T 2041/16 () of 5.2.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T204116.20200205
Datum der Entscheidung: 05 Februar 2020
Aktenzeichen: T 2041/16
Anmeldenummer: 11735998.4
IPC-Klasse: G01C 21/34
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 342 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUM ERMITTELN DER REICHWEITE EINES KRAFTFAHRZEUGS
Name des Anmelders: Audi AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
blankEPC Art 056
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 12(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(1)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge - Antrag eindeutig gewährbar (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Anmelderin hat gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 11735998.4 Beschwerde eingelegt.

II. Die Anmelderin beantragt, die Zurückweisung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage

- der Ansprüche 1-4, eingereicht mit Schreiben vom 20. November 2012 (Hauptantrag) oder

- der Ansprüche 1-3, eingereicht mit Schreiben vom 30. Dezember 2019 (Hilfsantrag)

zu erteilen.

III. Am 5. Februar 2020 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.

IV. Es wird auf die folgenden Druckschriften Bezug genommen:

D3: DE 10 2007 042 351 A1

D6: DE 10 2005 022 204 A1.

V. Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag lautet:

"Verfahren zum Ermitteln der Reichweite eines Kraftfahrzeugs, bei dem als Größen die Temperatur eines elektrochemischen Energiespeichers zum Betreiben eines elektrischen Antriebs des Kraftfahrzeugs und eine gemessene oder aus drahtlos übermittelten Wetterdaten bekannte Außentemperatur am Ort des Kraftfahrzeugs berücksichtigt werden,

dadurch gekennzeichnet, dass

das von diesen Größen abhängige Ausmaß an von einer Einrichtung zum Vorheizen des elektrochemischen Energiespeichers zur Herstellung der Betriebsfähigkeit des Kraftfahrzeugs zu verbrauchender Energie bei der Ermittlung der Reichweite berücksichtigt wird."

Hilfsantrag

Anspruch 1 des Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags lediglich durch das Hinzufügen der folgenden Merkmale am Ende des Anspruchs 1:

"und das Ermitteln der Reichweite vor einem Fahrtantritt durchgeführt wird, und die Reichweite von dem Kraftfahrzeug ermittelt und drahtlos an eine fahrzeugexterne Einrichtung übermittelt wird und Umgebungsbedingungen, die eine Schadstoffbelastung einer Umgebungsluft umfassen, über die Wetterdaten erfasst werden und, falls für ein Durchfahren von Smogzonen Energie für Luftreinigungs- und Temperierungssysteme für den Fahrzeuginnenraum verwendet werden muss, diese zusätzliche Energieaufwendung in die Reichweitenberechnung mit einfließt".

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag

Der Gegenstand des Anspruchs 1 weist keine erfinderische Tätigkeit auf (Artikel 56 EPÜ).

1.1 Das in D3 offenbarte Verfahren wird als nächstliegender Stand der Technik angesehen.

D3 offenbart in Absatz [0016] ein Verfahren zum Ermitteln der Reichweite eines Kraftfahrzeugs, wobei u.a. "Fahrzeugdaten (z.B. Temperatur, Spannung und Batterieladezustand des Antriebssystems)" und "Umgebungsbedingungen (Temperatur, Topologie der Umgebung, Navigationsdaten)" berücksichtigt werden. Der Fachmann würde daraus ableiten, dass sowohl die Temperatur des Antriebsystems als auch die Temperatur der Umgebung, d.h. die Außentemperatur bei der Reichweitenermittelung berücksichtigt werden. Da es sich in der in Absatz [0017] beschriebenen Ausgestaltung explizit um einen Antriebsmodus mittels elektrischer Energie handelt, ist mit der Temperatur des Antriebsystems die Temperatur des elektrochemischen Energiespeichers gemeint. Somit offenbart D3 alle Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1.

D3 erwähnt das Merkmal des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 nicht ausdrücklich.

Gemäß der Beschwerdebegründung, Seite 2, dritter und vierter Absatz, bewirkt das unterscheidende Merkmal des kennzeichnenden Teils, "dass vor einem Fahrtantritt mit dem Kraftfahrzeug der - insbesondere bei sehr niedrigen Umgebungstemperaturen und langen Stillstandzeiten des Kraftfahrzeugs - nicht unerhebliche Energiebedarf zur Herstellung der Betriebsfähigkeit der Antriebsbatterie bei der Reichweitenermittlung berücksichtigt wird". Daraus leite sich die objektive technische Aufgabe ab, "eine verbesserte und insbesondere exaktere Reichweitenermittlung für ein Kraftfahrzeug bereitzustellen". Dem stimmt die Kammer zu.

D3, Absatz [0016], regt den Fachmann an, alle möglichen Einflussgrößen auf die Reichweitenermittlung zu berücksichtigen, um "die Güte der Information zu erhöhen". Insbesondere soll der Ladezustand des Batteriespeichers berücksichtigt werden (siehe D3, Absätze [0016] und [0017]), da bei einem elektrischen Antrieb die in dem Batteriespeicher vorhandene Energie maßgeblich für die Reichweite des Fahrzeugs ist.

