T 2098/16 () of 5.8.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T209816.20200805
Datum der Entscheidung: 05 August 2020
Aktenzeichen: T 2098/16
Anmeldenummer: 04000286.7
IPC-Klasse: A61C13/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 385 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung und Verfahren zur Herstellung von Zahnersatz
Name des Anmelders: Kulzer GmbH
Name des Einsprechenden: Sirona Dental Systems GmbH
Vita Zahnfabrik H. Rauter GmbH & Co. KG
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(c) (2007)
European Patent Convention Art 84 (2007)
European Patent Convention Art 54 (2007)
European Patent Convention Art 56 (2007)
Schlagwörter: Unzulässige Erweiterung (nein)
Patentansprüche - Klarheit im Einspruchsbeschwerdeverfahren
Patentansprüche - Merkmal des erteilten Anspruchs
Patentansprüche - nicht zu prüfen
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/14
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der am 15. Juli 2016 zur Post gegebenen (Zwischen-) Entscheidung wurde festgestellt, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem damals geltenden Hilfsantrag 3 (eingereicht in der mündlichen Verhandlung am 23. Juni 2016) das europäische Patent Nr. 1 444 965 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.

II. Die Einspruchsabteilung war insbesondere zu der Auffassung gelangt, dass der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 4 gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

III. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung haben die Beschwerdeführerinnen (Einsprechende 1 und 2) form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.

IV. Mit Schreiben vom 10. März 2020 lud die Kammer die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung.

V. Beide Beschwerdeführerinnen (Schreiben eingegangen am 6. Juli 2020 bzw. am 15. Juli 2020) teilten der Kammer mit, dass eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht beabsichtigt werde.

VI. Am 5. August 2020 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

Gemäß Regel 115(2) und Artikel 15(3) VOBK wurde das Verfahren in Abwesenheit der Beschwerdeführerinnen fortgesetzt.

VII. Am Ende der mündlichen Verhandlung war die Antragslage wie folgt:

Die Beschwerdeführerinnen beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents in vollem Umfang.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerden zurückzuweisen und das Patent in der Fassung von "Hilfsantrag 5", gestellt in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, aufrechtzuerhalten.

VIII. Folgende Entgegenhaltungen waren für die vorliegende Entscheidung relevant:

E1: DE 198 28 003 A1;

E6: Lehrbuch "Zahnärztliche Prothetik" von K.H. Körber, Thieme Verlag Stuttgart, Seiten 358 - 427 (1985);

E8: JP-A-09238959.

IX. Der unabhängige Anspruch 1 des "Hilfsantrags 5" lautet wie folgt:

"Verfahren zur Herstellung von Zahnersatz, mit den Schritten

a Aufnahme und Digitalisierung der 3-dimensionalen, anatomischen Verhältnisse in der Mundhöhle;

b gegebenenfalls Aufnahme und Digitalisierung der 3-dimensionalen Daten von Bissschablonen incl. Bisswällen;

c gegebenenfalls Aufnahme der Kieferdaten, die normalerweise am Patienten zur Einstellung des Artikulators genommen werden;

d Verarbeitung des Datensatzes D0 aus a und ggf. b und/oder c in der Weise, dass die relevanten anatomischen Strukturen für eine virtuelle Zahnaufstellung festliegen und ein virtuelles Modell als Datensatz D1 erhalten wird;

e Auswahl der 3-D Datensätze konfektionierter, vorher eingescannter Zähne aus einem Datensatz D3;

f virtuelle Aufstellung der Zähne in das virtuelle Modell, Datensatz D2,

g nach Schritt f Kieferbewegungen im/am Rechner simuliert werden,

h nach Schritt g eine Kontrolle der Funktion, Okklusion im/am Rechner durchgeführt wird,

i nach Schritt h die Zahnaufstellung manuell korrigiert wird und eine Neuberechnung zur Anpassung an ermittelte Bissdaten und optimaler Okklusion erfolgt (D2A),

j direkte Herstellung der Prothesenbasis - nach den Daten der virtuellen Zahnaufstellung - mit Positionierhilfen für die endgültige korrekte Positionierung und Fixierung der konfektionierten Zähne, und das Einsetzen der vorkonfektionierten Zähne in die Prothesenbasis."

