T 1530/16 () of 7.4.2020

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2020:T153016.20200407
Datum der Entscheidung: 07 April 2020
Aktenzeichen: T 1530/16
Anmeldenummer: 98105579.1
IPC-Klasse: B23G5/04
B23G5/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Schneidkopf
Name des Anmelders: REMS-WERK
Christian Föll und Söhne GmbH & Co
Name des Einsprechenden: Rothenberger AG
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54(2) (2007)
European Patent Convention Art 56-(2007)
Schlagwörter: -
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 3. Mai 2016 ein, in der festgestellt wurde, dass das Patent basierend auf dem damals geltenden Hilfsantrag 1 den Erfordernissen des EPÜ genügt.

II. Die Einspruchsabteilung kam zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 in der erteilten Fassung (Hauptantrag) nicht neu ist (Art. 54(2) EPÜ).

Die Einspruchsabteilung befand des weiteren, dass die Ansprüche des Hilfsantrags 1 die Anforderungen bezüglich ursprünglicher Offenbarung (Art. 123(2) EPÜ), Klarheit (Art. 84 EPÜ) sowie Neuheit und erfinderischer Tätigkeit (Art. 54(2) EPÜ, Art. 56 EPÜ) erfüllen.

III. Die Beschwerdeführerin hat beantragt, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten. Hilfsweise beantragte sie, das Patent gemäß dem zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag aufrechtzuerhalten.

Die Beschwerdegegnerin erwiderte nicht auf die Beschwerdebegründung.

IV. Folgende Entgegenhaltungen waren für die Entscheidung relevant:

D2: DE 88 14 364 U1

D3: EP 0 249 184

V. Die unabhängigen Ansprüche haben folgenden Wortlaut:

a) Hauptantrag (Anspruch 1 wie erteilt):

"Schneidkopf (1) für Gewindeschneideinrichtungen, wie Gewindeschneidkluppen und dgl., mit Gewindeschneidbacken (3-6), die in einem Schneidbackenhalter (2) angeordnet sind, der eine Aufnahmeöffnung aufweist, in die die zu bearbeitenden Rohrenden (17) von beiden Seiten einführbar sind, und bei dem an einer Seite ein Deckelteil (9) vorgesehen ist,

dadurch gekennzeichnet, daß zur Abstützung des zu bearbeitenden Rohres (17) am deckelseitigen Ende wenigstens ein hülsenförmiges Führungselement (19) vorgesehen ist, das axial über das Deckelteil (9) vorsteht."

b) Hilfsantrag 1 (Änderungen bezüglich Hauptantrag sind unterstrichen):

"Schneidkopf (1) für Gewindeschneideinrichtungen, wie Gewindeschneidkluppen und dergleichen, mit Gewindeschneidbacken (3 bis 6), die in einem Schneidbackenhalter (2) angeordnet sind, der eine Aufnahmeöffnung aufweist, in die die zu bearbeitenden Rohrenden (17) von beiden Seiten einführbar sind, und bei dem an einer Seite ein Deckelteil (9) vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass über eine Stirnseite (15) einer Schneidkopfhälfte (8) das eine Ende einer rohrförmigen Führung (14) für das Rohr (17) axial ragt, dass auf der Stirnfläche der anderen Schneidkopfhälfte (8a) das Deckelteil (9) sitzt, und dass zur Abstützung des zu bearbeitenden Rohres (17) am deckelseitigen Ende wenigstens ein hülsenförmiges Führungselement (19) vorgesehen ist, das axial über das Deckelteil (9) vorsteht und gleichen Innendurchmesser wie die Führung (14) aufweist."

VI. Zur Stützung ihrer Anträge hat die Beschwerdeführerin im Wesentlichen folgendes vorgebracht:

a) Hauptantrag:

Der Gegenstand des Anspruchs 1 umfasse nicht nur das im kennzeichnenden Teil genannte Führungselement (19) sondern zusätzlich eine Führung, die gattungsgemäß an der anderen Seite jedes Schneidkopfes vorhanden sei. Aus der Tatsache, dass das Führungselement (19) ausschließlich im kennzeichnenden Teil genannt sei, ergebe sich für den "verständigen Fachmann", dass dies nicht die Führung sein könne, die sowieso in jedem bekannten Schneidkopf vorhanden ist. Diese (erste) Führung sei implizit in dem Oberbegriff des Anspruchs enthalten.

