T 1947/16 () of 20.2.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T194716.20180220
Datum der Entscheidung: 20 Februar 2018
Aktenzeichen: T 1947/16
Anmeldenummer: 11001556.7
IPC-Klasse: F16K 17/08
F16K 39/02
F16K 17/04
B60T 17/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Überströmventil und Drucklufteinrichtung für Kraftfahrzeuge
Name des Anmelders: WABCO GmbH
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 113(2)
Schlagwörter: Wesentlicher Verfahrensmangel (ja)
Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Anmelderin hat gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 11001556.7 zurückzuweisen, Beschwerde eingelegt.

Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 im Hinblick auf die Offenbarung der Druckschrift D6 (DE 26 04 167 A1) in Kombination mit der Druckschrift D7 (US 2,872,221) nicht erfinderisch ist.

II. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf Grundlage des am 14. Dezember 2015 eingereichten Hauptantrags oder des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags zu erteilen. Sie beantragte hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

III. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt (die Merkmalsgliederung durch die Kammer ist in eckigen Klammern angegeben; die Merkmale, die den Anspruch vom ursprünglichen Anspruch 1 unterscheiden, wurden von der Kammer durch Unterstreichung hervorgehoben):

"[1] Überströmventil für Drucklufteinrichtungen, [2] mit einem Einlass (2, 32) und einem Auslass (3, 36) für Druckluft, [3] mit einem Ventilglied (8, 34), das in Schließstellung des Überströmventils (1, 30) dichtend auf einem Ventilsitz (7, 33) aufliegt, [4] der durch einen umlaufenden Rand (10) gebildet ist, wobei [5] das Ventilglied (8, 34) gegen die Rückstellkraft eines [6] längsbeweglichen Ventilkolbens (15, 38), [7] der von einer Ventilfeder (17, 39) beaufschlagt ist, unter der Wirkung des Drucks [8] auf eine dem Einlass (2, 32) zugeordnete erste Wirkfläche (23, 49) und des Drucks auf eine dem Auslass (3, 36) zugeordnete zweite Wirkfläche (24) von dem Ventilsitz (7, 33) abhebbar ist, dadurch gekennzeichnet, dass [9] auf der dem Ventilkolben (15, 38) zugewandten Seite des Ventilglieds (8, 34) [10] ein mit dem Auslass (3, 36) fluidisch kommunizierender Druckausgleichsraum (20, 50) vorgesehen ist, [11] in welchem der Luftdruck [12] über eine Ausgleichswirkfläche (25, 51) am Ventilkolben (15, 38) unmittelbar auf den Ventilkolben (15, 38) wirkt, wobei [13] das Ventilglied als flexible Ventilmembran (8) ausgebildet, [14] an welcher der Ventilkolben (15) auf der dem Ventilsitz (7) abgewandten Seite anliegt, wobei [15] der Druckausgleichsraum (20) im Inneren des Ventilkolbens (15) ausgebildet ist und [16] über eine Drucksausgleichsbohrung (21) im Ventilkolben (15) und eine Öffnung (22) in der Ventilmembran (8) [17] mit einer dem Auslass (3) zugeordneten Abströmkammer (9) kommuniziert."

IV. Die Beschwerdeführerin hat Folgendes vorgetragen:

Das aus der Druckschrift D1 bekannte Druckhalteventil sei für Fluide bestimmt und daher für eine Drucklufteinrichtung nicht geeignet. Dies gelte auch für die übrigen Entgegenhaltungen.

Der Gegenstand des Hauptanspruchs sei neu gegenüber den Druckschriften D1 bis D5, da keine von ihnen einen Ventilkörper offenbare, der im Inneren einen Druckausgleichraum aufweist.

Er sei auch erfinderisch gegenüber den Druckschriften D6 bis D8, da keine von ihnen einen Ventilkörper offenbare, der im Inneren einen Druckausgleichraum aufweist. Ferner zeige keine der Entgegenhaltungen eine Drucksausgleichsbohrung im Ventilkolben und eine Öffnung in der Ventilmembran, welche mit einer dem Auslass zugeordneten Abströmkammer kommuniziert.