X. Zur Stützung ihres Antrags haben die Beschwerdeführerinnen im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Mangelnde ursprüngliche Offenbarung - Artikel 100 c) EPÜ

Die Anmeldung wie ursprünglich eingereicht offenbare in Absatz [0005] entweder die direkte Herstellung der Prothesenbasis oder das Einsetzten der konfektionierten Zähne in das physische Modell, nicht aber die Kumulation dieser beiden Alternativen. Die explizite Offenbarung ende also mit der Herstellung der Prothesenbasis, nicht mit der Herstellung der fertigen Prothese durch Einsetzen der Zähne. Der letzte Verfahrensschritt des Merkmals j), nämlich das Einsetzten der vorkonfektionierten Zähne in die Prothesenbasis gehe somit über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.

Zudem sei die Formulierung "nach Abschluss der Arbeit am virtuellen Modell kann direkt die Übertragung auf die Prothese erfolgen" aus Absatz [0012] in der beanspruchten Wortfolge "direkte Herstellung der Prothesenbasis" - vgl. Merkmal j) - unzulässig verallgemeinert.

Artikel 100 c) EPÜ stehe daher der Aufrechterhaltung des Patents entgegen.

Mangelnde Klarheit

Der Anspruch 1 verwende synonym die Begriffe "vorkonfektionierte Zähne" und "konfektionierte Zähne". Dies stelle einen Klarheitsmangel dar.

Mangelnde Neuheit

Auch wenn Merkmal i) in E8 nicht offenbart sei, so erfolge durch dieses Merkmal die Bearbeitung nunmehr wieder manuell. Diese Maßnahme trete damit hinter die Lehre, die angeblich patentfähig sein solle, zurück. Dies stehe im Belieben des Fachmanns und sei damit für ihn auch nicht einmal neu (Beschwerdebegründung vom 25. November 2016, Punkt 13).

Fehlende erfinderische Tätigkeit

E1 offenbare ein Verfahren zur Herstellung von Zahnersatz, bei dem ein virtueller Modelldatensatz wie in den beanspruchten Schritten a)-i) definiert erstellt werde. Zwar befasse sich E1 nicht mit der Herstellung von Vollprothesen, sondern mit der Herstellung dentaler Teilprothesen. Der Fachmann würde das dort offenbarte Verfahren jedoch in naheliegender Weise auf das Herstellen von Vollprothesen übertragen. Dabei würde er die Prothesenbasis der Vollprothese nach dem erzeugten Modelldatensatz herstellen, und anschließend die vorkonfektionierten Zähne in die hergestellte Prothesenbasis einsetzten, so dass sich auch der Verfahrensschritt j) in naheliegender Weise aus der Lehre der E1 in Zusammenschau mit dem Fachwissen - vgl. diesbezüglich E6, Seiten 422 und 424 - ergebe.

Auch ausgehend von E8 sei das beanspruchte Verfahren naheliegen. Das Dokument offenbare - wie in der angegriffenen Entscheidung ausgeführt - ein Verfahren zur Herstellung einer Vollprothese, bei dem vollständige Ober- und Unterkieferzahnreihen in ein virtuelles Modell der Prothese eingesetzt würden. Gemäß diesem virtuellen Modell werde dann die jeweilige Prothesenbasis direkt gefertigt, mit anschließendem Einsetzten der vorkonfektionierten Zahnreihe. E8 offenbare somit, wie auch von der Beschwerdegegnerin zugestanden, die Merkmale a)-f) und j).

E8 offenbare weiterhin in Absatz [0010], dass die künstlichen Zähne in den jeweiligen Prothesenbasen aufeinander im Sinne einer Funktionskontrolle bzw. Okklusionsbestimmung abgestimmt würden, eine Aufgabe, die konventionell in einem Artikulator vorgenommen werde, so dass E8 auch die Verfahrensschritte g) und h) offenbare. Schritt i), nämlich die manuelle Korrektur der Zahnaufstellung mit anschließender Neuberechnung zur Anpassung an ermittelte Bissdaten und optimaler Okklusion, stelle dann lediglich eine z.B. aus E1, Spalte 5, Zeilen 24-30 bekannte, im Belieben des Fachmanns stehende manuelle Ausführung der in E8 maschinell durchgeführten Abstimmung der künstlichen Zähne zum Erreichen einer optimalen Okklusion dar. Dass die manuelle Korrektur anschließend eine Neuberechnung des Modells erfordere, sei trivial. Der Effekt der manuellen Nachbearbeitung erschöpfe sich in einem ästhetischen Effekt, der keinen technischen Effekt darstelle, so dass die Aufgabe lediglich in der Bereitstellung eines alternativen Verfahrens zu suchen sei. Selbst wenn man unterstelle, dass sich aus der manuellen Korrektur der zuvor erfolgten maschinellen Abstimmung ein technischer Effekt ergeben könnte, so sei ein manuelles Eingreifen - wie es aus E1 bekannt sei - zur Änderung des vom Rechner Vorgeschlagenen naheliegend.