Dies ergebe sich auch aus der Aufgabenstellung, die beschreibe, dass ein konventioneller Schneidkopf nur in einer Orientierung ausreichend geführt werde, nicht aber, wenn er um 180° gedreht verwendet werde.

Daraus ergebe sich, dass das Führungselement (19) ein zweites Führungselement sein müsse, das nötig sei um die gestellte Aufgabe zu lösen.

Zwei Führungen seien im Stand der Technik (Dokumente D2-D3) nicht offenbart. Deshalb führe auch eine Kombination dieser Dokumente nicht zum Gegenstand des Anspruchs.

b) Hilfsantrag:

Im Anspruch 1 seien explizit zwei Führungen definiert, die auch den gleichen Innendurchmesser aufwiesen. Da aus dem Stand der Technik nur Schneidköpfe mit genau einer Führung bekannt seien, sei der Gegenstand des Anspruchs 1 neu und erfinderisch.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerdeführerin beantragte zusammen mit der Beschwerdeschrift eine mündliche Verhandlung für den Fall, dass der Beschwerde nicht stattgegeben werden sollte.

Mit Schreiben vom 20. August 2019 teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie an der für den 18. Februar 2020 anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.

Nach gängiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist dies einer Rücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung gleichzustellen.

Die Beschwerdegegnerin hat sich nicht am Beschwerdeverfahren beteiligt.

Folglich kann die Entscheidung im schriftlichen Verfahren erfolgen (Art. 12 (8) VOBK).

2. Hauptantrag

2.1 Auslegung des Anspruchs

Anders als von der Beschwerdeführerin vorgetragen, führt allein die Tatsache, dass das Führungselement im kennzeichnenden Teil genannt ist, nicht zwingend dazu, dass der Oberbegriff implizit ein erstes Führungselement umfassen muss.

Gerade weil aus dem Stand der Technik Schneidköpfe bekannt sind, die an einer Seite eine Führung aufweisen, umfasst - anders als z.B. im Falle eines Fahrrads, bei dem das Vorhandensein von zwei Rädern zwingend gegeben ist und der Fachmann diese implizit mitliest - ein Schneidkopf nicht zwingend zwei Führungselemente. Folglich kann selbst der "verständige Fachmann" im Anspruchswortlaut nicht implizit ein erstes Führungselement mitlesen.

Daher kann der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nur so verstanden werden, dass er nur ein Führungselement umfasst, nämlich das Führungselement (19).

2.2 Neuheit (Art. 54(2) EPÜ)

2.2.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist nicht neu gegenüber D3:

D3 zeigt (vgl. die unten abgebildete Figur) einen Schneidkopf für Gewindeschneideinrichtungen mit Gewindeschneidbacken (3), die in einem Schneidbackenhalter (Grundkörper 1) angeordnet sind. Das Werkstück kann von beiden Seiten eingeführt werden (Fig. 5). An einer Seite des Schneidbackenhalters, der hier von den Schneidbacken abgewandt ist, liegt ein Abschnitt (Fig. 5, oberer Teil), den man als "Deckelteil" bezeichnen kann. Über das Deckelteil vorstehend, ist ein Führungselement (21) vorgesehen zur Abstützung des zu bearbeitenden Rohres.

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Daher offenbart D3 alle Merkmale des Anspruchs 1.

Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass der Schneidkopf der D3, anders als die Erfindung, lediglich auf einer Seite eine Führung (21) aufweise. Auf der anderen Seite sei der Flanschring (8) vorgesehen, der nicht als Führung dienen könne.

Wie oben unter Punkt 2.1 erörtert, umfasst der erteilte Anspruch jedoch ebenfalls nur eine Führung. Insofern unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 daher nicht vom Schneidkopf der D3.

