European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T193616.20200214 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 14 Februar 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1936/16 | ||||||||
Anmeldenummer: | 09814121.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | B62D 21/15 B62D 29/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERSTÄRKTE STRUKTUR EINES FAHRZEUGS | ||||||||
Name des Anmelders: | Sika Technology AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | L & L Products Europe S.A.S. | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja) Neuheit - (ja) Erfinderische Tätigkeit - (ja) Zulassung neuer Angriffslinie in mündl. Verhandlung - (nein) Zurückverweisung an die erste Instanz - (nein) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Einsprechende hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs gegen das europäische Patent Nr. 2 337 728 Beschwerde eingelegt.
II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 wie erteilt hinsichtlich der Ausführbarkeit ausreichend offenbart sei. Die Neuheit und das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit wurden anerkannt, wobei unter anderem der folgende Stand der Technik berücksichtigt wurde:
D1: Structural Plastic Inserts in the Car Body,
ATZproduktion 01/2008;
D2: US 2004/0130185 A1;
D4: Innovative Approach for Improving Roof Crush
Resistance, Pradeep Mohan, Vinay
Nagabhushana, Cing-Dao (Steve) Kan and
Jim Riley, 2006 DYNAmore GmbH.
III. In der Beschwerdebegründung wies die Beschwerdeführerin auf die Relevanz der von der Einspruchsabteilung nicht ins Verfahren zugelassenen Dokumente D7 und D8 hin. Sie legte zudem erstmals weitere Druckschriften D9 bis D14 zum Nachweis des allgemeinen Fachwissens bzw. über den Verlauf des Erteilungsverfahrens vor.
Die Beschwerdegegnerin reichte zum Nachweis der Ausführbarkeit des beanspruchten Verfahrens mit ihrer Beschwerdeerwiderung Unterlagen D15 bis D17 zu von ihr durchgeführten Simulationen ein.
Nähere Angaben zu D7 bis D17 sind entbehrlich, da sie für die vorliegende Entscheidung nicht relevant sind.
IV. In der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK, ABl. EPA 2007, 536) hat die Kammer die vorläufige Meinung vertreten, dass die Erfindung ausführbar sei, und dazu unter Punkt 6 wie folgt ausgeführt:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
V. Am 14. Februar 2020 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 5, eingereicht mit Schreiben vom 18. Dezember 2019.
Beide Parteien bezogen sich auf ihre schriftlichen Ausführungen zur Ausführbarkeit der Erfindung und stimmten insoweit einer abgekürzten Entscheidung gemäß Artikel 15 (7) VOBK 2020 zu.
VI. Anspruch 1 wie erteilt gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"Verfahren zur Verstärkung von strukturellen Bauteilen (2) durch Platzieren von mindestens einem Verstärkungsteil (4), umfassend ein Trägerteil (5) und ein, aktivierbares und zwischen strukturellem Bauteil (2) und Trägerteil (5) angeordnetes, Verbindungsmittel (6), im Hohlraum (3) des strukturellen Bauteils (2), umfassend die Schritte
i) Erstellen eines FE-Modells des strukturellen Bauteils (2), ohne das [sic] in dessen Hohlraum (3) das mindestens eine Verstärkungsteil (4) angeordnet ist; oder
i') Erstellen eines FE-Modells des strukturellen Bauteils (2), in dessen Hohlraum (3) das mindestens eine Verstärkungsteil (4) angeordnet ist;
ii) Berechnung des Crashverhaltens des FE-Modells;
iii) Verringerung der Menge aktivierbaren Verbindungsmittels (6) an Stellen mit hoher Verformung gegenüber Stellen mit geringer Verformung des strukturellen Bauteils (2) im berechneten Crashverhalten des FE-Modells;
iv) Herstellung des Verstärkungsteils (4), welches eine Verteilung des Verbindungsmittels (6) entsprechend den Erkenntnissen aus den vorhergegangenen Schritten aufweist;
v) Plazieren des Verstärkungsteils (4) im Hohlraum (3) des strukturellen Bauteils (2);
vi) Aktivieren des Verbindungsmittels (6)."
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Ausführbarkeit
Der beanspruchte Schutzbereich umfasse auch ein Ausführungsbeispiel, in dem vor Schritt iii) kein Verbindungsmittel in Bereichen hoher Verformung vorgesehen sei. Schritt i) mit einer Modellierung ohne Verstärkungsteil sei (zumindest für das genannte Ausführungsbeispiel) in der von der Einspruchsabteilung getroffenen engen Auslegung von "Verringerung" in Schritt iii) des Anspruchs 1 nicht ausführbar, da kein Verstärkungsteil mit einer ersten Menge aktivierbaren Verbindungsmittels vorliege und eine Verringerung des Verbindungsmittels deshalb nicht möglich sei. Bei der Alternative i) in Anspruch 1 wisse der Fachmann nicht, von welchem Ausgangszustand die Verringerung gemäß Schritt iii) starte.