Auch wenn man akzeptiere, dass in E8 nach dem Einpassen der okkludierenden Zahnreihen in das virtuelle Modell keine weitere Korrektur der vor-konfektionierten Zähne offenbart werde, so könne dennoch keine erfinderische Tätigkeit zuerkannt werden. Die patentgemäße manuelle Aufstellung einzelner vor-konfektionierter Zähne in das Modell mit anschließender Optimierung der Okklusion bewirke einen höheren Grad an Individualisierbarkeit der Vollprothese und löse damit die Aufgabe, die Qualität der prothetischen Versorgung zu verbessern. Dabei seien dem Fachmann die klassischen manuellen Herstellungsverfahren für individualisierten Zahnersatz bekannt (vgl. E6). Er würde somit zur Steigerung der Qualität das Aufstellen einzelner Zähne gemäß E6 in das Verfahren gemäß E8 integrieren, also auf eine Datenbank vor-konfektionierter Zähne zurückgreifen und diese virtuell aufstellen. Die notwendige Simulation der Kieferbewegung zur Überprüfung der Okklusion mit anschließend eventuell nötigen Korrekturen/ Veränderungen, sowohl zur Verbesserung der Okklusion als auch zur Verbesserung der Ästhetik/Sprache, und eine erneute Okklusionskontrolle seien in diesem Zusammenhang ebenfalls bekannt. Dabei sei es - wie auch im Patent Paragraph [0003] zugestanden - prinzipiell bekannt Simulation und Überprüfung der Okklusion virtuell vorzunehmen.

Folglich gelangte der Fachmann ausgehend von E8 und unter Hinzuziehen seines Fachwissens bzw. der E6 ohne erfinderisches Zutun zu einem Verfahren gemäß Anspruch 1.

XI. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Ursprüngliche Offenbarung

Die Erfindung betreffe ein Verfahren zur Herstellung von Zahnersatz, bei dem eine Prothesenbasis unter Berücksichtigung von Zahndaten konfektionierter Zähne hergestellt werde. Da eine Prothesenbasis ohne Zähne keinen geeigneten Zahnersatz darstelle, gehe der Fachmann selbstverständlich davon aus, dass für den herzustellenden Zahnersatz die Prothesenbasis auch mit Zähnen bestückt werden müsse. Dieser Schritt sei zudem in Absatz [0012] der ursprünglich eingereichten Patentanmeldung offenbart, wobei - vgl. Paragraf [0014] - auch eine genaue Passung der Kunstzähne gewährleistet werden solle.

Schritt j), d.h. die direkte Herstellung der Prothesenbasis und das Einsetzten der vorkonfektionierten Zähne in die Prothesenbasis, erfolge anspruchsgemäß nach den Schritten d) bis f), welche der Arbeit am "virtuellen Modell" entsprächen. Das Merkmal, wonach "nach Abschluss der Arbeit am virtuellen Modell ... direkt die Übertragung auf die Prothese erfolgen [kann]" sei daher Teil des beanspruchten Gegenstands.

Eine unzulässige Erweiterung liege daher nicht vor.

Klarheit

Anspruch 1 setzte sich aus den erteilten Ansprüchen 1 und 4-6 zusammen. Der Einwand einer fehlenden Klarheit des Anspruchs 1 sei daher unzulässig.

Neuheit

Da bereits Merkmal i) unstreitig in E8 nicht offenbart sei, müsse der Anspruch 1 als neu angesehen werden.

