European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2019:T152916.20191128 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 28 November 2019 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1529/16 | ||||||||
Anmeldenummer: | 04761911.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | G01L 9/00 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | MEHRSCHICHTIGES PIEZOELEKTRISCHES MESSELEMENT UND EIN DRUCK- ODER KRAFTSENSOR UMFASSEND EIN SOLCHES MESSELEMENT | ||||||||
Name des Anmelders: | Kistler Holding AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Piezocryst Advanced Sensorics GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein) Spät eingereichte Hilfsanträge - Antrag eindeutig gewährbar (nein) Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Einsprechende hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent Nr. 1664705 in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, Beschwerde eingelegt.
II. Mit dem Einspruch war das Patent in gesamtem Umfang u.a. im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 52(1), 54(1) und 56 EPÜ angegriffen worden.
III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem damaligen ersten Hilfsantrag das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügten.
IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK, die als Anlage einer Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige und unverbindliche Meinung zu bestimmten, wesentlichen Aspekten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens mit.
V. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 28. November 2019 statt.
VI. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.
VII. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag) oder, hilfsweise, die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang mit den Ansprüchen gemäß dem als "Fünfter Hilfsantrag" bezeichneten Hilfsantrag, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2019.
VIII. Diese Entscheidung nimmt Bezug auf die folgenden, aus dem erstinstanzlichem Verfahren bereits bekannten Dokumente:
D1: DE 3838014 A1
D2: EP 1 283 552 A2
D3: AT 382 968 B.
IX. Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag lautet:
"Piezoelektrisches Messelement (9) bestehend aus mindestens zwei piezoelektrischen Kristallen (1) mit Transversaleffekt zum Messen von axial angreifenden Kräften und/oder Drücken, wobei die Kristalle (1) mit jeweils entgegengerichteter Polarisation mittels einer seitlichen Elektrode (12) aneinander befestigt sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Kraft aufnehmenden Stirnflächen (3) mit einer stirnflächigen Elektrode (13) versehen sind, und dass jede seitliche Elektrode (10) mit genau einer stirnflächigen Elektrode (13) im elektrischen Kontakt steht, wobei alle sich unter Krafteinfluss gleich ladenden stirnflächigen Elektroden (13) in derselben Ebene liegen."
Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag lautet (Hervorhebung durch die Kammer des gegenüber dem Anspruch 1 des Hauptantrags hinzugefügten bzw. geänderten Wortlauts):
"Druck- oder Kraftsensor umfassend ein piezoelektrisches Messelement (9) bestehend aus mindestens zwei piezoelektrischen Kristallen (1) mit Transversaleffekt zum Messen von axial angreifenden Kräften und/oder Drücken, wobei die Kristalle (1) mit jeweils entgegengerichteter Polarisation mittels einer seitlichen Elektrode (12) aneinander befestigt sind, dadurch gekennzeichnet, dass jeweils zwei direkt nebeneinander angeordnete piezoelektrische Kristalle (1) jeweils um 180° zueinander vertikal gedreht und mit entgegengesetzter [sic] Polarisationsrichtungen (4) angeordnet sind; dass die Kraft aufnehmenden Stirnflächen (3) mit einer stirnflächigen Elektrode (13) versehen sind, und dass jede seitliche Elektrode (10) mit genau einer stirnflächigen Elektrode (13) im elektrischen Kontakt steht, wobei alle sich unter Krafteinfluss gleich ladenden stirnflächigen Elektroden (13) in derselben Ebene liegen."
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag
1.1 Neuheit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu gegenüber der Offenbarung der Druckschrift D1 (Artikel 54(1) EPÜ 1973).
1.1.1 Gemäß der Einsprechenden offenbart das in den Figuren 2 und 3 gezeigte Ausführungsbeispiel von D1 alle Merkmale des Anspruchs 1, insbesondere auch das Merkmal, wonach "die Kristalle (...) mittels einer seitlichen Elektrode aneinander befestigt sind".
