T 2160/16 () of 2.10.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T216016.20201002
Datum der Entscheidung: 02 October 2020
Aktenzeichen: T 2160/16
Anmeldenummer: 06793091.7
IPC-Klasse: C07C51/41
C07C57/04
B01J14/00
C08F20/06
C08F220/06
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: NEUTRALISATIONSVERFAHREN
Name des Anmelders: BASF SE
Name des Einsprechenden: Nippon Shokubai Co., Ltd.
Kammer: 3.3.10
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54 (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
European Patent Convention Art 83 (2007)
European Patent Convention Art 123(2) (2007)
RPBA2020 Art 025(2) (2020)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(2) (2007)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4) (2007)
Schlagwörter: Spät vorgebrachte Argumente
Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Ausreichende Offenbarung - unzumutbarer Aufwand (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Patent EP 1 931 616 unter Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen.

II. Im Einspruchsverfahren war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang auf der Grundlage von Artikel 100(a), 100(b) und 100(c) EPÜ angegriffen worden, nämlich wegen unzulässiger Erweiterung (Artikel 123(2) EPÜ), mangelnder Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ), mangelnder Neuheit (Artikel 54 EPÜ) und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).

III. Im Laufe des Einspruchsverfahrens wurde auf die folgenden Dokumente verwiesen, die auch für die vorliegende Entscheidung relevant sind:

D1: WO 03/095410

D2: EP 0 372 706

D5: EP 0 574 260

D9: WO 2005/073260

IV. In ihrer Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, dass das beanspruchte Verfahren für den Fachmann ausführbar beschrieben ist (Artikel 83 EPÜ) und dass die während des Prüfungsverfahrens durchgeführten Änderungen nicht als unzulässige Erweiterungen im Sinne des Artikels 123(2) EPÜ anzusehen sind. Ferner wurde das beanspruchte Verfahren als neu angesehen. Ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik sah die Einspruchsabteilung erfinderische Tätigkeit ebenfalls gegeben. Alle unter Artikel 100(a), 100(b) und 100(c) EPÜ vorgebrachten Einspruchsgründe wurden daher in der Einspruchsentscheidung verworfen.

V. Der unabhängige Anspruch 1, auf dem das Patent beruht, lautet wie folgt:

"Neutralisationsverfahren, wobei mindestens eine ethylenisch ungesättigte Carbonsäure zumindest teilweise mit einer Base neutralisiert wird,

dadurch gekennzeichnet,

dass die Neutralisation kontinuierlich durchgeführt wird, die Temperatur der ethylenisch ungesättigten Carbonsäure von 0 bis 40°C beträgt, die neutralisierte Lösung gekühlt und teilweise in die Neutralisation rückgeführt wird, die rückgeführte neutralisierte Lösung in der Neutralisation nacheinander mit einer Base und ethylenisch ungesättigter Carbonsäure versetzt wird und die Temperatur der neutralisierten Lösung weniger als 70°C beträgt."

VI. In der Beschwerdebegründung brachte die Beschwerdeführerin folgendes vor:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des zugrundeliegenden Antrags sei während der Prüfungsphase unzulässig erweitert worden (Artikel 123(2) EPÜ). Das beanspruchte Verfahren sei für den Fachmann nicht über die gesamte beanspruchte Breite ausführbar (Artikel 83 EPÜ). Zudem beruhe der Gegenstand der Ansprüche ausgehend von Dokument D1, entweder alleine oder in Kombination mit D5 oder D2, oder ausgehend aus D9 in Kombination mit D1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ. Der Einwand bezüglich mangelnder Neuheit (Artikel 54 EPÜ) wurde in der Beschwerde nicht weiter verfolgt.

VII. In ihrer Antwort auf die Beschwerdebegründung und im weiteren Verfahren brachte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) folgendes vor:

Die von der Beschwerdeführerin hinsichtlich unzulässiger Erweiterung vorgebrachte Begründung unterscheide sich von der im Einspruchsverfahren vorgebrachten Begründung. Sie sei auch inhaltlich nicht überzeugend. Das beanspruchte Verfahren sei außerdem im Patent ausreichend offenbart, von der Beschwerdeführerin werde nicht gezeigt, welche konkreten beanspruchten Ausführungsformen nicht nacharbeitbar seien. Das Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit erachtete sie gegeben, unabhängig ob von Dokument D1 oder D9 als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen wird.

VIII. Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patentes Nr. 1 931 616.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form auf der Basis des mit der Stellungnahme vom 13. März 2007 zur Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags.

IX. Am 2. Oktober 2020 fand eine mündliche Verhandlung in Abwesenheit der Beschwerdeführerin statt. Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)

2.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte im Beschwerdeverfahren, dass das während des Erteilungsverfahrens aus der Beschreibung in den Anspruch 1 aufgenommene Merkmal "... die Temperatur der ethylenisch ungesättigten Carbonsäure von 0 bis 40°C beträgt ..." nicht durch den von der Beschwerdegegnerin angegebenen Absatz in der ursprünglich eingereichten Beschreibung (Seite 4, Zeilen 10 bis 14) gestützt sei, da im besagten Absatz zusätzlich die Einschränkung enthalten sei, dass bei Verwendung von Acrylsäure eine Temperatur von 15°C nicht unterschritten werden darf ("must not be below 15°C" in der Beschwerdeschrift). Da diese Einschränkung im geänderten Anspruch 1 fehle, sei eine neue technische Lehre entstanden, denn nun werde auch eine Ausführungsform beansprucht, die in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen gezielt ausgenommen worden war, nämlich die Neutralisation von Acrylsäure bei einer Temperatur im Bereich von 0 bis 15°C.

