T 2273/16 (Fliesenkleber/DOW GLOBAL) of 22.10.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T227316.20181022
Datum der Entscheidung: 22 October 2018
Aktenzeichen: T 2273/16
Anmeldenummer: 01104579.6
IPC-Klasse: C04B 24/38
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verwendung von Polysacchariden oder Polysaccharidderivaten, die nach Vergelung und Heiss-Dampf-Mahltrocknung mittels Gas- oder Wasserdampftrocknung hergestellt wurden, in Baustoffgemischen
Name des Anmelders: Dow Global Technologies LLC
Name des Einsprechenden: Akzo Nobel Chemicals International B.V.
SE Tylose GmbH & Co.KG
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(1)
European Patent Convention Art 54(2)
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(3)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
Schlagwörter: Neuheit - (ja)
Neuheit - implizite Offenbarung (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden 1 (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, in der festgestellt wurde, dass das Europäische Patent Nr. 1 136 458 unter Berücksichtigung der Änderungen auf der Basis des der Entscheidung zugrunde liegenden Antrags und der Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ, insbesondere jenen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit, genüge. Das Patent betrifft die Verwendung von Polysacchariden bzw. Polysaccharidderivaten in Baustoffgemischen.

In der angefochtenen Entscheidung werden u.a. folgende Dokumente zitiert:

D2: Schreiben Dr. Niels Perchenek datiert vom 13. Oktober 2006

D3: Kirk-Othmer, Encyclopaedia of Chemical Technolgoy, Bd. 4 (1964), S. 646 und 647

D5: EP 0 835 881 A2

D19: Wikipedia-Auszug, "Fliesenkleber".

II. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin folgende Dokumente ein:

D22: Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 4. Aufl. (1975), Bd. 9, S. 206 bis 210

D23: Chemical Economics Handbook on Cellulose Ethers, IHS Chemical, Seite 29

D24: Vergleichsversuche ("Annex 1")

III. Mit der Beschwerdeerwiderung reichte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) einen als "1. Hilfsantrag" bezeichneten Hilfsantrag ein, den sie in der mündlichen Verhandlung zu ihrem Hauptantrag erklärte.

In der mündlichen Verhandlung zog die Beschwerdeführerin ihren in der Beschwerdebegründung geltend gemachten Einwand unter Artikel 84 EPÜ zurück.

IV. Der einzige unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:

"1. Verwendung von Polysachhariden oder Polysaccharidderivaten als Komponenten für Baustoffgemische, wobei die Polysaccharide oder Polysaccharidderivate erhältlich sind durch

a) Auflösen oder Quellen des Polysaccharids oder Polysaccharidderivats in 35 bis 99 Gew.-% Wasser, bezogen auf das Gesamtgewicht,

b) Überführung des Wassers aus dem gequollenen oder gelösten Polysaccharid oder Polysaccharidderivat in die Dampfphase und gleichzeitige Überführung des gelösten oder gequollenen Polysaccharids oder Polysaccharidderivats in den Festkörperzustand durch Eintrag mittels eines Gasstroms in ein Mahlwerk, wobei durch den Gasstrom das Wasser aus dem Polysaccharid oder Polysaccharidderivat ausgetrieben wird,

c) Abtrennung der Feststoffpartikel des Polysaccharids oder Polysaccharidderivates vom Gasstrom und gegebenenfalls Trocknung des Polysaccharids oder Polysaccharidderivats,

dadurch gekennzeichnet, dass die Baustoffgemische mineralisch gebundene Systeme und Fliesenkleber sind."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 5 betreffen besondere Ausführungsformen der Verwendung nach Anspruch 1.

V. Die Beschwerdeführerin trug im Hinblick auf den vorliegenden Hauptantrag im Wesentlichen wie folgt vor:

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber D5. Die dort erwähnten Fliesenkleber würde der Fachmann mit dem Fachwissen, das sich insbesondere aus D19 ergebe, als mineralische Fliesenkleber ansehen. Es ergäben sich für sie oder ihn drei Möglichkeiten, wovon zwei mineralisch gebundene Systeme umfassten.

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei wenigstens nicht erfinderisch ausgehend von D5. So sei es nicht glaubhaft, dass eine besondere Wirkung in mineralisch gebundenen ggü. organisch gebundenen Fliesenklebern erreicht werde. Eine solche Wirkung sei nicht im Patent angegeben und könne auch nicht durch D2 belegt werden, da die dortigen System nicht miteinander vergleichbar seien. Zudem ergebe sich aus D24, dass eine solche Wirkung nicht erzielt werde. Die zu lösende Aufgabe sei daher eine alternative Verwendung und es habe nahegelegen, die in D5 offenbarten Fliesenkleber als mineralisch gebundene Systeme zu verwenden. Selbst wenn die Kammer eine Verbesserung anerkenne, so würde der Fachmann diese zwangsläufig erhalten.

