T 2128/16 () of 18.10.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T212816.20181018
Datum der Entscheidung: 18 October 2018
Aktenzeichen: T 2128/16
Anmeldenummer: 08842777.8
IPC-Klasse: B60W 40/04
B60W 30/08
G08G 1/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN UND SYSTEM ZUM ERHÖHEN DER SICHERHEIT IN EINEM KRAFTFAHRZEUG
Name des Anmelders: Continental Teves AG & Co. OHG
Name des Einsprechenden: Knorr-Bremse
Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
European Patent Convention Art 84
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag, Hilfsantrag 1, 2
Neuheit - (nein)
Zulassung in das Verfahren - Hilfsantrag 3 - (nein)
Patentansprüche - Klarheit nach Änderung
Patentansprüche - Hilfsantrag 4, 5
Patentansprüche - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2212175 in geändertem Umfang, zur Post gegeben am 22. Juli 2016.

II. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 (Hauptantrag) und des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 im Hinblick auf das Dokument

WO 2005-063521 A1 (E1)

nicht neu ist.

Den Gegenstand des Anspruchs 1 (bzw. 13) gemäß dem Hilfsantrag 2 hat die Einspruchsabteilung für gewährbar erachtet.

Gegen diese Entscheidung haben beide Parteien Beschwerde eingelegt.

III. Am 18. Oktober 2018 wurde mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin 2 (Patentinhaberin) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in erteilter Fassung (Hauptantrag), hilfsweise in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 und 2, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, oder des Hilfsantrags 3 eingereicht während der mündlichen Verhandlung, oder eines der Hilfsanträge 4 und 5, ebenso eingereicht mit der Beschwerdebegründung aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdeführerin 1 (Einsprechende) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

IV. Der Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt:

Verfahren zum Erhöhen der Sicherheit in einem Fahrzeug (100), bei dem eine Gefahrensituation anhand von Informationen erkannt wird,

die von wenigstens einer Informationsquelle (202; 207; 111) bereitgestellt werden, die innerhalb oder außerhalb des Fahrzeugs (100) angeordnet ist,

und bei dem in dem Fahrzeug (100) eine Sicherheitsmaßnahme ausgeführt wird, die in Abhängigkeit von der Informationsquelle (202; 207; 111) bestimmt wird,

dadurch gekennzeichnet, dass

bei dem Verfahren abgestufte Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen sind, wobei die auswählbaren Stufen auf eine vorgegebene maximale Stufe begrenzt werden können, und die höchste vorgesehene Stufe als maximale Stufe festgelegt wird, wenn eine Gefahrensituation anhand von Informationen ermittelt wird, die von einer Informationsquelle (111) innerhalb des Fahrzeugs (100) bereitgestellt werden.

V. Der Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 1 lautet:

Verfahren zum Erhöhen der Sicherheit in einem Fahrzeug (100), bei dem eine Gefahrensituation anhand von Informationen erkannt wird,

die von wenigstens einer Informationsquelle (202; 207; 111) bereitgestellt werden, die innerhalb oder außerhalb des Fahrzeugs (100) angeordnet ist,

und bei dem in dem Fahrzeug (100) eine Sicherheitsmaßnahme ausgeführt wird, die in Abhängigkeit von der Informationsquelle (202; 207; 111) bestimmt wird,

dadurch gekennzeichnet, dass

bei dem Verfahren abgestufte Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen sind, wobei die auswählbaren Stufen auf eine vorgegebene maximale Stufe begrenzt werden, und die höchste vorgegebene Stufe als maximale Stufe festgelegt wird, wenn eine Gefahrensituation anhand von Informationen ermittelt wird, die von einer Informationsquelle (111) innerhalb des Fahrzeugs (100) bereitgestellt werden.