Die Lehre des Streitpatents sei zudem nicht ausreichend offenbart, da wesentliche Merkmale zur Erzielung des behaupteten technischen Effekts in Anspruch 1 fehlten und der beanspruchte Gegenstand nicht über den gesamten Bereich ausführbar sei. Anspruch 1 weise keinen Schritt auf, der eine Platzierung des Trägerteils in Bereichen hoher Verformung mit geringerem Abstand zum strukturellen Bauteil hin verlange, wobei dieses Abstandsmerkmal im Streitpatent als kritisch angesehen werde. Dies führe dazu, dass das Streitpatent keinen Parameter oder keine Anleitung angebe, um (ohne unterschiedliche Abstände zu definieren) einen Verstärkungseffekt und eine Gewichtsersparnis über den gesamten beanspruchten Bereich zu erreichen. Werde z. B. ein rechteckiges Verstärkungsteil im Hohlkörper aus Fig. 1a) des Streitpatents an einer festen Stelle positioniert und Verbindungsmittel an der Stelle hoher Verformung (in der Mitte des rechteckigen Querschnitts) verringert, könne dies zum Ablösen des Verstärkungsteils von dem strukturellen Bauteil führen, nicht aber zu einer verbesserten Stabilität. Es sei kein Beispiel angegeben, in dem eine Stelle hoher Verformung eine geringere Menge an Verstärkungsmaterial und nicht einen kleineren Abstand zum strukturellen Bauteil aufweise.
Ein Einwand unzureichender Offenbarung werde auch gegen das Erstellen eines FE-Modells gemäß den Schritten i) und i') erhoben, sollten diese rein mathematischen und nicht-technischen Schritte von der Kammer bei der Beurteilung der Patentfähigkeit berücksichtigt werden. Die Einspruchsabteilung habe fälschlicherweise das Gutachten von Dr. Kan (D8) nicht berücksichtigt, das in Antwort auf die vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung eingereicht worden war. Zudem lehre, unabhängig von D8, die schriftliche Beschreibung des Streitpatents den Fachmann nicht, wie die beanspruchten Modellierungsschritte ohne übermäßiges Experimentieren auszuführen seien. Insbesondere
- seien in Absatz [0024] des Streitpatents nur Softwareprogramme zur Modellbildung erwähnt, aber nicht die dazu erforderlichen Eingangsdaten und
- erfordere Schritt i') mit nicht aktiviertem Verbindungsmittel, wie von der Einspruchsabteilung ausgelegt, ein Forschungsprogramm (da Angaben zum Deformationsmode, sowie den Lastbedingungen, Verbindungen, Dateninputs und Variablen fehlten).
Schließlich sei Schritt iii) in Anspruch 1 nicht eindeutig, da er nicht angebe, ob er als Teil der FE-Simulation oder der Realisierung des strukturellen Bauteils mit Verstärkungsteil aufzufassen sei.
Neuheit
Die nicht-technischen Merkmale i) und i') (und auch Merkmal iii), falls auf ein theoretisches Teil bezogen) des Anspruchs 1 seien bei der Beurteilung der Patentfähigkeit nicht zu berücksichtigen.
Neuheit gegenüber D2 werde anerkannt, da in D2 kein FE-Modell gezeigt sei. Allerdings sei der Gegenstand von Anspruch 1 nicht neu gegenüber D1. Figur 2 in D1 offenbare Simulationen ohne und mit Verstärkungsteil und (auf Seite 18, rechte Spalte) die im Streitpatent in Absatz [0024] aufgeführten FE-Modelle, also die Merkmale i) und i'), wobei auch eine Optimierung und - nach Analyse - eine Produktion stattfinde (Seite 18, mittlere Spalte). Seite 16 zeige das Ergebnis einer Berechnung des Crashverhaltens. In Bereichen hoher Verformungswahrscheinlichkeit (an den Enden des Verstärkungsteils und in der Mitte an den Querrippen) sei Verbindungsmittel weggelassen, also im Vergleich zu anderen Stellen verringert worden. Man habe (siehe Figur 2) auch Tests mit einem im Hohlraum platzierten Verstärkungsteil durchgeführt (Merkmal iv)). Damit zeige D1 alle Merkmale des Anspruchs 1.
Angesichts von Merkmal i) sei (anders als in der angefochtenen Entscheidung) nicht von einer iterativen Abfolge von Verfahrensschritten bzw. einem mehrmaligen Durchlaufen des FE-Modells auszugehen. Dies sei laut Streitpatent (Absatz [0084]) nur eine vorteilhafte Ausführung. Anspruch 1 verlange keinen Ausgangszustand mit einem Verstärkungsteil, das schon ein Trägerteil mit Verbindungsmittel umfasse und von dem aus eine Verringerung des Verbindungsmittels erfolge. Es sei nur verlangt, dass auf der Grundlage eines FE-Modells und der Berechnung des Crashverhaltens ein Verstärkungsteil entsprechend entworfen werde. Nirgendwo im Streitpatent sei beschrieben, dass die Figuren des Streitpatents das Ergebnis des Verfahrens nach Anspruch 1 darstellten.
Erfinderische Tätigkeit
Ein Verringerungsschritt sei eine naheliegende Maßnahme zur Einsparung von Gewicht und Reduzierung der Kosten.
