T 1916/16 () of 24.4.2018

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2018:T191616.20180424
Datum der Entscheidung: 24 April 2018
Aktenzeichen: T 1916/16
Anmeldenummer: 10726973.0
IPC-Klasse: B60G 21/055
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: HALTEVORRICHTUNG FÜR EIN LAGER EINES ACHSSTABILISATORS
Name des Anmelders: 1.BASF SE
2.Schneegans GmbH
Name des Einsprechenden: Bayerische Motoren Werke Aktiengesellschaft
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention R 103(1)(a)
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Schwerwiegender Verfahrensmangel - (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts, die am 29. Juni 2016 zur Post gegeben wurde und mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2445737 aufgrund des Artikels 101 (2) EPÜ zurückgewiesen worden ist.

II. Die Einspruchsabteilung hat u.a. entschieden, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 im Hinblick auf die Kombination der Dokumente

US 6,123,352 (E1) und

WO 2009/056442 (E9)

nicht nahegelegt ist.

III. Am 24. April 2018 wurde mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen sowie die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.

Die Beschwerdegegnerinnen (Patentinhaberinnen 1 und 2) beantragten die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 oder 2, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung, aufrechtzuerhalten.

IV. Der Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt:

Haltevorrichtung für ein Lager eines Achsstabilisators in einen Kraftfahrzeug, umfassend eine Aufnahme für den Achsstabilisator aus einem elastischen Material sowie einen Haltebügel (1), der aus einem Polymermaterial gefertigt ist, der die Aufnahme aus dem elastischen Material zumindest teilweise umschließt,

dadurch gekennzeichnet,

dass der Haltebügel (1) zwei umlaufende tragende Wandungen (3, 5) aufweist, die durch eine Rippenstruktur(7) miteinander verbunden sind und eine Geometrie aufweist, die einer durch nachfolgende Schritte bestimmten Geometrie entspricht:

(a) Berechnung eines Ausnutzungsgrades der Festigkeit des Haltebügels (1) durch eine Simulationsrechnung,

(b) Anpassen der Geometrie des Haltebügels (1) und/oder der Lage des mindestens einen Anspritzpunktes des Haltebügels (1) an das Ergebnis der Simulationsrechnung,

wobei eine Verringerung der Wanddicke, Reduzierung der Anzahl an Versteifungselementen (7) oder eine Verkleinerung der Versteifungselemente (7) erfolgt, wenn der Ausnutzungsgrad einen vorgegebenen oberen Grenzwert übersteigt und

eine Erhöhung der Wanddicke, eine Erhöhung der Anzahl an Versteifungselementen (7) oder eine Verstärkung der Versteifungselemente (7) erfolgt, wenn der Ausnutzungsgrad einen vorgegebenen unteren Grenzwert unterschreitet,

(c) Wiederholen der Schritte (a) und (b), wenn n Schritt (b) eine Änderung der Geometrie des Haltebügels (1) und/oder der Lage des mindestens einen Anspritzpunktes durchgeführt wurde.

V. Der Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 1, vorgelegt mit der Beschwerdebegründung, wird ergänzt um das folgende Merkmal:

[...]

wobei das Polymermaterial, aus dem der Haltebügel (1) gefertigt ist, ein faserverstärkter Kunststoff ist.

VI. Der Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 2, ebenfalls vorgelegt mit der Beschwerdebegründung, wird ergänzt um das folgende Merkmal:

[...]

[...]

vor der Berechnung des Ausnutzungsgrades der Festigkeit des Haltebügels (1) in Schritt (a) eine Simulationsrechnung zur Bestimmung der Orientierung der Fasern im faserverstärkten Kunststoff und der Bindenähte im Bauteil durchgeführt wird.

VII. Die Argumente der Beschwerdeführerin - soweit sie für die Entscheidung wesentlich waren - lauteten wie folgt:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Eine Haltevorrichtung für ein Lager eines Achsstabilisators umfassend eine Aufnahme aus elastischem Material für den Achsstabilisator sowie einen Haltebügel sei aus E1 bekannt. Der Haltebügel sei bereits aus einem Polymermaterial gefertigt, so dass der Unterschied lediglich in den zwei umlaufenden Wandungen, die durch eine Rippenstruktur miteinander verbunden seien, und den Verfahrensschritten bestehe.