VI. Der Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 2 lautet wie folgt:

Verfahren zum Erhöhen der Sicherheit in einem Fahrzeug (100), bei dem eine Gefahrensituation anhand von Informationen erkannt wird,

die von wenigstens einer Informationsquelle (202; 207; 111) bereitgestellt werden, die innerhalb oder außerhalb des Fahrzeugs (100) angeordnet ist,

und bei dem in dem Fahrzeug (100) eine Sicherheitsmaßnahme ausgeführt wird, die in Abhängigkeit von der Informationsquelle (202; 207; 111) bestimmt wird,

dadurch gekennzeichnet, dass

bei dem Verfahren abgestufte Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen sind, wobei die auswählbaren Stufen auf eine vorgegebene maximale Stufe begrenzt werden, so dass Maßnahmen einer höheren als der maximalen Stufe auch dann nicht durchgeführt werden können, wenn sie aufgrund des bestehenden Gefahrenpotentials möglich bzw. erforderlich wären, und

wobei die höchste vorgegebene Stufe als maximale Stufe festgelegt wird, wenn eine Gefahrensituation anhand von Informationen ermittelt wird, die von einer Informationsquelle (111) innerhalb des Fahrzeugs (100) bereitgestellt werden.

VII. Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag 3 (vorgelegt in der mündlichen Verhandlung) ist wie folgt:

Verfahren zum Erhöhen der Sicherheit in einem Fahrzeug (100), bei dem eine Gefahrensituation anhand von Informationen erkannt wird,

die von wenigstens einer Informationsquelle (202; 207; 111) bereitgestellt werden, die innerhalb oder außerhalb des Fahrzeugs (100) angeordnet ist, und bei dem in dem Fahrzeug (100) eine Sicherheitsmaßnahme ausgeführt wird, die in Abhängigkeit von der Informationsquelle (202; 207; 111) bestimmt wird,

dadurch gekennzeichnet, dass

bei dem Verfahren abgestufte Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen sind, wobei die auswählbaren Stufen auf eine vorgegebene maximale Stufe begrenzt werden, so dass Maßnahmen einer höheren als der maximalen Stufe auch dann nicht durchgeführt werden können, wenn sie aufgrund des bestehenden Gefahrenpotentials möglich bzw. erforderlich wären,

wobei die höchste vorgegebene Stufe als maximale Stufe festgelegt wird, wenn eine Gefahrensituation anhand von Informationen ermittelt wird, die von einer Informationsquelle (111) innerhalb des Fahrzeugs (100) bereitgestellt werden, und wobei geprüft wird, ob eine Gefahrensituation, die nur anhand von Informationen einer außerhalb des Fahrzeugs (100) angeordneten Informationsquelle ermittelt wird, mittels wenigstens eines Sensors (111) des Fahrzeugs (100) erfassbar ist, und

wobei die maximale Stufe kleiner als die höchste Stufe gewählt wird, wenn festgestellt wird, dass die Gefahrensituation mittels des Sensors (111) erfassbar ist.

VIII. Der Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 4 lautet wie folgt:

Verfahren zum Erhöhen der Sicherheit in einem Fahrzeug (100), bei dem eine Gefahrensituation anhand von Informationen erkannt wird,

die von wenigstens einer Informationsquelle (202; 207; 111) bereitgestellt werden, die innerhalb oder außerhalb des Fahrzeugs (100) angeordnet ist, und bei dem in dem Fahrzeug (100) eine Sicherheitsmaßnahme ausgeführt wird, die in Abhängigkeit von der Informationsquelle (202; 207; 111) bestimmt wird,

dadurch gekennzeichnet, dass

bei dem Verfahren abgestufte Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen sind, wobei die auswählbaren Stufen auf eine vorgegebene maximale Stufe begrenzt werden, so dass Maßnahmen einer höheren als der maximalen Stufe auch dann nicht durchgeführt werden können, wenn sie aufgrund des bestehenden Gefahrenpotentials möglich bzw. erforderlich wären,

wobei die höchste vorgegebene Stufe als maximale Stufe festgelegt wird, wenn eine Gefahrensituation anhand von Informationen ermittelt wird, die von einer Informationsquelle (111) innerhalb des Fahrzeugs (100) bereitgestellt werden, und wobei andernfalls die niedrigste vorgesehene Stufe als maximale Stufe festgelegt wird, wenn die Gefahrensituation nicht mittels einer Umfeldsensorik (111) des Fahrzeugs erfasst worden ist, obwohl dies möglich gewesen wäre,

und/oder wenn das Vorliegen der Gefahrensituation nicht redundant festgestellt werden kann.