In D2 (Absatz [0025]) werde ein Computermodell erwähnt und die Struktur des Fahrzeugs im Crashfall simuliert (siehe auch Absatz [0010]), was dem Fachmann bereits den Hinweis gebe, ein FE-Modell anzuwenden. Die Idee in D2 (siehe Absatz [0005]) sei nun, ein leichtes und in Kontakt mit der Innenwand des Hohlkörpers zu bringendes Verstärkungsteil ohne lasttragende Schaumteile bereitzustellen, die in D2 (Absatz [0002]) als nachteilig erkannt worden seien. Absatz [0014] zeige, dass das Trägerteil mittels Verbindungsmittel (z. B. Haftschaum) mit der Innenwand des Hohlkörpers verbunden werde (dargestellt in den Figuren 4 bis 6). D2 zeige also eine Optimierung hinsichtlich der Stellen, an denen Verbindungsmittel vorzusehen sei, und zwar an Stellen geringer Verformung. Das strukturelle Design aus D2 sei an lokal unterschiedliche Festigkeitsanforderungen anzupassen (siehe Absatz [0030]), löse also auch das im Streitpatent angesprochene Problem. Mit der Information aus D2, dass kein Verbindungsmittel an Stellen hoher Verformung wünschenswert sei, würde der Fachmann es als vorteilhaft erkennen, die Menge an Verbindungsmittel zu verringern und sogar das Verbindungsmittel ganz wegzulassen. Das Ergebnis sei in Figur 6 gezeigt, wobei Bezugszeichen 30 das äußere Blechteil und damit den Bereich hoher Verformung der B-Säule bezeichne (siehe Absatz [0027] sowie Figur 3) und Schaum 34 nur an Stellen geringer Verformung vorgesehen sei. D2 zeige somit alle Merkmale von Anspruch 1 bis auf ein FE-Modell, das aber in D1 oder D4 gezeigt sei oder sich aus dem allgemeinen Fachwissen ergebe. D4 zeige auch (Figur 12), dass das Weglassen von Schaum in bestimmten Bereichen eine bekannte Design-Maßnahme sei.
Darüber hinaus sei der gesonderte Verringerungsschritt unwesentlich, nachteilig und habe keine überraschende technische Wirkung, könne also keine erfinderische Tätigkeit begründen.
Die erfinderische Tätigkeit sei auch ausgehend von D4 in Kombination mit D1 oder D2 in Frage zu stellen. Diese neue Angriffslinie sei ins Verfahren zuzulassen, nachdem die Neuheit des Verfahrens gemäß Anspruch 1 aufgrund des in D1 fehlenden Bindeglieds zwischen dem FE-Modell und dem Design des Verstärkungsteils anerkannt worden sei. Dies sei in der vorläufigen Meinung der Kammer noch nicht angesprochen worden. D4 sei bereits in der Beschwerdebegründung (Seite 19) als relevant für die erfinderische Tätigkeit angesehen worden und zeige eine klare Verbindung zwischen einem CBS-Modell und einem Strukturbauteil.
Sollte die Argumentationslinie ausgehend von D4 nicht zugelassen werden, werde die Zurückverweisung des Falles an die Einspruchsabteilung beantragt.
VIII. Die Beschwerdegegnerin entgegnete dem wie folgt:
Ausführbarkeit
Der Fachmann habe keine Probleme bei der Erstellung eines FE-Modells. In Anspruch 1 seien auch alle zur Lösung der Erfindung nötigen Merkmale vorhanden, da durch Verringerung des Verbindungsmittels an Stellen hoher Verformung zwingend das Trägerteil näher am strukturellen Bauteil positioniert werde. Den genauen Ort der Anordnung als zwingendes Merkmal festzulegen sei ein unzumutbare Einschränkung der Erfindung. Die Beschwerdeführerin versuche, mit einem theoretischen Beispiel die Ausführbarkeit der Erfindung in Frage zu stellen, obwohl im Patent mehrere Wege der Ausführung offenbart seien. In Bezug auf Schritt iii) stelle die Beschwerdeführerin lediglich die Klarheit in Frage, was aber kein Einspruchsgrund sei.
Neuheit
Mit den Verfahrensschritten i) bis iii) in Anspruch 1 könne nur eine zeitliche Abfolge der Schritte gemeint sein. Schritt iii) sei aufgrund des Ausdrucks "im berechneten Crashverhalten des FE-Modells" auf den Schritt ii) bezogen. Eine Iteration sei nur bevorzugt und nicht zwingend erforderlich. Es bestehe aber kein Widerspruch zu Merkmal i), da nach Berechnung bzw. Analysieren des Crashverhaltens am schon vorliegenden Verstärkungsteil die Menge des Verbindungsmittels an Stellen mit hoher Verformung verringert werde, im Extremfall bis kein Verbindungsmittel mehr vorhanden sei. Auch Absatz [0078] des Streitpatents, der die Verformung auf den Querschnitt des strukturellen Bauteils beziehe, lasse keine andere Interpretation zu. Werde auf einer Seite des Trägerteils kein Schaum aufgebracht, so werde das Trägerteil nicht zwangsläufig verschoben und an das strukturelle Bauteil gedrückt, wie in Figur 1b des Streitpatents gezeigt, da der als Verbindungsmittel verwendete Schaum expandiere (auch seitlich in Spalte). Anspruch 1 verlange, dass das Crashverhalten simuliert und daraus abgeleitet die Menge des Verbindungsmittels verringert werde.
