur von der Werkzeugoberfläche ab, sondern auch von der Form und Oberfläche des Werkstücks sowie von dem verwendeten Verfahren.
Dies führte zu der Situation, dass ein Werkzeug Gleitflächen haben könnte, die bei einem Werkstück ein Hinweggleiten ermöglichen, aber bei einem anderen Werkstück nicht. Die Öffentlichkeit wäre nicht in der Lage zu bestimmen, ob das Werkzeug an sich in den Schutzbereich des Anspruchs fällt.
Die Kammer räumt zwar ein, dass einige Werkzeuge für einige Werkstücke durchaus nicht geeignet sein können. Es ist aber für den Fachmann nicht klar, nur anhand des Werkzeugs zu bestimmen, ob dieses Werkzeug das übereinander Hinweggleiten auf einem nicht definierten Werkstück ermöglicht oder nicht.
Die Kammer ist daher die Auffassung, dass die Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags nicht den Erfordernissen von Artikel 84 EPÜ genügen, da sie den Gegenstand, für den Schutz begehrt wird, nicht klar und deutlich angeben.
1.2 Der Hauptantrag ist somit nicht gewährbar.
2. Hilfsantrag 1
Der Hilfsantrag 1 enthält in den Ansprüchen 1 und 2 dasselbe neu hinzugefügte Merkmal und erfüllt daher ebenfalls nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.
Der Hilfsantrag 1 ist daher auch nicht gewährbar.
3. Zulassung ins Verfahren der Hilfsanträge 2 und 3
Gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt hat, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
Die Patentinhaberin bringt mit Schriftsatz vom 9. Juli 2020 (Punkt 3.) vor, dass der Einwand der Klarheit zu dem Merkmal, "... ein übereinander Hinweggleiten der Gleitflächen und der Flächen an den Werkstücken ermöglichen ..." erstmals im Beschwerdeverfahren erhoben und die Argumentation erstmals durch die vorläufige Meinung der Beschwerdekammer vorgebracht worden seien. Deshalb sei der Klarheitseinwand neu im Verfahren, weshalb es gerechtfertigt sei, auf dieses Argument mit neuen Hilfsanträgen 2 und 3 zu reagieren, dies auch in einem späten Stadium des Verfahrens.
Die Einsprechende bringt vor (Schriftsatz vom 17. Juli 2020, Punkt 4.), dass die neuen Anträge als verspätet anzusehen seien, da das Problem des Übereinander-Hinweggleitens unter gleitfördernder Ausbildung Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung gewesen wäre.
Die Kammer stellt fest, dass in der Beschwerdebegründung der Einsprechende (Punkt I.1 bis I.3) ein Einwand gegen dieses Merkmal nach Artikel 84 EPÜ erhoben und begründet wurde. Die Einsprechende argumentiert, dass das Presswerkzeug nun durch ein Verfahrensmerkmal definiert sei, aber nicht definiert werde, welche strukturellen Merkmale des Werkzeugs aus diesem Verfahrensmerkmal sich ergeben. Mit ihrer Beschwerdeerwiderung (Punkt I.3 und I.4) argumentiert die Einsprechende weiter, dass der Schutzbereich des Anspruchs 1 sich aufgrund das hinzugefügten Merkmals nicht bestimmen lasse.
Daher kann der in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 diskutierte Mangel an Klarheit nicht als eine neue Angriffslinie angesehen werden.
Die Patentinhaberin hat mithin keine stichhaltigen Gründe dargetan, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Zulassung der neuen Anträge rechtfertigten.
Hilfsanträge 2 und 3 werden deshalb nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 in das Beschwerdeverfahren nicht zugelassen.
4. Die Beschwerde der Einsprechenden ist begründet, da das Streitpatent nach keinem der Anträge der Patentinhaberin aufrechterhalten werden kann.
5. Nach Rücknahme der Beschwerde durch die Patentinhaberin im Termin zur mündlichen Verhandlung vor Verkündung der Entscheidung ist nach Regel 103 (4) a) EPÜ die von der Patentinhaberin gezahlte Beschwerdegebühr in Höhe von 25 % zurückzuzahlen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.
3. Die von der Patentinhaberin gezahlte Beschwerdegebühr wird zu 25% zurückgezahlt.