Die sich dadurch ergebende Aufgabenstellung bestehe darin Gewicht, Material und Bauraum einzusparen. Dies aber sei ebenfalls die in Dokument D9 genannte Aufgabe, welches ein Verfahren zur Optimierung von Polymerbauteilen, auch Fahrwerksbauteilen (siehe Anspruch 10) vorstelle. Die dort offenbarten Verfahrens­schritte (siehe Seite 2) seien dieselben, wie die in E9. Weiterhin seien in E9 zwei umlaufende Wandungen zu sehen und eine Rippenstruktur, die diese abstütze. Somit käme der Fachmann, ausgehend von E1 mit dem in E9 offenbarten Verfahren zur der Ausgestaltung des Haltebügels gemäß der Merkmalskombination des Anspruchs 1.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr entspreche der Billigkeit. Die Beschwerdeführerin habe mit Schreiben vom 3. Januar 2016 vorgebracht, dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 13 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und dies mit der Kombination der Dokumente E9 und E10 begründet.

In ihrer Entscheidung habe die Einspruchsabteilung zu dieser Argumentation aber nicht Stellung bezogen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Einspruchsabteilung, hätte sie E9 in Kombination mit E10 berücksichtigt, zu einer anderen Auffassung gekommen wäre.

VIII. Die Beschwerdegegnerinnen begegnen diesen Argumenten wie folgt:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 wie erteilt beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die Vorrichtung gemäß E1 offenbare bereits einen Haltebügel aus Polymer, der gewichtsoptimiert ausgeführt sei. In der Figur 2 der E1 seien Rippen zu erkennen, die aus Gewichtsgründen vorhanden seien. Daher habe der Fachmann keine Veranlassung, die Konstruktion der E1 zu verändern. Auch könne er, wenn er die Konstruktion weiter verfeinern wolle, nicht auf die E9 zurückgreifen, da das dort offenbarte Verfahren sich ausweislich des letzten Absatzes auf der Seite 2 nur für auf Druck und Zug belastete Bauteile eigne. Da jedoch der Haltebügel eines Achsstabilisators - anders als andere Fahrwerksteile - vornehmlich auf Torsion belastet sei, würde der Fachmann E9 nicht in Betracht ziehen, auch wenn die Verfahrensschritte, die E9 offenbare, im Wesentlichen dieselben seien, wie die im Streitpatent.

Zu dem jeweiligen Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bzw. 2 werde auf das Vorbringen zum Hauptantrag verwiesen. Es werde nicht bestritten, dass die zusätzlichen Merkmale des Hilfsantrag 1 bzw. 2 ebenfalls in E9 offenbart seien.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der Gegenstand gemäß dem erteilten Anspruch 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ.

2.1 Das Dokument E1 stellt den nächsten Stand der Technik dar und offenbart eine Haltevorrichtung für ein Lager eines Achsstabilisators, mit einem Haltebügel aus Polymermaterial, der eine Aufnahme aus elastischem Material umschließt.

2.2 Der erfindungsgemäße Gegenstand unterscheidet sich von der Haltevorrichtung gemäß E1 dadurch, dass der Haltebügel zwei umlaufende Wandungen aufweist, die durch eine Rippenstruktur miteinander verbunden sind.

2.3 Die mit den unterscheidenden Merkmalen zu lösende Aufgabe besteht darin, eine Haltevorrichtung für ein Lager eines Achsstabilisators bereitzustellen, der ein geringeres Gewicht als eine herkömmliche Haltevorrichtung mit einem Haltebügel aus Polymermaterial aufweist, vgl. Paragraph [0007] der Patentschrift.

2.4 Das Dokument E9 offenbart unstrittig ein Verfahren zur Auslegung eines Fahrwerkslagers aus Polymermaterial, mit zwei umlaufenden Wandungen, die mit einer Rippenstruktur verbunden sind und wobei die Wandstärke mit einem Verfahren gemäß der Schritte (a) bis (c) ermittelt wird. Durch das bekannte Verfahren lässt sich u.a. Material und damit Gewicht einsparen (siehe Seite 3, Zeile 26).

2.5 Das Argument der Beschwerdegegnerinnen, nämlich dass E1 bereits eine gewichtsoptimierte Konstruktion offenbare und dass daher der Fachmann deren Änderung nicht in Betracht zöge, kann die Kammer nicht überzeugen.