2.2 Die Beschwerdegegnerin hat in ihrer Erwiderung auf die Beschwerdeschrift vorgebracht, dass sich die Begründung der Beschwerdeführerin von der im Einspruchsverfahren vorgebrachten unterscheide. Inhaltlich argumentierte die Beschwerdegegnerin, dass die auf der Seite 4, Zeilen 10 bis 14 der ursprünglich eingereichten Beschreibung offenbarte und nicht in den Anspruch aufgenommene Einschränkung lediglich als Empfehlung zu verstehen sei, die zudem nur für die Verwendung von reiner Acrylsäure gelte.

2.3 Die Kammer stimmt mit der Beschwerdegegnerin dahingehend überein, dass sich die von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren vorgebrachte Argumentation von der Argumentation im Einspruchsverfahren unterscheidet.

Während des Einspruchsverfahrens hatte die Beschwerdeführerin/Einsprechende dargelegt, dass die Auswahl des Merkmals, wonach "... die Temperatur der ethylenisch ungesättigten Carbonsäure von 0 bis 40°C beträgt ..." dahingehend zu beanstanden sei, als dass damit eine willkürliche Auswahl getroffen werde. Die ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen offenbarten nämlich auch bevorzugte Bereiche für andere Merkmale, beispielsweise die Temperatur des wässrigen Alkali (Seite 4, Zeilen 31 bis 34 der Beschreibung). Diese seien jedoch nicht zusammen mit der Auswahl des bevorzugten Bereiches für die Temperatur der ethylenisch ungesättigten Carbonsäure in den geänderten Anspruch aufgenommen worden (siehe unter Absatz 2 der Einspruchsschrift, sowie Punkt II-3, Absatz 1 der angefochtenen Entscheidung und Punkt 4 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung im Einspruchsverfahren). Diese Argumentation basiert auf der Auffassung der Beschwerdeführerin/Einsprechenden, dass die durchgeführte Änderung eine ursprünglich nicht offenbarte Kombination von bevorzugten mit nicht bevorzugten Bereichen verschiedener Anspruchsmerkmale darstellt.

Die im Beschwerdeverfahren vorgebrachte Argumentation hingegen basiert darauf, dass das besagte Merkmal nicht zusammen mit einer Einschränkung desselben Anspruchsmerkmals (Temperatur der ethylenisch ungesättigten Carbonsäure) bei Neutralisation einer bestimmten Carbonsäure (Acrylsäure) verwendet wird.

2.4 Da die vorliegende Beschwerdebegründung vor dem Inkrafttreten der seit 1. Januar 2020 geltenden revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOKB) eingereicht wurde, nämlich am 18. November 2016, ist gemäß Artikel 25(2) VOKB der Artikel 12(4) der vor dem Inkrafttreten geltenden Fassung der VOBK, (VOBK 2007), anzuwenden.

Die von der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung vorgebrachte Argumentation bezieht sich auf die Aufnahme eines Merkmals in den Anspruch 1, das bereits im Einspruchsverfahren diskutiert worden war. Die Kammer ist der Auffassung, dass sich der Einwand der Beschwerdeführerin auf die Beschwerdesache bezieht und dass die Erfordernisse des Artikels 12(2) VOBK 2007 ebenfalls als erfüllt erachtet werden, und berücksichtigt das diesbezügliche Vorbringen (Artikel 12(4) VOBK 2007).

2.5 Nach Ansicht der Kammer überzeugt die Argumentation der Beschwerdeführerin aus folgenden Gründen jedoch nicht:

Die Beschwerdeführerin hat im Beschwerdeverfahren keine Ausführungen dahingehend gemacht, warum die Einspruchsabteilung aufgrund der im Einspruchsverfahren vorgebrachten Argumente zu einer fehlerhaften Beurteilung der Frage der unzulässigen Erweiterung gekommen sein soll. Bezüglich der im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Argumentation folgt die Kammer der Argumentation der Beschwerdegegnerin. In der als Basis für die Aufnahme des Merkmals, wonach "... die Temperatur der ethylenisch ungesättigten Carbonsäure von 0 bis 40°C beträgt ...", angegebenen Stelle in der ursprünglich eingereichten Beschreibung (Seite 4, Zeilen 10 bis 14) wird darauf verwiesen, dass bei Verwendung von Acrylsäure eine Temperatur von 15°C auf keinen Fall unterschritten werden sollte (Hervorhebung durch die Kammer). Die Verwendung von "sollte" stellt klar, dass es sich hierbei nicht um ein wesentliches Merkmal handelt, sondern um eine Empfehlung.

Auch die Argumentation der Beschwerdeführerin, wonach durch die beanstandete Änderung eine neue technische Lehre entstanden sei, erachtet die Kammer nicht als überzeugend. Der Wortlaut von Anspruch 1 in der eingereichten Fassung umfasst ebenfalls die Möglichkeit, Acrylsäure bei einer Temperatur im Bereich von 0 bis 15°C zu verwenden.

Die Kammer sieht auch keine Veranlassung, die im Einspruchsverfahren von der Beschwerdeführerin/Einsprechenden vorgebrachte Argumentation anders zu bewerten als dies von der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung dargelegt wurde (Punkt II-3 der Einspruchsentscheidung).