D1 befasse sich mit einer Optimierung, allerdings mit einer Simulation bezüglich Material und Oberfläche des Schaums, Anbindungsmöglichkeiten sowie Material und Herstellung des Plastikeinlegeteils. Es gehe um die Materialauswahl und (siehe Kapitel 3, Seite 18) um die Untersuchung des "peeling off" der Verbindung zwischen Verbindungsmittel und Struktur. Als Ergebnis sei das thermisch aktivierbare Material "Sika Reinforcer" in D1 ausgewählt worden. D1 gehe lediglich von dem in Figur 1 gezeigten Design des Verstärkungsteils aus, das auf Seite 16 in verschiedenen Stadien (ungeschäumt oder geschäumt) gezeigt sei. Nirgends spreche D1 die Menge oder Platzierung des Verbindungsmittels an oder erwähne eine Anpassung der Menge des Verbindungsmittels aus Figur 1 oder der Formen des Trägerteils. D1 gebe keinen Hinweis, dass an den Enden des Verstärkungsteils vorher Schaum vorgesehen und dann verringert worden sei. D1 zeige allenfalls ein Produkt als Ergebnis des beanspruchten Verfahrens, aber ohne dass Schritt iii) offenbart sei. D1 zeige keine Verringerung der Menge des Verbindungsmittels gemäß Merkmal iii) aufgrund einer Erkenntnis nach Berechnung des Crashverhaltens des FE-Modells (dem Ergebnis einer FE-Modellbildung), auch nicht in Figur 2, sondern nur das Ergebnis einer Materialoptimierung.
Erfinderische Tätigkeit
Auch wenn D2 auf eine schaumfreie Ausführung abziele, verlange Anspruch 1 aber, dass Verbindungsmittel vorhanden sei und die Verteilung optimiert werde. D2 unterscheide sich vom Verfahrensanspruch 1 darin, dass es keinen Schritt iii) der Verringerung der Menge aktivierbaren Verbindungsmittels an Stellen mit hoher Verformung des strukturellen Bauteils in einem berechneten Crashverhalten aufweise. Die zu lösende Aufgabe sei darin zu sehen, bei einer verstärkten Struktur das Gewicht zu verringern und gleichzeitig die benötigte Stabilität zu gewährleisten. D2 löse diese Aufgabe durch die Ausgestaltung des Stützskeletts. Laut Absatz [0025] (auch Absatz [0010]) in D2 werde nur das Stützskelett ohne Verbindungsmittel modelliert und simuliert. Die Anpassung an Festigkeitsanforderungen erfolge vorzugsweise durch Anpassung der Wandstärke und des Abstands der Aussteifungsrippen. Ein spezifisches Anpassen des Verbindungsmittels an das Hohlstück werde nicht erwähnt. In Absatz [0029] sei nur beschrieben, dass schäumbares Material 34 hinzufügt werde, um eine sichere und klapperfreie Verbindung zu realisieren und Toleranzen auszugleichen. Auch in Absatz [0014] werde der Fachmann angehalten, für eine Verbesserung der Betriebssteifigkeit zusätzlich Klebstoff an den Stützflächen anzubringen. Es finde sich in D2 kein Zusammenhang zwischen Computersimulationen und der Dimensionierung des Schaummaterials 34, was auch D1 oder D4 nicht offenbare. Es fehle an einer Offenbarung, wo in D2 die Stellen schwacher Verformung identifiziert worden seien; dies sei aus dem in Figur 6 gezeigten Querschnitt nicht zu beurteilen. Zudem sei weder aus Figur 6 noch aus Absatz [0014] eine Verteilung des Materials 34 über die gesamte Länge der B-Säule abzuleiten und auf eine klebstofffreie Ausführung zur Außenseite der B-Säule hin zu schließen.
Die Angriffslinie ausgehend von D4 als nächstliegendem Stand der Technik sei verspätet und nicht zuzulassen. So sei noch nicht einmal dargetan, welche Merkmale wo in D4 offenbart seien.
Entscheidungsgründe
1. Nichtzulassung von D8 durch die Einspruchsabteilung
Die Beschwerdeführerin rügt im Rahmen der Diskussion der Ausführbarkeit die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung, welche das Gutachten D8 nicht in das Verfahren zugelassen hat.
Wird eine Ermessensentscheidung mit der Beschwerde angefochten, ist es - gemäß der etablierten Rechtsprechung der Beschwerdekammern - nicht die Aufgabe der Beschwerdekammer, die gesamte Sachlage des Falls wie ein erstinstanzliches Organ zu prüfen, um zu entscheiden, ob sie das Ermessen in derselben Weise ausgeübt hätte. Die Kammer sollte sich nur dann über die Ermessensentscheidung des erstinstanzlichen Organs hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher Weise ausgeübt hat, vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, V.A.3.5.1.