Die Argumentation der Prüfungsabteilung beruhe auf einer rückschauenden Betrachtungsweise. Keine der Druckschriften D6, D7 oder D8 zeige ein Loch in einer Ventilmembran oder einem Ventilkolben. Weder rege die Druckschrift D6 an, einen Druckausgleichsraum vorzusehen, noch würden die Druckschriften D7 oder D8 einen solchen Druckausgleichsraum zeigen. Selbst wenn die Druckschrift D6 in Verbindung mit der Druckschrift D7 oder der Druckschrift D8 gebracht wird, so sei hierdurch weder das Vorsehen eines Druckausgleichsraumes noch die Anbringung irgendwelcher Löcher angeregt. Weshalb ein Fachmann angeregt werden soll, einen Druckausgleichsraum vorzusehen, werde seitens des beauftragten Prüfers nicht begründet. Hierfür fehle dem Fachmann jegliche Anregung. Es wird auch nicht begründet, warum eine Kommunikation zwischen Auslass und Druckausgleichsraum nötig sein solle. Der Fachmann werde hier zu viel strapaziert.

Entscheidungsgründe

1. Wesentlicher Verfahrensmangel

Wie aus Punkt 8 und 9 der angefochtenen Entscheidung selbst hervorgeht, hat die Beschwerdeführerin die Erteilung eines Patents in der Fassung der Ansprüche, die "mit Schreiben vom 18.12.2015" (genauer gesagt, handelt es sich um ein Schreiben vom 14. Dezember 2015, das am 18. Dezember 2015 beim Amt eingegangen ist) eingereicht wurden, beantragt.

Wie auch schon in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 94(3) EPÜ vom 29. Januar 2016 hat die Prüfungsabteilung ihre Prüfung aber auf einen Anspruch 1 gestützt, der dem Anspruch 1 der ursprünglichen Anmeldung entspricht.

Sie hat also die Merkmale 13 bis 17, die den Merkmalen des ursprünglichen Anspruchs 4 entsprechen, unberücksichtigt gelassen.

Somit beruht die Entscheidung auf Ansprüchen, die nicht dem letzten Antrag der Anmelderin entsprechen.

Damit verstößt die Entscheidung gegen das Erfordernis von Artikel 113 (2) EPÜ. Diese Bestimmung, der zufolge sich das Europäische Patentamt bei der Prüfung der europäischen Patentanmeldung oder des europäischen Patents und bei den Entscheidungen darüber an die vom Anmelder oder Patentinhaber vorgelegte oder gebilligte Fassung zu halten hat, stellt einen wesentlichen Verfahrensgrundsatz dar und ist als Bestandteil des rechtlichen Gehörs von so grundlegender Bedeutung, dass jede Verletzung dieses Grundsatzes prinzipiell als wesentlicher Verfahrensmangel zu werten ist.

Die Entscheidung ist daher aufzuheben.

2. Zurückverweisung an die erste Instanz

Gemäß Artikel 11 der Verfahrensordnung der Technischen Beschwerdekammern (VOBK) verweist eine Kammer die Angelegenheit an die erste Instanz zurück, wenn das Verfahren vor der ersten Instanz wesentliche Mängel aufweist, es sei denn, dass besondere Gründe gegen die Zurückverweisung sprechen. Derartige Gründe sind vorliegend nicht ersichtlich und wurden seitens der Beschwerdeführer auch nicht geltend gemacht, so dass die Kammer die Angelegenheit unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung unmittelbar, d.h. ohne weitere Prüfung in der Sache, an die Prüfungsabteilung zurückverweist.

3. Rückzahlung der Beschwerdegebühr

Die Verletzung von Artikel 113 (2) EPÜ stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne von Regel 103 (1) a) EPÜ dar. Da der vorliegenden Beschwerde stattgegeben und die angefochtene Entscheidung an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet, entspricht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr der Billigkeit. Die Beschwerdegebühr wird deshalb zurückerstattet.

Die Tatsache, dass kein entsprechender Antrag gestellt wurde, steht einer Rückzahlung nicht im Wege (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 8. Auflage, 2016, Punkt IV.E.8.2.1).

4. Antrag auf mündliche Verhandlung

Die Beschwerdeführerin hat hilfsweise einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Da die Beschwerdeführerin durch die Zurückverweisung des Falls an die erste Instanz nicht beschwert ist, ist die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nicht erforderlich (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 8. Auflage, 2016, Punkt III.C.2.5).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

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