2.6 Somit kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatentes nicht unzulässig erweitert wurde.

3. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)

3.1 Die Beschwerdeführerin beanstandete Ausführbarkeit des beanspruchten Verfahrens über den gesamten beanspruchten Bereich. Hierzu führte sie die folgenden Punkte an:

a) Das Streitpatent enthalte lediglich Beispiele von Verfahren, die mit Natronlauge und Acrylsäure durchgeführt werden, und diese lediglich bei zwei verschiedenen Temperaturen der Acrylsäure, nämlich bei 15 und 23°C. Andere Neutralisationsverfahren seien dem Fachmann nicht offenbart. Zudem werde in Absatz [0023] der Beschreibung darauf verwiesen, dass bei Verwendung von Acrylsäure eine Mindesttemperatur von 15°C einzuhalten sei, damit ein ausreichender Abstand zwischen Temperatur der Carbonsäure und deren Schmelzpunkt gegeben sei. Dadurch werde der Fachmann jedoch nicht in die Lage versetzt, auch andere als die in den konkreten Beispielen offenbarten Neutralisationsverfahren durchzuführen.

b) Im Absatz [0022] der Beschreibung seien bevorzugte Carbonsäuren angegeben. Der Fachmann werde jedoch nicht in die Lage versetzt, das beanspruchte Verfahren für diese als bevorzugt gekennzeichneten Säuren durchzuführen, da die meisten davon im anspruchsgemäßen Temperaturbereich von 0 bis 40°C fest seien und in der Beschreibung lediglich Beispiele offenbart seien, bei denen Acrylsäure bei Temperaturen verwendet werde, bei denen sie als Flüssigkeit vorliege.

c) Aus einem Vergleich der Beispiele 4 und 6 des Streitpatents sei ersichtlich, dass die Temperatur der wässrigen Natronlauge und der Acrylsäure einen entscheidenden Einfluss auf die Peaktemperatur der Neutralisationsmischung habe und mit dieser korreliere. Trotzdem fehlten Angaben bezüglich geeigneter Temperaturbereiche für andere Säuren als Acrylsäure. Des weiteren sei aus einem Vergleich der Beispiele 7 bis 9 des Streitpatents ersichtlich, dass die Menge an zugeführter Acrylsäure und zugeführter wässriger Natronlauge in die Ringleitung ebenfalls einen Einfluss auf die Peaktemperatur habe, dass nämlich, wie durch Beispiel 9 gezeigt, eine Peaktemperatur von unter 70°C nur dann zu erreichen sei, wenn bei einem Mischungsverhältnis von 1 : 1 (Verhältnis an zugeführten Produkten zu in der Ringleitung befindlichen Produkten) die Temperatur von zugeführter Acrylsäure und zugeführter wässriger Natronlauge jeweils 15°C betrage. Die Beschwerdeführerin folgerte unter Berücksichtigung des oben angeführten Vergleichs der Beispiele 4 und 6, dass bei einer höheren Temperatur der zugeführten Substanzen zu erwarten sei, dass die Peaktemperatur über 70°C, also über den im Anspruch 1 geforderten Wert, steigen würde. Andererseits sei auch zu erwarten, dass bei Erhöhung des Verhältnisses der Menge an zugeführter Acrylsäure und wässriger Natronlauge zu bereits in der Ringleitung befindlicher Lösung ("Mischungsverhältnis" in Spalte 2 der Tabelle des Absatzes [0098] des Streitpatentes) über einen Wert von 1 : 1, also beispielsweise 2 : 1, hinaus die Peaktemperatur von 70°C überschritten würde. Da weder das Mischungsverhältnis von zugeführten Produkten (wässrige Natronlauge und Acrylsäure) zu in der Ringleitung befindlichem Produkt, noch die Temperatur der zugeführten Produkte im Anspruch enthalten seien, und dem Fachmann auch sonst keine ausreichenden Informationen zur Verfügung stünden, um mithilfe seines allgemeinen Fachwissens ein Überschreiten dieser Temperatur im gesamten beanspruchten Bereich zu vermeiden, sei mangelnde Offenbarung festzustellen.

d) Schließlich argumentierte die Beschwerdeführerin, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung fehlerhaft sei, da sie sich zumindest teilweise auf vermeintliche Effekte des molaren Verhältnisses von Säure zu Base stütze, dies jedoch so nicht von der Einsprechenden/Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren vorgebracht worden sei. Vielmehr sei das Mischungsverhältnis, also das Verhältnis von in der Ringleitung befindlichem Produktstrom zu zugeführter wässriger Natronlauge und Acrylsäure Grundlage der Argumentation gewesen.

3.2 Unter Berücksichtigung der Argumente beider Parteien vertritt die Kammer die folgende Auffassung:

Anspruch 1 bezieht sich auf ein kontinuierlich durchgeführtes Neutralisationsverfahren. Um das beanspruchte Verfahren durchführen zu können, muss der Fachmann in die Lage versetzt werden, mit den im Patent angegebenen Informationen unter Zuhilfenahme seines allgemeinen Fachwissens ein Verfahren durchzuführen, bei dem mindestens eine ethylenisch ungesättigte Carbonsäure zumindest teilweise mit einer Base neutralisiert wird, und wobei unter anderem die Temperatur der ethylenisch ungesättigten Carbonsäure von 0 bis 40°C beträgt und die Temperatur der neutralisierten Lösung weniger als 70°C beträgt. Das dem Fachmann hierzu notwendige Wissen muss außerdem ausreichend sein, um das Verfahren über die gesamte Breite des Anspruchs ohne unzumutbaren Aufwand nachzuarbeiten. Um einen Mangel an Ausführbarkeit festzustellen, müssen ernsthafte Zweifel bestehen, die durch nachprüfbare Tatsachen erhärtet werden.