Die Kammer ist der Meinung, dass der Fachmann, auf der Suche nach möglichen Einflussgrößen auf die Reichweitenermittlung eines elektrisch betriebenen Kraftfahrzeugs, auf die Druckschrift D6 stoßen würde. D6 offenbart, dass Batterien vorgeheizt werden (siehe D6, z.B. [0009], [0041], [0058]; Figur 3), da laut D6, Absatz [0003], Batterien in kaltem Zustand u.a. dazu neigen, eine geringere Entladeleistung abzugeben und weniger Ladung aufzunehmen, und damit eine unbeständige Leistung aufweisen. Das in D6 zum Vorheizen notwendige Heizgerät ist ein "Selbstheizsystem, das mit Energie betrieben wird, die aus der Batterie stammt" (siehe D6, Absatz [0021]). Bei der Entscheidung, ob ein Vorheizen technisch sinnvoll ist, werde sowohl die Batterie- als auch die Umgebungstemperatur berücksichtigt (siehe D6, [0044] und [0045]). Darüber hinaus beschäftigt sich D6, in den Absätzen [0058] bis [0062], ausgiebig mit der für das Vorheizen benötigten Batterieenergie. In einer beispielhaften Ausführung kommt die D6 zum Schluss, dass 5% des Batterieladezustands zum Aufheizen verwendet werden können (siehe D6, Absatz [0062]). Es ist daher für den Fachmann eindeutig, dass diese für das Vorheizen der Batterie benötigte Energie nicht für den Antrieb des Fahrzeugs zur Verfügung steht und somit eine weitere, wesentliche Einflussgröße auf die Reichweitenermittlung darstellt, die es bei der Reichweitenermittlung für ein Kraftfahrzeug zu berücksichtigen gilt.

Aus diesen Überlegungen folgt, dass das in Anspruch 1 definierte Verfahren, im Hinblick auf die Offenbarung der Druckschrift D3 in Verbindung mit derjenigen der Druckschrift D6, auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruht.

1.2 Laut der Beschwerdebegründung, Seite 3, vierter Absatz, ist der D3 "überhaupt nicht zu entnehmen, dass die Temperatur einer Batterie ermittelt und berücksichtigt wird. Denn der D3 ist nur zu entnehmen, dass die Temperatur eines Antriebssystems berücksichtigt werden sollte".

Dieses Argument der Anmelderin ist nicht zutreffend, da im darauffolgenden Absatz [0017] offenbart ist, dass der "Antriebsmodus der Betrieb mittels elektrischer Energie ist" und die Energiequelle insbesondere ein Batteriespeicher ist. Dies bedeutet, dass das in D3 offenbarte Antriebssystem auf Basis einer Batterie funktioniert und somit mit der Temperatur des Antriebssystems die Temperatur eines elektrochemischen Energiespeichers gemeint ist.

1.3 Laut ihrem Schreiben vom 30. Dezember 2019, Seite 3, zweiter Absatz, und in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorgetragen, hält die Anmelderin es "für sehr fraglich, ob der Begriff 'Temperatur' vom Fachmann auch so direkt auf das Antriebssystem bezogen würde, wenn allgemein von 'Fahrzeugdaten' die Rede ist". Der Fachmann würde "bei dem Begriff 'Temperatur' wohl eher an die Klimatisierung des Fahrzeuginnenraums denken als an die Klimatisierung eines Antriebssystems".

Auch dieses Argument der Anmelderin überzeugt die Kammer nicht. Beispielhafte Fahrzeugdaten sind gemäß Absatz [0016] "Temperatur, Spannung und Batterieladezustand des Antriebssystem". Es ist nach Auffassung der Kammer unplausibel, dass mit dem Wort "Temperatur" nicht, wie explizit in der Liste der Fahrzeugdaten angedeutet, die Temperatur des Antriebssystems gemeint ist, sondern die Temperatur des Fahrzeuginnenraums. Die Temperatur des Fahrzeuginnenraums als solche hat nämlich keinen direkt erkennbaren Einfluss auf die Reichweitenermittelung. Der Einfluss auf die Reichweitenermittelung der Temperatur der Umgebung und des davon abhängigen Betriebs einer Klimaanlage, welche dann die Temperatur des Fahrzeuginnenraums reguliert, wird weiter unten im Absatz [0016] unter den Begriffen "Umgebungsbedingungen (Temperatur, ..)" und "zugeschaltete Aggregate (Komfortverbraucher, Nebenaggregate)" bereits aufgeführt.

1.4 Es folgt daher, dass das beanspruchte Verfahren, ausgehend von D3, in Verbindung mit D6, keine erfinderische Tätigkeit aufweist.

2. Hilfsantrag

Der Hilfsantrag wird nicht in das Verfahren zugelassen (Artikel 13(1) 2007 sowie Artikel 12(4) VOBK 2007).

2.1 Der Hilfsantrag wurde als Antwort auf den Ladungsbescheid der Kammer kurz vor der mündlichen Verhandlung eingereicht.

2.2 Während der mündlichen Verhandlung trug die Anmelderin vor, dass die im Hilfsantrag vorgenommenen Änderungen in Reaktion auf die Argumente im Ladungsbescheid und die darin neu ins Verfahren eingeführten Druckschriften eingereicht worden sind.