Erfinderische Tätigkeit

E1 befasse sich ausschließlich mit der Herstellung von dentalen Teilprothesen. Selbst wenn der Fachmann das dort beschriebene Verfahren zur Herstellung einer mehrere Zähne aufweisenden Suprakonstruktion einsetzte, so würde dabei ausschließlich ein einteiliges Teil angestrebt, bei dem kein Einkleben und kein Fügen mehrerer Teile mehr notwendig sein solle. Der Lehre der E1 folgend wären somit auch bei einer Vollprothese die Zahnreihen einteilig mit der Prothesenbasis auszuführen, so dass der Fachmann ausgehend von E1 nicht zum beanspruchten Gegenstand gelangte.

E8 stelle den nächstliegenden Stand der Technik dar, da hier zum einen eine Vollprothese hergestellt werde, zum anderen auch die Prothesenbasis direkt aus einem virtuellen Modell erzeugt und erst anschließend mit Hilfe von Positionierhilfen die Prothesen-Zähne in die Prothesenbasis eingefügt würden. Allerdings verwende E8 zuvor aufgenommene Zahnreihen in korrekter Okklusion, welche als Zahnreihenpaar in das virtuelle Modell des Kiefers eingepasst würden. Eine manuelle Ausrichtung der Position der beiden Zahnreihen zueinander müsse der Anwender dabei nicht mehr vornehmen. Eine Artikulation oder ein Artikulator im Zusammenhang mit einer Optimierung von okkludierenden Kiefermodellen finde in der E8 keine Erwähnung und sei für den Fachmann auch nicht implizit offenbart, da die E8 bereits eine festgelegte Okklusion der Zahnreihen vorgebe. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich somit von der Lehre der E8 durch die Schritte g), h) und f).

Gemäß dieser Merkmale werde die Zahnaufstellung nach Einsetzten der okkludierenden Zahnreihen erneut verändert. Ein Versetzten einzelner Zähne in den bereits perfekt zueinander passenden kompletten Zahnreihen würde die Okklusion jedoch allenfalls verschlechtern und nicht verbessern. Es gebe auch keinen Grund an den bereits optimal okkludierenden Zahnreihen nach deren Einpassen in das virtuelle Modell erneut manuelle Veränderungen der Zahnaufstellung durchzuführen. Dies widerspräche vielmehr der Lehre der E8.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei daher sowohl ausgehend von E1 als auch von E8 nicht naheliegend und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Ursprüngliche Offenbarung

Der Gegenstand des Anspruchs 1 basiert auf Anspruch 1, 4-6 wie ursprünglich eingereicht. Geändert ist lediglich Merkmal j), und zwar durch die folgende unterstrichene Hinzufügung:

j direkte Herstellung der Prothesenbasis - nach den Daten der virtuellen Zahnaufstellung - mit Positionierhilfen für die endgültige korrekte Positionierung und Fixierung der konfektionierten Zähne, und das Einsetzen der vorkonfektionierten Zähne in die Prothesenbasis.

1.1 Dass letztlich vorkonfektionierte Zähne in die Prothesenbasis eingesetzt werden, ist in Paragraph [0012] der A2-Schrift offenbart:

"Nach Abschluss der Arbeit am virtuellen Modell kann direkt die Übertragung auf die Prothese erfolgen, d.h., nach den Daten der virtuellen Zahnaufstellung wird eine Prothesenbasis mit Positionierhilfen für die Zähne hergestellt, in die dann lediglich die betreffenden ausgewählten vorkonfektionierten Zähne eingesetzt zu werden brauchen." (Hervorhebung durch die Kammer).

Zudem ist dem Fachmann klar, dass es zur beanspruchten Herstellung eines Zahnersatzes gehört, die Prothesenbasis letztlich mit Zähnen zu versehen. Eine Prothesenbasis ohne Zähne kann ihre Funktion als Zahnersatz nicht erfüllen. Da die Positionierhilfen explizit als "für die endgültige korrekte Positionierung und Fixierung der konfektionierten Zähne" beansprucht sind, ist weiterhin klar, dass das Einsetzen in die Prothesenbasis ebendort erfolgt.

1.2 Absatz [0012] beschreibt, dass nach Abschluss der Arbeit am virtuellen Modell die direkte Übertragung auf die Prothese erfolgen kann, also die Herstellung der Prothesenbasis mit Positionierhilfen stattfindet. Merkmal j) des Anspruchs 1 beschreibt diesen Schritt des Verfahrens als die ,,direkte Herstellung der Prothesenbasis ? nach den Daten der virtuellen Zahnaufstellung - mit Positionierhilfen für die endgültige korrekte Positionierung und Fixierung der konfektionierten Zähne ?". Die Beschwerdeführerinnen trugen vor, dass dies zu einer unzulässigen Verallgemeinerung führe.