IX. Der Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 5 lautet wie folgt:

Verfahren zum Erhöhen der Sicherheit in einem Fahrzeug (100), bei dem eine Gefahrensituation anhand von Informationen erkannt wird,

die von wenigstens einer Informationsquelle (202; 207; 111) bereitgestellt werden, die innerhalb oder außerhalb des Fahrzeugs (100) angeordnet ist, und bei dem in dem Fahrzeug (100) eine Sicherheitsmaßnahme ausgeführt wird, die in Abhängigkeit von der Informationsquelle (202; 207; 111) bestimmt wird,

dadurch gekennzeichnet, dass

bei dem Verfahren abgestufte Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen sind, wobei die auswählbaren Stufen auf eine vorgegebene maximale Stufe begrenzt werden, so dass Maßnahmen einer höheren als der maximalen Stufe auch dann nicht durchgeführt werden können, wenn sie aufgrund des bestehenden Gefahrenpotentials möglich bzw. erforderlich wären,

wobei die höchste vorgegebene Stufe als maximale Stufe festgelegt wird, wenn eine Gefahrensituation anhand von Informationen ermittelt wird, die von einer Informationsquelle (111) innerhalb des Fahrzeugs (100) bereitgestellt werden, und wobei andernfalls die niedrigste vorgesehene Stufe als maximale Stufe festgelegt wird, wenn die Gefahren­situation nicht mittels einer Umfeldsensorik (111) des Fahrzeugs erfasst worden ist, obwohl dies möglich gewesen wäre, und/oder wenn das Vorliegen der Gefahrensituation nicht redundant festgestellt werden kann, sowie die höchste vorgesehene Stufe nur dann als maximale Stufe festgelegt wird, wenn die Gefahrensituation anhand von Informationen ermittelt wird, die mit einer vorgegebenen Mindestzahl von Redundanzen über einen vorgegebenen Mindestzeitraum ermittelt wurden.

X. Die Argumente der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin 02) - soweit sie für die Entscheidung wesentlich waren - lauteten wie folgt:

Die Einspruchsabteilung habe die Merkmale des erteilten Anspruchs 1 nicht korrekt interpretiert. So sei das Merkmal des strittigen Anspruchs 1, dass eine Sicherheitsmaßnahme in Abhängigkeit der Informationsquelle bestimmt werde, nicht in E1 offenbart.

Die grundsätzliche erfinderische Idee des Streitpatents bestehe darin, eine Sperre vorzusehen für Sicherheitsmaßnahmen, so dass besonders gravierende Sicherheitsmaßnahmen nicht durchgeführt werden könnte, wenn die Datenlage zu der Situation fragwürdig sei.

So sehe eben das erfindungsgemäße Verfahren Sicherheitsmaßnahmen vor, die aber nicht alle in jeder Gefahrensituation zur Verfügung stünden. Welche davon zur Verfügung stehen, lege die Sperre fest, die die maximale Stufe begrenzt. Dies sei die Stufe, die die höchste Stufe sei, die eine bestimmte Informationsquelle freizugeben in der Lage sei.

So seien auch die Merkmale des Anspruchs 1 im Zusammenhang zu sehen. Die Merkmale c) und d) (vergleiche die Merkmalsgliederung in der Entscheidung der Einspruchsabteilung, Seite 3) müssten im Zusammenhang mit dem Merkmal b) gesehen werden, welches definiere, dass die Sicherheitsmaßnahme in Abhängigkeit der Informationsquelle gewählt werde.

Dieselbe Argumentationslinie träfe im Sinn auch auf den Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 zu.

Der Hilfsantrag 2 ergänze in dessen Anspruch 1 zusätzlich das Merkmal, dass Maßnahmen einer höheren als der maximalen Stufe auch dann nicht durchgeführt werden können, wenn sie aufgrund des bestehenden Gefahrenpotentials möglich bzw. erforderlich wären.

Mit diesem Merkmal werde die diskutierte Sperre weiter spezifiziert. So werde hier erklärt, dass Sicherheitsmaßnahmen eben nicht durchgeführt würde, obwohl sie möglich oder gar erforderlich wären, da die Informationsquelle, auf deren Daten die Gefahrensituation eingeschätzt wurde, eine Sperre für gravierendere Sicherheitsmaßnahmen vorsehe.