In der Beschreibung des Streitpatents werden Beispiele offenbart, die zeigen, dass Acrylsäure mit Natronlauge in einem kontinuierlichen Verfahren zumindest teilweise neutralisiert werden kann, wobei die Parameter betreffend die Temperatur der Säure (von 0 bis 40°C) und die Temperatur der neutralisierten Lösung (weniger als 70°C) eingehalten werden (siehe die Beispiele 2 und 4 bis 6). Somit wird dem Fachmann wenigstens ein Weg zur Ausführung eindeutig aufgezeigt.

Von der Beschwerdeführerin wurde vorgebracht, dass die dem Fachmann zur Verfügung stehenden Informationen nicht ausreichend seien, um das Verfahren über die gesamte Breite des Anspruchs ohne unzumutbaren Aufwand auszuführen.

Die Kammer erachtet diesen Einwand der Beschwerdeführerin als nicht ausreichend substantiiert. Im Einzelnen wird zu den oben angeführten Punkten folgendermaßen Stellung genommen:

a) Es ist korrekt, dass im Streitpatent lediglich Beispiele angegeben werden, bei denen die Temperatur von Acrylsäure und wässriger Natronlauge jeweils 15 oder 23°C beträgt (siehe die Tabellen in den Absätzen [0095] und [0098]). Allerdings ist die Kammer der Auffassung, dass von der Beschwerdeführerin nicht überzeugend gezeigt wurde, warum der Fachmann nicht auch andere Temperaturen wählen, oder andere im Anspruch definierte Säuren verwenden kann. Es wurde insbesondere nicht dargelegt, auf welche konkreten Probleme der Fachmann hierbei stoßen würde, warum die ihm zur Verfügung stehenden Informationen nicht ausreichen würden, solche zu lösen, und welche zusätzlichen Informationen hierzu nötig wären, die ihm nicht zur Verfügung stehen. Es wurde auch nicht gezeigt, dass die Verwendung von anderen Säuren nicht zu einem Neutralisationsverfahren führen kann, bei dem die im Anspruch 1 angegebenen Parameterbereiche eingehalten werden können. Bezüglich einzuhaltendem Temperaturabstand wurde von der Beschwerdeführerin ebenso nicht gezeigt, warum dies auch für andere Säuren notwendig wäre.

b) Die Beschwerdegegnerin hat erläutert, dass ethylenisch ungesättigte Carbonsäuren auch unterhalb ihres Schmelzpunktes als Feststoff dosiert werden können. Im Zusammenhang mit Acrylsäure verwies sie darauf, dass diese ebenfalls bei Temperaturen unterhalb 15°C zudosiert werden kann, nämlich beispielsweise in Form einer 80 gew.-%igen wässrigen Lösung (siehe die Stellungnahme zur Beschwerdebegründung, Punkt 1, Absatz 3). Beides erscheint der Kammer glaubhaft und wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht angezweifelt. Zudem hat die Beschwerdeführerin ebenso nicht dargelegt, inwiefern der Fachmann ethylenisch ungesättigte Carbonsäuren nicht in fester Form zugeben kann.

c) Die Beschwerdegegnerin hat hierzu vorgebracht, dass der Fachmann zur Vermeidung einer Peaktemperatur von über 70°C auf die Information im Absatz [0043] der Patentschrift zurückgreifen würde und beispielsweise die Rückführung erhöhen würde. Auch hier hat die Beschwerdeführerin keine nachprüfbaren Tatsachen vorgebracht, die zeigen, dass der Fachmann das beanspruchte Verfahren nicht ausführen kann, sondern lediglich Vermutungen geäußert.

d) Die Kammer ist der Auffassung, dass es sich bei dem in der Tabelle im Absatz [0098] der Beschreibung des Streitpatents bei dem Begriff "Mischungsverhältnis" um das Massenverhältnis von durch die Zuführungen Z1 und Z2 zugeführten Edukten (in den Beispielen 7 bis 9 wässrige Natronlauge und Acrylsäure) zu sich bereits in der Ringleitung R befindlichem Massenstrom handelt (siehe auch Absatz [0092] der Beschreibung des Streitpatents).

3.3 Deshalb kommt die Kammer zu dem Schluss, dass das beanspruchte Verfahren im Patent so deutlich und vollständig offenbart ist, dass der Fachmann es ohne unzumutbaren Aufwand über die gesamte beanspruchte Breite ausführen kann.

4. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

4.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte mangelnde erfinderische Tätigkeit ausgehend von Dokument D1 (entweder alleine oder in Kombination mit D5 oder D2) oder D9 (in Kombination mit D1) als nächstliegendem Stand der Technik. Da auch die Beschwerdegegnerin Argumente zu beiden Ansätzen vorgebracht hat, und die Kammer der Ansicht ist, dass sich das beanspruchte Verfahren weder ausgehend von D1, noch ausgehend von D9 dem Fachmann in naheliegender Weise ergibt, werden nachfolgend beide Ansätze behandelt.