Die Figur 2 von D1 zeige einen Teilstapel (7) mit zwei Kristallelementen (2). Zwischen den beiden Kristallelementen (2) sei eine einzige, seitliche Elektrode (3) sichtbar, welche die durch die mechanische Verformung der Kristalle hervorgerufene elektrische Ladung aufnehme und zu einer elektrischen Verbindungsbrücke (5) weiterleite. Die den beiden Kristallelementen gemeinsam zugehörige, seitliche Elektrode (3) müsse so eng mit den beiden Kristallelementen (2) verbunden sein, dass die abgegriffene elektrische Ladung an den beiden Kristallelementen die mechanische Verformung der Kristallelemente präzise widerspiegele. Diese enge mechanische Verbindung der seitlichen Elektrode (3) mit den beiden Kristallelementen (2) stelle eine Befestigung der beiden Kristallelemente (2) aneinander dar, die unter den Wortlaut der unspezifischen Befestigung des Anspruchs 1 falle.
Darüber hinaus befinde sich ein Verweis in D1, Seite 4, Zeile 22, auf die Druckschrift D3. Dieser Verweis ziele auf das gesamte Herstellungsverfahren der Elektrodenanordnung ab. D3, Seite 2, Zeilen 19 bis 23, lehre, dass die Kristallelemente "mittels der metallischen Zwischenschichten zu einem eine Einheit bildenden Schichtkörper fest verbunden, z.B. zusammengeschweißt, gelötet oder gesintert, sind". Anhand dieses Verweises in D1 gehöre die Lehre von D3, die beiden Kristallelemente und die seitliche Elektrode fest miteinander zu verbinden, zum Offenbarungsgehalt von D1.
1.1.2 Die Kammer ist von diesen Argumenten nicht überzeugt.
Wie von der Patentinhaberin vorgetragen, offenbart D1, Seite 4, Zeilen 18 bis 20, dass die seitlichen Elektroden (3, 4) der Kristallelemente (2) beispielsweise durch ein Aufdampfverfahren mit dem jeweiligen Kristallelement verbunden sind. Daraus ist zu schließen, dass jedes Kristallelement eine eigene seitliche Elektrode (3, 4) aufweist. Ein Zusammenpressen der beiden Kristallelemente, um einen elektrischen Kontakt zwischen einer einzigen seitlichen Elektrode (3) und den beiden Kristallelementen herzustellen, ist daher nicht notwendig und auch nicht implizit in D1 offenbart. Die beiden Kristallelemente könnten eventuell dicht nebeneinander gestellt sein, d.h. ohne aneinander befestigt zu sein. Auf Basis der schematischen Darstellung einer einzigen seitlichen Elektrode (3) in den Figuren 2 und 3 von D1 ist, mangels zweckdienlichen Hinweisen in der Beschreibung von D1, nicht eindeutig ableitbar, dass effektiv eine einzige, gemeinsame Elektrode die beiden Kristallelemente (2) zusammenhält und aneinander befestigt.
Der Verweis auf D3 in D1 bezieht sich auf "[n]ähere Details für die Elektrodenanordnung". Der allgemeine Begriff "Elektrodenanordnung" umfasst vielseitige Aspekte (geometrische, elektrische) der Elektrodenanordnung und nicht nur die Art der Verbindung zwischen den Kristallelementen und den Elektroden. Der Verweis auf D3 ist daher zu allgemein, als dass eine feste Verbindung zwischen den Kristallelementen und den Elektroden in D1 offenbart angesehen werden könnte.
1.1.3 Die Patentinhaberin hat nicht bestritten, dass D1 die restlichen Merkmale des Anspruchs 1 offenbart. Die Kammer sieht auch keinen Grund, die diesbezügliche Argumentation der Einsprechenden in Frage zu stellen.
1.1.4 Es folgt, dass D1 alle Merkmale des Anspruchs 1, ausgenommen das Merkmal "die Kristalle (...) mittels einer seitlichen Elektrode aneinander befestigt sind", offenbart und somit die Neuheit des beanspruchten Gegenstands nicht vorwegnimmt.
1.2 Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 weist im Hinblick auf D1 in Kombination mit D3 keine erfinderische Tätigkeit auf (Artikel 56 EPÜ 1973).
1.2.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von dem in D1 offenbarten Messelement dadurch, dass "die Kristalle (...) mittels einer seitlichen Elektrode aneinander befestigt sind" (siehe oben, Punkt 1.1).
Der technische Effekt des Unterscheidungsmerkmals besteht darin, mit einer Elektrode beschichtete Kristallelemente in Form einer stabilen Einheit bereit zu stellen. Daraus leitet sich die objektive technische Aufgabe der Stabilisierung der einzelnen Kristallelemente, und somit des piezoelektrischen Messelements, ab.