Der Hilfsantrag 3 müsse in das Verfahren zugelassen werden, da er aus einer Kombination des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag 2 und dem erteilten Anspruch 9 bestehe. Im übrigen sei er klar formuliert und sein Gegenstand nicht unzulässig erweitert.

Der Gegenstand des jeweiligen Anspruchs 1 der Hilfsanträge 4 und 5 sei klar und durch die Beschreibung gestützt.

So sei in der Patentschrift in den Paragraphen [0069] bis [0072] beschrieben, was das strittige Merkmal ("wobei andernfalls die niedrigste Stufe als maximale Stufe festgelegt wird, wenn die Gefahrensituation nicht mittels einer Umfeldsensorik (111) des Fahrzeugs erfasst worden ist, obwohl dies möglich gewesen wäre") ausdrücken solle. In dieser Passage sei erklärt, dass das Verfahren davon ausgehe, dass eine Erkennung fahrzeugintern immer dann möglich sei, wenn die Gefahrensituation innerhalb des Erfassungsbereichs des Sensors liege. Wenn also eine Gefahrensituation innerhalb des Erfassungsbereichs liege und weiter, wenn die Gefahrensituation vom Fahrzeugsensor nicht erkannt werde, dann ist sie nicht erkannt worden, "obwohl dies möglich gewesen wäre", was aber nicht geschehen sei, da Wetterbedingungen wie Nebel, Schnee oder eine Sensorverschmutzung dies verhindert hätten.

XI. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin 01) brachte die folgenden Argumente vor:

Der Gegenstand des jeweiligen Anspruchs 1 wie erteilt, gemäß Hilfsantrag 1 und gemäß Hilfsantrag 2 sei nicht neu. So würden die Merkmale des Anspruchs 1 von der Patentinhaberin zu einschränkend interpretiert.

Das Dokument E1 offenbare eine Adaptive Cruise Control (ACC). Diese Systeme funktionierten typischerweise derart, dass eine vom Fahrer eingestellte Wunschge­schwindigkeit gehalten werde. Im Falle eines vorausfahrenden Fahrzeugs werde der Abstand zum Vorfahrzeug genau eingestellt und gehalten und in Situationen, wo beispielsweise das vorausfahrende Fahrzeug stark bremst oder etwas anderes Unvorhergesehenes geschehe, werde eine Notbremsung initiiert. Das System gemäß E1 weise weiterhin eine Reduktionsgeschwindigkeit auf, die voreingestellt sei und die in Abhängigkeit von Gefahrensituationen die Geschwindigkeit der Fahrzeugs reduzierte, beispielsweise im Nebel, bei Glatteis oder wenn ein Unfall auf der Route gemeldet werde. Dieser Fall stelle die Sperre da, die der strittige Anspruch 1 beschreibe: es werde auf eine Reduktionsgeschwindigkeit geregelt und damit auf eine höchste Stufe begrenzt. Die weiteren, höheren Stufen, wie etwa die Notbremsung, werden nicht aktiviert. Allerdings könne bei einem Fahrzeug, welches mit der Reduktionsgeschwindigkeit (wegen Nebels) fahre, durch ein Sensorsignal einer fahrzeugeigenen Informations­quelle (z.B. ACC Radar) eine Notbremsung ausgelöst werden, wenn ein weiteres Ereignis hinzukäme, das eine Notbremsung rechtfertige.

Aus demselben Grund sei auch der jeweilige Gegenstand des Anspruchs 1 von Hilfsantrag 1 und 2 durch E1 offenbart. Insbesondere stelle das zusätzliche Merkmal des Anspruchs 1 von Hilfsantrag 2 keine technische Einschränkung dar. Wie oben ausgeführt wurde, ist das Merkmal ebenfalls in E1 gezeigt.

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 werfe neue Probleme auf. So sei überhaupt unklar, warum der Wortlaut des erteilten Anspruchs 9, der in den Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 aufgenommen wurde von "eine Gefahrensituation" in "die Gefahrensituation" abgeändert wurde. Die Tatsache, dass es sich nun bei der Gefahrensituation, die im letzten Merkmal des Anspruchs 1 genannt wird, um eine bestimmte Gefahrensituation handeln müsse, es aber unklar sei, auf welche der vorher genannten Gefahrensituationen sich die bestimmte nun beziehe, dürfe der Hilfsantrag 3 nicht in das Verfahren zugelassen werden.