Schritt j) des Anspruchs 1 erfolgt nach den Verfahrensschritten d) bis f) (Aufstellung der Zähne als virtuelles Modell) und i) (Optimierung des virtuellen Modells mit Ziel optimale Okklusion), also nachdem die Arbeit am virtuellen Modell durchgeführt und abgeschlossen wurde. Folglich drückt Schritt j) genau die in Absatz [0012] offenbarte Abfolge aus, ohne dass dort vorgesehene Schritte ausgelassen worden wären.

1.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 geht daher nicht über die ursprüngliche Offenbarung hinaus.

2. Klarheit

Die als unklar beanstandete inkonsistente Verwendung der Begriffe "konfektionierte Zähne" und "vorkonfektionierte Zähne" in Merkmal j) findet sich bereits in Anspruch 1 wie erteilt. Der angebliche Klarheitsmangel ist daher nicht durch die Änderung des Anspruchs im Einspruchsverfahren herbeigeführt worden und kann bei der Prüfung der Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ nicht berücksichtigt werden (G 3/14, Entscheidungsformel).

3. Neuheit

Merkmal i) ist in E8 unstreitig nicht offenbart.

Damit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 neu.

4. Erfinderische Tätigkeit

4.1 E1 als nächstliegender Stand der Technik

Die Beschwerdeführerinnen haben vorgebracht, dass es naheliegend sei, das aus E1 bekannte Verfahren zur Herstellung von Teilprothesen auf Vollprothesen anzuwenden. Dabei würde der Fachmann die Prothesenbasis der Vollprothese nach dem erzeugten Modelldatensatz herstellen und anschließend die vorkonfektionierten Zähne in die hergestellte Prothesenbasis einsetzten.

Diese Argumentation lässt außer Acht, dass der in E1 virtuell erzeugte Datensatz den gesamten herzustellenden Zahnersatz abbildet. Erklärtes Ziel der E1 ist es, den zu fertigenden Zahnersatz im Sinne eines Rapid Prototyping aus einem Stück herzustellen (Spalte 1, Zeilen 61-67), wobei auf die bisher erforderlichen Schritte wie Löten, Kleben, usw. verzichtet werden kann (Spalte 5, Zeile 40-45). Selbst wenn der Fachmann auf die Idee kommen sollte, das Herstellungsverfahren gemäß E1 für eine Vollprothese einzusetzen, so würde er diese Prothese als Ganzes fertigen. Eine Herstellung zunächst nur der Prothesenbasis mit anschließendem Einsetzen vorkonfektionierter Zähne läuft der Lehre der E1 zuwider und ist daher nicht naheliegend. Der Fachmann käme daher ausgehend von E1 nicht zu einem Verfahren mit Verfahrensschritt j).

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit ausgehend von E1 nicht naheliegend.

4.2 E8 als nächstliegender Stand der Technik

4.2.1 E8 lehrt ein Verfahren zur Herstellung einer Vollprothese, bei dem ganze vorkonfektionierte und zueinander okkludierende Zahnreihen des Ober- bzw. Unterkiefers in ein virtuelles Modell eingepasst werden. Anschließend wird die jeweilige Prothesenbasis direkt hergestellt (E8, Paragraph [0012]) und die Zahnreihen mit ihren vorkonfektionierten Zähne werden mit Hilfe von Positionierhilfen (Abb. 4 und zugehörige Legende) in die Prothesenbasis eingesetzt. Es ist unstreitig, dass E8 die Merkmale a) - f) und j) offenbart. Unstreitig nicht offenbart ist Merkmal i).

4.2.2 E8 offenbart zudem nicht die Merkmale g) und h) da weder eine Simulation von Kieferbewegungen nach der virtuellen Aufstellung der Zähne in das virtuelle Modell offenbart ist, noch nach einer derartigen Simulation eine Kontrolle der Funktion, Okklusion im/am Rechner durchgeführt wird.

