T 1561/16 () of 19.9.2017

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2017:T156116.20170919
Datum der Entscheidung: 19 September 2017
Aktenzeichen: T 1561/16
Anmeldenummer: 01913620.9
IPC-Klasse: B60K 31/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUR UNTERBRECHUNG EINER GESCHWINDIGKEITS- ODER ABSTANDSREGELUNG EINES REGELSYSTEMS EINES KRAFTFAHRZEUGS
Name des Anmelders: ROBERT BOSCH GMBH
Name des Einsprechenden: Conti Temic Microelectronic GmbH
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts, die am 13. Mai 2016 zur Post gegeben wurde und mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1185431 aufgrund des Artikels 101 (2) EPÜ zurückgewiesen worden ist.

II. Die Einspruchsabteilung hat u.a. entschieden, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 im Hinblick auf das Dokument

DE 199 13 620 A1 (D1)

auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende Beschwerde eingelegt.

III. Am 19. September 2017 wurde mündlich verhandelt.

Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage der Ansprüche gemäß Hilfsantrag, eingereicht mit Schreiben vom 9. Juni 2017.

IV. Der Anspruchs 1 wie erteilt lautet wie folgt:

Verfahren zur Unterbrechung einer Geschwindigkeits- oder Abstandsregelung eines Regelsystems (10) eines Kraftfahrzeugs, dadurch gekennzeichnet, dass wenn der Fahrer durch Betätigen eines Schalters (5) den momentanen Regelmodus unterbricht, dass das Regelsystem (10) im Antriebsfall einen Sollbeschleunigungswert (bsoll) nach einem vorgegebenen Algorithmus reduziert, bevor es die Regelung abschaltet, und im Bremsfall den Sollbeschleunigungswert (bsoll) erhöht, bevor es die Regelung abschaltet, wodurch ein weicher Übergang vom Regelbetrieb in einen Standby-Modus erzielt wird.

V. Der Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag lautet wie folgt (Der wesentliche Unterschied zum Anspruch 1 wie erteilt ist im Fettdruck hervorgehoben; Hervorhebung durch die Kammer):

Verfahren zur Unterbrechung einer Geschwindigkeits- oder Abstandsregelung eines Regelsystems (10) eines Kraftfahrzeugs, bei dem der Fahrer durch Betätigen eines Schalters (5) den momentanen Regelmodus unterbricht, so dass das Regelsystem (10) im Antriebsfall einen Sollbeschleunigungswert (bsoll) nach einem vorgegebenen Algorithmus reduziert, bevor es die Regelung abschaltet, und im Bremsfall den Sollbeschleunigungswert (bsoll) erhöht, bevor es die Regelung abschaltet, wodurch ein weicher Übergang vom Regelbetrieb in einen Standby-Modus erzielt wird, dadurch gekennzeichnet, dass das Fahrzeug mit einem automatischen Getriebe ausgestattet ist und bis zum Abschalten des Regelsystems ein Umschalten in einen anderen Getriebegang verhindert wird.

VI. Die Argumente der Beschwerde­führerin - soweit sie für die Entscheidung wesentlich waren - lauteten wie folgt:

Das Verfahren gemäß Anspruch 1 wie erteilt sei dem Fachmann nahegelegt durch das Dokument D1.

Tatsächlich unterscheide sich das erfindungsgemäße Verfahren vom Stand der Technik nach D1 nur dadurch, dass der Fahrer durch Betätigen eines Schalters den Regelmodus unterbreche und dann ebenfalls ein weicher Übergang zum Standby Modus durchgeführt werde. Dies bedeute letztlich nichts anderes, als dass ein bekanntes Verfahren mit den bekannten Vorteilen nicht nur bei der automatischen Abschaltung an der unteren Systemgrenze, sondern mit denselben Vorteilen auch bei der manuellen Deaktivierung durch den Fahrer verwendet werde.

Dies aber könne nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen, da die Maßnahmen und Auswirkungen für den Fachmann direkt aus der analogen Anwendung übernommen werden könnten und somit nahegelegt seien.

Auch die Verwendung eines automatischen Getriebes und die Verhinderung eines Gangwechsels während des weichen Übergangs gemäß dem zusätzlichen Merkmal von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag könne keine erfinderische Tätigkeit darstellen. Letztlich wisse der Fachmann, dass Gangwechsel unter bestimmten Umständen zu einem Ruck im Fahrzeug führen können. Damit aber würde die erfinderische Wirkung, nämlich einen weichen Übergang zu erzielen, konterkariert. Daher sei es für den Fachmann klar, dass er zur Erzielung eines weichen Abschaltvorgangs auf einen Gangwechsel verzichten müsse.

Weitere Einwände gegen den Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag würden nicht erhoben.

Die schriftlich vorgebrachten Einwände zum Verfahrensfehler und der Antrag zur Zurückzahlung der Beschwerdegebühr würden nicht weiter aufrechterhalten.

VII. Die Beschwerdegegnerin begegnete diesen Argumenten wie folgt:

Es sei korrekt, dass das einzige Merkmal des strittigen Anspruchs 1, welches D1 nicht offenbare, die Betätigung des Schalters durch den Fahrer (Merkmal B) sei und dass D1 die Merkmale C und D zeige.