Des Weiteren sei unklar, ob durch diese Änderung nicht auch Probleme mit einer unzulässigen Erweiterung mit sich brächte. Jedenfalls seien dies keine Punkte, die erstmals in Zusammenhang mit einem erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsantrag diskutiert werden sollten.

Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 sei völlig unklar; da dasselbe Merkmal ebenfalls in Hilfsantrag 5 vorhanden sei, gelte dies auch für den Hilfsantrag 5.

So stelle das Merkmal "wobei andernfalls die niedrigste Stufe als maximale Stufe festgelegt wird, wenn die Gefahrensituation nicht mittels einer Umfeldsensorik (111) des Fahrzeugs erfasst worden ist, obwohl dies möglich gewesen wäre" einen Widerspruch in sich dar. Wenn eine Gefahrensituation nicht erfasst wurde, dann war es nicht möglich diese zu erfassen, insofern sei es unlogisch dann ein Merkmal anzuhängen, welches besage, "obwohl es möglich gewesen wäre". Es sei auch der Patentschrift nicht zu entnehmen, warum es nicht möglich gewesen sei, eine Gefahrensituation zu erfassen.

Somit fehle ein erklärendes Merkmal im Wortlaut des Anspruchs 1, mindestens aber eine Erklärung in der Patentschrift.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt ist nicht neu; ebenfalls ist der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 1 nicht neu, Artikel 54 (2) EPÜ.

Die Kammer schließt sich in diesem Punkt uneingeschränkt der Entscheidung der Einspruchsabteilung an (Punkte 2.1 und 3.2) und hat dem nichts weiter hinzuzufügen.

3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag 2 ist nicht neu, Artikel 54 (2) EPÜ.

Auf diesem Antrag basiert die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung.

3.1 Die Kammer ist davon überzeugt, dass das zusätzliche Merkmal des Anspruchs 1 von Hilfsantrag 2 ebenfalls in E1 offenbart ist und vor diesem Hintergrund keine einschränkende Wirkung entfaltet.

Es stellt nach Ansicht der Kammer lediglich eine Erklärung des voran stehenden Merkmals dar, nämlich, dass bei dem erfindungsgemäßen Verfahren abgestufte Sicherheitsmaßnahmen vorgesehen sind, wobei die auswählbaren Stufen auf eine vorgegebene maximale Stufe begrenzt werden. Das dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 hinzugefügte Merkmal spezifiziert jetzt das Verfahren derart,

"so dass Maßnahmen einer höheren als der maximalen Stufe auch dann nicht durchgeführt werden können, wenn sie aufgrund des bestehenden Gefahrenpotentials möglich bzw. erforderlich wären".

3.2 Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) erklärt, dass mit dem zusätzlichen Merkmal die Funktionsweise der erfindungsgemäßen Sperre definiert werde, nämlich dass nicht immer die höchste Sicherheitsstufe die maximale Stufe sei.

Die Kammer ist nicht überzeugt sondern vielmehr der Auffassung, dass auch E1 eine derartige Sperre offenbart. E1 offenbart nämlich Reduktions­geschwindigkeiten in Abhängigkeit von äußeren Ereignissen, wie Unfall, Glatteis, Nebel ... (siehe Seite 13, 3. und 4. Absatz), die in einem ACC-System (Adaptive Cruise Control System) eingestellt werden und damit die vom Fahrer vorgegebene Wunschgeschwindigkeit maskieren.

Wie für den Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ausgeführt, stellt dies eine Begrenzung auf eine maximale Stufe dar, siehe die Entscheidung der Einspruchsabteilung, Seite 4, vorletzter Absatz, Punkt i).

So werden nämlich auch in E1 keine Maßnahmen ergriffen (wie z.B. eine Zwangsbremsung, siehe dazu Entscheidung der Einspruchsabteilung, Seite 3, zu Merkmal c)), die aufgrund eines Gefahrenpotentials möglich oder gar erforderlich wären und die höher angesiedelt sind, als eine Reduzierung der Geschwindigkeit auf die sogenannte Reduktionsgeschwindigkeit. Auch hier wird eine Zwangsbremsung erst dann eingeleitet, wenn das ACC System aufgrund des fahrzeugeigenen Radars eine Notbremssituation identifiziert.