4.2 D1 als nächstliegender Stand der Technik

4.2.1 Dokument D1 offenbart ein kontinuierliches Verfahren zur Neutralisation von Acrylsäure mit einer wässrigen Lösung eines basischen Alkalisalzes, wobei in einer bevorzugten Ausführungsform eine Teilmenge der gebildeten Alkaliacrylatlösung rückgeführt wird (siehe Seite 6, Zeile 30 bis Seite 7, Zeile 27 und Beispiel 1: Seite 28, insbesondere Zeilen 28 bis 33). Bei der Neutralisationsreaktion wird in einer Destillationsvorrichtung abgetrennte Acrylsäure unmittelbar aus der Gasphase in eine wässrige Lösung eines Alkalihydroxids aufgenommen (siehe Seite 4, Zeilen 13 bis 16 und Anspruch 1).

4.2.2 Die Parteien beurteilten unterschiedlich, durch welche Merkmale sich das Verfahren gemäß Streitpatent von dem in D1 offenbarten Verfahren unterscheidet. Einigkeit herrschte darüber, dass anspruchsgemäß die Temperatur der zu neutralisierenden ethylenisch ungesättigten Carbonsäure von 0 bis 40°C beträgt, dieses Merkmal aber in D1 nicht offenbart wird.

Die Beschwerdeführerin brachte weiter vor, dass im Dokument D1 auch die anspruchsgemäße Dosierreihenfolge offenbart sei, nämlich dass "die rückgeführte neutralisierte Lösung in der Neutralisation nacheinander mit einer Base und ethylenisch ungesättigter Carbonsäure versetzt wird". Sie verwies hierzu insbesondere auf die Passage der Seite 7, Zeilen 7 bis 12 und Seite 6, Zeilen 33 bis 36.

Die Beschwerdegegnerin interpretierte den Wortlaut der besagten Passagen dahingehend, dass sich der Verweis auf die "vorstehend beschriebene Quenchflüssigkeit" (Seite 7, Zeilen 8 bis 9) nicht eindeutig auf die im vorangehenden Absatz genannte "weitere Quenchflüssigkeit" beziehe, die gemäß einer bevorzugten Ausführungsform der offenbarten Lehre rückgeführt werde. Vielmehr beziehe sich die Passage auf die davor allgemein beschriebene Quenchflüssigkeit, die aber nicht zwangsläufig rückgeführt werde (Seite 6, Zeilen 37 bis 39). Somit werde in D1 eine Teil-Rückführung der neutralisierten Lösung nicht eindeutig in Kombination mit der anspruchsgemäßen Dosierreihenfolge offenbart.

Die Kammer erachtet es für die vorliegende Entscheidung nicht als ausschlaggebend, ob das Merkmal der anspruchsgemäßen Dosierreihenfolge im Dokument D1 eindeutig in Zusammenhang mit einer Rückführung der neutralisierten Alkaliacrylatlösung offenbart wird, oder nicht, da das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik aus nachstehenden Gründen auch alleine auf der Basis der Unterscheidungsmerkmals der Temperatur der ethylenisch ungesättigten Carbonsäure anzuerkennen ist.

4.2.3 Die Beschwerdeführerin vermochte keinen durch das Unterscheidungsmerkmal "Temperatur der ethylenisch ungesättigten Carbonsäure von 0 bis 40°C" hervorgerufenen technischen Vorteil zu erkennen. Auch die Beschwerdegegnerin hat bereits während des schriftlichen Verfahrens eingeräumt, dass für dieses Merkmal kein Vorteil gezeigt wurde (siehe Schreiben vom 4. August 2020, Seite 2, Absatz 4).

Die als gelöst anzusehende technische Aufgabe kann demnach in der Bereitstellung eines zu D1 alternativen Verfahrens gesehen werden.

4.2.4 Die Frage, ob der Fachmann ausgehend von dem in D1 offenbarten Verfahren dem vorliegenden Stand der Technik eine Anleitung dafür entnehmen würde, die anspruchsgemäß definierte Alternative bereitzustellen, worin die Temperatur der ethylenisch ungesättigten Carbonsäure von 0 bis 40°C beträgt, wurde von den Parteien unterschiedlich beantwortet.

4.2.5 Die Beschwerdeführerin argumentierte, der Fachmann würde die Temperatur der in D1 verwendeten Acrylsäure schon deshalb vor der Neutralisation auf eine im anspruchsgemäßen Bereich liegende Temperatur verringern, da Neutralisationsreaktionen exotherm verliefen und eine Kühlung des Systems daher wünschenswert sei. Dies würde zu einem stabileren Temperaturprofil und zu verringerten Temperaturmaxima führen. Auch könnte durch Verlagerung der in D1 offenbarten Neutralisationsreaktion in die flüssige Phase der gefährliche Einsatz von Säure bei sehr hohen Temperaturen reduziert werden. Die Vermeidung von Temperaturspitzen, als Aufgabe im Streitpatent beschrieben, sei demnach lediglich ein Effekt, der der Anwendung bekannter Prozessschritte inhärent sei.

Des Weiteren würden auch die Offenbarungen der Dokumente D5 und D2 den Fachmann zur anspruchsgemäßen Abänderung des aus D1 bekannten Verfahrens veranlassen.

Im Dokument D5 werde nämlich darauf verwiesen, dass frisch destillierte Acrylsäure bevorzugt bei der niedrigstmöglichen Temperatur aufbewahrt werden solle, bevorzugt zwischen Verfestigungspunkt und 25°C, bevor sie neutralisiert oder weiterverarbeitet werde (Seite 7, Zeilen 18 bis 20). Ebenso solle die Neutralisation bei niedriger Temperatur durchgeführt werden (Seite 7, Zeile 21). Dem Fachmann sei somit bekannt, dass Acrylsäure nicht direkt aus der Gasphase verwendet werden müsse. Zudem sei ihm dadurch bekannt dass es möglich und sogar bevorzugt sei, den Neutralisationsprozess bei niedriger Temperatur durchzuführen, wobei die Temperatur der Acrylsäure zwischen dem Verfestigungspunkt und 40°C betragen solle.