Allerdings sei es für den Fachmann nicht naheliegend, das in D1 offenbarte Verfahren auch für die Deaktivierung per Schalter durch den Fahrer zu verwenden. Dieser Fall sei in D1 nicht angesprochen; der Schalter zur Deaktivierung werde überhaupt nur in Zusammenhang mit dem Stand der Technik genannt, denn D1 setze sich mit einem Randproblem der Geschwindigkeits- und Abstandsregelung auseinander, nämlich dem der automatischen Abschaltung, wenn das geregelte Fahrzeug in einen Geschwindigkeitsbereich komme, der unterhalb der niedrigsten regelbaren Geschwindigkeit läge. Genau auf diesen Fall des Erreichens einer Systemgrenze sei D1 ausgerichtet, nicht aber für den normalen Betrieb.

Daher könne der Fachmann aus D1 keine Lehre ziehen, die ihn zum Gegenstand des Streitpatents führe.

Der Anspruch 1 des Hilfsantrags beinhalte weiter ein automatisches Getriebe und als Verfahrensmerkmal, dass es keinen Gangwechsel während des weichen Übergangs gebe.

Damit sollte verhindert werden, dass durch mögliche Gangwechsel beim Abschalten der Regelung ein Ruck entsteht. Da die Steuerung des automatischen Getriebes komplex sei und außer von der Drosselklappenstellung von weiteren Größen abhänge, zum Beispiel, ob das Fahrzeug bergauf oder bergab fahre, sei dieses Merkmal nicht naheliegend. Es gebe keinen Hinweis in D1, die Getriebesteuerung mit der Steuerung für die Geschwindigkeits- und Abstandsregelung zu verbinden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, da der Gegenstand durch das Dokument D1 dem Fachmann nahegelegt ist.

2.1 Das Dokument D1 offenbart unstrittig alle Merkmale des Anspruchs 1 wie erteilt, bis auf das Merkmal B) (vergleiche die Merkmalsgliederung in der Beschwerdebegründung, Seite 4), wonach der Fahrer durch Betätigen eines Schalters (5) den momentanen Regelmodus unterbricht, und dabei ein weicher Übergang vom Regelbetrieb in einen Standby-Moduls erzielt wird.

2.2 Die mit diesem Merkmal zu lösende Aufgabe besteht darin, die Komfortfunktion des weichen Übergangs nicht nur bei Unterschreitung der niedrigsten steuerbaren Geschwindigkeit verfügbar zu machen, sondern auch in anderen Situationen, in denen die Regelung aufgehoben wird.

2.3 Dieses Merkmal indes ist nicht in der Lage eine erfinderische Tätigkeit zu begründen.

Der Fachmann ist durch D1 bereits auf das Problem einer abrupten Änderung in der Fahrzeugbeschleunigung aufmerksam gemacht worden und weiß um das Problem des damit verbundenen Komfortverlusts.

Die Beschwerdegegnerin trägt vor, dass der Fachmann der D1 keinen Hinweis entnehmen könne, die Geschwindigkeits- und Abstandsregelung derart auszuführen, dass sie auch mit einem Schalter abschaltbar gestaltet sei.

Diese Sichtweise wird von der Kammer nicht geteilt. Typische Geschwindigkeits- und Abstandsregelsysteme sehen eine Möglichkeit vor, die Regelung fahrerseitig zu beenden; darauf wird in der Beschreibungseinleitung der D1 hingewiesen, vgl. Spalte 1, Zeilen 30 ff. und der Aufhebeschalter explizit erwähnt.

Auch hat die Beschwerdegegnerin keine Argumente vorgebracht, warum die in D1 offenbarte Lehre nur an der Systemgrenze und nicht im Falle des Abschaltens durch den Fahrer anwendbar ist.

Die Kammer schließt sich hier der Argumentation der Beschwerdeführerin an, dass die Maßnahmen und Auswirkungen für den Fachmann direkt aus der analogen Anwendung übernommen werden können und somit nahegelegt sind.

3. Auch der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem Hilfsantrag beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Das Verfahren des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag unterscheidet sich von dem aus D1 bekannten Verfahren durch das Merkmal B) (siehe Punkt 2.1 oben) und zusätzlich dadurch, dass

das Fahrzeug mit einem automatischen Getriebe ausgestattet ist und bis zum Abschalten des Regelsystems ein Umschalten in einen anderen Getriebegang verhindert wird.

3.1 Für den Fachmann, der bereits durch die D1 sensibilisiert wurde, dass abrupte Beschleunigungs­änderungen sich nachteilig auf den Komfort auswirken, wird - soweit es möglich ist - in der Phase der Abschaltungen weitere Ursachen, die einen Ruck auf das Fahrzeug ausüben könnten, verhindern. Er weiß nun auch, dass insbesondere Rückschaltungen bei automatischen Getrieben das Risiko eines Rucks und damit eines Komfortverlusts bergen.

Somit folgt die Kammer nicht der Argumentation der Beschwerdegegnerin, die vorträgt, dass der Fachmann der D1 überhaupt keine Veranlassung entnehmen könne, die Geschwindigkeits- und Abstandsregelung mit der Getriebesteuerung zu koppeln. Die Steuerung eines automatischen Getriebes hänge nämlich nicht nur von der Drosselklappenstellung - auf die D1 Bezug nehme - ab, sondern auch davon, ob das Fahrzeug bergauf oder bergab führe.

Das Diagramm gemäß der Figur 2 der D1 in S14 weist explizit auf die Ansteuerung des Getriebes hin. Auch wenn dort keine besondere Funktion der Getriebe­steuerung in Zusammenhang mit der Geschwindigkeits- und Abstands­regelung offenbart wird, ist dem Fachmann klar, dass die Getriebefunktion in der Zeit der Abschaltung nicht unberücksichtigt bleiben darf.

Somit liegt es ihm nahe, für die sehr kurze Zeit der Abschaltung des weichen Übergangs das Umschalten in einen anderen Getriebegang zu verhindern.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Das Patent wird widerrufen.

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