Das in den Figuren 2 und 3 gezeigte Ausführungsbeispiel von D1 besteht aus sechs Teilstapeln (7) von jeweils zwei mit Elektroden (3, 4) beschichteten Kristallen (2). Im Hinblick auf die Komplexität der Montage dieser zahlreichen, losen Kristallelemente (2) in das piezoelektrische Messelement stellt sich dem Fachmann auf natürliche Weise die oben genannte Aufgabe der Stabilisierung der einzelnen Kristallelemente. D1 selber lässt zwar offen, wie diese einzelnen Kristallelemente (2) in das piezoelektrische Messelement eingebaut werden. Dafür verweist D1, Seite 4, Zeile 22, jedoch auf D3 hinsichtlich der näheren "Details für die Elektrodenanordnung". Aus D3 erfährt der Fachmann, dass die Kristallelemente mittels der metallischen Zwischenschichten so miteinander verbunden werden, dass sie eine fest verbundene Einheit bilden (siehe D3, Seite 2, Zeilen 19 bis 23; Seite 5, Zeilen 5 bis 15).
Die in den Figuren 2 und 3 gezeigten, einzelnen Kristallelemente (2) paarweise miteinander als Teilstapel (7) zu befestigen, birgt den weiteren, offensichtlichen Vorteil, die Risiken einer beschädigenden Reibung der seitlichen Elektroden aneinander oder einer Verkippung der Kristallelemente gegeneinander zu vermeiden.
Aus diesen Gründen ist es für den Fachmann naheliegend, die aus dem Verweis auf D3 hervorgehende Lehre, die Kristallelemente mittels einer seitlichen Elektrode aneinander zu befestigen, umzusetzen. Nach Umsetzung dieser Lehre von D3 gelangt der Fachmann ohne erfinderische Tätigkeit zu dem beanspruchten piezoelektrischen Messelement.
1.2.2 Die Patentinhaberin bestritt die Offensichtlichkeit der Befestigung der beiden, in den Figuren 2 und 3 von D1 gezeigten Kristallelemente (2) mittels einer seitlichen Elektrode (3) anhand der folgenden Argumente:
- Es sei implizit in D1, dass die losen Kristallelemente (2) in einem Sockel oder sonstigen Bauteil zentriert und stabil eingebaut seien. Daher gebe es keine offensichtliche Veranlassung für den Fachmann, die beiden beschichteten Kristallelemente (2) eines Teilstapels (7) mittels der seitlichen Elektrode (3) aneinander zu befestigen.
Die Kammer erkennt die prinzipielle Möglichkeit an, die losen Kristallelemente (2) eines Teilstapels (7) stabil in einen mechanischen Sockel des piezoelektrischen Messelements einzubauen. Jedoch gibt es keine entsprechenden, weder explizite noch implizite Hinweise in D1. Darüber hinaus würde auch ein solcher Hinweis in D1 nicht die Offensichtlichkeit der ausdrücklich in D3 gelehrten Befestigung der beiden Kristallelemente (2) in einem Teilstapel (7) mittels einer seitlichen Elektrode (3) ernsthaft in Zweifel ziehen können. Die Auswahl zwischen einer Befestigung der beiden Kristallelemente mittels einer seitlichen Elektrode oder dem Einbau der Kristallelemente in einen Sockel oder in eine Hülse entspricht der Auswahl zwischen zwei offensichtlichen Varianten, wobei die erste Variante den oben erwähnten Vorteil aufweist, Reibungen zwischen den Kristallelementen zu vermeiden.
- Der Verweis in D1 auf D3 beziehe sich ausschließlich auf die Elektrodenanordnung des in Figur 1 von D1 gezeigten Ausführungsbeispiels mit piezoelektrischem Longitudinaleffekt und nicht auf diejenige des in den Figuren 2 und 3 von D1 gezeigten Ausführungsbeispiels mit piezoelektrischem Transversaleffekt.