Der Fachmann würde vielmehr die Lehre des Dokuments E9 heranziehen um den Polymerhaltebügel der E1 weiter zu optimieren und durch eine Variante mit zwei umlaufenden Wandungen, die durch eine Rippenstruktur abgestützt sind, zu ersetzen.

Die Pendelstütze gemäß E9 offenbart zwei Wandungen, die mit einer ringförmigen Rippenstruktur verbunden sind, siehe Figur 2 und Seite 8, Zeilen 22 ff. Anspruch 10 der E9 verweist explizit auf Fahrwerksteile.

Letztlich wird auch nicht in Frage gestellt, dass die Schritte zur Bestimmung der Geometrie des Haltebügels des angegriffenen Anspruchs 1 auch in derselben Art und Weise in E9 für die Pendelstütze offenbart sind.

2.6 Die Beschwerdegegnerinnen tragen dazu aber vor, dass aufgrund der besonderen Belastung einer Halterung für Achsstabilisatoren durch Torsionsmomente sich das Verfahren gemäß E9 nicht zur Anwendung auf derartige Fahrwerksteile eigne. Schließlich diskutiere E9 auf der Seite 2, letzter Absatz auch nur Druck- und Zugbelastungen.

Diesem Argument folgt die Kammer ebenfalls nicht.

Die zitierte Passage auf der Seite 2 unten setzt sich nicht etwa mit dem Zug- und Druckverhalten der in E9 offenbarten Pendelstütze auseinander, sondern mit den nicht linear-viskoplastischen Eigenschaften von Polymeren auseinander und der dadurch bedingten Schwierigkeit, das Betriebsverhalten derartiger Kunststoffe in der Entwicklungsphase vorherzusagen.

Dieses Problem wird allerdings in E9 durch ein Verfahren zur Auslegung von Wandstärken statisch oder dynamisch belasteter Bauteile gelöst und besteht im Wesentlichen aus den im Anspruch 1 genannten Schritten.

Es ist nun für die Kammer nicht erkennbar, warum der Fachmann das in E9 offenbarte Verfahren nicht auch auf Fahrwerksteile, die auf Torsion belastet sind, anwenden sollte. Auch brachten die Patentinhaberinnen keine Argumente vor, die eine Einschränkung des in E9 offenbarten Verfahrens auf Belastungen ohne Torsion begründet hätten.

3. Die Gegenstände des jeweiligen Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1 bzw. 2 beruhen ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ.

Der Anspruch 1 des Hilfsantrag 1 enthält als zusätzliches Merkmal das Merkmal des erteilten Anspruchs 2, dass das Polymermaterial ein faserverstärkter Kunststoff ist.

Zusätzlich enthält Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 das Merkmal des erteilten Anspruchs 3, wonach bei der Berechnung der Festigkeit die Orientierung der Fasern des Kunststoffs berücksichtigt werden.

Beide hinzugefügten Merkmale sind ebenfalls der E9 zu entnehmen, vgl. Seite 2, Absatz 2, Absatz 3 sowie Seite 6, Absatz 2. Insofern können dieses Merkmale keinen Beitrag zur erfinderischen Tätigkeit liefern.

Dies wird von den Patentinhaber­innen/Beschwerde-gegnerinnen nicht bestritten.

4. Die Beschwerdegebühr wird zurückerstattet, Regel 103 (1) a) EPÜ.

Mit der Beschwerdebegründung moniert die Beschwerdeführerin, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung die Argumentationslinie, E9 lege in Kombination mit E10 den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 13 nahe, nicht berücksichtigt wurde und stellt daher einen wesentlichen Verfahrensfehler in Form eines Begründungsmangels dar.

Dieses Argument ist schon mit Schreiben vom 3. Januar 2016 vorgebracht worden, siehe dort, Seite 16, unten, III.4.b, a).

Dies ist nach Ansicht der Kammer richtig. Die Entscheidung Punkt 4.4 (siehe Seite 14, unten) setzt sich nicht mit der vorgebrachten Argumentationslinie auseinander.

Somit ist nicht auszuschließen, dass die Einspruchsabteilung unter Berücksichtigung von E9 in Kombination mit E10 zu einer anderen Auffassung gekommen wäre. Da hiermit ein schwerwiegender Verfahrensfehler vorliegt, ist die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

3. Dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird stattgegeben.

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