3. Hilfsantrag

3.1 Im Hilfsantrag wurde Anspruch 1 dahingehend geändert, dass nunmehr auf beiden Seiten des Schneidkopfes jeweils eine Führung vorhanden ist, wobei beide Führungen den gleichen Innendurchmesser aufweisen.

3.2 Änderungen (Art. 123(2) EPÜ)

3.2.1 Die im Vergleich zur erteilten Fassung hinzugefügten Merkmale entstammen der ursprünglichen Beschreibung, Spalte 2, Zeilen 21-27, sowie Spalte 3, Zeilen 48-49. Die Beschwerdekammer sieht keinen Anlass, einen Einwand bezüglich Art. 123(2) EPÜ zu erheben.

3.3 Klarheit (Art. 84 EPÜ)

Die Beschwerdekammer sieht keinen Anlass, einen Einwand bezüglich Art. 84 EPÜ zu erheben.

Insbesondere ist der Ratschenhebel (7), der im Einspruchsverfahren Gegenstand eines Klarheitseinwandes war, im vorliegenden Hilfsantrag nicht mehr enthalten.

3.4 Neuheit (Art. 54(2) EPÜ

3.4.1 D3 offenbart einen Schneidkopf, der nur eine Führung aufweist, wohingegen Anspruch 1 des Hilfsantrags auf beiden Seiten des Schneidkopfes jeweils eine Führung vorsieht. Daher ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags neu.

3.5 Erfinderische Tätigkeit (Art. 56 EPÜ)

3.5.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

3.5.2 D3 repräsentiert den nächstliegenden Stand der Technik.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags unterscheidet sich vom Schneidkopf gemäß D3 dadurch, dass über eine Stirnseite einer Schneidkopfhälfte das eine Ende einer rohrförmigen Führung für das Rohr axial ragt, dass auf der Stirnfläche der anderen Schneidkopfhälfte das Deckelteil sitzt, und dass das Führungselement den gleichen Innendurchmesser wie die rohrförmige Führung aufweist.

Der wesentliche Unterschied liegt in anderen Worten darin, dass jeweils eine Führung auf den beiden Seiten des Schneidkopfes angeordnet ist.

3.5.3 Die Anordnung von Führungselementen auf beiden Seiten des Schneidkopfes ermöglicht es, in beiden möglichen Orientierungen des Schneidkopfes ein sauberes Gewinde auf ein Rohrende zu schneiden, weil immer erst ein Führungselement über das Rohrende geschoben wird, bevor die Schneidbacken in das Rohr eingreifen. Dadurch ist in beiden Orientierungen eine Führung des Schneidkopfes gegenüber dem Rohr gewährleistet.

3.5.4 Folglich besteht die zu lösende Aufgabe darin, einen Schneidkopf so auszubilden, dass er auch dann einwandfrei auf dem zu bearbeitenden Rohrende abgestützt wird, wenn es nur wenig übersteht und daher der Schneidkopf in umgekehrter Lage auf das Rohrende aufgesetzt werden muss (siehe Abs. 3 der Patentschrift).

3.5.5 Die D2 behandelt zwar eine ähnliche technische Aufgabe wie das Streitpatent, nämlich "eine Schneidvorrichtung zu schaffen, die ... auch an ... nur wenig aus der Wand ragenden Rohrenden noch einsetzbar ist" (Seite 2, Zeilen 12-15). Dort wird jedoch die Lösung angeboten, die Kupplung für den Antriebshebel an der der Aufnahmeöffnung (die eine Führung aufweist) abgewandten Seite des Schneidkopfes anzuordnen (Seite 2, Zeilen 17-21). Somit würde die Anwendung der Lehre der D2 auf den Schneidkopf der D3 nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags führen, der ja zwei Führungen vorsieht.

3.5.6 Daher beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags auf erfinderischer Tätigkeit.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

Beschreibung:|Spalten 1-3 der Patentschrift |

Ansprüche: |1 eingereicht mit Schreiben vom 31. August 2016|

|2-9 der Patentschrift |

Zeichnungen: |Figuren 1-4 der Patentschrift |

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