Obwohl der Verweis in D1, Seite 4, Zeile 22, sich innerhalb eines Absatzes befindet, der die Elektrodenanordnung des in Figur 1 von D1 gezeigten Ausführungsbeispiels beschreibt, sieht die Kammer keinen Grund, wieso der Fachmann diesen Verweis nicht auch für die Elektrodenanordnung des zweiten Ausführungsbeispiels von D1 als relevant betrachten würde. Die beiden Ausführungsbeispiele von D1 unterscheiden sich im Wesentlichen nur durch die Art des Piezoeffekts (longitudinal oder transversal) und die Form und Anzahl der zu befestigenden Kristallelemente. Diese Unterschiede rechtfertigen keine grundsätzlich unterschiedliche Art der Befestigung der einzelnen Kristallelemente.
- Die Lehre in D3 (siehe D3, Seite 2, Zeilen, 19 bis 23; Seite 5, Zeilen 5 bis 15), auf die in D1 verwiesen wird, beziehe sich ausschließlich auf dünne, horizontale Kristallscheiben, wohingegen das Ausführungsbeispiel der Figuren 2 und 3 von D1 hohe, vertikale Kristallquader aufweise.
Die Kammer ist von diesem Argument nicht überzeugt. Die Anpassung an die geometrische Form der Kristallelemente der Art und Weise, wie die Kristallelemente aneinander befestigt werden, geht nicht über übliches, handwerkliches Können auf dem Gebiet des Zusammenschweißens, Lötens und Klebens hinaus.
- Dem Schreiben der Patentinhaberin vom 5. September 2019, Punkt 6.3, gemäß besteht die objektive technische Aufgabe der Erfindung darin, "eine weitere Stabilisierung des Messelements zu bewirken". Die Patentinhaberin verweist dabei auf Punkt 10.3 der Abschrift der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, in dem die erfinderische Tätigkeit ausgehend von D2 behandelt wird.
Diese Aufgabenformulierung ist ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik für die Kammer nicht nachvollziehbar, weil D1 keine Stabilisierung des Messelements offenbart und daher die Aufgabe nicht in der Bereitstellung einer weiteren Stabilisierung liegen kann. Wie bereits von der Einspruchsabteilung festgestellt (siehe Niederschrift über die mündliche Verhandlung, Punkt 11.7), besteht die Aufgabe ausgehend von D1 darin, eine Stabilisierung des Messelements, bzw. der Kristallelemente, zu bewirken (siehe Punkt 1.2.1 oben).
2. Hilfsantrag - Zulassung
2.1 Der Hilfsantrag wird gemäß Artikel 13(1) VOBK nicht zum Verfahren zugelassen.
2.1.1 Der Hilfsantrag wurde zum ersten Mal während der mündlichen Verhandlung eingereicht. Die geänderten Merkmale des Anspruchs 1 stammen vermeintlich aus der Beschreibung der Patentanmeldung. Der gegen den bestehenden Hauptantrag erhobene Einwand fehlender erfinderischer Tätigkeit aufgrund von D1 und D3 wurde sowohl im erstinstanzlichen Verfahren (siehe z. B. Punkt 2.2.7 der angegriffenen Entscheidung) als auch in der Beschwerdebegründung (siehe Seiten 17 bis 19, insbesondere Punkt 8) vorgetragen. Die Sachlage hat sich demnach seit dem erstinstanzlichen Verfahren nicht grundsätzlich verändert.
Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern", 9. Auflage 2019, Kapitel V.A.4.12.1 und V.A.4.12.2a) sind verspätet eingereichte Hilfsanträge nicht zulässig, wenn sie prima facie nicht auf einen gewährbaren Gegenstand gerichtet sind. Der Gegenstand des geänderten Anspruchs soll so klar und einfach sein, dass er ohne Weiteres verständlich und gewährbar ist.
2.1.2 Der vorliegende Anspruch 1 erfüllt dieses Kriterium nicht. Im Gegenteil, der vorliegende Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 ist prima facie nicht gewährbar, weil er Mängel im Hinblick auf Artikel 123(2) EPÜ sowie Artikel 84 und 56 EPÜ 1973 zu enthalten scheint.
- Insbesondere erhob die Einsprechende einen prima facie stichhaltigen Einwand nach Artikel 123(2) EPÜ gegen das geänderte Merkmal "jeweils zwei direkt nebeneinander angeordnete piezoelektrische Kristalle (1) jeweils um 180° zueinander vertikal gedreht (...) sind". Als Grundlage dieses geänderten Merkmals nannte die Patentinhaberin die Seite 7, zweiter Absatz, der ursprünglichen Beschreibung der Patentanmeldung, und zwar die Zeilen 11 bis 13. Dieser Satz scheint sich jedoch auf eine vertikale 180°-Drehung der Ansichten in den Figuren 5a und 5b zu beziehen, anstatt auf eine Drehung der Kristalle.