Eines der Kriterien, neue Anträge in das Verfahren zuzulassen, ist das Vorhandensein nachvollziehbarer Gründe für das Einreichen der Anträge, beispielsweise neue Entwicklungen im Beschwerdeverfahren. Von der Kammer erstmalig erhobene Einwände oder neu eingeführte Druckschriften können sich als solche Gründe erweisen. Nichtsdestotrotz stellen Änderungen, die als Antwort auf den Ladungsbescheid eingereicht worden sind, Änderungen des Vorbringens eines Beteiligten im Sinne des Artikels 13(1) VOBK 2007 dar. Als solche unterliegt deren Zulassung dem Ermessen der Beschwerdekammer gemäß Artikel 13(1) VOBK 2007. Anderenfalls würde die automatische Zulassung jeder als Antwort auf neue Einwände oder Druckschriften eingereichten Änderung, einschließlich Änderungen, die nicht alle bestehenden Einwände beheben und/oder die neue Einwände einführen, das Risiko tragen, der gebotenen Verfahrensökonomie zuwiderzulaufen.

2.3 Gemäß gängiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 9. Auflage 2019, Kapitel V.A.4.12.1 und V.A.4.12.2a), können Anträge mit geänderten Ansprüchen nach Artikel 13(1) VOBK 2007 in das Verfahren zugelassen werden, wenn u.a. die Ansprüche prima facie gewährbar sind, wobei "[e]indeutig gewährbar ... solche Anspruchssätze [sind], wenn für die Kammer rasch erkennbar ist, dass sie keinerlei Anlass zu Einwänden geben und überdies alle noch offenen Einwände nach dem EPÜ ausräumen".

Diese Bedingung ist in dem vorliegendem Fall nicht erfüllt.

Im Gegenteil, die Kammer hat Zweifel daran, dass die im Anspruch 1 des Hilfsantrags vorgenommenen Änderungen eine erfinderische Tätigkeit begründen könnten. Wie bereits oben im Punkt 1.1 erwähnt, entnimmt der Fachmann der D3 die Anregung, alle möglichen Einflussgrößen auf die Reichweitenermittlung zu berücksichtigen. Dazu gehört offensichtlich die Energie, die für eventuell vorhandene Luftreinigungs- und Temperierungssysteme verwendet wird. Eine Berücksichtigung dieser Energieaufwendung bei der Reichweitenermittelung scheint daher keine erfinderische Tätigkeit zu begründen.

Die weiteren geänderten Merkmale des Anspruchs 1, d.h. die Durchführung der Reichweitenermittelung durch das Kraftfahrzeug vor einem Fahrtantritt und deren drahtlose Übermittelung an eine fahrzeugexterne Einrichtung, scheinen lediglich offensichtliche Möglichkeiten einer Weiterbildung des Verfahrens von D3 darzustellen. Auch die Anmelderin hat sowohl in ihrem Schreiben vom 30. Dezember 2019 als auch in der mündlichen Verhandlung ihre Begründung einer erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Verfahrens nicht auf diese weiteren Merkmale gestützt.

2.4 Darüber hinaus ist anzumerken, dass die Anmelderin bereits im erstinstanzlichen Verfahren in Erwägung gezogen hatte, einen geänderten Anspruch 1 einzureichen, der ein Merkmal hinsichtlich der Reinigung der Luft von Schadstoffen aufweisen würde (siehe Punkt 4 des Protokolls der telefonischen Rücksprache vom 16. März 2016 zwischen dem Prüfer und der Anmelderin). Der Prüfer teilte der Anmelderin mit, dass sowohl die Zulassung als auch die Gewährbarkeit eines solchen Antrags zweifelhaft seien (siehe Punkte 5 bis 8 des Telefonprotokolls). Während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer bestätigte die Anmelderin, dass eine derartige Änderung des Anspruchs 1 kurz vor der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung von der Anmelderin in Betracht gezogen wurde.

Es ergibt sich eindeutig aus dieser Sachlage, dass die Anmelderin den vorliegenden Hilfsantrag mit dem für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit wesentlichen Merkmal des Einfließens der zusätzlichen Energieaufwendung für Luftreinigungs- und Temperierungssysteme in die Reichweitenberechnung in dem erstinstanzlichen Verfahren hätte einbringen können. Das hätte sie auch tun sollen. Denn durch das Unterlassen der Einreichung eines entsprechenden Antrags hat die Anmelderin eine förmliche Entscheidung der Prüfungsabteilung hinsichtlich der Zulassung bzw. der Gewährbarkeit eines Antrags mit einem geänderten Anspruch 1, der ein für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit wesentliches Merkmal aufweist, verhindert. Dies entspricht nicht der erwünschten Pflicht der Anmelderin zur Verfahrensbeförderung in erster Instanz.

2.5 Daher übt die Kammer ihr Ermessen nach Artikel 13(1) und 12(4) VOBK 2007 dahingehend aus, den vorliegenden Hilfsantrag nicht in das Verfahren zuzulassen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Quick Navigation