Vorliegend hat die Einspruchsabteilung festgestellt, dass die Dokumente D7 und D8 nicht relevant sind ("...dem Streitpatent nicht entgegensteht", vgl. Entscheidung der Einspruchsabteilung, 10.1 und 10.2).
Die Relevanz eines verspätet vorgebrachten Beweismittels ist indes ein in der Praxis des Europäischen Patentamts etabliertes und daher nicht zu beanstandendes Kriterium. Dies wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten.
2. Ausführbarkeit (Artikel 100 b) i.V.m. Artikel 83 EPÜ)
2.1 Die Kammer kann nicht erkennen, dass der Fachmann nicht in der Lage ist, die beanspruchte Erfindung auszuführen bzw. nachzuarbeiten. Gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist die Frage, ob eine Erfindung ausreichend offenbart ist, anhand des Gesamtinhaltes des Streitpatents (also auch der Beschreibung und der Figuren) unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens bzw. Könnens des Fachmannes zu prüfen, nicht durch eine isolierte Betrachtung der in den Ansprüchen definierten Merkmale der Erfindung.
2.2 Die Parteien haben sich in der mündlichen Verhandlung lediglich auf ihre Ausführungen im schriftlichen Verfahren bezogen. Dazu hat die Kammer in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK bereits ihre vorläufige Meinung geäußert (siehe Sachverhalt, unter Punkt IV), an der sie auch nach Beratung in der mündlichen Verhandlung festgehalten hat.
Da beide Parteien insoweit einer abgekürzten Entscheidung gemäß Artikel 15 (7) VOBK 2020 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern in der seit 1. Januar 2020 geltenden Fassung zugestimmt haben, verweist die Kammer auf die im Sachverhalt unter IV. wiedergegebenen Abschnitte der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK und ergänzt diese wie folgt:
2.3 Wie unter Punkt 6.1 der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK festgestellt, kann die Kammer kein Problem hinsichtlich der Ausführbarkeit des Schrittes i) erkennen. Die Kammer folgt dabei nicht der von der Einspruchsabteilung getroffenen engen Auslegung des Schrittes iii) in Anspruch 1, wie im Folgenden dargelegt:
Die "Verringerung der Menge aktivierbaren Verbindungsmittels an Stellen mit hoher Verformung ... des strukturellen Bauteils im berechneten Crashverhalten des FE-Modells" gemäß Merkmal iii) ist nicht notwendigerweise als zeitlich sequentielle Abfolge ausgehend von einer ersten Menge größer Null - im Sinne eines iterativen Verfahrens - zu verstehen, sondern umfasst auch eine räumliche Variation der Verteilung des Verbindungsmittels gemäß dem zuvor berechneten Crashverhalten des FE-Modells. So kann an Stellen hoher Verformung gegenüber Stellen geringerer Verformung weniger Verbindungsmittel vorgesehen sein (z. B. indem auf das Trägerteil bei der Herstellung des Verstärkungsteils gemäß Schritt iv) weniger Verbindungsmittel aufgetragen wird, oder indem an einem vorgefertigten Verstärkungsteil an entsprechenden Stellen Verbindungsmittel abgetragen wird). Damit umfasst Anspruch 1 auch ein Ausführungsbeispiel, bei dem an Stellen hoher Verformung kein Verbindungsmittel vorgesehen ist, wie in Figur 1b) des Streitpatents dargestellt. Der auf einer engeren Auslegung des Schrittes iii) beruhende Einwand der Beschwerdeführerin ist somit unbeachtlich. Der Ausgangszustand für den Schritt iii) mag zwar nicht eindeutig definiert sein, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, da von Stellen hoher Verformung mit Verbindungsmittel oder ohne Verbindungsmittel ausgegangen werden kann. Dies ist aber ein Problem der Klarheit und kann gegen den erteilten Anspruch 1 nicht mehr geltend gemacht werden.
2.4 Bezüglich des Arguments der Beschwerdeführerin, dass in Anspruch 1 wesentliche Merkmale fehlten (und zwar: ein geringerer Abstand des Trägerteils zum strukturellen Bauteil an Stellen hoher Verformung gegenüber Stellen geringer Verformung) und der beanspruchte Gegenstand nicht über den gesamten Bereich ausführbar sei, verweist die Kammer auf ihre Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK, Punkt 6.2.
2.5 Zum Einwand, dass das Erstellen eine FE-Modells gemäß den Schritten i) und i') unzureichend offenbart sei, verweist die Kammer auf Punkt 6.3 der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK.
Die Beschwerdeführerin hat in diesem Zusammenhang zwei weitere, für die vorliegende Entscheidung relevante Punkte angesprochen, zu denen die Kammer wie folgt Stellung nimmt:
2.5.1 Ausführungen der Beschwerdeführerin zum Gutachten D8 sind unbeachtlich, da die Kammer - wie bereits ausgeführt (siehe 1.) - keinen Grund sieht, die Eremessensentscheidung der Einspruchsabteilung D8 nicht in das Verfahren zuzulassen zu korrigieren.