Zwar offenbart E8 in Paragraph [0010], insbesondere Seite 4, erster Satz, dass die künstlichen Zahnreihen korrekt miteinander okkludieren. Das impliziert aber nicht, dass dazu nach Schritt f), also nach der Einpassung der Zähne in das virtuelle Modell, Kieferbewegungen in dem virtuellen Modell simuliert würden. Vielmehr ist die Position der zweiten Zahnreihe aufgrund der zuvor erreichten passenden Okklusion durch die Position der ersten Zahnreihe "automatisch determiniert".

Selbst wenn man im Sinne der Beschwerdeführerinnen annähme, dass die Aufstellung der anschließend "en bloc" in das virtuelle Modell zu positionierenden unteren und oberen Zahnreihe der Prothese vom Fachmann unter Verwendung eines virtuellen Artikulators und mit eventueller manueller Korrektur und anschließender Neuberechnung durchgeführt würde, so erfolgte dies vor der Positionierung des Datensatzes in das virtuelle Modell (Schritt f). Alle Schritte g), h) und i) sind aber anspruchsgemäß explizit nach Schritt f) auszuführen, und somit in E8 nicht offenbart.

4.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich also von der Lehre der E8 in den Merkmalen g), h) und i).

In diesen Merkmalen findet ein grundsätzlicher konzeptioneller Unterschied zwischen dem patentgemäßen Verfahren und dem Verfahren gemäß E8 seinen Ausdruck.

Gemäß Patent werden die individuellen Zähne in das virtuelle Modell eingepasst (Zahnaufstellung) und das Ergebnis dann im virtuellen Artikulator überprüft und korrigiert. Gemäß E8 erfolgt die Zahnaufstellung und die Erzeugung eines Datensatzes okkludierender ganzer Zahnreihen vor dem "en bloc" Einpassen der okkludierenden Zahnreihen in das virtuelle Modell. Eine Anpassung der Zahnaufstellung nach dem Einpassen in das virtuelle Modell ist in E8 nicht vorgesehen (und auch nicht nötig, da bereits davor eine optimierte Okklusion erreicht ist).

Die Hinzufügung der Verfahrensschritte gemäß der Merkmalsgruppe g), h), i) eröffnet somit ausgehend von der Lehre der E8 die Möglichkeit zu einer weiteren manuellen Korrektur der Zahnaufstellung nach der Einpassung in das virtuelle Modell. Eine Korrektur der Okklusion ist dabei nicht lediglich ein ästhetischer Effekt, sondern sie beeinflusst die Funktionalität des Kauapparats als Ganzes. Der Effekt der Merkmale g), h) und i) ist daher technisch.

4.4 Hinsichtlich der zu lösenden technischen Aufgabe geht die Kammer zu Gunsten der Beschwerdeführerinnen davon aus, dass die Merkmale g), h) und i) der Verbesserung der Qualität der prothetischen Versorgung gegenüber E8 dienen.

4.5 Selbst wenn der Fachmann zur Lösung dieser Aufgabe eine Kontrolle, manuelle Korrektur und anschließende Überprüfung der Okklusion und Artikulation in Betracht ziehen würde, so würde er diese Korrektur im Kontext der E8 vor dem Einpassen der Zahnreihen in das virtuelle Modell vorsehen (vgl. auch die Argumentation der Einspruchsabteilung auf Seite 10, erster Absatz der angegriffenen Entscheidung). An dieser Stelle werden gemäß E8 Daten okkludierender ganzer Zahnreihen bereitgestellt und könnten in sinnvoller Art und Weise modifiziert und optimiert werden. Sind die Modelle okkludierender (und in ihrer Okklusion optimierter) Zahnreihen jedoch erst einmal erstellt, so macht es keinen Sinn, nach deren Einpassen in das virtuelle Modell die Zahnaufstellung erneut zu korrigieren. Ein solcher Schritt widerspräche dem konzeptionellen Ansatz der E8 und kann nicht als naheliegend angesehen werden.

4.6 Ausgehend von der Lehre der E8 käme der Fachmann daher nicht in naheliegender Weise zu einer Modifikation des Verfahrens, mit den Schritten gemäß den Merkmalen g), h) und i).

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 5 beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent auf der Basis der Ansprüche 1 bis 3 des "Hilfsantrags 5" - wie gestellt in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer - sowie Spalten 1 bis 4 der Beschreibung - wie eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer - sowie Spalte 5 der Beschreibung und der Zeichnung gemäß Abbildung 1 - wie erteilt - aufrechtzuerhalten.

Quick Navigation