4. Der Hilfsantrags 3, vorgelegt in der mündlichen Verhandlung wird nicht in das Verfahren zugelassen, Artikel 13 (1) VOBK.

Die im Hilfsantrag 3 an Anspruch 1 vorgenommenen Änderungen werfen Fragen auf, die aus verfahrens­ökonomischen Gründen in der mündlichen Verhandlung nicht behandelt werden können.

4.1 Gemäß Artikel 13 (1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung zuzulassen und zu berücksichtigen. Bei der Ausübung des Ermessens werden insbesondere die Komplexität des neuen Vorbringens, der Stand des Verfahrens und die gebotene Verfahrensökonomie berücksichtigt.

4.2 Hier folgt die Kammer nicht dem Vortrag der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin), dass der Anspruch 1 von Hilfsantrag 3 einer Kombination des erteilten Anspruchs 9 mit dem Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 entspreche.

So ist eine Änderung im Anspruchswortlaut des erteilten Anspruchs 9 vorgenommen worden, der an den Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 angehängt wurde.

4.3 Somit ist davon auszugehen, dass der Anspruch 1 auch auf die formalen Erfordernisse wie Klarheit und die Offenbarung der Änderung zu prüfen ist.

Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) führt dazu an, dass die Änderung von "einer Gefahrensituation" in "die Gefahrensituation" im letzten Merkmal des Anspruchs 1 (bzw. des erteilten Anspruchs 9) eine Diskussion zur unzulässigen Erweiterung und zur Klarheit zur Folge haben müsse, da nämlich nicht klar sei, auf welche der im geänderten Anspruch 1 genannten Gefahrensituationen (jeweils benannt als "eine Gefahrensituation") sich nun die Gefahrensituation (mit bestimmten) Artikel beziehe, ob der sich dadurch ergebende Gegenstand klar sei und ob dieser auch in den ursprünglich eingereichten Unterlagen offenbart sei.

4.4 Die Kammer stellt dazu fest, dass eine Diskussion über die von der Einsprechenden aufgeworfenen Fragen erstmals im Verfahren geführt werden müsste. Auch angesichts der Tatsache, dass es sich um einen erst im Laufe der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag handelt, hält es die Kammer aus verfahrensökonomischen Gründen für nicht geboten, diese Diskussion in der mündlichen Verhandlung zu beginnen, zumal die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) keinen Grund genannt hat, warum sie bei der Kombination von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 und dem erteilten Anspruch 9 vom Wortlaut des Anspruchs 9 abgewichen ist.

5. Der jeweilige Anspruch 1 der Hilfsanträge 4 und 5 ist nicht klar und verständlich formuliert und nicht durch die Beschreibung gestützt, Artikel 84 EPÜ.

5.1 Das Merkmal d) des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 bzw. 5 lautet:

"wobei die höchste Stufe als maximale Stufe festgelegt wird, wenn eine Gefahrensituation anhand von Informationen ermittelt wird, die von einer Informationsquelle (111) innerhalb des Fahrzeugs (100) bereitgestellt werden

und

wobei andernfalls

die niedrigste Stufe als maximale Stufe festgelegt wird, wenn die Gefahrensituation nicht mittels einer Umfeldsensorik (111) des Fahrzeugs erfasst worden ist, obwohl dies möglich gewesen wäre,

und/oder

wenn das Vorliegen der Gefahrensituation nicht redundant festgestellt werden kann".

5.2 Die Kammer ist der Auffassung, dass daraus das Merkmal

"wobei andernfalls

die niedrigste Stufe als maximale Stufe festgelegt wird, wenn die Gefahrensituation nicht mittels einer Umfeldsensorik (111) des Fahrzeugs erfasst worden ist, obwohl dies möglich gewesen wäre"

unklar ist. So erzeugt die Kombination der Teilmerkmal

"die Gefahrensituation nicht ... erfasst worden ist" und

"obwohl dies möglich gewesen wäre"

eine Unklarheit, da nicht definiert ist unter welchen Umständen die Gefahrensituation nicht erfasst worden ist, und warum es trotzdem möglich gewesen wäre.