Aus Dokument D2 entnehme der Fachmann zudem ebenfalls, dass es möglich sei, die Neutralisation von Acrylsäure mit einer Base in einem Temperaturbereich von 20 bis 50°C, bevorzugt 40°C, durchzuführen (Seite 4, Zeilen 33 bis 36, Ansprüche 4 und 6 sowie die Beispiele 2, 3 und 4). Dokument D2 offenbare implizit, dass die in der Neutralisation verwendete Acrylsäure Raumtemperatur habe.

4.2.6 Die Beschwerdegegnerin brachte vor, dass der Fachmann ausgehend von D1 immer ein Verfahren erhalten würde, bei dem destillativ abgetrennte Acrylsäure im gasförmigen Zustand direkt neutralisiert werde, da dies für die in D1 offenbarte Erfindung wesentlich sei. Falls er das Verfahren dann so abändern wollte, dass Acrylsäure mit einer Temperatur von 0 bis 40°C in Natronlauge aufgenommen wird, müsste er den Druck in der Destillationsapparatur sehr weit reduzieren, nämlich auf weit unterhalb des in D1 vorgeschlagenen Bereichs von 50 bis 120 mbar (Seite 23, Zeilen 29 und 30). Dann könnte aber keine kontrollierbare Kondensation mehr erreicht werden. Er würde dieses Vorgehen auch deshalb vermeiden, da damit die Gefahr einhergehe, dass das im Quenchkreis vorhandene Wasser ebenfalls zum Sieden käme. Damit wären Kühlprobleme verbunden. Zudem würden sich in der Anlage undefinierte Bedingungen einstellen.

4.2.7 Die Kammer erachtet die Argumentation der Beschwerdeführerin als nicht überzeugend.

Dokument D1 alleine gibt dem Fachmann keinen Hinweis darauf, außerhalb der vorgeschlagenen Bereiche von Druck (50 bis 120 mbar, 78 mbar im Beispiel) und Temperatur (65 bis 130°C, vorzugsweise 70 bis 100°C, 72°C im Beispiel) zu arbeiten (Seite 23, Zeilen 29 bis 30 und Seite 28, Zeilen 24 bis 26). Diese würde er so wählen, dass Acrylsäure gasförmig vorliegt (Seite 4, Zeilen 13 bis 16 und Anspruch 1). Von der Beschwerdegegnerin wurde, bereits mit Schreiben vom 4. August 2020 sowie erneut während der mündlichen Verhandlung, vorgebracht, dass der Druck bei der Destillation von Acrylsäure auf mindestens 14,4 mbar gesenkt werden müsste, damit diese bei einer Temperatur von 0 bis 40°C destilliert. Beide Werte liegen außerhalb der in D1 genannten Bereiche.

Aus dem Stand der Technik sind dem Fachmann jedoch Verfahren bekannt, bei denen Acrylsäure in flüssigem Zustand durch Alkalilösungen neutralisiert wird, und die Temperatur der neutralisierten Acrylatlösung im anspruchsgemäßen Bereich gehalten werden sollte (D2: Seite 4, Zeilen 33 bis 34 und Beispiel 1, Seite 6, Zeilen 47 bis 56; D9: Beispiel 1, Seite 10, Zeilen 21 bis 24). Der Fachmann entnimmt dem Stand der Technik auch, dass frisch destillierte Acrylsäure gelagert werden kann, und dass die Lagertemperatur möglichst niedrig sein sollte (D5: Seite 7, Zeilen 18 bis 20).

Es stellt sich somit lediglich die Frage, ob der Fachmann diese Informationen nutzen würde, um das in D1 offenbarte Verfahren anspruchsgemäß abzuändern.

Die Kammer ist der Auffassung, dass dies ohne vorherige Kenntnis der beanspruchten Erfindung nicht der Fall ist. Zunächst ist festzustellen, dass es für das in D1 offenbarte Verfahren wesentlich ist, dass Acrylsäure in gasförmiger Form, also ohne Zwischenkondensation, neutralisiert wird (siehe Seite 4, Zeilen 13 bis 16 und Anspruch 1). Somit wäre zu erwarten, dass der Fachmann zur Bereitstellung einer Alternative die konkret im Beispiel offenbarten Reaktionsbedingungen zwar ändern würde, sich aber innerhalb eines Rahmens bewegen würde, der immer noch die Neutralisation von Acrylsäure in gasförmigem Zustand erlaubt. Hierzu erachtet die Kammer die Argumentation der Beschwerdegegnerin überzeugend, dass dazu jedoch beispielsweise der Druck innerhalb der Anlage auf einen Wert reduziert werden müsste, der einerseits deutlich unterhalb des in D1 genannten Bereiches liegt, und der andererseits mit Komplikationen verbunden wäre, wie erhöhter Verdampfung von Wasser aus dem Quenchkreis und damit verbundenen Kühlproblemen. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Fachmann dies für die Bereitstellung einer Alternative in Kauf nehmen würde.