- Die Einsprechende erhob einen weiteren, prima facie überzeugenden Einwand nach Artikel 84 EPÜ 1973, weil nicht klar sei, was der Begriff "um 180° zueinander vertikal gedreht" bedeute. In dem Druck-oder Kraftsensor des Anspruchs 1 ist weder eine Winkelreferenz für die Drehung der Kristalle noch eine allgemein gültige Vertikalität definiert.
- Unbeschadet der Einwände nach Artikel 123(2) EPÜ und Artikel 84 EPÜ 1973 teilt die Kammer die während der mündlichen Verhandlung vorgetragene Meinung der Einsprechenden, dass das geänderte Merkmal, im Hinblick auf die in D3 offenbarten, mit entgegengesetzten Polarisationsrichtungen angeordneten Kristalle, nicht eindeutig eine erfinderische Tätigkeit begründe.
2.1.3 Aus diesen Gründen ist nicht nur keine eindeutige Gewährbarkeit des Hilfsantrags im Hinblick auf den geänderten Anspruch 1 gegeben, sondern Anspruch 1 ist prima facie gerade auf keinen gewährbaren Gegenstand gerichtet. Im Hinblick auf die daraus entstandene Komplexität des neuen Vorbringens in Gestalt des Hilfsantrags läßt die Kammer daher in Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 13(1) VOBK den Hilfsantrag nicht in das Verfahren zu.
2.2 Die Patentinhaberin trug folgende Gegenargumente vor:
2.2.1 Die Beschwerdebegründung der Einsprechenden enthielte im Vergleich zu dem erstinstanzlichen Verfahren keine neuen Argumente. Erst mit der Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Artikel 15(1) und der darin enthaltenen vorläufigen Meinung der Kammer habe sich die Sachlage verändert. In der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer habe sich die Diskussion nicht wie in der Ladung angedeutet um die Neuheit des beanspruchten Gegenstands gegenüber D5 oder D3 gehandelt, sondern um die Neuheit und erfinderische Tätigkeit gegenüber D1 und D3. Der Anspruch 1 des neuen Hilfsantrags ziele darauf ab, den erstmalig erfolgreichen Einwand fehlender erfinderischer Tätigkeit aufgrund von D1 in Kombination von D3 zu beheben.
Die Kammer teilt diese Auffassung nicht, weil der besagte Einwand bereits von der Einsprechenden sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als auch in der Beschwerdebegründung vorgetragen wurde. Der Umstand, dass dieser Einwand erstmalig in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer als relevant anerkannt wurde, ist unerheblich. Denn gemäß Artikel 12(2) VOBK ist die Patentinhaberin aufgefordert, ihren vollständigen Sachvortrag bereits mit der Beschwerdeerwiderung einzureichen.
2.2.2 Die Patentinhaberin vertrat den Standpunkt, dass die im Anspruch 1 vorgenommenen Änderungen zielgerichtet seien, weil sie gegenüber D1 eine erfinderische Tätigkeit begründeten. Aus dem geänderten Merkmal gehe hervor, dass die beiden Kristallelemente aus dem gleichen Kristall gefertigt würden. Im Gegensatz dazu benutze D1 zwei verschiedene Kristalle.
Die Kammer ist nicht überzeugt von diesem Argument, weil das geänderte Merkmal aus D3 bekannt zu sein scheint.
2.2.3 Zu dem Thema der Prima-facie-Gewährbarkeit, nämlich zu den Einwänden nach Artikel 123(2) EPÜ und Artikel 84 EPÜ 1973 (siehe oben, Punkt 2.1.2), trug die Patentinhaberin keine weiteren Argumente vor.
2.3 Es folgt, dass keine eindeutige Gewährbarkeit des Hilfsantrag im Hinblick auf den geänderten Anspruch 1 gegeben ist, sondern Anspruch 1 ist prima facie gerade auf keinen gewährbaren Gegenstand gerichtet. Somit kann der Hilfsantrag gemäß Artikel 13(1) VOBK nicht in das Verfahren zugelassen werden kann.
3. Aus den oben dargelegten Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass keiner der Anträge der Pateninhaberin gewährbar ist und deshalb das Patent widerrufen werden muss.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.