European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2019:T210216.20190606 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 06 Juni 2019 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2102/16 | ||||||||
Anmeldenummer: | 06724542.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | C22B 1/00 C22B 7/00 F27B 19/04 F27D 13/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERFAHREN ZUR RÜCKGEWINNUNG VON METALLEN AUS ABFÄLLEN UND ANDEREN MATERIALIEN MIT ORGANISCHEN BESTANDTEILEN | ||||||||
Name des Anmelders: | Currenta GmbH & Co. OHG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Eisenmann SE | ||||||||
Kammer: | 3.3.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - (nein) Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Alternative |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, in der festgestellt wurde, dass das Europäische Patent Nr. 1 880 028 unter Berücksichtigung der Änderungen auf der Basis des mit Schreiben vom 24. April 2016 eingereichten Antrags und der Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ, insbesondere jenen der erfinderischen Tätigkeit, genüge. Das Patent betrifft ein Verfahren zur Rückgewinnung von Metallen aus Abfällen.
II. Der Wortlaut von Anspruch 1 des der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegenden Antrags ist wie folgt:
"1. Verfahren zur Rückgewinnung von Metallen aus metallhaltigen Abfällen und/oder Materialien, dadurch gekennzeichnet, dass der metallhaltige Abfall und/oder das Material in einen Drehrohrofen (1), der gegenüber der Horizontalen geneigt und mit einem feuerfesten Material ausgemauert ist, eingeführt wird, unter kontinuierlicher intensiver Durchmischung thermisch und unter Zuleitung von sauerstoffhaltigen Gasen oxidativ behandelt wird, die flüchtig restlichen organischen Komponenten kontinuierlich entzogen und anschließend weiter oxidiert werden und die metallhaltigen Komponenten, aus dem Drehrohrofen (1) ausgetragen werden und die Verbrennungstemperatur in dem Drehrohrofen (1) mittels Temperaturerfassungsmittel, Temperaturregelungsmitteln und Temperatursteuerungsmitteln durch Zugabe von Kühlmittel durch eine Kühlmittelzugabelanze (4), die von der Beschickungsseite (1') in den Drehrohrofen (1) hineinragt, in einem Bereich von 400 bis 1100°C gehalten wird, dadurch gekennzeichnet, dass das Temperaturerfassungsmittel eine Infrarotkamera (5) zur Ermittlung der lokalen Temperatur im zu behandelnden Abfall (17) innerhalb des Drehrohrofens (l) umfasst."
III. Die Einspruchsabteilung kam zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 sich gegenüber
D1: US 6 228 143 B1
durch die Neigung des Drehrohrofens, eine feuerfeste Ausmauerung des Drehrohrofens und eine Infrarotkamera zur Ermittlung der lokalen Temperatur im zu behandelnden Abfall innerhalb des Drehrohrofens unterscheide. Die Aufgabe des Bereitstellens eines vereinfachten Verfahrens unter Erreichung einer hohen Ausbeute an Metall sei als gelöst anzusehen. Vor diese Aufgabe gestellt, wäre der Fachmann nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangt.
In der angefochtenen Entscheidung werden u.a. folgende Dokumente zitiert:
D4: DE 101 60 222 A1
D5: DE 30 00 640 A1
D7: Römpp Chemie Lexikon, Band 2, 1990, Seiten 557 bis
558 und 1038 bis 1039.
IV. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) hat noch folgende Dokumente eingereicht:
D8: Beyer, J., Thermische Vorbehandlung von
Verbundwerkstoffen
D9: Beyer, J., Bilanzierung einer industriellen SAV.
V. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen wie folgt vorgetragen:
D1 sei nächstliegender Stand der Technik. Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide sich von D1 lediglich durch die feuerfeste Ausmauerung und die Infrarotkamera. Es sei nicht glaubhaft, dass eine andere Aufgabe als das Bereitstellen eines alternativen Verfahrens gelöst sei. Der Gegenstand von Anspruch 1 habe im Lichte des Standes der Technik nahe gelegen.
VI. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen wie folgt vorgetragen:
D1 sei nächstliegender Stand der Technik. Neben der feuerfesten Ausmauerung und der Infrarotkamera unterscheide sich der Gegenstand von Anspruch 1 auch noch dadurch, dass bei höheren Temperaturen gearbeitet werde, wohingegen die Temperatur in D1 auf 760**(o)C begrenzt sei. Das anspruchsgemäße Verfahren habe gegenüber D1 mehrere Vorteile und führe insbesondere zu erhöhten Ausbeuten. Der Gegenstand von Anspruch 1 habe für den Fachmann, welcher diese Vorteile ausgehend von D1 erzielen wolle, nicht nahegelegen.