2.5.2 Die Beschwerdeführerin sieht die Schritte i) und i') als rein mathematisch und nicht-technisch an, so dass sie bei der Beurteilung der Patentfähigkeit nicht zu berücksichtigen seien. Nachdem die Schritte i) und i') eine Modellbildung mittels Finite-Elemente-Methode betreffen, um daraus in Schritt ii) ein Crashverhalten zu berechnen, auf dessen Grundlage mittels der Schritte iii) und iv) dann ein Verstärkungsteil entworfen und nachfolgend hergestellt wird, ist nach Auffassung der Kammer ein technischer Charakter dieser Merkmale gegeben. Dies trifft auch auf Merkmal iii) zu, auch wenn dieses noch nicht die konkrete Herstellung des Verstärkungsteils betrifft.
2.6 Das Argument der Beschwerdeführerin , dass Schritt iii) nicht eindeutig sei, ist nach Auffassung der Kammer ein Klarheitseinwand gegen das erteilte Patent. Dieser ist im Beschwerdeverfahren nicht mehr zu berücksichtigen, da Klarheit kein Einspruchsgrund ist (siehe auch oben, 1.3).
3. Neuheit (Artikel 54 (1) EPÜ)
3.1 Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ist neu gegenüber der Offenbarung der D1 (Artikel 54 (1) EPÜ). Weitere Neuheitsangriffe seitens der Beschwerdeführerin wurden nicht mehr aufrechterhalten.
3.2 D1 mag zwar (siehe Figur 2) Simulationen des Crashverhaltens für ein Strukturteil ohne und mit Verstärkungsteil auf der Grundlage von FE-Modellen (Seite 18, rechte Spalte) und damit die alternativ beanspruchten Merkmale i) und i') sowie Merkmal ii) offenbaren. D1 spricht auch die Validierung mittels Prototypen an (Spalte 18, mittlere Spalte) und zeigt in Figur 2 entsprechende Testergebnisse mit in dem Strukturteil platziertem Verstärkungsteil, so dass auch die Merkmale iv) und v) aus D1 bekannt sind.
Die Kammer kann aber keine eindeutige und unmittelbare Offenbarung für einen Verfahrensschritt "Verringerung der Menge aktivierbaren Verbindungsmittels an Stellen mit hoher Verformung gegenüber Stellen mit geringer Verformung des strukturellen Bauteils im berechneten Crashverhalten des FE-Modells" erkennen, wie mit dem Schritt iii) in Anspruch 1 gefordert.
Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin zu, dass Schritt iii) einen Bezug zu der Berechnung des Crashverhaltens in Schritt ii) herstellt und somit eine Verringerung der Menge des aktivierbaren Verbindungsmittels abhängig von der Analyse bzw. Auswertung des Crashverhaltens und den dabei identifizierten Stellen hoher Verformung fordert. Das in D1 auf Seite 16 gezeigte Produkt zeigt allenfalls Eigenschaften auf, die ein Produkt nach dem beanspruchten Verfahren ebenfalls aufweist, ohne dass daraus eine eindeutige Offenbarung des Verfahrensschritts iii) des Anspruchs 1 folgert. Die von der Beschwerdegegnerin angeführten Fundstellen sprechen sogar dagegen, da die in D1 vorgenommene Optimierung nur die Materialauswahl hinsichtlich des Trägerteils und des Schaums sowie Randbedingungen der Computermodellierung betrifft. D1 mag so lediglich von einem vorgegebenen Design des Verstärkungsteils ohne Anpassung der Menge des Verbindungsmittels ausgehen, wie auf Seite 16 und in Figur 1 gezeigt.
Selbst wenn das auf Seite 16 gezeigte Verstärkungsteil, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, das Ergebnis einer Berechnung des Crashverhaltens sein sollte und Schritt iii) nicht im Sinne einer Iteration ausgehend von einem Ausgangszustand mit auf dem Trägerteil aufgetragenen Verbindungsmittel verstanden wird (was in D1 definitiv nicht gezeigt ist), so findet sich in D1 doch jedenfalls kein Hinweis, dass die räumliche Verteilung des geschäumten Materials an den mittels FE-Simulation ermittelten Verformungsgrad des strukturellen Bauteils angepasst wurde. Das Design des in D1 gezeigten, aus einer skelettartigen Struktur und aufgeschäumtem Material bestehenden Verstärkungsteils mag wie bereits ausgeführt zwar hinsichtlich der Materialauswahl und der FE-Modellbildung per Simulation optimiert worden sein. Damit offenbart D1 aber noch keine "Verringerung" der Menge des Verbindungsmittels - weder iterativ noch im Sinne einer gezielten Variation von dessen räumlicher Verteilung - an Stellen hoher Verformung gegenüber Stellen geringer Verformung aufgrund einer Erkenntnis nach Berechnung des Crashverhaltens des FE-Modells, also dem Ergebnis der FE-Simulation, wie mit Merkmal iii) gefordert.
4. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
4.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 wie erteilt beruht ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
4.2 Die Kammer sieht den wesentlichen Unterschied darin, dass der Schritt iii) des Anspruchs 1 des Streitpatents nicht in D2 gezeigt ist. Wie bereits vorstehend zur Neuheit ausgeführt, fordert dieser Schritt iii) im Verständnis der Kammer entweder eine iterative, d. h. zeitlich auf einen Ausgangszustand (der gemäß Merkmal i') mit im Hohlraum angeordneten Verstärkungsteil simuliert wurde) folgende Verringerung der Menge an Verbindungsmittel, oder aber (ausgehend von einer Simulation ohne Verstärkungsteil gemäß Merkmal i)) eine Variation der räumlichen Verteilung des Verbindungsmittels entsprechend dem Ergebnis der Berechnung des Crashverhaltens des FE-Modells aus Schritt ii).
4.2.1 Absatz [0029] in D2 gibt einen Hinweis auf ein schäumendes Material 34 als Verbindungsmittel des dem Trägerteil entsprechenden Stützskeletts zur Innenwand der B-Säule, wie in der Schnittdarstellung der Figur 6 gezeigt, die einen Schnitt im Bereich der Längsrippen des Stützskeletts darstellt (siehe Figur 3). Dieser Schaum wird hinzugefügt, um eine sichere und klapperfreie Verbindung zu realisieren und Toleranzen auszugleichen. Auch Absatz [0014] in D2 spricht nur allgemein von einem vorteilhaften Auftragen von Klebstoff oder Haftschaum als Verbindungsmittel des Trägerteils mit der Innenwand des Hohlkörpers bzw. des strukturellen Bauteils. Eine zeitlich iterative Verringerung der Menge an Verbindungsmittel ausgehend von einem Ausgangszustand mit einer ursprünglich vorhanden Menge Verbindungsmittel ist nicht gezeigt.
4.2.2 Es findet sich aber auch kein Hinweis in D2 über eine gezielte Variation der räumlichen Verteilung des Schaums gemäß Merkmal iii), also nach Identifizierung der Stellen hoher und geringer Verformung des strukturellen Bauteils bei Berechnung des Crashverhaltens des FE-Modells. Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin zu, dass die in D2 (Absätze [0010] und [0025]) angesprochene Modellierung und Analyse per Computersimulation lediglich die Ausgestaltung des Stützskeletts in Bezug auf Festigkeit und Design betrifft. Es wird keine Verformung des strukturellen Bauteils in D2 (also der B-Säule entweder mit oder ohne eingelegtem Stützskelett) im berechneten Crashverhalten in D2 ermittelt, so dass D2 keine Anpassung der Menge des Schaums bzw. Verbindungsmittels an Stellen hoher Verformung gegenüber Stellen geringer Verformung des strukturellen Bauteils im Sinne von Schritt iii) ("Verringerung") zeigen kann.
4.2.3 Die D2 liefert auch keinen Hinweis, dass die räumliche Verteilung des schäumenden Materials oder Klebstoffs (des Verbindungsmittels) auf dem Stützskelett (dem Trägerteil) in irgendeiner Weise vom Ergebnis der Computersimulation abhängig gemacht werden kann. Damit wird der Verfahrensschritt iii) nach Auffassung der Kammer für den Fachmann auch nicht durch D2 nahegelegt, geht man von der im Streitpatent (siehe Absatz [0008]) zutreffend formulierten Aufgabe aus, bei einer verstärkten Struktur Gewicht zu verringern und gleichzeitig die benötigte Stabilität zu gewährleisten.
D2 mag zwar die Idee zeigen (Absatz [0005]), ein Verstärkungsteil ohne lasttragende Schaumteile bereitzustellen, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, bzw. erkennen lassen, dass kein Verbindungsmittel an Stellen hoher Verformung wünschenswert sein kann. Die Kammer kann aber nicht feststellen, dass aus den Figuren der D2 abzuleiten wäre, dass aus der computergestützten Berechnung des Crashverhaltens (die in D2 für das Stützskelett durchgeführt wird) Stellen hoher und geringer Verformung des strukturellen Bauteils identifiziert werden und die Menge an Verbindungsmittel (Klebstoff oder Haftschaum in D2) entsprechend dieser Verformung gewählt wird, also an Stellen hoher Verformung verringert wird. Dies ist weder aus dem in Figur 6 gezeigten Querschnitt der B-Säule im Bereich der Längsrippen des Stützskeletts (siehe Figur 3) abzuleiten, noch aus der Darstellung der B-Säule in Figur 3, die - in Zusammenschau mit dem einzigen Schnitt im Bereich der Längsrippen wie in Figur 6 dargestellt - keine Aussage über die Verteilung des Schaums 34 in Längsrichtung der B-Säule erlaubt.
Das Argument der Beschwerdeführerin, dass in Figur 6 kein Schaum 34 zum äußeren Blechteil 30 der B-Säule hin und damit im Bereich hoher Verformung der B-Säule vorgesehen sei, kann nicht belegen, dass diese Verteilung des Schaums in D2 über den Querschnitt der B-Säule das Ergebnis einer FE-Simulation des strukturellen Bauteils aus D2 ist, wie mit den Merkmalen des Verfahrensanspruchs 1 gefordert. Die Kammer folgt der Beschwerdeführerin auch nicht darin, dass die mit Schritt iii) spezifizierte Verringerung des Verbindungsmittels unwesentlich, nachteilig und ohne überraschende technische Wirkung sei, da gerade damit die Aufgabe des Streitpatents gelöst wird.