4.2.8 Somit gelangt die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

4.3 D9 als nächstliegender Stand der Technik

4.3.1 Auch in D9 wird ein Neutralisationsverfahren von Acrylsäure mit Natronlauge beschrieben. Das Verfahren führt zu einer teilneutralisierten, übersättigten wässrigen Lösung von Natriumacrylat und Acrylsäure, wobei das Natriumacrylat teilweise ausfällt (Seite 3, Zeile 35 bis Seite 6, Zeile 14 sowie Beispiel 1, Seite 10, Zeilen 21 bis 27). Die teilweise Rückführung der neutralisierten Lösung in die Neutralisation wird in D9 nicht offenbart. Dies war zwischen den Parteien unstrittig.

4.3.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte, Dokument D9 offenbare ein Verfahren, bei dem insbesondere die anspruchsgemäße Dosierreihenfolge von Base und Säure beschrieben sei. Als einziges relevantes Unterscheidungsmerkmal des beanspruchten Neutralisationsverfahrens gegenüber D9 identifizierte sie die daher nur die teilweise Rückführung der gekühlten neutralisierten Lösung, und definierte die technische Aufgabe in der Bereitstellung eines verbesserten kontinuierlichen Neutralisationsverfahrens. Diese Aufgabe sei jedoch lediglich in naheliegender Weise gelöst, da der Fachmann das genannte Unterscheidungsmerkmal aus Dokument D1 im Zusammenhang mit einer verbesserten Kühlung kenne, und dieses deshalb in das in D9 offenbarte Verfahren zur Lösung der technischen Aufgabe aufnehmen würde.

4.3.3 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, in Dokument D9 werde die Verwendung übersättigter (Meth)acrylsäuresalzlösungen offenbart, nicht aber ein Verfahren umfassend die Rückführung von übersättigter Lösung, erhalten durch Neutralisation von Acrylsäure mit Natronlauge. Die gemäß D9 hergestellte übersättigte Lösung sei für eine Rückführung auch nicht geeignet, da jederzeit Salz ausfallen könne. Die Lehre von D9 führe deshalb vom beanspruchten Gegenstand weg.

4.3.4 Die Kammer ist der Auffassung, dass sich der Gegenstand des Streitpatents dem Fachmann aus folgenden Gründen nicht in naheliegender Weise ausgehend von der technischen Lehre des Dokumentes D9 ergibt.

4.3.4.1 Unterscheidungsmerkmal

Im Dokument D9 wird eine in jedem Schritt kontinuierlich durchgeführte Herstellung von Natriumacrylat als bevorzugte Ausführungsform offenbart (Seite 6, Zeilen 1 bis 5). Das Verfahren kann jedoch alternativ auch nur teilweise kontinuierlich durchgeführt werden (Seite 6, Zeilen 7 bis 14).

Im Dokument D9 werden zudem auch verschiedene Varianten der Zugabe von Natronlauge zur Herstellung der teilweise neutralisierten Natriumacrylatlösung beschrieben. Dabei handelt es sich entweder um (1) ein Verfahren mit zwei Zugabeschritten, worin wässrige Acrylsäure mit Natronlauge zunächst zu 100 mol% neutralisiertem Natriumacrylat vermischt, und dann durch Zugabe weiterer Natronlauge überneutralisiert wird (Seite 4, Zeilen 1 bis 15), oder (2) um ein Verfahren, bei dem der Überschuss an Natriumhydroxid von Anfang an, also in einem Verfahrensschritt, eingesetzt wird (Seite 4, Zeilen 17 bis 20). In einer weiteren Variante (3) wird Acrylsäurelösung zunächst nur teilweise, also zu weniger als 100%, neutralisiert, und der Überschuss an Natriumhydroxidlösung nach teilweisem Entfernen der Neutralisationswärme zugegeben (Seite 4, Zeilen 25 bis 30). Die Zugabe des Natriumhydroxidüberschusses kann auch teilweise vor und teilweise nach dem Wärmetauscher erfolgen, in der Variante (1) wird die Natriumacrylatlösung entweder während oder nach der Neutralisation gekühlt (Seite 4, Zeilen 5 bis 7).

Die Varianten unterscheiden sich also im anfänglich eingestellten Neutralisationsgrad und dem Zeitpunkt der Kühlung. Gemeinsam ist den Varianten, dass dabei eine überneutralisierte Lösung hergestellt wird, bei der Natriumhydroxid gegenüber Acrylsäure im Überschuss zugeführt wurde (Seite 4, Zeilen 32 bis 35). Diese wird dann bei allen Varianten in einem weiteren Schritt mit Acrylsäure im Überschuss versetzt, um eine teilneutralisierte Natriumacrylatlösung zu erhalten (Seite 5, Zeilen 9 bis 17).

Lediglich diejenigen der beschriebenen Varianten, bei denen Natronlauge in zwei Schritten zugeführt wird, nämlich die Varianten (1) und (3), führen zu einem Verfahren, bei dem die anspruchsgemäße Dosierreihenfolge eingehalten wird, da nur bei diesen Varianten nach erfolgter (Teil-)Neutralisation weitere Base zugeführt wird, bevor im nächsten Schritt der Überschuss an Acrylsäure zugegeben wird (Seite 5, Zeilen 9 bis 13). Dies ist bei der beschriebenen Variante (2) nicht der Fall. In der Variante (1) muss zudem der Zeitpunkt der Kühlung ausgewählt werden, diese muss nämlich anspruchsgemäß nicht während, sondern nach der Neutralisation erfolgen (Seite 4, Zeilen 6).