VI. Die Beschwerdegegnerin trug im Wesentlichen wie folgt vor:

Der Gegenstand von Anspruch 1 sei neu gegenüber D5, da eine implizite Offenbarung des Merkmals "mineralisch gebunden" zu verneinen sei. Ausgehend von D5 stelle sich die Aufgabe einer verbesserten Haftzugfestigkeit bzw. eines verbesserten Abrutschwerts. Die Aufgabe sei gelöst, was durch D2 belegt sei. Die dort verwendeten Fliesenkleber seien auch vergleichbar. Diese stellten je einen organisch und einen mineralisch gebundenen Fliesenkleber dar. Ein Vergleich, bei dem lediglich das organische Bindemittel durch ein mineralisches Bindemittel ersetzt werde, sei für den Fachmann nicht aussagekräftig. Um diese Systeme vergleichen zu können müsse insbesondere ein Abbindebeschleuniger eingesetzt werden, da das im dispersionsgebundenen Fliesenkleber eingesetzte Bindemittel (Acronal) bereits Abbindeeigenschaften aufweise. Ebenso sei es notwendig, im dispersionsgebundenen Fliesenkleber die Bindefähigkeit durch einen Haftvermittler zu gewährleisten, welcher in mineralisch gebundenen Fliesenklebern nicht notwendig sei.

Entscheidungsgründe

1. Änderungen

Es steht außer Streit, dass die Änderungen die Erfordernisse von Artikel 123(2),(3) EPÜ erfüllen. Auch die Kammer sieht keine Veranlassung, die Änderungen unter dieser Vorschrift zu beanstanden (vgl. ursprünglich eingereichte Unterlagen, insbesondere Ansprüche 1 und 7, Seite 6, Zeilen 4 bis 13, Seite 13, Zeilen 18 ff; Seite 17, Zeilen 18 ff, Seite 22, Zeilen 1 ff).

2. Neuheit

2.1 Wie die Beschwerdeführerin selbst einräumt, betrifft der Begriff "Fliesenkleber" nicht notwendigerweise ("nur in zwei von drei Fällen") mineralische Systeme. Zwar steht außer Streit, dass Fliesenkleber üblicherweise mineralisch gebundene Systeme sind, wie sich dies aus dem von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Fachwissen ergibt (vgl. insbesondere D19), dies reicht jedoch für eine wenigstens implizite Offenbarung des Merkmals "mineralisch gebundenes System" in D5 nicht aus. Ebenso ist es nicht ausreichend, darzulegen, dass Celluloseether u.a. in Baustoffgemischen Verwendung finden (vgl. D3, Seite 647, letzter Absatz; D22, Seite 208, linke Spalte, letzter vollständiger Absatz und Seite 210, Tabelle 6; sowie D23). Vielmehr muss für den Fachmann sofort erkennbar sein, dass nichts anderes als das Merkmal "mineralisch gebundenes System" Teil des offenbarten Gegenstands war bzw. muss sich dieses Merkmal zweifelsfrei für ihn oder sie aus dem Merkmal "Fliesenkleber" erschließen (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 8. Aufl., im Folgenden "Rechtsprechung", I.C.4.3). Auch D19 offenbart nicht-mineralisch gebundene Fliesenkleber (vgl. "Dispersionskleber" und "Reaktionsharzkleber"). Es ergibt sich somit, dass der Gegenstand von Anspruch 1 und der davon abhängigen Ansprüche neu ist.

2.2 Das Erfordernis der Neuheit nach Artikel 54(1),(2) EPÜ ist somit erfüllt.

3. Erfinderische Tätigkeit

3.1 Die Erfindung betrifft die Verwendung von Polysacchariden bzw. Polysaccharidderivaten als Komponenten für Baustoffgemische.

3.2 Die Beschwerdeführerin geht von D5 als nächstliegendem Stand der Technik aus. Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von der in D5 offenbarten Verwendung dadurch, dass der Fliesenkleber ein mineralisch gebundenes System ist (vgl. Punkt 2 oben).

3.3 Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin sei die zu lösende Aufgabe die Verbesserung der Haftzugfestigkeit bzw. des Abrutschverhaltens. Hingegen trägt die Beschwerdeführerin vor, eine solche Formulierung sei nicht zulässig, da sich aus der ursprünglichen Anmeldung keine Verbesserung in mineralisch gebundenen Fliesenklebern gegenüber nicht-mineralisch gebundenen Fliesenklebern ergebe.

Zwar werden in den ursprünglichen Unterlagen bzw. im Patent (vgl. Tabelle 8) verschiedene Polysachharidderivate in mineralisch gebundenen Fliesenklebern verglichen (vgl. Tabelle 1), d.h. es liegt kein Vergleich zwischen mineralisch gebundenen Fliesenklebern und nicht-mineralisch gebundenen Fliesenklebern bei gleichbleibendem Polysachharidderivat vor. Es ist jedoch zulässig, die Aufgabe auf der Grundlage einer Wirkung umzuformulieren, die aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung ableitbar ist (Rechtsprechung, supra, I.D.4.4.1). Dies ist vorliegend der Fall, da in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung von einer Verbesserung der genannten Eigenschaften explizit die Rede ist (vgl. insbesondere Tabelle 8 und Seite 24, Zeilen 2 ff) und mineralisch gebundene Systeme eindeutig als bevorzugt hervorgehoben werden (Seite 6, Zeilen 12/13).