4.2.4 Da wie zur Neuheit weiter oben ausgeführt Dokument D1 keinen Verfahrensschritt iii) offenbart, kann dieser ausgehend von D2 auch nicht durch D1 nahegelegt werden.
Zu Dokument D4, das von der Beschwerdeführerin als Beleg für das Weglassen von Schaum in bestimmten Bereichen angeführt wurde, hat die Beschwerdeführerin nicht vorgetragen, wie daraus eine iterative Verringerung oder eine räumliche Verteilung von Verbindungsmittel im Sinne von Verfahrensschritt iii) nahegelegt sein soll.
4.3 Somit ist es auch unerheblich, dass D2 kein FE-Modell zeigt, sondern allenfalls die Simulation des Crashverhaltens mittels Computermodell und dass dieser Unterschied für sich genommen, (z. B. angesichts der Lehre von D1) keine erfinderische Tätigkeit begründen könnte.
4.4 Das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D2 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen oder mit D1 oder D4 ist somit für den Gegenstand von Anspruch 1 anzuerkennen.
5. Alternative Angriffslinie zur erfinderischen Tätigkeit
5.1 Die Beschwerdeführerin beantragte erstmals in der mündlichen Verhandlung, eine alternative Angriffslinie zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von Dokument D4 als nächstliegendem Stand der Technik vorzutragen.
Für den Fall der Nichtzulassung dieser Angriffslinie in das Verfahren beantragte sie die Zurückverweisung an die erste Instanz zur weiteren Prüfung.
5.2 Diese neue Angriffslinie stellt eine wesentliche Änderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin zum spätest möglichen Zeitpunkt dar, deren Zulassung in das Verfahren im Ermessen der Kammer liegt (Artikel 114 (2) EPÜ und Artikel 13 (1) VOBK 2020, sowie Artikel 13(1) und (3) VOBK 2007; Artikel 13 (2) VOBK 2020 findet gemäß Übergangsbestimmungen des Artikels 25 (3) VOBK 2020 der am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen neuen Verfahrensordnung der Beschwerdekammern noch keine Anwendung im Falle geänderten Vorbringens nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung).
5.3 Zwar wird in der Beschwerdebegründung (Seite 19) Dokument D4 genannt, um eine FE-Modellierung und das Weglassen von Schaum an bestimmten Stellen (Figur 12 in D4) als bekannte Design-Maßnahme zu belegen.
Es wurde aber bisher nicht vorgetragen, dass D4 eine Identifizierung von Stellen hoher und geringer Verformung des strukturellen Bauteils auf Basis einer FE-Modellierung und der Berechnung des Crashverhaltens zeigt sowie eine dem Grad der Verformung entsprechende Verringerung der Menge des Verbindungsmittels oder eine dem Verformungsgrad entsprechende räumlich variierte Verteilung von Verbindungsmittel. Es wäre damit erstmalig in der mündlichen Verhandlung eine neue Diskussion zu führen gewesen, auf die weder die Kammer noch die Beschwerdegegnerin vorbereitet waren.
Das Argument der Beschwerdeführerin, dass nicht bereits in der vorläufigen Meinung der Kammer die Neuheit gegenüber D1 aufgrund des fehlenden Bindeglieds zwischen FE-Modell und dem Design des Verstärkungsteils anerkannt wurde, kann die späte Vorlage der neuen Angriffslinie nicht rechtfertigen, da bereits in der angefochtenen Entscheidung dieses Unterschiedsmerkmal festgestellt wurde.
5.4 Aus diesen Gründen und unter Berücksichtigung des Standes des Verfahrens und der Verfahrensökonomie hat die Kammer in Ausübung ihres nach Artikel 13 (1) VOBK 2007 und 2020 eingeräumten Ermessens die neue Angriffslinie ausgehend von D4 nicht ins Verfahren zugelassen. Eine Vertagung der mündlichen Verhandlung wäre nach Artikel 13(3) VOBK 2007 nicht in Betracht gekommen.
5.5 Eine Zurückverweisung an die Vorinstanz ist gemäß Artikel 11 VOBK 2020 nur statthaft, wenn besondere Gründe (wie ein Verfahrensfehler) dafür sprechen. Die Beschwerdeführerin hat allerdings keine besonderen, für eine Zurückverweisung sprechenden Gründe vorgebracht, und auch die Kammer kann vorliegend keine derartigen Gründe erkennen.
Dem Antrag der Beschwerdeführerin, im Falle der Nichtzulassung der Argumentationslinie ausgehend von D4 als nächstliegendem Stand der Technik die Sache an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, wurde deshalb nicht stattgegeben.
6. Zulassung von verspäteten Dokumenten
Die erst mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente D9 bis D14 sowie die mit Beschwerdeerwiderung von der Beschwerdegegnerin eingereichten Unterlagen D15 bis D17 sind für die vorliegende Entscheidung unbeachtlich, so dass die Frage der Zulassung in das Beschwerdeverfahren nicht zu entscheiden ist.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.