VII. Anträge
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Erfinderische Tätigkeit
1.1 Das Patent betrifft ein Verfahren zur Rückgewinnung von Metallen aus Abfällen.
1.2 Unter den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass D1 als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden kann.
1.2.1 Was die Unterscheidungsmerkmale betrifft, so steht außer Streit, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 von D1 durch die Merkmale einer feuerfesten Ausmauerung des Drehrohrofens und einer Infrarotkamera zur Ermittlung der lokalen Temperatur im zu behandelnden Abfall unterscheidet.
1.2.2 Die Beschwerdegegnerin macht darüber hinaus geltend, dass sich ein weiterer Unterschied gegenüber D1 dadurch ergebe, dass bei höheren Temperaturen gearbeitet werde, wohingegen in D1 die Temperatur auf 760**(o)C begrenzt sei.
Dieses Argument überzeugt nicht, da Anspruch 1 auch Verfahren umfasst, welche bei den in D1 offenbarten Temperaturen ausgeführt werden, da die in Anspruch 1 genannte untere Grenze der Verbrennungstemperatur 400**(o)C beträgt.
1.2.3 Entgegen der in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Auffassung offenbart D1 auch das Merkmal der Neigung des Drehrohrofens gegenüber der Horizontalen (Spalte 5, Zeilen 15ff).
1.3 Der Erfindung lag die Aufgabe zugrunde, "ein einfaches Verfahren bereitzustellen, mit dem aus metallhaltigen Ausgangsstoffen [...] ein Sekundärrohstoff in hohen Ausbeuten (>90%) erreicht wird" (Absatz [0006]).
1.4 Gemäß Anspruch 1 wird vorgeschlagen, diese Aufgabe durch ein Verfahren zur Rückgewinnung von Metallen aus Abfällen zu lösen, welches dadurch gekennzeichnet ist, dass der Drehrohrofen mit einem feuerfesten Material ausgemauert ist und das Temperaturerfassungsmittel eine Infrarotkamera zur Ermittlung der lokalen Temperatur im zu behandelnden Abfall innerhalb des Drehrohrofens umfasst.
Die Beschwerdegegnerin trägt in diesem Zusammenhang vor, das Verfahren nach Anspruch 1 sei für eine breitere Anwendung als D1 geeignet, habe einen einfacheren Aufbau, führe zu einem geringeren Verschleiß und damit zu einer längeren Verfügbarkeit der Anlage sowie zu einer gegenüber D1 erhöhten Ausbeute. Darüber hinaus werde es seit Jahren großtechnisch mit großem kommerziellen Erfolg angewendet, sei für hohe Mengendurchsätze geeignet und sei durch die Verbrennung von halogenfreien Flüssigabfällen besonders energieeffizient.
1.5 Was den Erfolg der Lösung betrifft, so ist es nicht glaubhaft, dass die im Patent bzw. von der Beschwerdegegnerin vorgetragenen Wirkungen über im Wesentlichen den gesamten Bereich von Anspruch 1 eintreten. Die Gründe hierfür sind wie folgt:
1.5.1 Es ist kein Merkmal in Anspruch 1 ersichtlich, welches das beanspruchte Verfahren für eine breitere Anwendung als in D1 besonders geeignet erscheinen ließe. Ein solches Merkmal wird auch nicht geltend gemacht. Dass Anspruch 1 weniger Merkmale umfasst, als in D1 offenbart sind, bedeutet nicht, dass das beanspruchte Verfahren für ein breiteres Anwendungsgebiet geeignet sei. Vielmehr umfasst Anspruch auch solche Verfahren, die, wie in D1, auf eine bestimmte Art von metallartigen Abfällen gerichtet sind.
1.5.2 Auch überzeugt das Argument nicht, wonach das Verfahren nach Anspruch 1 unter Verwendung von Anlagen mit einem einfacheren Aufbau durchgeführt werde. Vielmehr umfasst Anspruch 1 auch solche Verfahren, die in Anlagen durchgeführt werden, welche, wie in D1, einen relativ komplexen Aufbau haben. So schließt Anspruch 1 insbesondere nicht aus, dass bei dem anspruchsgemäßen Verfahren bis zu 18 Brenner zum Einsatz kommen, wie dies in D1 der Fall ist (Spalte 2, Zeile 63).