3.4 Gemäß Anspruch 1 wird vorgeschlagen die genannte Aufgabe durch eine Verwendung von Polysacchariden bzw. Polysaccharidderivaten als Komponenten für Baustoffgemische, welche Fliesenkleber sind, zu lösen, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Fliesenkleber mineralisch gebundene Systeme sind.

3.5 Hinsichtlich des Erfolgs der Lösung sind die im Streitpatent, in D24 und in D2 angegebenen Vergleichsversuche von Relevanz.

3.5.1 Es steht außer Streit, dass die Versuche im Streitpatent keinen Vergleich zwischen organisch gebundenen und mineralisch gebundenen Fliesenklebern betreffen (vgl. insbesondere Tabellen 1 und 8). Aus diesen Versuchen lässt sich daher nicht ableiten, ob die Verwendung der Polysaccharide bzw. -derivate gemäß Anspruch 1 zu einer Verbesserung hinsichtlich Haftzugfestigkeit bzw. Abrutschverhalten führen.

3.5.2 Was das von der Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung eingereichte Dokument D24 betrifft, so wurden die dort angegebenen Ergebnisse erhalten durch einen Vergleich von verschiedenen Polysaccharidderivatsystemen bei gleichbleibendem mineralisch gebundenem Fliesenkleber (vgl. "HEIDELBERGER CEM I 42.54 R", "Quarz sand"), wie dies auch im Streitpatent geschehen ist (vgl. Punkt 3.5.1 oben). Diese Versuche können daher nicht belegen, dass keine Verbesserung hinsichtlich Haftzugfestigkeit bzw. des Abrutschverhaltens bei mineralisch gebundenen Fliesenklebern gegenüber organisch gebundenen Fliesenklebern erzielt wird.

3.5.3 In D2 werden ein mineralisch gebundener Fliesenkleber und ein organisch gebundener Fliesenkleber u.a. bei gleichbleibendem anspruchsgemäßem Celluloseether verglichen (Seite 5, Spalte "Erfindung"). Dabei ist ersichtlich, dass bei mineralisch gebundenem Fliesenkleber ("Zementfliesenkleber") hinsichtlich Haftzugfestigkeit und Abrutschwert eine Verbesserung gegenüber dem organisch gebundenen Fliesenkleber ("Dispersionsfliesenkleber") auftritt.

Nach Ansicht der Beschwerdeführerin seien die beiden in D2 verwendeten Fliesenkleber nicht vergleichbar, da dort nicht nur das organische Bindemittel gegen eine mineralische Komponente ausgetauscht werde.

Die Kammer kann sich dieser Ansicht nicht anschließen. Es ist nämlich glaubhaft, wie dies die Beschwerdegegnerin vorträgt, dass beide Systeme, aufgrund der unterschiedlichen Arten von Fliesenklebern, nicht vergleichbar wären, würde man lediglich das organische Bindemittel gegen ein mineralisches ersetzen. Wie die Beschwerdegegnerin zusätzlich in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt hat, muss man insbesondere im mineralisch gebundenen Fliesenkleber einen Abbindebeschleuniger einsetzen, da das im dispersionsgebundenen Fliesenkleber eingesetzte Bindemittel (Acronal) bereits Abbindeeigenschaften besitzt. Ebenso ist es notwendig, im dispersionsgebundenen Fliesenkleber die Bindefähigkeit durch einen Haftvermittler zu gewährleisten, der im mineralisch gebundenen Fliesenkleber nicht eingesetzt werden muss.

Aus den genannten Gründen ist es glaubhaft, dass die vorgeschlagene Lösung die gestellte Aufgabe auch löst. Eine Umformulierung der Aufgabe erübrigt sich somit.

3.6 Was das Naheliegen betrifft, so wurde kein Stand der Technik zitiert, der eine Lehre dahingehend enthielte, die in D5 offenbarten Fliesenkleber als mineralisch gebundenes System auszubilden, um Haftzugfestigkeit und den Abrutschwert zu verbessern. Auch überzeugt das Argument nicht, dass der Fachmann zwangsläufig zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangt wäre und die geltend gemachten Vorteile zwangsläufig eingetreten wären. Da der Fachmann grundsätzlich die Wahl zwischen mineralisch organisch gebundenen Fliesenklebern hat, ist nämlich nicht ersichtlich, weshalb diese Wahl zwangsläufig auf einen mineralisch gebundenen Fliesenkleber und nicht einen organisch gebundenen gefallen wäre.

Der Gegenstand von Anspruch 1 ergibt sich somit nicht in naheliegender Weise aus dem zitierten Stand der Technik.

3.7 Folglich erfüllt der Gegenstand von Anspruch 1 und der davon abhängigen Ansprüche das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 56 EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird mit der Anordnung an die erste Instanz zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage des nunmehrigen Haupt­antrags, eingereicht als Hilfsantrag 1 mit der Beschwerde­erwiderung, und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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