Diese Auswahl führt den Fachmann jedoch noch nicht zum patentgemäßen Anspruchsgegenstand. Wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht, unterscheidet sich dieser von der Offenbarung der D9 auch dadurch, dass die neutralisierte Lösung teilweise in die Neutralisation rückgeführt wird.

Um zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatentes zu gelangen, muss der Fachmann somit die Verfahrensvariante sowie gegebenenfalls den Zeitpunkt der Kühlung auswählen, um zur anspruchsgemäßen Dosierreihenfolge zu gelangen. Zudem muss er das Verfahren so durchführen, dass die neutralisierte Lösung teilweise rückgeführt wird.

4.3.4.2 Technische Wirkung und technische Aufgabe

Die Beschwerdegegnerin verwies während des Verfahrens auf die durch die beanspruchte Dosierreihenfolge hervorgerufene Wirkung einer Verringerung der durch die Neutralisationsreaktion auftretenden Peaktemperatur. Dies werde in den Beispielen 1 bis 6 der Beschreibung des Streitpatents gezeigt. In der Tat zeigt ein Vergleich insbesondere der Beispiele 1 und 2, dass die Peaktemperatur bei Zugabereihenfolge Base vor Säure in die die rückgeführte neutralisierte Lösung enthaltende Ringleitung zu einer Verringerung der auftretenden Peaktemperatur führt. Diese wird nämlich von 64°C im Beispiel 1 auf 47°C im Beispiel 2 verringert, wobei im Beispiel 1 Acrylsäure vor Natronlauge zudosiert wird, und im Beispiel 2 die Zugabe in umgekehrter Reihenfolge erfolgt. Dies wurde von der Beschwerdeführerin während des Beschwerdeverfahrens nicht angezweifelt.

Unabhängig von einer durch das Unterscheidungsmerkmal der Rückführung hervorgerufenen etwaigen zusätzlichen technischen Wirkung kann somit die technische Aufgabe in der Bereitstellung eines verbesserten Neutralisationsverfahrens gesehen werden, wobei die Verbesserung in einer Erniedrigung der auftretenden Peaktemperatur in der neutralisierten Lösung liegt.

4.3.4.3 Beanspruchte Lösung

Anspruchsgemäß wird als Lösung des genannten Problems ein Neutralisationsverfahren vorgeschlagen, bei dem die neutralisierte und gekühlte Lösung zumindest teilweise in die Neutralisation zurückgeführt wird, und die rückgeführte neutralisierte Lösung in der Neutralisation nacheinander mit einer Base und ethylenisch ungesättigter Carbonsäure versetzt wird.

Wie aus den oben genannten Beispielen hervorgeht, kann die gestellte Aufgabe als gelöst angesehen werden.

4.3.4.4 Naheliegen der Lösung

Im Dokument D9 wird darauf hingewiesen, dass die Abführung eines großen Teils oder bevorzugt der gesamten Neutralisationswärme bei der Herstellung der überneutralisierten Natriumacrylatlösung ein besonderer Vorzug des erfindungsgemäßen Verfahrens sei, da hohe Starttemperaturen in der nachfolgenden Polymerisation die Produktqualität deutlich verschlechtern. In diesem Zusammenhang wird in D9 auf die zweiteilige Herstellung teilneutralisierter Natriumacrylatlösung verwiesen, also zunächst der Herstellung einer überneutralisierten Lösung mit anschließender Zugabe weiterer Acrylsäure (Seite 6, Zeilen 16 bis 33). Auf einen Zusammenhang zwischen einer Dosierreihenfolge von Acrylsäure und Natriumhydroxidlösung und der Vermeidung von hohen Peaktemperaturen wird in D9 nicht verwiesen. Für die Herstellung der überneutralisierten Natriumacrylatlösung werden zwar die drei oben genannten Varianten (1) bis (3) beschrieben, keiner davon wird aber bezüglich auftretender Peaktemperaturen, oder hoher Temperaturen im Allgemeinen, der Vorzug gegeben. Somit entnimmt der Fachmann Dokument D9 auch keine Hinweise darauf, eine bestimmte Dosierreihenfolge (bzw. Variante) auszuwählen, um hohe Peaktemperaturen zu vermeiden. Auch Dokument D1 können diesbezüglich keine Hinweise entnommen werden. Zwar verweist die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit ihrer Argumentation bezüglich mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D9 auf die technische Lehre des Dokumentes D1, allerdings nur im Zusammenhang mit dem Unterscheidungsmerkmal der teilweisen Rückführung der neutralisierten Natriumacrylatlösung.

Der Argumentation der Beschwerdegegnerin, wonach der Fachmann eine Rückführung der gemäß D9 hergestellten übersättigten Lösung nicht in Betracht ziehen würde, da aus dieser Lösung Salz ausfallen könne, wurde von der Beschwerdeführerin nicht entgegengetreten. Die Kammer erachtet die Argumentation als plausibel. Der Fachmann würde eine Salzbildung im Reaktionskreislauf nicht riskieren und auch deshalb eine Rückführung für das Verfahren D9 nicht zur Lösung der gestellten Aufgabe anstreben.

4.3.5 Somit gelangt die Kammer zu dem Schluss, dass das Verfahren des Anspruchs 1 auch ausgehend von D9 als nächstliegendem Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

4.4 Da der beanspruchte Gegenstand ausgehend von keinem der vorgeschlagenen Dokumente D1 oder D9 nahegelegt wird, werden die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ als erfüllt angesehen.

5. Damit steht der Aufrechterhaltung des Streitpatentes keiner der im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Gründe entgegen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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