Ohne eine weitere Erklärung oder eine Definition der Umstände stellen diese Teilmerkmale zunächst einen Widerspruch dar.

5.3 Die Patentinhaberin erklärt dazu, dass Gefahren­situationen gemeint seien, die von Informationsquellen gemeldet würden, die außerhalb vom Fahrzeug lägen und die von der Fahrzeugsensorik selbst nicht erfasst worden seien. In diesem Fall müsse dann unterschieden werden, ob diese Gefahrensituationen denn prinzipiell hätten erfasst werden können, weil sie zwar im Erfassungs­bereich des Fahrzeugsensors lägen aber z.B. aufgrund von Wetterbedingungen (Nebel, Schnee), Sensorverschmutzung ... im konkreten Fall doch nicht hatten erkannt werden können. Dann sei eine Gefahrensituation nicht erfasst worden, obwohl dies möglich gewesen wäre.

Dieser Punkt sei in den Paragraphen [0069] bis [0072] der Patentschrift beschrieben. Daher sei der Anspruch 1 klar formuliert und durch die Beschreibung gestützt.

5.4 Dazu stellt die Kammer fest, dass es aus der technischen Lehre der Patentschrift nicht herleitbar ist, dass eine Gefahrensituation, die innerhalb des Erfassungsbereichs vom Sensor liegt, aber aufgrund von anderen Einflussgrößen (z.B. Wetter) nicht erkannt wird, den Fall dem zweiten Teilmerkmal "obwohl dies möglich gewesen wäre" (siehe oben, 5.2) zugeordnet werden soll, aber eine Gefahrensituation, die - unabhängig vom Wetter - außerhalb des Erfassungs­bereichs liegt, nicht dem zweiten Teilmerkmal zugeordnet wird.

Vor allem ist in der Patentschrift nicht offenbart, welche Kriterien das erfindungsgemäße Verfahren ansetzt, damit eine Erfassung der Gefahrensituation gemäß dem zweiten Teilmerkmal möglich wäre, und welche Aspekte dazu führen, dass die Gefahrensituation dann doch nicht erkannt wird (erstes Teilmerkmal, siehe oben 5.2).

Von daher ist das Merkmal unklar.

5.5 Es ist aber auch aus fachmännischer Sicht nicht nachvollziehbar, warum der Fachmann die Nicht-Erfassung einer Gefahrensituation mit einem verschmutzten Sensor oder im Nebel als potentiell "möglich" ansehen sollte. Nach dem Verständnis des Fachmanns sind alle technischen Einflussgrößen wie Erfassungsbereich, Wetter­bedingungen, Verschmutzungsgrad ... gleichermaßen für die Erkennung einer Gefahrensituation verantwortlich. Damit eine Gefahrensituation sicher als eine solche identifiziert werden kann, müssen daher alle technischen Einflussgrößen in einem konstruktiv definierten Bereich liegen. Wenn nur eine dieser Einflussgrößen außerhalb des definierten Bandes liegt, ist eine Erkennung einer Gefahrensituation dann nicht mehr "möglich".

So wäre eben auch im Verständnis eines Fachmanns die Erkennung eines Hindernisses nicht möglich, welches zwar innerhalb der spezifizierten Entfernung zum Sensor liegt, aber aufgrund von Wetterumständen oder Sensorverschmutzung nicht erkannt werden kann: in diesem Fall machen es die Wetterumstände unmöglich, im anderen Fall die Überschreitung des vorgesehenen Entfernungsbereichs. Es ist somit auch nach dem fachmännischen Verständnis unklar, warum die erstgenannte Situation erfindungs­gemäß als "obwohl dies möglich gewesen wäre" bezeichnet wird.

5.6 Somit fehlt dem Anspruch 1 mindestens ein technisches Merkmal zur Ausführung der Erfindung, um den oben genannten Widerspruch (siehe 6.2) aufzulösen. Beispielsweise hätte definiert werden müssen, unter welchen Bedingungen eine Nicht-Erfassung der Gefahrensituation als nicht"möglich" erkannt wird.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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