1.5.3 Die Beschwerdegegnerin macht auch geltend, dass das Verfahren nach Anspruch 1 zu einem geringeren Verschleiß bzw. zu einer längeren Verfügbarkeit der Anlage führe, da durch die Infrarotkamera das Temperaturprofil im Drehrohrofen genauer gesteuert werden könne. Auch dieses Argument überzeugt nicht, da Anspruch 1 offen lässt, wie die Infrarotkamera zur Steuerung eingesetzt wird und lediglich fordert, dass die Verbrennungstemperatur im Drehrohrofen mittels einer Infrarotkamera als Temperaturerfassungsmittel im beanspruchten Bereich von 400 bis 1100**(o)C gehalten wird. Wie oben ausgeführt, wird aber auch in D1 die Verbrennungstemperatur in einem Bereich gehalten, welcher vom beanspruchten Bereich umfasst ist.
1.5.4 Schließlich ist auch nicht glaubhaft, dass durch die Unterscheidungsmerkmale (Ausmauerung und Infrarotkamera) eine höhere Ausbeute als in D1 erzielt wird. Die in Absatz [0060] des Streitpatents angegebene Ausbeute von 99% gegenüber 90% "im Stand der Technik" bezieht sich offensichtlich auf einen im Patent zitierten Stand der Technik und nicht auf D1. So ergibt sich aus dem Patent, dass sich das beanspruchte Verfahren vom darin zitierten Stand der Technik dadurch unterscheide, dass das Verfahren kontinuierlich betrieben werde (vgl. Absätze [0010] und [0020]). Aber auch in D1 wird das Verfahren unstreitig kontinuierlich betrieben, sodass es nicht glaubhaft ist, dass gegenüber D1 eine Verbesserung hinsichtlich der Ausbeute erzielt wird.
1.5.5 Es ist auch nicht glaubhaft, dass die weiteren von der Beschwerdegegnerin geltend gemachten Verbesserungen erzielt werden. So wird seitens der Beschwerdegegnerin kein Merkmal in Anspruch 1 angegeben, das zu einem ggü. D1 erhöhten Mengendurchsatz führen würde und welches erfordern würde, dass halogenfreie Flüssigabfälle verbrannt werden. Auch kann ein etwaiger kommerzieller Erfolg eines unter Anspruch 1 fallenden Verfahrens keine Verbesserung ggü. D1 stützen, insbesondere weil nicht glaubhaft ist, dass das vermarktete Verfahren keine weiteren, nicht in Anspruch 1 genannte Merkmale aufweist, die für den behaupteten Erfolg maßgeblich sein können.
1.5.6 Auch aus den Dokumenten D8 und D9, ungeachtet der Frage ihrer Zulässigkeit, ergibt sich nicht, dass das Verfahren im gesamten beanspruchten Bereich zu wenigstens einer der von der Beschwerdegegnerin geltend gemachten Verbesserungen bzw. technischen Wirkungen gegenüber D1, welches den nächstliegenden Stand der Technik darstellt, führt. Zudem erwähnen beide Dokumente, dass die Wiederfindungsrate der Wertmetalle bei 90% liegen kann, was im Abschnitt [0060] des Streitpatents als Verlustrate des Stands der Technik angegeben ist.
1.6 Die Aufgabe ist daher umzuformulieren und besteht in der Bereitstellung eines alternativen Verfahrens.
1.7 Was das Naheliegen betrifft, so ist es allgemeines Fachwissen, dass Drehrohröfen mit "Feuerfestmaterialien ausgekleidet" sind (siehe D7, Seite 1038, letzter Absatz), was unstreitig auch feuerfeste Ausmauerungen umfasst. Ebenso hat der Drehrohrofen nach D1 relativ große Abmessungen (siehe Spalte 3, Zeilen 49 ff) und waren die Vorteile einer feuerfesten Ausmauerung, wie eine bessere Wärmeisolierung, dem Fachmann bekannt, sodass es für ihn nahelag, bei der genannten Aufgabenstellung den aus D1 vorbekannten Drehrohrofen mit einer feuerfesten Ausmauerung auszustatten. Auch die Verwendung von Infrarotkameras in Drehrohröfen war bekannt, was insbesondere durch D5 belegt ist. Dieses Dokument bezieht sich ganz allgemein auf Drehrohröfen (vgl. insbesondere die Ansprüche von D5) und ist zumindest einem angrenzenden technischen Gebiet zuzuordnen, auch wenn es nicht die Metallrückgewinnung im Speziellen betrifft. Jedenfalls enthält D5 keine Lehre, die den vor die genannte Aufgabe gestellten Fachmann davon abhalten würde, eine Infrarotkamera in D1 einzusetzen. Ähnliche Erwägungen ergeben sich für D4.
Der Gegenstand von Anspruch 1 ergibt sich somit für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.
1.8 Das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 56 EPÜ ist daher nicht erfüllt.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.